DER VENUS-HIMMEL · KARL MARTELL

[169] Einst glaubte die noch finstre welt die märe:

Die schöne Kypris liesse tolle liebe

Ausstrahlen aus der dritten himmelsfäre.


Drum wollte dass nicht ihr nur ehrung bliebe

Des opfers und der hilfeflehnden gabe

Das alte volk im alten irr-getriebe –


Dass auch Dione und der flügelknabe

In ehren sei · die mutter samt dem sohne

Der · heisst's · auf Dido's schooss gesessen habe.


Die hier den anfang gab zu der kanzone

Gab einst dem stern den namen der die sonnen

Umschwärmt bald vor bald hinter ihrem throne.


Nicht merkt ich wann der weg hinein begonnen

Doch ward gewahr dass ich darinnen schreite

An meiner Herrin immer grössern wonnen.[169]


Und wie man sichte aus der glut die scheite

Und wie den ton man unter tönen schlichte

Wo einer festhält wann der andre gleite:


Sah ich aus dieser leuchte andre lichte

Im kreis sich drehn · minder und mehr geschwinde

Je nach der schau der ewigen gesichte.


Aus kalter wolke stürzten niemals winde

Sichtbar und unsichtbar · dass nicht an ihnen

Etwas behindert wäre und gelinde


Für ihn dem dieser gottesglanz erschienen

Wie er heranflog · lassend seinen reigen

Der anfängt bei den hohen serafinen.


Und solch ein Hosiannah hört ich steigen

Aus jener schar die ich zuvorderst sahe

Dass ich begehrt: möcht es doch nie mir schweigen.


Und einer unter ihnen kam uns nahe

Und sprach allein: Zu deiner lust umfangen

Wir alle dich dass unser glück dich fahe![170]


Durch Einen kreis Ein kreisen Ein verlangen

Sind mit des himmels fürsten wir beweget

An die auf erden deine worte klangen:


›IHR DEREN GEIST DEN DRITTEN HIMMEL REGET‹

Wir sind so voll von liebe dass dich freuend

Uns süss sei wenn die lust ein nu sich leget.


Nachdem mein auge ehrerbietig scheuend

In jenes meiner Herrin eingedrungen

Und antwort kam gewährend und betreuend:


Zur leuchte die so lockend mir erklungen

Wandt ich mich. Ach wer waret ihr vor zeiten?

Rief ich von mächtigem gefühl durchdrungen.


Ich sah sie sich vertiefen und erweiten

Und dass noch neue seligkeit ihr werde ·

Nachdem ich sprach · zu ihren seligkeiten.


In der gestalt sprach sie: Ich war der erde

Nur kurze frist: hätt ich mehr zeit gewonnen ·

Nicht käme · die nun kommt · soviel beschwerde.[171]


Ich bin vor dir verhehlt durch meine wonnen

Die mich umstrahlen und in eigner schranke

So wie das tier von seide übersponnen.


Du hast mich sehr geliebt und wohl zu danke.

Hätt ich gelebt · ich hätte dir gewiesen

Von meiner liebe mehr als das geranke.


Himmel · VIII. Gesang · 1–57.

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 169-172.
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