Erster Auftritt.

[5] Die Scene stellt eine einsame Gegend mit Gestræuch und Bæumen vor.

Lamon und Chloe.


CHLOE. Woher, so ernsthaft mein Nachbar? Zwar wir Leuthe haben immer was zu thun, wenn wir die Herde recht pflegen, und unser kleines Gut, wie man thun soll, besorgen wollen.

LAMON. Du hast recht, redliches Weib! die Tage kommen und gehen bey der Arbeit[5] viel muntrer. Ich komme von einem heiligen Werk, die ich niemals unterlasse; ich habe dem Pan die Erstlinge von fynf jungen Bæumen im Hain geopfert, die ich an dem Tag zum Andenken pflanzte, da Evander, mein Pfleg-Sohn mir ybergeben ward. Sie stehn izt achtzehn Jahre; und sie wuchsen so schœn, dass es scheint, die Gœtter wollen uns eine gute Vorbedeutung geben.

CHLOE. Du bist ein frommer Mann, drum bist du so gesegnet; man ist immer wol zu Muthe, wenn man redlich ist und die Gœtter ehrt; besonders sollen Leute fromm seyn, die in ihrem Leben noch grosse Geschichten erwarten. Was wird endlich aus der Sache werden? Wir dœrfen hier uns wol von unserm Geheimniss unterhalten; Sie sieht um sich her. wenn ich nur noch[6] erlebe, was mit Alcimna, meiner Pflege-Tochter, geschehen soll; es ist izt sechszehn Jahre, dass sie mir ist anvertrauet worden. Pflege sie wol; es wird einst dein Glyk seyn; und verschliesse das Geheimniss in dein innerstes. So sprach der Mann, der mir sie ybergab.

LAMON. Die Gœtter haben was grosses mit ihnen vor; Evander ist der schœnste, weit umher; er ist so schœn, wie die Bild-Sæule, die in dem Delphischen Tempel steht; er ist weise, wie sonst Mænner sind, von viel mehr Jahren und Erfahrung. Kyhnheit hat er, wie Hercules; er wyrde mit Lœwen streiten; und wer ybertrift ihn im Ringen, im Wett-Lauf, in jeder Ybung, die Stærke und Schnelligkeit fodert? Seine Lieder sind die besten, als hætte sie Apoll ihm im Traum gegeben.[7]

CHLOE. Eben so sehr ybertrift Alcimna die andern Mædchens; sie ist schœn, wie die Gratien sind; und besizt jede Anmuth, die ein Mædchen zieren, in vollestem Maasse; sie ybertrift die andern alle, wie die Rose gemeine Gras-Blumen ybertrift.

LAMON. Ich fyrchte und hoffe immer wechselweise von ihrer Liebe; vielleicht habens die Gœtter gefyget, dass sie sich lieben sollen; aber – – – wir wissens doch nicht. Immer hoff ich, das Schiksal werde sie nie trennen; aber – – – wir haben doch yber ihr Schiksal nicht so zu entscheiden, wie wenn sie unsre eigenen Kinder wæren; man wird sie wieder von uns fodern; vielleicht geschieht es bald; wir kœnnen doch nicht zugeben, dass der Gott der Ehen sie verbinde; wir myssen noch ihre Hofnungen entfernen.[8]

CHLOE. Gewiss! du hast recht, Lamon! Ich hoffe, wir werden die Geheimnisse bald am Tag sehen; ich wynsch es mit grœsserer Ungeduld als du, ich bin drum auch ein Weib.

LAMON. Die Gœtter werden die Sache beym besten leiten. Wie schmerzhaft wyrd' es fyr mich seyn, wenns nicht so wære; wie sehr verdienen beyde, glyklich zu seyn! Es quælt mich, dass ich den Wunsch seiner zærtlichen Liebe nicht erfyllen darf. Ich lyge ungern; und was soll ich ihm fyr Ursachen lygen? Ich hab es immer verabscheut; die Gœtter wollens uns verzeihen. Wir wollen sagen, du und ich haben in der gleichen Nacht einen warnenden Traum gehabt.[9]

CHLOE. Du bist schlau; es sey in einer guten Stunde geredet, wenn wir durch lygen sie betriegen myssen, so seys eben wie du gesagt hast. Wir kœnnen auf keine andre Art ihrem bestændigen Flehen entrinnen. Aber lebe wol; ich muss in meinen Garten gehn; sieh! da kœmmt dein Sohn; ich will hier durchs Gebysche schlypsen.

LAMON. Ich geh auch; ich will seinen sæhnlichen Bitten entfliehn.


Quelle:
S[alomon] Gessner: Schriften. Band 3, Zürich 1762, S. 5-10.
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