2. Dämons und Ismenens zärtliche und getreue Liebe, getrennet durch einen Zweykampff, in welchem Herr Damon von seinem Nebenbuhler am 20ten August 1755 auf Auerbachs Hofe zu Leipzig mit einem grossen Streit-Degen durchs Herz gestochen wurde, wovon er seinen Geist jämmerlich aufgeben müssen, zum Trost der herzlich betrübten Ismene gesungen

[61] 1.

Ach Damon, ach Ismene!

Mein Herz ist weich!

Ach welche heisse Thräne,

Wein ich um euch!

Von deiner Abentheuer,

Du schöne Braut!

Sing ich, in meine Leyer,

Und weine laut!
[61]

2.

Ach er ist hin, Ismene!

Dein Bräutigam,

Das zärtliche, das schöne,

Das treue Lamm!

Die Grösse deines Schmerzens,

Begreift kein Sinn!

Der Abgott deines Herzens,

Ach, der ist hin!


3.

Ihr waret alle Beyde

Was wen'ge sind;

Er, deine Lust und Freude,

Und Du, sein Kind.

Den Scherz in Finsternissen,

Wart ihr gewohnt.

Ach, bey viel tausend Küssen,

War nur der Mond.


4.

Nun ist er weggenommen

Und, ach, o Gram!

Er wird nicht wieder kommen,

Dein Bräutigam!

Er ging in jene Fernen,

Ihn dekkt kein Grab;

Er wandelt unter Sternen,

Und sieht herab!


5.

In seiner lezten Stunde

War ich ihm nah,

Als ich in seiner Wunde,

Den Tod schon sah.[62]

Freund, sprach er, meine Schöne

Find ich einst dort!

Und, sterbend war Ismene!

Sein leztes Wort.


6.

Man singt von seinem Tode,

Nun weit und breit,

In mancher Trauer-Ode

Voll Herzeleid!

Der Held, der ihn, verliebet

In dich, erstach,

Ist auch, wie du, betrübet,

Sagt auch: ach, ach!


7.

Er sieht mit bangem Leide

Sein Mordgewehr!

Hat, sagt er, keine Freude

Auf Erden mehr.

Blaß, wie ein Todten-Schatten,

Nicht mehr ergrimmt,

Klagt er den treuen Gatten,

Den er dir nimmt.


8.

Oft sieht er ihn bey Tage,

So, wie bey Nacht,

Springt auf, hört seine Klage,

Wenn er erwacht.

Ein winselndes Gethöne,

Läßt ihn nicht froh!

Ach Mörder! ach, Ismene!

Stets rufts ihm so.
[63]

9.

Und du, ach du Getreue!

Du achtest nicht

Des Mörders späte Reue,

Und was er spricht.

Er raubte dir dein Leben

Und deine Lust;

Kanst du ihm das vergeben,

In deiner Brust?


10.

Ach nein, in deinem Herzen,

Verewigt das

Dein Elend, deine Schmerzen,

Und seinen Haß.

Du lässest ihn nicht wieder,

Vor dein Gesicht,

Und seine Klage-Lieder

Erhörst du nicht.


11.

Verzehrt von deinem Jammer,

Gehüllt in Flor,

Bleibst du auf deiner Cammer,

Ach komm hervor!

Komm wieder an die Sonne

Wie gern bin ich:

Dein Labsal, deine Wonne,

Komm küsse mich!

Quelle:
Johann Wilhelm Ludwig Gleim: Gedichte, Stuttgart 1969, S. 61-64.
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