1806

[171] Die Interimshoffnungen, mit denen wir uns philisterhaft schon manche Jahre hingehalten, wurden so abermals im gegenwärtigen genährt. Zwar brannte die Welt in allen Ecken und Enden, Europa hatte eine andere Gestalt genommen, zu Lande und See gingen Städte und Flotten zu Trümmern, aber das mittlere, das nördliche Deutschland genoß noch eines gewissen fieberhaften Friedens, in welchem wir uns einer problematischen Sicherheit hingaben. Das große Reich in Westen war gegründet, es trieb Wurzeln und Zweige nach allen Seiten hin. Indessen schien Preußen das Vorrecht gegönnt, sich in Norden zu befestigen. Zunächst besaß es Erfurt, einen sehr wichtigen Haltepunkt, und wir ließen uns in diesem Sinne gefallen, daß von Anfang des Jahrs preußische Truppen bei uns einkehrten. Dem Regiment Owstien folgten anfangs Februar Füseliere, sodann trafen ein die Regimenter Borcke, Arnim, Pirch; man hatte sich schon an diese Unruhe gewöhnt.

Der Geburtstag unserer verehrten Herzogin, der 30. Januar, ward für diesmal zwar pomphaft genug, aber doch mit unerfreulichen Vorahnungen gefeiert. Das Regiment Owstien rühmte sich eines Korps Trompeter, das seinesgleichen nicht hätte; sie traten in einem Halbkreis zum Willkommen auf das Theater, gaben Proben ihrer außerordentlichen Geschicklichkeit und begleiteten zuletzt einen Gesang, dessen allgemein bekannte Melodie, einem Inselkönig gewidmet und noch keineswegs von dem patriotischen Festland überboten, ihre vollkommen herzerhebende Wirkung tat.

Eine Übersetzung oder Umbildung des »Cid« von Corneille ward hiernach aufgeführt sowie auch »Stella«, zum erstenmal mit tragischer Katastrophe. »Götz von Berlichingen« kam wieder an die Reihe, nicht weniger »Egmont«. Schillers »Glocke« mit allem Apparat des Gießens und der fertigen Darstellung, die wir als Didaskalie schon längst versucht hatten, ward gegeben und so, daß die sämtliche Gesellschaft mitwirkte, indem der eigentliche dramatische Kunst- und Handwerksteil dem[171] Meister und den Gesellen anheimfiel, das übrige Lyrische aber an die männlichen und weiblichen Glieder, von den ältesten bis zu den jüngsten, verteilt und jedem charakteristisch angeeignet ward.

Aufmerksamkeit erregte im ganzen der von Iffland zur Vorstellung gebrachte »Doktor Luther«, ob wir gleich zauderten, denselben gleichfalls aufzunehmen.

Bei dem verlängerten Aufenthalt in Karlsbad gedachte man der nächsten Theaterzeit und versuchte Öhlenschlägers verdienstliche Tragödie »Hakon Jarl« unserer Bühne anzueignen, ja es wurden sogar schon Kleider und Dekorationen aufgesucht und gefunden. Allein späterhin schien es bedenklich, zu einer Zeit, da mit Kronen im Ernst gespielt wurde, mit dieser heiligen Zierde sich scherzhaft zu gebärden. Im vergangenen Frühjahr hatte man nicht mehr tun können, als das bestehende Repertorium zu erhalten und einigermaßen zu vermehren. Im Spätjahr, als der Kriegsdrang jedes Verhältnis aufzulösen drohte, hielt man für Pflicht, die Theateranstalt als einen öffentlichen Schatz, als ein Gemeingut der Stadt zu bewahren. Nur zwei Monate blieben die Vorstellungen unterbrochen, die wissenschaftlichen Bemühungen nur wenige Tage, und Ifflands Theaterkalender gab der deutschen Bühne eine schwunghafte Aufmunterung.

Die projektierte neue Ausgabe meiner Werke nötigte mich, sie sämtlich wieder durchzugehen, und ich widmete jeder einzelnen Produktion die gehörige Aufmerksamkeit, ob ich gleich bei meinem alten Vorsatze blieb, nichts eigentlich umzuschreiben oder auf einen hohen Grad zu verändern.

Die zwei Abteilungen der »Elegien«, wie sie noch vorliegen, wurden eingerichtet und »Faust« in seiner jetzigen Gestalt fragmentarisch behandelt. So gelangte ich dieses Jahr bis zum vierten Teil einschließlich, aber mich beschäftigte ein wichtigeres Werk. Der epische »Tell« kam wieder zur Sprache, wie ich ihn 1797 in der Schweiz konzipiert und nachher dem dramatischen »Tell« Schillers zuliebe beiseite gelegt. Beide konnten recht gut nebeneinander bestehen; Schillern war mein Plan gar[172] wohl bekannt, und ich war zufrieden, daß er den Hauptbegriff eines selbständigen, von den übrigen Verschwornen unabhängigen Tell benutzte; in der Ausführung aber mußte er, der Richtung seines Talents zufolge sowie nach den deutschen Theaterbedürfnissen, einen ganz anderen Weg nehmen, und mir blieb das Episch-Ruhig-Grandiose noch immer zu Gebot, so wie die sämtlichen Motive, wo sie sich auch berührten, in beiden Bearbeitungen durchaus eine andere Gestalt nahmen.

Ich hatte Lust, wieder einmal Hexameter zu schreiben, und mein gutes Verhältnis zu Voß, Vater und Sohn, ließ mich hoffen, auch in dieser herrlichen Versart immer sicherer vorzuschreiten. Aber die Tage und Wochen waren so ahnungsvoll, die letzten Monate so stürmisch und so wenig Hoffnung zu einem freieren Atemholen, daß ein Plan, auf dem Vierwaldstätter See und auf dem Wege nach Altdorf in der freien Natur konzipiert, in dem beängstigten Deutschland nicht wohl wäre auszuführen gewesen.

Wenn wir nun auch schon unser öffentliches Verhältnis zur bildenden Kunst aufgegeben hatten, so blieb sie uns doch im Innern stets lieb und wert. Bildhauer Weißer, ein Kunstgenosse von Friedrich Tieck, bearbeitete mit Glück die Büste des hier verstorbenen Herzogs von Braunschweig, welche, in der öffentlichen Bibliothek aufgestellt, einen schönen Beweis seines vielversprechenden Talents abgibt.

Kupferstiche sind überhaupt das Kunstmittel, durch welches Kenner und Liebhaber sich am meisten und bequemsten unterhalten, und so empfingen wir aus Rom von Gmelin das vorzügliche Blatt, unterzeichnet »Der Tempel der Venus«, nach Claude. Es war mir um soviel mehr wert, als das Original erst nach meinem Abgang von Rom bekannt geworden und ich mich also zum erstenmal von den Vorzügen desselben aus dieser kunstreichen Nachbildung überzeugen sollte.

Ganz in einem andern Fache, aber heiter und geistreich genug, erschienen die Riepenhausischen Blätter zur »Genoveva«, deren Originalzeichnungen wir schon früher gekannt.[173] Auch diese jungen Männer, die sich zuvor an Polygnot geübt hatten, wandten sich nun gegen die Romantik, welche sich durch schriftstellerische Talente beim Publikum eingeschmeichelt hatte und so die Bemerkung wahr machte: daß mehr, als man denkt, der bildende Künstler vom Dichter und Schriftsteller abhängt.

In Karlsbad unterhielt mich belehrend eine Sammlung Kupfer, welche Graf Lepel mit sich führte; nicht weniger große, mit der Feder gezeichnete, aquarellierte Blätter von Ramberg bewährten das heitere, glücklich auffassende, mitunter extemporierende Talent des genannten Künstlers. Graf Corneillan besaß dieselben und nebst eigenen Arbeiten noch sehr schöne Landschaften in Deckfarben.

Die hiesigen Sammlungen vermehrten sich durch einen Schatz von Zeichnungen im höhern Sinne. Carstens' künstlerische Verlassenschaft war an seinen Freund Fernow vererbt, man traf mit diesem eine billige Übereinkunft, und so wurden mehrere Zeichnungen des verschiedensten Formats, größere Kartone und kleinere Bilder, Studien in schwarzer Kreide, in Rotstein, aquarellierte Federzeichnungen und so vieles andere, was dem Künstler das jedesmalige Studium, Bedürfnis oder Laune mannigfaltig ergreifen läßt, für unser Museum erworben.

Wilhelm Tischbein, der nach seiner Entfernung von Neapel, von dem Herzog von Oldenburg begünstigt, sich in einer friedlichen, glücklichen Lage befand, ließ auch gelegentlich von sich hören und sendete dies Frühjahr manches Angenehme.

Er teilte zuerst die Bemerkung mit, daß die flüchtigsten Bilder oft die glücklichsten Gedanken haben: eine Beobachtung, die er gemacht, als ihm viele hundert Gemälde von trefflichen Meistern, herrlich gedacht, aber nicht sonderlich ausgeführt, vor die Augen gekommen; und es bewährt sich freilich, daß die ausgeführtesten Bilder der niederländischen Schule bei allem großen Reichtum, womit sie ausgestattet sind, doch manchmal etwas an geistreicher Erfindung zu wünschen übriglassen. Es scheint, als wenn die Gewissenhaftigkeit des Künstlers,[174] dem Liebhaber und Kenner etwas vollkommen Würdiges überliefern zu wollen, den Aufflug des Geistes einigermaßen beschränke, dahingegen eine geistreich gefaßte, flüchtig hingeworfene Skizze außer aller Verantwortung das eigenste Talent des Künstlers offenbare. Er sendete einige aquarellierte Kopien, von welchen uns zwei geblieben sind: Schatzgräber in einem tiefen Stadtgraben und Kasematten, bei Nachtzeit durch unzulängliche Beschwörungen sich die bösen Geister auf den Hals ziehend, der entdeckten und schon halb ergriffenen Schätze verlustig. Der Anstand ist bei dieser Gelegenheit nicht durchaus beobachtet, Vorgestelltes und Ausführung einem Geheimbilde angemessen; das zweite Bild vielleicht noch mehr: eine greuliche Kriegsszene, erschlagene, beraubte Männer, trostlose Weiber und Kinder, im Hintergrunde ein Kloster in vollen Flammen, im Vordergrund mißhandelte Mönche; gleichfalls ein Bild, welches im Schränkchen müßte aufbewahrt werden.

Ferner sendete Tischbein an Herzogin Amalie einen mäßigen Folioband aquarellierter Federzeichnungen. Hierin ist nun Tischbein ganz besonders glücklich, weil auf diese leichte Weise ein geübtes Talent Gedanken, Einfälle, Grillen ohne großen Aufwand und ohne Gefahr, seine Zeit zu verlieren, ausspricht. Solche Blätter sind fertig, wie gedacht.

Tiere darzustellen war immer Tischbeins Liebhaberei; so erinnern wir uns hier auch eines Esels, der mit großem Behagen Ananas statt Disteln fraß.

Auf einem andern Bilde blickt man über die Dächer einer großen Stadt gegen die aufgehende Sonne; ganz nah an dem Beschauer, im vordersten Vordergrunde, sitzt ein schwarzer Össenjunge unmittelbar an dem Schornstein. Was an ihm noch Farbe annehmen konnte, war von der Sonne vergüldet, und man mußte den Gedanken allerliebst finden, daß der letzte Sohn des jammervollsten Gewerbes unter viel Tausenden der einzige sei, der eines solchen herzerhebenden Naturanblicks genösse.

Dergleichen Mitteilungen geschahen von Tischbein immer[175] unter der Bedingung, daß man ihm eine poetische oder prosaische Auslegung seiner sittlich-künstlerischen Träume möge zukommen lassen. Die kleinen Gedichte, die man ihm zur Erwiderung sendete, finden sich unter den meinigen. Herzogin Amalie und ihre Umgebung teilten sich darin nach Stand und Würden und erwiderten so eigenhändig die Freundlichkeit des Gebers.

Auch ich war in Karlsbad angetrieben, die bedeutend abwechselnden Gegenstände mir durch Nachbildung besser einzuprägen; die vollkommnern Skizzen behielten einigen Wert für mich, und ich fing an, sie zu sammeln.

Ein Medaillenkabinett, welches von der zweiten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts an über den Weg, den die Bildhauerkunst genommen, hinlänglichen Aufschluß zu geben schon reich genug war, vermehrte sich ansehnlich und lieferte immer vollständigere Begriffe.

Ebenso wurde die Sammlung von eigenhändig geschriebenen Blättern vorzüglicher Männer beträchtlich vermehrt. Ein Stammbuch der Walchischen Familie, seit etwa den Anfängen des achtzehnten Jahrhunderts, worin Maffei voraussteht, war höchst schätzenswert, und ich dankte sehr verpflichtet den freundlichen Gebern. Ein alphabetisches Verzeichnis des handschriftlichen Besitzes war gedruckt, ich legte solches jedem Brief an Freunde bei und erhielt dadurch nach und nach fortdauernde Vermehrung.

Von Künstlern besuchte uns nun abermals Rabe von Berlin und empfahl sich ebenso durch sein Talent wie durch seine Gefälligkeit.

Aber betrüben mußte mich ein Brief von Hackert; dieser treffliche Mann hatte sich von einem apoplektischen Anfall nur insofern erholt, daß er einen Brief diktieren und unterschreiben konnte. Es jammerte mich, die Hand, die soviel sichre Charakterstriche geführt, nun zitternd und unvollständig den eigenen, so oft mit Freude und Vorteil unterzeichneten berühmten Namen bloß andeuten zu sehen.

Bei den jenaischen Museen drangen immer neue Gegenstände[176] zu, und man mußte deshalb Erweiterungen vornehmen und in der Anordnung eine veränderte Methode befolgen.

Der Nachlaß von Batsch brachte neue Mühe und Unbequemlichkeit. Er hatte die Naturforschende Gesellschaft gestiftet, auch in einer Reihe von Jahren durch und für sie ein unterrichtendes Museum aller Art zusammengebracht, welches dadurch ansehnlicher und wichtiger geworden, daß er demselben seine eigene Sammlung methodisch eingeschaltet. Nach seinem Hintritt reklamierten die Direktoren und anwesenden Glieder jener Gesellschaft einen Teil des Nachlasses, besonders das ihr zustehende Museum; die Erben forderten den Rest, welchen man ihnen, da eine Schenkung des bisherigen Direktors nur mutmaßlich war, nicht vorenthalten konnte. Von seiten herzoglicher Kommission entschloß man sich, auch hier einzugreifen, und da man mit den Erben nicht einig werden konnte, so schritt man zu dem unangenehmen Geschäft der Sonderung und Teilung. Was dabei an Rückständen zu zahlen war, glich man aus und gab der Naturforschenden Gesellschaft ein Zimmer im Schlosse, wo die ihr zugehörigen Naturalien abgesondert stehen konnten. Man verpflichtete sich, die Erhaltung und Vermehrung zu begünstigen, und so ruhte auch dieser Gegenstand, ohne abzusterben.

Als ich von Karlsbad im September zurückkam, fand ich das mineralogische Kabinett in der schönsten Ordnung, auch das zoologische reinlich aufgestellt.

Dr. Seebeck brachte das ganze Jahr in Jena zu und förderte nicht wenig unsere Einsicht in die Physik überhaupt und besonders in die Farbenlehre. Wenn er zu jenen Zwecken sich um den Galvanismus bemühte, so waren seine übrigen Versuche auf Oxydation und Desoxydation, auf Erwarmen und Erkalten, Entzünden und Auslöschen für mich im chromatischen Sinne von der größten Bedeutung.

Ein Versuch, Glasscheiben trübe zu machen, wollte unserm wackern Göttling nicht gelingen, eigentlich aber nur deshalb, weil er die Sache zu ernst nahm, da doch diese chemische Wirkung, wie alle Wirkungen der Natur, aus einem Hauch, aus[177] der mindesten Bedingung hervorgehen. Mit Professor Schelver ließen sich gar schöne Betrachtungen wechseln; das Zarte und Gründliche seiner Natur gab sich im Gespräch gar liebenswürdig hervor, wo es dem Mitredenden sich mehr anbequemte als sonst dem Leser, der sich immer, wie bei allzu tief gegriffenen Monologen, entfremdet fühlte.

Sömmerrings »Gehörwerkzeuge« führten uns zur Anatomie zurück; Alexander von Humboldts freundliche Sendungen riefen uns in die weit und breite Welt; Steffens' »Grundzüge der philosophischen Naturwissenschaften« gaben genug zu denken, indem man gewöhnlich mit ihm in uneiniger Einigkeit lebte.

Um soviel, als mir gegeben sein möchte, an die Mathematik heranzugehen, las ich Montuclas »Histoire des mathématiques«, und nachdem ich die höheren Ansichten, woraus das einzelne sich herleitet, abermals bei mir möglichst aufgeklärt und mich in die Mitte des Reichs der Natur und der Freiheit zu stellen gesucht, schrieb ich das Schema der allgemeinen Naturlehre, um für die besondere Chromatik einen sicheren Standpunkt zu finden.

Aus der alten Zeit, in die ich so gern zurücktrete, um die Muster einer menschenverständigen Anschauung mir abermals zu vergegenwärtigen, las ich Agricola, »De ortu et causis subterraneorum«, und bemerkte hiebei, daß ich auf eben einer solchen Wanderung ins Vergangene die glaubwürdigste Nachricht von einem Meteorstein in der »Thüringer Chronik« fand.

Und so darf ich denn am Schlusse nicht vergessen, daß ich in der Pflanzenkunde zwei schöne Anregungen erlebte: Die große »Charte botanique d'après Ventenat« machte mir die Familienverhältnisse augenfälliger und eindrücklicher. Sie hing in einem großen Zimmer des jenaischen Schlosses, welches ich im ersten Stock bewohnte, und blieb, als ich eilig dem Fürsten Hohenlohe Platz machte, an der Wand zurück. Nun gab sie seinem unterrichteten Generalstab sowie nachher dem Napoleonschen gelegentliche Unterhaltung, und ich fand sie daselbst[178] noch unversehrt, als ich nach soviel Sturm und Ungetüm meine sonst so friedliche Wohnung wieder bezog.

Cottas »Naturbetrachtung über das Wachstum der Pflanzen« nebst beigefügten Musterstücken von durchschnittenen Hölzern waren mir eine sehr angenehme Gabe. Abermals regte sie jene Betrachtungen auf, denen ich so viele Jahre durch nachhing, und war die Hauptveranlassung, daß ich, von neuem zur Morphologie mich wendend, den Vorsatz faßte, sowohl »Die Metamorphose der Pflanzen« als sonst sich Anschließendes wieder abdrucken zu lassen.

Die Vorarbeiten zur »Farbenlehre«, mit denen ich mich seit zwölf Jahren ohne Unterbrechung beschäftigte, waren so weit gediehen, daß sich die Teile immer mehr zu runden anfingen und das Ganze bald selbst eine Konsistenz zu gewinnen versprach. Was ich nach meiner Weise an den physiologischen Farben tun konnte und wollte, war getan, ebenso lagen die Anfänge des Geschichtlichen bereits vor, und man konnte daher den Druck des ersten und zweiten Teils zugleich anfangen. Ich wendete mich nun zu den pathologischen Farben; und im Geschichtlichen ward untersucht, was Plinius von den Farben mochte gesagt haben.

Während nun das einzelne vorschritt, ward ein Schema der ganzen Lehre immer durchgearbeitet.

Die physischen Farben verlangten nun der Ordnung nach meine ganze Aufmerksamkeit. Die Betrachtung ihrer Erscheinungsmittel und Bedingungen nahm alle meine Geisteskräfte in Anspruch. Hier mußt ich nun meine längst befestigte Überzeugung aussprechen, daß, da wir alle Farben nur durch Mittel und an Mitteln sehen, die Lehre vom Trüben, als dem allerzartesten und reinsten Materiellen, derjenige Beginn sei, woraus die ganze Chromatik sich entwickele.

Überzeugt, daß rückwärts, innerhalb dem Kreise der physiologischen Farben, sich auch ohne mein Mitwirken ebendasselbe notwendig offenbaren müsse, ging ich vorwärts und redigierte, was ich alles über Refraktion mit mir selbst und andern verhandelt hatte. Denn hier war eigentlich der Aufenthalt[179] jener bezaubernden Prinzessin, welche im siebenfarbigen Schmuck die ganze Welt zum besten hatte. Hier lag der grimmig sophistische Drache, einem jeden bedrohlich, der sich unterstehen wollte, das Abenteuer mit diesen Irrsalen zu wagen. Die Bedeutsamkeit dieser Abteilung und der dazugehörigen Kapitel war groß, ich suchte ihr durch Ausführlichkeit genugzutun, und ich fürchte nicht, daß etwas versäumt worden sei. Daß, wenn bei der Refraktion Farben erscheinen sollen, ein Bild, eine Grenze verrückt werden müsse, ward festgestellt. Wie sich bei subjektiven Versuchen schwarze und weiße Bilder aller Art durchs Prisma an ihren Rändern verhalten, wie das gleiche geschieht an grauen Bildern aller Schattierungen, an bunten jeder Farbe und Abstufung, bei stärkerer oder geringerer Refraktion, alles ward streng auseinandergesetzt, und ich bin überzeugt, daß der Lehrer, die sämtlichen Erscheinungen in Versuchen vorlegend, weder an dem Phänomen noch am Vortrag etwas vermissen wird.

Die katoptrischen und paroptischen Farben folgten darauf, und es war in betreff jener zu bemerken, daß bei der Spiegelung nur alsdann Farben erscheinen, wenn der spiegelnde Körper geritzt oder fadenartig glänzend angenommen wird. Bei den paroptischen leugnete man die Beugung und leitete die farbigen Streifen von Doppellichtern her. Daß die Ränder der Sonne jeder für sich einen eigenen Schatten werfen, kam bei einer ringförmigen Sonnenfinsternis gar bekräftigend zum Vorschein.

Die sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe ward darauf ausgeführt und im Geschichtlichen nebenher Gauthiers »Chroagenesie« betrachtet.

Mit dem Abdruck waren wir bis zum dreizehnten Bogen des ersten Teils und bis zum vierten des zweiten gelangt, als mit dem 14. Oktober das grimmigste Unheil über uns hereinbrach und die übereilt geflüchteten Papiere unwiederbringlich zu vernichten drohte.

Glücklich genug vermochten wir, bald wieder ermannt, mit andern Geschäften auch dieses von neuem zu ergreifen und in gefaßter Tätigkeit unser Tagewerk weiter zu fördern.[180]

Nun wurden vor allen Dingen die nötigen Tafeln sorgfältig bearbeitet. Eine mit dem guten und werten Runge fortgesetzte Korrespondenz gab uns Gelegenheit, seinen Brief dem Schluß der »Farbenlehre« beizufügen, wie denn auch Seebecks gesteigerte Versuche dem Ganzen zugute kamen.

Mit befreiter Brust dankten wir den Musen für so offenbar gegönnten Beistand; aber kaum hatten wir einigermaßen frischen Atem geschöpft, so sahen wir uns genötigt, um nicht zu stocken, alsogleich den widerwärtigen polemischen Teil anzufassen und unsere Bemühungen um Newtons Optik sowie die Prüfung seiner Versuche und der daraus gezogenen Beweise auch ins Enge und dadurch endlich zum Abschluß zu bringen. Die Einleitung des polemischen Teils gelang mit Ausgang des Jahrs.

An fremdem poetischem Verdienst war wo nicht ausgedehnte, aber doch innig erfreuliche Teilnahme. Das »Wunderhorn«, altertümlich und phantastisch, ward seinem Verdienste gemäß geschätzt und eine Rezension desselben mit freundlicher Behaglichkeit ausgefertigt. Hillers Naturdichtungen, gerade im Gegensatz, ganz gegenwärtig und der Wirklichkeit angehörig, wurden nach ihrer Art mit billigem Urteil empfangen. »Aladdin« von Öhlenschläger war nicht weniger wohl aufgenommen, ließ auch nicht alles, besonders im Verlauf der Fabel, sich gutheißen. Und wenn ich unter den Studien früherer Zeit die »Perser« des Äschylus bemerkt finde, so scheint mir, als wenn eine Vorahnung dessen, was wir zu erwarten hatten, mich dahin getrieben habe.

Aber einen eigentlichen Nationalanteil hatten doch die »Nibelungen« gewonnen; sie sich anzueignen, sich ihnen hinzugeben war die Lust mehrerer verdienter Männer, die mit uns gleiche Vorliebe teilten.

Schillers Verlassenschaft blieb ein Hauptaugenmerk, ob ich gleich, jenes frühern Versuchs schmerzlich gedenkend, allem Anteil an einer Herausgabe und einer biographischen Skizze des trefflichen Freundes standhaft entsagte.

Adam Müllers »Vorlesungen« kamen mir in die Hände. Ich[181] las, ja studierte sie, jedoch mit geteilter Empfindung: denn wenn man wirklich darin einen vorzüglichen Geist erblickte, so ward man auch mancher unsichern Schritte gewahr, welche nach und nach folgerecht das beste Naturell auf falsche Wege führen mußten.

Hamanns Schriften wurden von Zeit zu Zeit aus dem mystischen Gewölbe, wo sie ruhten, hervorgezogen. Der durch die sonderbare Sprachhülle hindurch wirkende rein kräftige Geist zog immer die Bildungslustigen wieder an, bis man, an soviel Rätseln müde und irre, sie beiseite legte und doch jedesmal eine vollständige Ausgabe zu wünschen nicht unterlassen konnte.

Wielands Übersetzung der Horazischen »Epistel an die Pisonen« leitete mich wirklich auf eine Zeitlang von andern Beschäftigungen ab. Dieses problematische Werk wird dem einen anders vorkommen als dem andern und jedem alle zehn Jahre auch wieder anders. Ich unternahm das Wagnis kühner und wunderlicher Auslegungen des Ganzen sowohl als des Einzelnen, die ich wohl aufgezeichnet wünschte, und wenn auch nur um der humoristischen Ansicht willen; allein diese Gedanken und Grillen, gleich so vielen tausend andern in freundschaftlicher Konversation ausgesprochen, gingen ins Nichts der Lüfte.

Der große Vorteil, mit einem Manne zu wohnen, der sich aus dem Grunde irgendeinem Gegenstande widmet, ward uns reichlich durch Fernows dauernde Gegenwart. Auch in diesem Jahre brachte er uns durch seine Abhandlung über die italienischen Dialekte mitten ins Leben jenes merkwürdigen Landes.

Auch die Geschichte der neuern deutschen Literatur gewann gar manches Licht: durch Johannes Müller in seiner Selbstbiographie, die wir mit einer Rezension begrüßten, ferner durch den Druck der Gleimischen Briefe, die wir dem eingeweihten Körte, Hubers Lebensjahre, die wir seiner treuen und in so vieler Hinsicht höchst schätzenswerten Gattin verdanken.

Von älteren geschichtlichen Studien findet sich nichts bemerkt, als daß ich des Lampridius Kaisergeschichte gelesen,[182] und ich erinnere mich noch gar wohl des Grausens, das bei Betrachtung jenes Unregiments mich befiel.

An dem höhern Sittlich-Religiosen teilzunehmen, riefen mich die »Studien« von Daub und Creuzer auf, nicht weniger der »Hallischen Missionsberichte« zweiundsiebzigstes Stück, das ich wie die vorigen der Geneigtheit des Herrn Dr. Knapp verdankte, welcher, von meiner aufrichtigen Teilnahme an der Verbreitung des sittlichen Gefühls durch religiöse Mittel überzeugt, mir schon seit Jahren die Nachrichten von den gesegneten Fortschritten einer immer lebendigen Anstalt nicht vorenthielt.

Von anderer Seite ward ich zu der Kenntnis des gegenwärtig Politischen geführt durch die »Gegengewichte« von Gentz, so wie mir von Aufklärung einzelner Zeitereignisse noch wohl erinnerlich ist, daß ein bei uns wohnender Engländer von Bedeutung, Herr Osborn, die Strategie der Schlacht von Trafalgar ihrem großen Sinn und kühner Ausführung nach umständlich graphisch erklärte.

Seit 1801, wo ich nach überstandener großer Krankheit Pyrmont besucht hatte, war ich eigentlich meiner Gesundheit wegen in kein Bad gekommen; in Lauchstädt hatt ich dem Theater zuliebe manche Zeit zugebracht und in Weimar der Kunstausstellung wegen. Allein es meldeten sich dazwischen gar manche Gebrechen, die eine duldende Indolenz eine Zeitlang hingehen ließ; endlich aber, von Freunden und Ärzten bestimmt, entschloß ich mich, Karlsbad zu besuchen, um so mehr, als ein tätiger und behender Freund, Major von Hendrich, die ganze Reisesorge zu übernehmen geneigt war. Ich fuhr also mit ihm und Riemer Ende Mais ab. Unterwegs bestanden wir erst das Abenteuer, den »Hussiten vor Naumburg« beizuwohnen und in eine Verlegenheit anderer Art gerieten wir in Eger, als wir bemerkten, daß uns die Pässe fehlten, die, vor lauter Geschäftigkeit und Reiseanstalt vergessen, durch eine wunderliche Komplikation von Umständen auch an der Grenze nicht waren abgefordert worden. Die Polizeibeamten in Eger fanden eine Form, diesem Mangel abzuhelfen, wie denn dergleichen Fälle[183] die schönste Gelegenheit darbieten, wo eine Behörde ihre Kompetenz und Gewandtheit betätigen kann; sie gaben uns einen Geleitschein nach Karlsbad gegen Versprechen, die Pässe nachzuliefern.

An diesem Kurorte, wo man sich, um zu genesen, aller Sorgen entschlagen sollte, kam man dagegen recht in die Mitte von Angst und Bekümmernis.

Fürst Reuß XIII., der mir immer ein gnädiger Herr gewesen, befand sich daselbst und war geneigt, mir mit diplomatischer Gewandtheit das Unheil zu entfalten, das unsern Zustand bedrohte. Gleiches Zutrauen hegte General Richter zu mir, der mich ins Vergangene gar manchen Blick tun ließ. Er hatte die harten Schicksale von Ulm miterlebt, und mir ward ein Tagebuch vom 3. Oktober 1805 bis zum 17., als dem Tage der Übergabe gedachter Festung, mitgeteilt. So kam der Julius heran, eine bedeutende Nachricht verdrängte die andere.

Zu Fördernis geologischer Studien hatte in den Jahren, da ich Karlsbad nicht besucht, Joseph Müller treulich vorgearbeitet. Dieser wackere Mann, von Turnau gebürtig, als Steinschneider erzogen, hatte sich in der Welt mancherlei versucht und war zuletzt in Karlsbad einheimisch geworden. Dort beschäftigte er sich mit seiner Kunst und geriet auf den Gedanken, die Karlsbader Sprudelsteine in Tafeln zu schneiden und reinlich zu polieren, wodurch denn diese ausgezeichneten Sinter nach und nach der naturliebenden Welt bekannt wurden. Von diesen Produktionen der heißen Quellen wendete er sich zu andern auffallenden Gebirgserzeugnissen, sammelte die Zwillingskristalle des Feldspates, welche die dortige Umgegend vereinzelt finden läßt.

Schon vor Jahren hatte er an unsern Spaziergängen teilgenommen, als ich mit Baron von Racknitz und andern Naturfreunden bedeutenden Gebirgsarten nachging, und in der Folge hatte er Zeit und Mühe nicht gespart, um eine mannigfaltige charakteristische Sammlung aufzustellen, sie zu numerieren und nach seiner Art zu beschreiben. Da er nun dem Gebirg gefolgt war, so hatte sich ziemlich, was zusammengehörte, auch[184] zusammengefunden, und es bedurfte nur weniges, um sie wissenschaftlichen Zwecken näherzuführen, welches er sich denn auch, obgleich hie und da mit einigem Widerstreben, gefallen ließ.

Was von seinen Untersuchungen mir den größten Gewinn versprach, war die Aufmerksamkeit, die er dem Übergangsgestein geschenkt hatte, das sich dem Granit des Hirschensprungs vorlegt, einen mit Hornstein durchzogenen Granit darstellt, Schwefelkies und auch endlich Kalkspat enthält. Die heißen Quellen entspringen unmittelbar hieraus, und man war nicht abgeneigt, in dieser auffallenden geologischen Differenz, durch den Zutritt des Wassers, Erhitzung und Auflösung und so das geheimnisvolle Rätsel der wunderbaren Wasser aufgehellt zu sehen.

Er zeigte mir sorgfältig die Spuren obgedachten Gesteins, welches nicht leicht zu finden ist, weil die Gebäude des Schloßbergs darauf lasten. Wir zogen sodann zusammen durch die Gegend, besuchten die auf dem Granit aufsitzenden Basalte über dem Hammer, nahe dabei einen Acker, wo die Zwillingskristalle sich ausgepflügt finden. Wir fuhren nach Engelhaus, bemerkten im Orte selbst den Schriftgranit und anderes vom Granit nur wenig abweichendes Gestein. Der Klingsteinfelsen ward bestiegen und beklopft und von der weiten, obgleich nicht erheiternden Aussicht der Charakter gewonnen.

Zu allem diesem kam der günstige Umstand hinzu, daß Herr Legationsrat von Struve, in diesem Fache so unterrichtet als mitteilend und gefällig, seine schönen mitgeführten Stufen belehrend sehen ließ, auch an unsern geologischen Betrachtungen vielen Teil nahm und selbst einen ideellen Durchschnitt des Lessauer und Hohdorfer Gebirges zeichnete, wodurch der Zusammenhang der Erdbrände mit dem unter- und nebenliegenden Gebirg deutlich dargestellt und vermittelst vorliegender Muster sowohl des Grundgesteins als seiner Veränderung durch das Feuer belegt werden konnte.

Spazierfahrten, zu diesem Zwecke angestellt, waren zugleich[185] belehrend, erheiternd und von den Angelegenheiten der Tags ablenkend.

Späterhin traten Bergrat Werner und August von Herder, jener auf längere, dieser auf kürzere Zeit, an uns heran. Wenn nun auch, wie bei wissenschaftlichen Unterhaltungen immer geschieht, abweichende, ja kontrastierende Vorstellungsarten an den Tag kommen, so ist doch, wenn man das Gespräch auf die Erfahrung hinzuwenden weiß, gar vieles zu lernen. Werners Ableitung des Sprudels von fortbrennenden Steinkohlenflözen war mir zu bekannt, als daß ich hätte wagen sollen, ihm meine neusten Überzeugungen mitzuteilen, auch gab er der Übergangsgebirgsart vom Schloßberge, die ich so wichtig fand, nur einen untergeordneten Wert. August von Herder teilte mir einige schöne Erfahrungen von dem Gehalt der Gebirgsgänge mit, der verschieden ist, indem sie nach verschiedenen Himmelsgegenden streichen. Es ist immer schön, wenn man das Unbegreifliche als wirklich vor sich sieht.

Über eine pädagogisch-militärische Anstalt bei der französischen Armee gab uns ein trefflicher aus Bayern kommender Geistlicher genaue Nachricht. Es werde nämlich von Offizieren und Unteroffizieren am Sonntage eine Art von Katechisation gehalten, worin der Soldat über seine Pflichten sowohl als auch über ein gewisses Erkennen, soweit es ihn in seinem Kreise fördert, belehrt werde. Man sah wohl, daß die Absicht war, durchaus kluge und gewandte, sich selbst vertrauende Menschen zu bilden; dies aber setzte freilich voraus, daß der sie anführende große Geist dessenungeachtet über jeden und alle hervorragend blieb und von Raisonneurs nichts zu fürchten hatte.

Angst und Gefahr jedoch vermehrte der brave, tüchtige Wille echter deutscher Patrioten, welche in der ganz ernstlichen und nicht einmal verhohlnen Absicht, einen Volksaufstand zu organisieren und zu bewirken, über die Mittel dazu sich leidenschaftlich besprachen, so daß, während wir von fernen Gewittern uns bedroht sahen, auch in der nächsten Nähe sich Nebel und Dunst zu bilden anfing.[186]

Indessen war der Deutsche Rheinbund geschlossen und seine Folgen leicht zu übersehen; auch fanden wir bei unserer Rückreise durch Hof in den Zeitungen die Nachricht: das Deutsche Reich sei aufgelöst.

Zwischen diese beunruhigenden Gespräche jedoch traten manche ableitende. Landgraf Karl von Hessen, tieferen Studien von jeher zugetan, unterhielt sich gern über die Urgeschichte der Menschheit und war nicht abgeneigt, höhere Ansichten anzuerkennen, ob man gleich mit ihm einstimmig auf einen folgerechten Weg nicht gelangen konnte.

Karlsbad gab damals das Gefühl, als wäre man im Lande Gosen; Österreich war zu einem scheinbaren Frieden mit Frankreich genötigt, und in Böhmen ward man wenigstens nicht wie in Thüringen durch Märsche und Widermärsche jeden Augenblick aufgeregt. Allein kaum war man zu Hause, als man das bedrohende Gewitter wirklich heranrollen sah, die entschiedenste Kriegserklärung durch Heranmarsch unübersehlicher Truppen.

Eine leidenschaftliche Bewegung der Gemüter offenbarte sich nach ihrem verschiedenen Verhältnis, und wie sich in solcher Stimmung jederzeit Märchen erzeugen, so verbreitete sich auch ein Gerücht von dem Tode des Grafen Haugwitz, eines alten Jugendfreundes, früher als tätiger und gefälliger Minister anerkannt, jetzt der ganzen Welt verhaßt, da er den Unwillen der Deutschen durch abgedrungene Hinneigung zu dem französischen Übergewicht auf sich geladen.

Die Preußen fahren fort, Erfurt zu befestigen; auch unser Fürst, als preußischer General, bereitet sich zum Abzuge. Welche sorgenvolle Verhandlungen ich mit meinem treuen und ewig unvergeßlichen Geschäftsfreunde, dem Staatsminister von Voigt, damals gewechselt, möchte schwer auszusprechen sein; ebensowenig die prägnante Unterhaltung mit meinem Fürsten im Hauptquartier Niederroßla.

Die Herzoginmutter bewohnte Tiefurt, Kapellmeister Himmel war gegenwärtig, und man musizierte mit schwerem Herzen; es ist aber in solchen bedenklichen Momenten das Herkömmliche,[187] daß Vergnügungen und Arbeiten so gut wie Essen, Trinken, Schlafen in düsterer Folge hintereinander fortgehen.

Die Karlsbader Gebirgsfolge war in Jena angelangt, ich begab mich am 26. September hin, sie auszupacken und unter Beistand des Direktors Lenz vorläufig zu katalogieren; auch ward ein solches Verzeichnis für das »Jenaische Literatur-Intelligenzblatt« fertig geschrieben und in die Druckerei gegeben.

Indessen war ich in den Seitenflügel des Schlosses gezogen, um dem Fürsten Hohenlohe Platz zu machen, der, mit seiner Truppenabteilung widerwillig heranrückend, lieber auf der Straße nach Hof dem Feind entgegenzugehen gewünscht hätte. Dieser trüben Ansichten ungeachtet, ward nach alter akademischer Weise mit Hegel manches philosophische Kapitel durchgesprochen. Schelling gab eine Erklärung heraus, von Ths beantwortet. Ich war bei Fürst Hohenlohe zu Tafel, sah manche bedeutende Männer wieder, machte neue Bekanntschaften; niemanden war wohl, alle fühlten sich in Verzweiflung, die keiner umhin konnte, wo nicht durch Worte, doch durch Betragen zu verraten.

Mit Obrist von Massenbach, dem Heißkopfe, hatte ich eine wunderliche Szene. Auch bei ihm kam die Neigung zu schriftstellern der politischen Klugheit und militärischen Tätigkeit in den Weg. Er hatte ein seltsames Opus verfaßt, nichts Geringeres als ein moralisches Manifest gegen Napoleon. Jedermann ahnete, fürchtete die Übergewalt der Franzosen, und so geschah es denn, daß der Drucker, begleitet von einigen Ratspersonen, mich anging und sie sämtlich mich dringend baten, den Druck des vorgelegten Manuskriptes abzuwenden, welches beim Einrücken des französischen Heeres der Stadt notwendig Verderben bringen müsse. Ich ließ mir es übergeben und fand eine Folge von Perioden, deren erste mit den Worten anfing: »Napoleon, ich liebte dich!«, die letzte aber: »Ich hasse dich« Dazwischen waren alle Hoffnungen und Erwartungen ausgesprochen, die man anfangs von der Großheit des Napoleonschen Charakters hegte, indem man dem[188] außerordentlichen Manne sittlich-menschliche Zwecke unterlegen zu müssen wähnte, und zuletzt ward alles das Böse, was man in der neuern Zeit von ihm erdulden müssen, in geschärften Ausdrücken vorgeworfen. Mit wenigen Veränderungen hätte man es in den Verdruß eines betrogenen Liebhabers über seine untreue Geliebte übersetzen können, und so erschien dieser Aufsatz ebenso lächerlich als gefährlich.

Durch das Andringen der wackern Jenenser, mit denen ich so viele Jahre her in gutem Verhältnis gestanden, überschritt ich das mir selbst gegebene Gesetz, mich nicht in öffentliche Händel zu mischen; ich nahm das Heft und fand den Autor in den weitläufigen antiken Zimmern der Wilhelmischen Apotheke. Nach erneuerter Bekanntschaft rückte ich mit meiner Protestation hervor und hatte, wie zu erwarten, mit einem beharrlichen Autor zu tun. Ich aber blieb ein ebenso beharrlicher Bürger und sprach die Argumente, die freilich Gewicht genug hatten, mit beredter Heftigkeit aus, so daß er endlich nachgab. Ich erinnere mich noch, daß ein langer, stracker Preuße, dem Ansehn nach ein Adjutant, in unbewegter Stellung und unveränderten Gesichtszügen dabeistand und sich wohl über die Kühnheit eines Bürgers innerlich verwundern mochte. Genug, ich schied von dem Obristen im besten Vernehmen, verflocht in meinen Dank alle persuasorischen Gründe, die eigentlich an sich hinreichend gewesen wären, nun aber eine milde Versöhnung hervorbrachten.

Noch trefflichen Männern wartete ich auf; es war am Freitag, den 3. Oktober. Den Prinzen Louis Ferdinand traf ich nach seiner Art tüchtig und freundlich; Generallieutenant von Grawert, Obrist von Massow, Hauptmann Blumenstein, letzterer jung, Halbfranzos, freundlich und zutraulich. Zu Mittag mit allen bei Fürst Hohenlohe zur Tafel.

Verwunderlich schienen mir bei dem großen Zutrauen auf preußische Macht und Kriegsgewandtheit Warnungen, die hie und da an meinen Ohren vorübergingen: man solle doch die besten Sachen, die wichtigsten Papiere zu verbergen suchen; ich aber, unter solchen Umständen aller Hoffnung quitt, rief,[189] als man eben die ersten Lerchen speiste: »Nun, wenn der Himmel einfällt, so werden ihrer viel gefangen werden.«

Den 6. fand ich in Weimar alles in voller Unruhe und Bestürzung. Die großen Charaktere waren gefaßt und entschieden, man fuhr fort zu überlegen, zu beschließen: Wer bleiben, wer sich entfernen sollte, das war die Frage.

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 16, Berlin 1960 ff, S. 171-190.
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