DIE HERRIN BETET

EINE SAGE IM SINN DER ALTKÖLNISCHEN MEISTER
DEM BURGHERRN AUF RHEINSTEIN EHRERBIETIGST GEWIDMET

[53] Bei einer aufführung dieser dichtung in der weise Lebender Bilder dient der beschreibende teil zur errichtung der bühne und stellung der gruppen während der wörtlich angeführte den gestalten in den mund gelegt oder in leidenschaftlos getragener sprache im hintergrund hergesagt wird.


Es treten auf:


die Herrin

Der mit dem Falken

Der mit dem Greifen (nur als erscheinung)

ein Priester

ein Bote

Mägde


Die bühne bleibt unverändert und wird nach dem fünften abschnitt kurze zeit verhüllt.[54]


Ihr finger frei von allen edelsteinen

Umfängt die perlen der geweihten schnur

Und sieht nur halb aus feh-verbrämtem ärmel

Des kleides dessen straffe schwarze falten

Sie ganz umhüllen vor dem frommen pult.

Die Herrin betet.

Schiefe strahlen fallen

Herab auf sie aus spitzem bogenfenster.

In seinen rauten die marie schwebt

In grün und purpur · gelben schein ums haar

In leuchtend vollen farben andrer welten.


Im hofe drunten geht ein waffentosen

Durch vieler mannen heiliges verstummen.

Im gange schleichen mägde auf den zehen:[55]

›Die Beiden die die Herrin eifrig ehrten –

Ihr gatte war als er im forste jagte

Von fremdem arme hinterrücks erschlagen –

Sieh in den schranken gegenüber treten

Dass einer sich der schweren klage löse

Und der Erkämpften höchste huld ihm sei.‹


Und zwischen den gebeten lispelt ihr

Der mit dem Falken:

›Seht mich ständig heiter ·

Bei frohen brüdern ist mein lieber ort ·

Sie missen jeden gerne nur nicht mich.

Der wächter · senkt er mir die brücke · sagt

Dass jezt die trübnis aus den mauern reite ·

Des dorfes töchter küssen meine rede

Und innig lauschen frauen meiner laute.

Wer sah mich einsam auf verrufnen wegen

Mit jenem blick wovor den kindern bangt?‹


Der mit dem Greifen:

›Denkt an meine sitte ·

Und meine zierde – meine narben – zeuge!

Vor königs wahl schon nahm ich meine sporen

Vergoss mit ihm mein blut im wälschen land.[56]

Dem heile der bedrängten galt mein arm.

Die ehre nennt das volk mit meinem namen.

Vor meiner lanze fürchten sich die mohren.

Ich stand am berg wo unser heiland hing.‹


Ein lauter schlag · ein halt · ein volles schweigen

Dann jubelrufen und ein dumpfes murren.

Die beterin noch lauschend hat sich bebend

Emporgerichtet · beugt sich einmal noch

Die perle küssend mit dem teuren splitter ·

Sie eilt hinaus dass sie den sieger grüsse

Der schon im gange dröhnt.

Ihr auge glänzt

Und ihre hand die sie mit gnade bietet

(Soweit es ihr in witwentrauer zieme)

Verspricht dass Gottes wahl die ihr genehme:

Der junge ritter sinkt vor ihr ins knie.


*


›Da kaum des festes lezter ton verschallt

Und unsrer freude zeugen sich verstreut

Bleibt mein gemahl auf rauhen zügen fern

Und hat zurückgekehrt nur böse rede.

Ich spinne einsam bei dem herde oder[57]

Ich schaue von dem söller in den strom

Und denke meinen neuen kummer weinend

Der harten prüfungen der tiefen schmerzen

Die sich in meine schönen jahre stahlen.


Ich habe · Frommer Vater · lang gerungen

Dem los mich fügend deinen rat befolgend ·

Vor vielen gnadenbildern brennt das wachs

Von meinen schreinen flossen reiche gaben

Und bei den kranken trat ich furchtlos ein.

Doch seit ich einmal ihn im zorn gehört

Ward meine drangsal zur verzweiflung reif

Und durch die schauer meiner leeren nächte

Verfolgt mich ein entsetzlicher gedanke ..‹


›O tochter reize nicht den höchsten richter

Er irrt so wenig wie der lauf der sterne ..

Nun hat dich wahres unglück heimgesucht:

In deinem busen thront der widersacher

Mit seiner schar. Du musst ihn von dir treiben

Wie heftig er auch tobe · durch die zucht

Des fleisches das sich bäumt und durch vermittlung

Der Heiligen die dir zum schutz gegeben.‹[58]


Ein Bote sprengt den steg hinan:

›Mir ist

Die kundschaft des gebieters an die gattin

Dass ihn des grossen mönches wort erleuchtet

Im felde vor der stadt der sieben brücken

Und tief gerührt er ohne den verzug

Des abschieds nur zu dulden auf der schulter

Das rote kreuz nach Christi grabe fahre.‹


Der bote ist im hof vom ross gesprungen ·

Er sucht in gängen und gemächern · merkt

Die angelehnte pforte der kapelle ·

Er öffnet · zögert etwas · legt sie wieder

Behutsam bei und mit dem deutefinger

Verschliesst er sich den mund:

›Die Herrin betet.‹[59]

Quelle:
George, Stefan: Schlussband, Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 18, Berlin 1934, S. 53-61.
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