[383] Julchen. Damis.
JULCHEN. Ich bin meiner Schwester herzlich gut; aber ich würde es noch mehr sein, wenn sie weniger auf die Liebe hielte. Es kann[383] sein, daß die Liebe viel Annehmlichkeiten hat; aber das traurige und eingeschränkte Wesen, das man dabei annimmt, verderbt ihren Wert, und wenn er noch so groß wäre. Ich habe ein lebendiges Beispiel an meiner Schwester. Sie war sonst viel munterer, viel ungezwungener.
DAMIS. Ich habe Ihnen versprochen, nicht von der Liebe zu reden, und ich halte mein Wort. Die Freundschaft scheint mir in der Tat besser.
JULCHEN. Ja. Die Freundschaft ist das frohe Vergnügen der Menschen, und die Liebe das traurige. Man will einander recht genießen, darum liebt man; und man eilt doch nur, einander satt zu werden. Habe ich nicht recht, Herr Damis?
DAMIS. Ich werde die Liebe in Ihrer Gesellschaft gar nicht mehr erwähnen. Sie möchten mir sonst dabei einfallen. Und wie würde es alsdann um mein Versprechen stehen?
JULCHEN. Sie könnten es vielleicht für einen Eigensinn, oder ich weiß selbst nicht für was für ein Anzeichen halten, daß ich die Liebe so fliehe. Aber nein. Ich sage es Ihnen, es gehört zu meiner Ruhe, ohne Liebe zu sein. Lassen Sie mir doch diese Freiheit. Muß man denn diese traurige Plage fühlen? Nein, meine Schwester irrt: es geht an, sie nicht zu empfinden. Ich sehe es an mir. Aber warum schweigen Sie so stille? Ich rede ja fast ganz allein. Sie sind verdrießlich? O wie gut ist's, daß Sie nicht mehr mein Liebhaber sind! sonst hätte ich Ursache, Ihnen zu Gefallen auch verdrießlich zu werden.
DAMIS. O nein, ich bin gar nicht verdrießlich.
JULCHEN. Und wenn Sie es auch wären, und zwar deswegen, weil ich nicht mehr von der Liebe reden will: so würde mir doch dieses gar nicht nahegehen. Es ist mir nicht lieb, daß ich Sie so verdrießlich sehe; aber als Ihre gute Freundin werde ich darüber gar nicht unruhig. O nein! Ich bin ja auch nicht jede Stunde zufrieden. Sie können ja etwas zu überlegen haben. Ich argwohne gar nichts. Ich mag es auch nicht wissen ... Doch, mein Herr, Sie stellen einen sehr stummen Freund vor. Wenn bin ich Ihnen denn so gleichgültig geworden?
DAMIS. Nehmen Sie es nicht übel, meine schöne Freundin, daß ich einige Augenblicke ganz fühllos geschienen habe. Ich habe, um Ihren Befehl zu erfüllen, die letzten Bemühungen angewandt, die ängstlichen Regungen der Liebe völlig zu ersticken und den Charakter eines aufrichtigen Freundes anzunehmen. Die Vernunft[384] hat nunmehr über mein Herz gesiegt. Die Liebe war mir sonst angenehm, weil ich sie Ihrem Werte zu danken hatte. Nunmehr scheint mir auch die Unempfindlichkeit schön und reizend zu sein, weil sie durch die Ihrige in mir erwecket worden ist. Verlassen Sie sich darauf, ich will mir alle Gewalt antun; aber vergeben Sie mir nur, wenn ich zuweilen wider meinen Willen in den vorigen Charakter verfalle. Ich liebe Sie nicht mehr; aber, ach, sollten Sie doch wissen, wie hoch ich Sie schätze, meine englische Freundin!
JULCHEN. Aber warum schlagen Sie denn die Augen nieder? Darf man in der Freundschaft einander auch nicht ansehen?
DAMIS. Es gehört zu meinem Siege. Wer kann Sie sehen, und Sie doch nicht lieben?
JULCHEN. Sagen Sie mir nicht wieder, daß Sie mich liebten? O das ist traurig! Ich werde über Ihr Bezeigen recht unruhig. Einmal reden Sie so verliebt, daß man erschrickt, und das andere Mal so gleichgültig, als wenn Sie mich zum ersten Male sähen. Nein schweifen Sie doch nicht aus. Sie widersprechen mir ja stets. Ist dies die Eigenschaft eines guten Freundes? Wir brauchen ja nicht zu lieben. Ist denn die Freiheit nicht so edel als die Liebe?
DAMIS. O es gehört weit mehr Stärke des Geistes zu der Freiheit als zu der Liebe.
JULCHEN. Das sage ich auch, warum halten Sie mir's denn für übel daß ich die Freiheit hochschätze: daß ich statt eines Liebhabers lieber zehn Freunde, statt eines einfachen lieber ein mannigfaltiges Vergnügen haben will? Sind denn meine Gründe so schlecht, daß ich darüber Ihre Hochachtung verlieren sollte? Tun Sie den Ausspruch, ob ich bloß aus Eigensinn rede. Damis sieht sie zärtlich an. Aber warum sehen Sie mich so ängstlich an, als ob Sie mich bedauerten? Was wollen mir Ihre Augen durch diese Sprache sagen? Ich kann mich gar nicht mehr in Ihr Bezeigen finden. Sie scheinen mir das Amt eines Aufsehers und nicht eines Freundes über sich genommen zu haben. Warum geben Sie auf meine kleinste Miene Achtung und nicht auf meine Worte? Mein Herr, ich wollte, daß Sie nunmehr ...
DAMIS. Daß Sie gingen, wollten Sie sagen. Auch diesen Befehl nehme ich an, so sauer er mir auch wird. Sie mögen mich nun noch so sehr hassen: so werde ich mich doch in Ihrer Gegenwart nie über mein Schicksal beklagen. Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen.[385]
JULCHEN. Hassen? Wenn habe ich denn gesagt, daß ich Sie hasse? Ich verstehe diese Sprache. Weil Sie mich nicht lieben sollen, so wollen Sie mich hassen. Dies ist sehr großmütig. Das sind die Früchte der berühmten Zärtlichkeit. Ich werde aber nicht aus meiner Gelassenheit kommen, und wenn Sie auch mit dem kaltsinnigsten Stolze noch einmal zu mir sagen sollten: Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen. Das ist ja eine rechte Hofsprache.
DAMIS. Es ist die Sprache der Ehrerbietung.
Er geht ab.