Erster Auftritt.

[60] Chloe, Alcimna, ein Bedienter des Arates.


ALCIMNA. Sieh, Mutter! da sind die Gezelte. Mir ist recht bang, zu solchen Leuthen zu gehn.

CHLOE. Ja, da sind wir; fasse nur Muth; die Herren aus der Stadt sind freundlich mit den Mædchen.

ALCIMNA. Eben darum.

BEDIENTER. Bleibet nur hier; ich will zu meinem Herrn ins Gezelt gehn, und eure Ankunft melden. Er geht.

ALCIMNA. Aber, mein Kranz steht doch recht?[60] Du liessest mir nicht einmal Zeit, einen frischen zu flechten, oder in der Quelle zu sehen, ob er gut steht. Die Herren werden sagen, ich sey – – –

CHLOE. Ich muss lachen. Es ist doch den Mædchen wie angebohren, dass sie allem gefallen wollen, was nur Augen hat.

ALCIMNA. Nun, ja, wenn ich nur meinem Hirten gefalle. Aber sag mir – – –

CHLOE. Ja, mein Kind! er steht dir ganz gut.

ALCIMNA. Aber, was haben wir auch hier zu thun, sag mir? Ich wollte, dass es schon geschehen wære.

CHLOE. Du wirst hier Sachen vernehmen, die dich in Erstaunen sezen, mein liebes Kind![61] Du wirst diese Gegenden und meine Hytte bald verlassen.

ALCIMNA. O Gœtter! Das werd ich nicht, wie du mir bang machst!

CHLOE. Du wirst mit diesen Herren nach der Stadt gehen, mein Kind!

ALCIMNA. Das werd ich nicht. Lass mich fliehen, ich will an dem wildesten Ort mich vor diesen Leuthen verbergen; komm eh jemand kœmmt, oder ich entfliehe allein.

CHLOE. So warte doch.

ALCIMNA. Um der Gœtter willen! lass mich!

CHLOE. So hœre doch, was ich dir zu sagen habe: Du wirst hier deinen wahren Vater finden.[62]

ALCIMNA. Wie? meinen Vater finden!

CHLOE. Ja. Ich bin deine Mutter nicht, wenn ich dich gleich mehr liebe, als wenn du mein eigen Kind wærest.

ALCIMNA. Und du kannst so grausam seyn, und das sagen!

CHLOE. Ich bins nicht, mein Kind! Du bist von hohem Hause aus der Stadt. Es ist nun sechszehn Jahre, dass eben der Mann, der uns hieher fyhrte, dich zu mir gebracht hat, weil ein Traum es deinem Vater befohlen hat; izt ist er hier, um dich abzuholen.

ALCIMNA. Gœtter! Wie sezest du mich in Erstaunen, ich bin ganz verwirrt; aber es muss wahr seyn; warum solltest du ein so wunderliches[63] Spiel mit mir haben? Wenn dies alles so ist, so must doch du und Evander mit nach der Stadt gehen. Nicht wahr, ihr gehet mit? Sonst werd ich nicht gehen! Gewiss nicht! Sieh! Dort kœmmt jemand aus jenem Gezelt, ein Herr in glænzendem Kleid. Wie er so freundlich ist! Mein Herz pocht. Wenn einer hier mein Vater seyn soll, so wynsch ich, dass es dieser sey.


Quelle:
S[alomon] Gessner: Schriften. Band 3, Zürich 1762, S. 60-64.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Evander und Alcimna
Evander und Alcimna