An Nantchen

[92] Die Erscheinung Apolls und Amors.


Unter meinem Lindenbaume

Lag ich schlafend hingestreckt,

Als mich aus dem schönsten Traume

Nahes Gehn und Reden weckt.

Denn ein Mann am Blumenstabe,

Ging da hoher Würde voll,

Auch ein wunderschöner Knabe;

Amor war es und Apoll.

»Sieh! wer ist das? Meinen Bogen,

Weiß ich sicher, hab' ich noch

Nie für diesen aufgezogen;

Endlich treff' ich ihn nun doch.«[93]

Ich erschrack, doch blieb ich liegen,

That, als schlief ich; denn Apoll

Rief: Halt ein! Wenn ihn besiegen

Keine zweite Sapho soll.

»Lehrt' ich nicht genug ergründen?

Alles Schöne ward durch mich!

Aber solch ein Mädchen finden:

Lieber! das gehört für dich!«

Amor sprach's, und eine Zähre

Schlich Apollens Wang' herab.

»Ja! wenn Plutus hier nicht wäre!

Alles reißt er von mir ab!

Doch sey ohne Saphos Schmerzen,

So wie Sapho, die gepflegt,

Die das schönste aller Herzen

In dem schönsten Leibe trägt.

Plutus soll mit allen Narren

Stutzen, daß durch unsre Macht,[94]

Nicht durch seine Silberbarren,

Edle Wollust beiden lacht.«

Gut! rief Amor fröhlich, spannte

Seinen Bogen, und der Pfeil –

Ha! da saß er! Nante! Nante!

Rief er, macht die Wunde heil!

Grade da kamst du gegangen.

Götter! o wie ward mir da,

Als ich schon auf deinen Wangen

Die verheißne Wollust sah!

Quelle:
Leopold Friedrich Günther von Goeckingk: Gedichte. Teil 1–4, Teil 3, Frankfurt a.M. 1821, S. 92-95.
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