DIE DREI FLORENTINER · DER RIESE GERYON

[43] An jenem ort vernahm man das gebrumme

Des wassers das zum andern kreis im laufe

Abrann – wie eines bienenstocks gesumme.[43]


Da sonderten gleichzeitig aus dem haufe

Drei schatten sich von einer fliehnden bande

Die duldete durch scharfer qualen traufe.


Sie riefen · sich uns nähernd bis zum rande:

Bleib stehen! durch dein kleid gibst du uns kunde

Einer zu sein aus unsrem schlimmen lande.


An ihrem leib · ach! sah ich wund an wunde

Vom biss der flammen · neue neben alten ..

Daran zu denken schmerzt mich bis zur stunde.


Bei ihrem rufe blieb mein führer halten ·

Er wandte sich zu mir und sprach: ›Verweile ·

Vor diesen schickt sich höfliches verhalten!


Wär es nicht wegen jener feuerpfeile

Mit denen das gesetz des orts kasteie

So spräch ich: Mehr als ihnen ziemt dir eile.‹


Wir standen still und mit dem frühern schreie

Hoben sie wieder an und vorgetreten

Machten ein rad aus sich sie alle dreie.[44]


So ähnlich wie gesalbt und nackt athleten

Den griff erspähen und die rechte weise

Eh sie sich geben schlag und stoss: so drehten


Den blick auf uns gerichtet sich im kreise

Die drei · dass umgewendet sich zum fusse

Der hals befand auf einer ständigen reise.


›Ach wenn nicht ob des lockern ortes busse

Du uns und unsrem wort verachtung zeigest –

So sprachs – und ob der blösse und dem russe:


Vermöge unser ruhm dass du dich neigest

Zu sagen wer du bist der du so feste

Lebendigen fusses durch die hölle steigest.


Der dort in dessen spur ich meine presste

War · ob er auch ganz nackt und kahl dir nahte ·

Mehr als du ahnen kannst im rang der beste ..


Enkel war er der gütigen Waltrate ·

Hiess Guidoguerra und in seinem leben

Tat viel er mit dem schwert wie mit dem rate.[45]


Der andre der den sand zertritt daneben

Ist Aldobrandi dem man nicht in gnaden

Als er noch droben war gehör gegeben.


Ich mit der gleichen qual wie sie beladen

Bin Rusticucci und gewiss erweckte

Mein arges weib mir mehr als alles schaden.‹


Es gab nichts was mich vor den flammen deckte

Sonst wär ich auf sie drunten zugeflogen

Versichert dass mein führer mich nicht schreckte.


Doch hätten brand und glut mich überzogen ..

So schwand die gute absicht mir vorm schauer

Die jene zu umarmen mich bewogen.


Drauf ich begann: Nicht abscheu sondern trauer

Ist es wozu mich euer schicksal rührte

Die in mir haften bleibt auf lange dauer.


Nach worten die hier dieser der mich führte

Zu mir gesprochen konnte ich gewahren

Als ihr des weges kamt was euch gebührte.[46]


Ich bin aus eurer stadt und hab seit jahren

Von eurem werk und eures namens ehre

Mit zuneigung gesprochen und erfahren.


Das gift verlass ich um die süsse beere

Verheissen mir durch meines lenkers treue ..

Doch erst ist not dass ich ins tiefste kehre.


›Wenn sich mit seiner seele lang noch freue

Dein körper · rief es dann aus gleichem munde ·

Und nachher ständig sich dein ruhm erneue –


So sag: ist sitte noch und mut im bunde

Mit unsrer stadt so wie vergangner tage ..

Sind sie vielmehr nicht ganz und gar im schwunde?


Denn Borsiere der zur selben plage

Erst kurz mit unsren scharen weilt hier drinne

Gibt uns bericht der uns bewegt zur klage.‹


Die neuen leute · plötzliche gewinne

Sie haben stolz und unmaass grossgezogen

Florenz in dir! schon wirst du's schmerzlich inne![47]


So rief ich laut das haupt zurückgebogen ..

Da sahn die drei sich an die dies vernommen

So wie man schaut beim spruch der nicht getrogen.


›Wird nächstes mal nicht übler dirs bekommen ·

So sagten sie · bei solcher auskunft worten

Dann heil dir der du also sprichst zum frommen.


Drum · wenn entflohen diesen dunklen orten

Du rückkehrst um zu schaun die schönen sterne ·

Wenn dich erfreut zu sagen: ich WAR dorten –


Mach dass man uns zu rühmen nicht verlerne!‹

Dann lösten sie das rad und flügeln gleiche

Enteilten ihre beine in die ferne.


Nicht wäre möglich dass so schnell entweiche

Zeit für ein amen als sie uns entschwanden ..

Drum brach mein führer auf aus dem bereiche.


Ich folgte ihm.. nach kurzem gange fanden

Wir nah die fluten mit solch lautem klange

Dass sprechend wir uns hätten kaum verstanden.[48]


Wie jener fluss der ganz mit eignem gange

Als erster ostwärts vom berg Veso droben

Und an dem linken Apenninen-hange ·


Den man das Stille Wasser heisst dort oben

Eh er zu seinem flachen bette sausend

Wird solchen namens bei Forli enthoben:


Wie jener ob Sankt Benedikten brausend

Im hochgebirg entstürzt in Einem falle

Wo raum genügend dürfte sein für tausend:


So fanden wir mit einem solchen schwalle

Am steilen rande jene dunkle welle

Dass bald das ohr beleidigt war vom schalle ...


Ich trug ein seil an eines gürtels stelle

Mit dem ich fangen wollt in manchen stunden

Das pardeltier mit dem gefärbten felle.


Nachdem ich es ganz von mir losgebunden

Wie es befohlen hatte mein geleite

Reicht ich es ihm zu einem knäul gewunden.[49]


Drauf drehte er sich nach der rechten seite

Und etwas ferne bleibend von der kante

Warf er es nieder in die schlucht · die weite.


Nun mache dich gefasst aufs unbekannte ·

Sprach ich zu mir · nach jenem neuen zeichen

Auf das der Meister so das auge wandte.


Ach welch vorsichtige angst muss uns beschleichen

Vor dem der nicht nur augen hat für taten ·

Dess blicke bis in die gedanken reichen!


Er sagte mir: ›Bald wird worum wir baten

Nach oben ziehn und was dein träumen füge

Wird bald vor deinem blicke sich verraten.‹


Der wahrheit mit dem angesicht der lüge

Verschliesse jeder seine lippen bange ..

Denn ohne seine schuld bringt sie ihm rüge.


Doch hier kann ich nicht schweigen · und beim klange

Dieser Komödie · o Leser · schwöre

Ich dir · sofern sie spät noch gunst erlange:[50]


Dass ich durch schwere dunkle luft ins höh're

Auftauchend eine schreckgestalt erkunde

Die jeden noch so festen mut verstöre ·


Wie einer umkehrt der im meeresschlunde

Den anker freigemacht daran sich hemmend

Ein felsstück oder andres hing im grunde:


Die füsse an sich zieht die arme stemmend.


Hölle · XVI. Gesang.

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 43-51.
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Dante. Die göttliche Komödie
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