Dritter Brief.

[22] Zürch.


Dieser Brief ist bereits zwey Jahre alt. Wir haben die gute Zuversicht zu der patriotischen Denkungsart des Herrn Verfassers, er werde uns die Bekanntmachung desselben seiner Absicht gemäß, welche keine andere ist, als die Beförderung des guten Geschmacks, besonders in der altschwäbischen Diction, mit der größten Bereitwilligkeit verzeihen; und in dieser Hofnung können wir dem Leser versprechen, daß die folgenden Briefe von eben dem Verfasser, und über eben den Gegenstand, ob sie gleich leider! ihres würdigen Zwecks verfehlt haben, bald nachfolgen sollen.

Die Sammler.


Nehmet es mir nicht für übel, m.H., daß ich nacher dem Urbild der Protagonisten, deren Geschlecht die Bürger an der Lindemag, auf eine etwelche Art zu erneuern befliessen sind, so ohne Umstände, wiewohl ein Unbekannter, und so aufgeschürzt vor Sie trete. Lasset uns den Mode-Zwang zurücksetzen, der Gelehrten, besonder aber Kunstrichtern, nicht ziemen will: in den Saiten Ihres Gemüths ist etwas, das mit lieblichem Wohlklang in meine Seele tönet, und jede Minute hat mich mit Bley beschwert zu seyn bedunkt, bis ich mit Ihnen in das Verständnuß gerathe, welches für Herzen, die so harmonisch zusammenwachsen, ein fruchtbarer Stamm von Seligkeiten werden muß.

Das Genie der kleinen Schrift, mit der Sie vor einiger Zeit die Republik der Kenner erfreuet haben, und die so manchen feinen Rank der neuerlichen Kunstrichter in ein Gebund faßt, wird meinen sehnlichsten Wunsch nicht betrügen,[22] daß Sie die Entfernung der Oerter durchbrechen, und mit uns Männern von Zürich gemeine Sache machen werden. Ich habe dieser schönen Schrift nicht ohne pochende Pulsschläge zuschauen können. Wenn mich hypochondrischer Trübsinn über die Verderbnuß des heutigen Geschmacks niederschlug, so goß ich von deren balsamischen Oel darauf, und es zerfloß wie Thau. Sey es dem Apollo gedankt! noch haben wir Gelehrte, die eine verdeckte Falschheit durchsehen, und mit keckem Muth an dem Geburtsorte der Verderbnuß, in Leipzig selbst, auftreten, und den Sophisten Hohn sprechen dürfen. Nehmt diese Sprache für keine knechtische Aufwart an, und glauben Sie nicht, weil ich meinen Theaterpersonen seidne farbigte Reden in den Mund lege, daß ich mich dieser Art gleichergestalt auch in einem Briefe gebrauchen wolle.

Sie wissen, m.H., welch ein Taumel die Kunstrichter in Berlin und Leipzig ergriffen hat, seitdem von Zürich aus einige neue Trauerspiele zum Vorschein kommen sind, welche gewisse Züge der veralteten Tugend, die Euripides und Sophokles, Xenophon, Thucidides und Plutarchus in körperlicher Gestalt abgebildet, auch mittelst dramatischer Personen im Fleische vorzustellen gewußt. Diese seeleinschneidende Entdeckung fremdet mich aber keinesweges. Es sind sicher mehr Catilinas- als Catons-ähnliche unter den Kunstrichtern, wie unter den Zusehern: Welch Wunder denn, daß Catilina den Cato von der Bühne verjagt? Seelen von vortrefflicher Tugend nachzudenken und nachzuempfinden kömmt nur Gleichgearteten zu. Andern, deren Herzen mit schlimmen Charaktern bekannt sind, muß es hingegen eben so leicht werden, lasterhafte Personen dem Schauplatze angemessener zu halten.

Ist ihm nun so, so können wir leichtlich erklären, warum man so viel Kunstgriffe verbraucht hat, dem Publicum das Ohr wegzurauben, und selbiges eben durch den glänzenden Witz, durch die mit Seide gestickten Worte, die über diese neuen Trauerspiele, wie so viel attisches Salz ausgeschüttet sind, gegen die Stimme der dramatischen Tugend zu verhärten, und uns wol gar, als wären wir gezwungene und[23] schlechte Poeten, lächerlich zu machen. Wie nichts empfand man von der Richtigkeit, der Feinheit, dem Geist, womit diese Blumen nicht etwa blos aus den Poeten der Provenze, oder derer von Schwaben, sondern von einer vorragenden Höhe der geheimen Natur gepflückt worden! Wenn man bedenkt, daß der Poet der Trauerspiele ein Mann ist, auf den eine etwelche Ehre ruhet, und der sich mit Fug eine Schaar von bessern Phantomen vors Haupt bringen durfte, so ist sich nicht zu verwundern, wenn sich bey diesem Begegnuß einige zornige Flecken in seinen Augen erhoben, und was man Dunkles an seiner Stirn erblickte, dem Antlitz eines Menschen gegliechen, deme Schachmatt gespielt worden. Dennoch rief selbiger nach wenig trübsinnigen Stunden Sanftmuth in seine Mine, ein Geist der leidenden Geduld saß, ohne an die vorige Beklemmnuß zu sinnen, in sein Herz ein, und er hörte die Geissel ruhig daherklatschen, ob wäre es ein Schlag in einen Bach gewesen, maßen man nicht sagen kann, daß der mich verworfen habe, der nicht eine Stecknadel von mir gehabt hat. Er gönnte ihnen großmüthig ihren kurzen Triumf, und ließ es willig an sich, was diese Sache Kränkendes hat; er verdruckte seine Aechzer bey den blutigen Griefen, die diese obotritischen Geyer in seinen Busem thaten; er rief seine alte Gütigkeit ins Angesicht zurück, und sammelte seine Gedanken in den Wunsch, noch einmal, und zwar weithin und unbemerkt, den weiblichen Flecken, das Muttermaal auf ihrem Herzen zu treffen, an welchem sie noch bluten können, wie Sivrit an dem einzigen Orte, den ein Lindenblatt bedeckt hatte.

Sehet da, m.H., aus dem beygelegten politischen Stücke, welchergestalt ich wähne, alle diese Absichten zu erreichen, und zu veranstalten, daß jene finstern Tage hellern Platz machen sollen. Stühnde es in meinem Vermögen, lange Worte an meiner eignen Selbstliebe zu schleifen, so würde ich dieses neue Drama weissagen, daß es durch die bösen Eigenschaften, die Ruhmredigkeit, und vaterländische Verrätherey seines Helden Bewunderung in dem innersten Busen der deutschen Zuseher säen werde. Bisher hat der Poet[24] geglaubt, sich ohne Beschämung vorwerfen zu lassen, er habe keine starke Seele, keinen erhabnen Genie aufgeführt, von jener Art, die stark und erhaben ist in dem Unternehmen glorreicher Uebelthaten. Alle seine Personen hatten eine gute Dose von der Unschuld, die angeklagt wird, daß sie nicht rühre, weil sie den gewöhnlichen Menschen fremd ist; und er war so genugsam, nur ihrer wenigen einen so glänzenden Witz zu geben, den sie zweifelsohne nicht so glänzend gehabt, welches in dem Sinne der Kunstrichter, die große Bewunderer des Witzes sind, statt einer Vergütung dienen sollte. Da er sich aber in diesen goldnen Träumen allen getäuscht, und zwischen so engen Klippen funden, wo es ihm schwer ward, Beleidigungen, wie ein Schaf, in sich zu schlucken; so hat er zuletzt in seinem Herzen beschlossen, das Gliedmaas durch Versöhnung wieder zu gewinnen, dessen ihm sein eigensinniger Genie beraubte, und den Grollen in der Geburt zu erstecken, der sein Gemüth auf Distel-, Dörner- und Nadelspitzen gesetzt hatte. Zu dem Ende ist ihm der Boß eingefallen, gegenwärtiges politisches Drama (das daher nicht ohne Grund also benamst ist), wie von unbekanter Hand, und gleich als einen goldnen Apfel, unter die deutschen Zuseher zu werfen, der dem Poeten mit dem Urtheile des Geistreichen aus dem Haufen der Schiedsrichter, die dem Paris an Urtheilskraft ähnlichen, zurückgeworfen werde. Itzt war es Noth, einen würdigen Mann zu kundschaften, der bey dieser Ausfahrt den Verdienst eines Schildknappen über sich nähme, und den Verfasser als einen fremden Abenteurer aufführte, der kommen sey, sich vor den Zusehern deutscher Nation auf den Kampfplatz zu stellen. Vielleicht hatte selbiger zu viel Milch im Blute, da er seine Sinne an der kühnen Hofnung weidete, der verrufne Kriticomastix, der seine Landsgenossenschaft so schön zu beschämen gewußt, möchte sich selbst dieser gutthätigen Handlung unterziehen, und sich als einen dritten Arm zu seinen Armen, als eine dritte Hand zu seinen Händen brauchen lassen wollen. Dennoch hat er sichs ermessen, und Sie mögen entscheiden, m.H., wie fern ihn die Völle seiner sanguinischen Absichten fehlen solle.[25]

Uebergeben Sie mehrgedachtes politische Werk dem Drucke, an dem Orte selbst, in dessen zirkelnder Mitte Sie thronen; machen Sie Aenderungen im Ausdruck, wo Ihnen selbiger seine Heimath verräth, und geniessen mit mir der stattlichen Freude, die deutschen Kunstrichter dieses Zankapfels halber mit sich selbst zwiespältig werden zu sehn, wie Sie, die armen Betrogenen, eben den als einen Genie erheben wollen, den Sie als einen gezwungenen Poeten verspottet hatten. Ich trage das Herz hoch genug, mir selbst ins Ohr zu sagen, daß die Mine und Gelaß meines Helden von der den deutschen Zusehern bisher verehrten nicht sehr verschieden sen. Mehr sage ich nicht. Zeit und Umstände können kommen, da ich des mehrern von mir zu sagen habe.

Schließlich, mein Herr,


τέκε καὶ σύ· τεαὶ δ᾽ ὠδῖνες ἐλαφραί.


Da wir die Antwort auf diesen Brief nicht interessant, theils nicht verständlich genug finden, so übergehen wir sie hier, einige artige Tiraden ausgenommen, welche die Ursache, warum die in dem vorigen Briefe genannten neuen Trauerspiele nicht haben gefallen wollen, auf eine ganz eigne Art erklären.


»Wenn eine der menschlichen Complexionen im Körper die Oberhand hat, so steht die arme Seele, als das edle Kleinod, in diesem finstern Hause verschlossen, und muß sich mit der Sonnen Glanze behelfen. Die Seele hat in Adam die äußern Complexionen in sich gelassen, als den Geist der großen Welt, der Sternen und Elemente.«

»Diese Zeit wohnt nun eins im andern, die Seele in den Complexionen, und diese in der Seele, doch ergreift eins das andere nicht in der Essenz; die Seele ist tiefer als der äußere Geist, die Zeiten aber hangen an einander, ohngefähr wie die innere und äußere Welt, da doch keine die andere ist.«[26]

»Ferner ist die Seele in ihrer Substanz ein magisches Feuer; es giebt aber kein Feuer, ohne Wurzel des Feuers, welche das Centrum, oder die Gestalt der Natur ist, und aus den Gestalten zur Natur brennt.«

»Itzt verstehen wir« u.s.w.

Hierauf folgen einige Züge von der Tinctur des himmlischen Blutes, von der englischen Lichtwelt und dem Seelenfeuer, die wir aber hier nicht anführen können, weil sie nur ein Auszug aus dem sind, was der Leser umständlicher in der Trostschrift von vier Complexionen nachlesen kann, die der berühmte Böhme, sonst teutonicus philosophus, 1624 herausgegeben hat.

Doch scheint uns eine Stelle von der Materie, woraus die neuen Leiber der Auserwählten bestehen werden, eine Ausnahme zu verdienen, weil sie, wie der Hr. Verfasser mit Grunde anmerket, ein Geheimniß enthält, welches den meisten Theologen unbekannt geblieben.

»So wie durch das elementarische Wasser, seiner Natur und Eigenschaft nach, ein jedes solidum in seiner großen Substanz zusammengehalten wird, daß es ein Ganzes, oder solidum quiddam bleibt; so müssen auch die aus Wasser und Geist neugebohrnen Menschen in alle Ewigkeit unzertrennlich in einen Körper zusammengehalten werden, welcher durchsichtig ist, und durch welchen man die feurigen und flammenden Seelen gar artig wird sehen können. Hierüber mögten unsre epikurischen Witzlinge nun freylich lästern, und sagen: Wie, wenn diese von Wasser und Wind zusammengefrorne Leiber von der Sonne zerschmölzen? Hierauf antworte ich, daß jenes Wasser kein schlechtes elementarisches Wasser seyn wird, sondern aqua vitae, welches durch alle Grade der Läuterung bis zur höchsten Geistigkeit verfeinert worden.«

Der übrige Theil dieses Briefes besteht aus Complimenten, im Geschmack des Marcus Antonius, wie er in dem Trauerspiele Julius Cäsar redend eingeführt wird. Z.E. Mein Geist ist der dunkle Planet, der von Ihrem Lichte etc. – Meine Gedanken sind Funken, die sich von den[27] Strahlen Ihres Geistes etc. – Ich bin eine Statue, bin todt, wenn Sie nicht etc. – Lassen Sie mich Ihnen sagen, Dictator etc. – Wenn Phoebus mit Ihnen seine Macht getheilt hat, so bläst der dem Nordwinde entgegen u.s.w.

Die Herren Verfasser stehen noch immer über diese wichtige Angelegenheit im Briefwechsel, und wir schmeicheln uns, die Leser werden uns Dank wissen, wenn wir fortfahren, Sie damit zu unterhalten.

Quelle:
Heinrich Wilhelm Gerstenberg: Briefe über die Merkwürdigkeiten der Litteratur, Stuttgart 1890, S. 22-28.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Condor / Das Haidedorf

Der Condor / Das Haidedorf

Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon