1798

[57] So arbeiteten wir unermüdet dem Besuche Ifflands vor, welcher uns im April durch acht seiner Vorstellungen anfrischen sollte. Groß war der Einfluß seiner Gegenwart: denn jeder[57] Mitspielende mußte sich an ihm prüfen, indem er mit ihm wetteiferte, und die nächste Folge davon war, daß auch diesmal unsere Gesellschaft gar löblich ausgestattet nach Lauchstädt zog.

Kaum war sie abgegangen, als der alte Wunsch sieh regte, in Weimar ein besseres Lokal für die Bühne einzurichten. Schauspieler und Publikum fühlten sich eines anständigern Raumes würdig; die Notwendigkeit einer solchen Veränderung ward von jedermann anerkannt, und es bedurfte nur eines geistreichen Anstoßes, um die Ausführung zu bestimmen und zu beschleunigen.

Baumeister Thouret war von Stuttgart berufen, um den neuen Schloßbau weiter zu fördern; als Nebenzweck gab er einen sogleich beifällig aufgenommenen erfreulichen Plan zu einer neuen Einrichtung des vorhandenen Theaterlokals, nach welchem sich zu richten er die größte Gewandtheit bewies. Und so ward auch an uns die alte Bemerkung wahr, daß Gegenwart eines Baumeisters Baulust errege. Mit Fleiß und Hast betrieb man die Arbeit, so daß mit dem 12. Oktober Hof und Publikum zur Eröffnung des neuen Hauses eingeladen werden konnten. Ein Prolog von Schiller und »Wallensteins Lager« gaben dieser Feierlichkeit Wert und Würde.

Den ganzen Sommer hatte es an Vorarbeiten hiezu nicht gefehlt, denn der große Wallensteinische Zyklus, zuerst nur angekündigt, beschäftigte uns durchaus, obgleich nicht ausschließlich.

Von meinen eigenen poetischen und schriftstellerischen Werken habe ich soviel zu sagen, daß die »Weissagungen des Bakis« mich nur einige Zeit unterhielten. Zur »Achilleis« hatte ich den Plan ganz im Sinne, den ich Schillern eines Abends ausführlich erzählte. Der Freund schalt mich aus, daß ich etwas so klar vor mir sehen könnte, ohne solches auszubilden durch Worte und Silbenmaß. So angetrieben und fleißig ermahnt, schrieb ich die zwei ersten Gesänge; auch den Plan schrieb ich auf, zu dessen Fördernis mir ein treuer Auszug aus der »Ilias« dienen sollte.[58]

Doch hiervon leitete mich ab die Richtung zur bildenden Kunst, welche sich bei Meyers Zurückkunft aus Italien ganz entschieden abermals hervorgetan hatte. Vorzüglich waren wir beschäftigt, das erste Stück der »Propyläen«, welches teils vorbereitet, teils geschrieben wurde, lebhafter weiter zu fördern. »Cellinis Leben« setzt ich fort als einen Anhaltepunkt der Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts. Diderot, »Von den Farben«, ward mit Anmerkungen begleitet, welche mehr humoristisch als künstlerisch zu nennen wären, und indem sich Meyer mit den Gegenständen in dem Hauptpunkt aller bildenden Kunst gründlich beschäftigte, schrieb ich den »Sammler«, um manches Nachdenken und Bedenken in die heitere, freiere Welt einzuführen.

In der Naturwissenschaft fand ich manches zu denken, zu beschauen und zu tun. Schellings »Weltseele« beschäftigte unser höchstes Geistesvermögen. Wir sahen sie nun in der ewigen Metamorphose der Außenwelt abermals verkörpert. Alles Naturgeschichtliche, das sich uns lebendig näherte, betrachtete ich mit großer Aufmerksamkeit; fremde merkwürdige Tiere, besonders ein junger Elefant, vermehrten unsere Erfahrungen.

Hier muß ich aber auch eines Aufsatzes gedenken, den ich über pathologisches Elfenbein schrieb. Ich hatte solche Stellen angeschossener und wieder verheilter Elefantenzähne, die besonders den Kammachern höchst verdrießlich sind, wenn ihre Säge oft unvermutet auf sie stößt, seit mehreren Jahren gesammelt, an Zahl mehr denn zwanzig Stücke, woran sich in gar schöner Folge zeigen ließ, wie eine eiserne Kugel ins Innere der Zahnmasse eindringen, wohl die organische Lebendigkeit stören, aber nicht zerstören kann, indem diese sich hier auf eine eigene Weise wehrt und wiederherstellt. Ich freute mich, diese Sammlung, beschrieben und ausgelegt, dem Kabinette meines Freundes Loder, dem ich soviel Belehrung schuldig geworden, dankbar einzuverleiben.

In welcher Ordnung und Abteilung die »Geschichte der Farbenlehre« vorgetragen werden sollte, ward epochenweise[59] durchgedacht und die einzelnen Schriftsteller studiert, auch die Lehre selbst genau erwogen und mit Schillern durchgesprochen. Er war es, der den Zweifel löste, der mich lange Zeit aufhielt: worauf denn eigentlich das wunderliche Schwanken beruhe, daß gewisse Menschen die Farben verwechseln, wobei man auf die Vermutung kam, daß sie einige Farben sehen, andere nicht sehen, da er denn zuletzt entschied, daß ihnen die Erkenntnis des Blauen fehle. Ein junger Gildemeister, der eben in Jena studierte, war in solchem Falle und bot sich freundlich zu allem Hin- und Widerversuchen, woraus sich denn zuletzt für uns jenes Resultat ergab.

Ferner, um das Mentale sichtlich darzustellen, verfertigten wir zusammen mancherlei symbolische Schemata. So zeichneten wir eine Temperamentenrose, wie man eine Windrose hat, und entwarfen eine tabellarische Darstellung, was der Dilettantismus jeder Kunst Nützliches und Schädliches bringe.

Gar manche Vorteile, die wir im Naturwissenschaftlichen gewannen, sind wir einem Besuch schuldig geworden, den uns Herr van Marum gönnen wollte.

Damit aber auch von der andern Seite der Geist zur unmittelbaren gemeinen Natur zurückgezogen werde, folgte ich der damaligen landschaftlichen Grille. Der Besitz des Freiguts zu Roßla nötigte mich, dem Grund und Boden, der Landesart, den dörflichen Verhältnissen näherzutreten, und verlieh gar manche Ansichten und Mitgefühle, die mir sonst völlig fremd geblieben wären. Hieraus entstand mir auch eine nachbarliche Gemeinschaft mit Wielanden, welcher freilich tiefer in die Sache gegangen war, indem er Weimar völlig verließ und seinen Wohnort in Oßmannstedt aufschlug. Er hatte nicht bedacht, was ihm am ersten hätte einfallen sollen: daß er unsrer Herzogin Amalia und sie ihm zum Lebensumgang völlig unentbehrlich geworden. Aus jener Entfernung entstand denn ein ganz wunderbares Hin- und Widersenden von reitenden und wandernden Boten, zugleich auch eine gewisse, kaum zu beschwichtigende Unruhe.

Eine wunderbare Erscheinung war in diesem Sommer Frau[60] von Laroche, mit der Wieland eigentlich niemals übereingestimmt hatte, jetzt aber mit ihr im vollkommnen Widerspruch sich befand. Freilich war eine gutmütige Sentimentalität, die allenfalls vor dreißig Jahren, zur Zeit wechselseitiger Schonung, noch ertragen werden konnte, nunmehr ganz außer der Jahreszeit und einem Manne wie Wieland unerträglich. Ihre Enkelin Sophie Brentano hatte sie begleitet und spielte eine entgegengesetzte, nicht minder wunderliche Rolle.

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 16, Berlin 1960 ff, S. 57-61.
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