Vierzehnter Auftritt


[380] Glaube hat die Schwester am Gesang erkannt, kommt eilig herbei, wirft sich ihr an die Brust. Liebe fährt in ihrem heitern Gesange noch eine Zeitlang fort, bis Glaube sich leidenschaftlich losreißt und abwärts tritt.


GLAUBE.

O liebste Schwester! Kannst du mich

Und meine Leiden so empfangen?

Ich irre trostlos, suche dich,

An deinem Herzen auszubangen;

Nun flieh' ich leider, wie ich kam,

Mich abgestoßen muß ich fühlen:[380]

Wer teilt nun Zweifel, Kummer, Gram,

Wie sie das tiefste Herz durchwühlen!

LIEBE sich nähernd.

O Schwester! mich so im Verdacht?

Die immer neu und immer gleich

Unsterbliche unsterblich macht,

Die Sterblichen alle gut und reich.

Von oben kommt mir der Gewinn –

Die höchste Gabe willst du lästern?

Denn ohne diesen heitren Sinn

Was wären wir und unsre Schwestern!

GLAUBE.

Nein, in diesen Jammerstunden

Klinget keine Freude nach!

Schmerzen, tausendfach empfunden,

Herz um Herz, das knirschend brach,

Leer Gebet, vergebne Tränen,

Eingekettet unser Sehnen,

Unsrer Herrlichkeit Verhöhnen,

Der Erniedrigung Gewöhnen! –

Ewig deckt die Nacht den Tag.

LIEBE.

Es sind nicht die letzten Stunden,

Laß den Göttern das Gericht!

GLAUBE.

Nie hast du ein Glück empfunden:

Denn der Jammer rührt dich nicht!


Sie treten auseinander.


DÄMON DER UNTERDRÜCKUNG für sich.

Still! nun hab' ich überwunden –

Schwestern und verstehn sich nicht!


Zum Glauben.


Herrlich Mädchen! welches Bangen,

Welche Neigung, welch Verlangen

Reget diese schöne Brust?

GLAUBE.

Herr, o Herr! gerecht Verlangen

War, die Schwester zu umfangen,

Treue bin ich mir bewußt.

DÄMON DER UNTERDRÜCKUNG zur Liebe.

Wie, du Holde? Das Verlangen,

Deine Schwester zu umfangen,

Regt sich's nicht in deiner Brust?

LIEBE.

Sie, die Beste, zu umfangen,

Fühl' ich ewiges Verlangen;[381]

Komm, o komm an meine Brust!

GLAUBE.

O verzeih dem Schmerz, dem Bangen!

Kaum getraut' ich, zu verlangen

Lieb' um Liebe, Lust um Lust!


Sie umarmen sich.


DÄMON DER UNTERDRÜCKUNG für sich.

Immer wächst mir das Verlangen,

Zu betören; sie zu fangen,

Sei mein Streben, meine Lust.


Zwischen sie tretend.


Holdsel'ges Paar, das himmlisch mir begegnet,

Es sei der Tag für euch und mich gesegnet,

Er sei bezeichnet immerdar!

Ja, dieser Stunde jedes von uns gedenke!


Kleine Dämonen mit Juwelen.


Verschmähet nicht die wenigen Geschenke

Aus meiner Hand, verehrtes Paar.


Die Liebe liebkosend und ihr Armbänder anlegend.


Hände, meiner Augen Weide,

O wie drück' und küss' ich sie!

Nimm das köstlichste Geschmeide,

Trag es und vergiß mich nie!


Den Glauben liebkosend und ihr einen köstlichen Gürtel oder vielmehr Brustschmuck anlegend.


Wie sie sich in dir vereinen,

Hoher Sinn und Lebenslust:

So mit bunten Edelsteinen

Schmück' ich dir die volle Brust.


Die kleinen Dämonen bringen heimlich schwarze schwere Ketten hervor.


GLAUBE.

Das verdient wohl dieser Busen,

Daß ihn die Juwele schmückt.


Der eine Dämon hängt ihr die Kette hinten in den Gürtel, in dem Augenblick fühlt sie Schmerzen, sie ruft, indem sie auf die Brust sieht.


Doch wie ist mir! von Medusen

Werd' ich greulich angeblickt.

LIEBE.

O! wie sich das Auge weidet,

Und die Hand, wie freut sie sich!


Sie streckt die Arme aus und besieht die Armbänder von oben; das Dämonchen hängt von unten eine Doppelkette ein.
[382]

Was ist das? wie sticht's und schneidet,

Und unendlich foltert's mich!

DÄMON DER UNTERDRÜCKUNG zur Liebe, mäßig spottend.

So ist dein zartes Herz belohnt!

Von diesen wird dich nichts erretten;

Doch Ende dich, du bist's gewohnt,

Du gehst doch immerfort in Ketten.


Zum Glauben, der sich ängstlich gebärdet, mit geheuchelter Teilnahme.


Ja, schluchze nur aus voller Brust

Und mache den Versuch, zu weinen!


Zu beiden gewaltsam.


Verzichtet aber auf Glück und Lust;

Das Beßre wird euch nie erscheinen!


Sie fahren von ihm weg, werfen sich an den Seiten nieder; Liebe liegt ringend, Glaube still.


DÄMON DER UNTERDRÜCKUNG.

So hab' ich euch dahin gebracht,

Beim hellsten Tag in tiefste Nacht.

Getrennt wie sie gefesselt sind,

Ist Liebe töricht, Glaube blind.

Allein die Hoffnung schweift noch immer frei –

Mein Zauber winke sie herbei!

Ich bin schon oft ihr listig nachgezogen,

Doch wandelbar wie Regenbogen,

Setzt sie den Fuß bald da, bald dort, bald hier;

Und hab' ich diese nicht betrogen,

Was hilft das andre alles mir!


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 380-383.
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