EINLEITUNG ZUR ZWEITEN AUSGABE DER MODERN PAINTERS

[104] Man kann sich vielleicht keine eindrucksvollere schau denken auf erden als die einsame weite der römischen Campagna in abendbeleuchtung. Denke man sich einen augenblick den klängen und bewegungen der lebenden welt entrückt und allein in diese wilde und brache ebene versezt zu sein. Die erde gibt nach und zerkrümelt sich unter den füssen · trete man noch so leicht auf · denn ihr grund ist weiss hohl und zerfressen wie das staubige überbleibsel menschlicher gebeine. Das knotige lange gras weht und wendet sich schwach im abendwind hin und her und die schatten seiner bewegungen schütteln sich wie im fieber an den trümmer-wällen die sich zum sonnenlicht erheben. Hügel von modernder erde schwellen ringsherum an als ob die toten drunten im streit wären und gleichsam um sie niederzuhalten liegen zerstreute viereckige blöcke von schwarzem fels darauf ·[104] reste mächtiger gebäude von denen kein stein auf dem andren geblieben ist. Ein schwerer purpurner giftiger dunst dehnt sich flach über die wüste hin · verhüllt ihre geisterhaften wracke massiger trümmer in deren risse das rote licht bleibt wie sterbendes feuer auf entweihten altären und der blaue rücken des Albanerberges hebt sich in den feierlichen raum eines grünen klaren stillen himmels. Wachttürme dunkler wolken stehen unverrückt an den vorgebirgen der Apenninen. Von der ebene zu den bergen hin zerschmelzen die eingerissenen wasserbauten · pfeiler nach pfeiler · in der finsternis wie verhüllte zahllose schaaren von leidtragenden die vom grab eines volkes daherkommen.

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Stefan George: Tage und Taten. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 17, Berlin 1933, S. 104-105.
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