[385] LIEBE erhebt sich nach einiger Zeit, wie abwesend, wo nicht wahnsinnig.
Sag', wie ist dir denn zumalen?
Was beengt dir so das Herz?
Was ich fühle, sind nicht Qualen,
Was ich leide, ist nicht Schmerz.
Ob ich gleich den Namen höre,
Liebe, so hieß ich immerfort;
Es ist, als ob ich gar nicht wäre,
Liebe, 's ist ein leeres Wort.
GLAUBE die indessen aufgestanden, aber nicht sicher auf ihren Füßen steht.
Wankt der Felsen unter mir,
Der mich sonst so kräftig trug?
Nein! ich wanke, sinke hier,
Habe nicht mehr Kraft genug,
Mich zu halten; meine Knie
Brechen, ach, ich beuge sie
Nicht zum Beten; sinnenlos,
Herzlos lieg' ich an dem Boden,[385]
Mir versagt, mir stockt der Oden;
Götter! meine Not ist groß!
LIEBE weiterschreitend.
Zwar gefesselt sind die Hände,
Doch der Fuß bewegt sich noch;
Wenn ich, ach, dorthin mich wende,
Schüttl' ich ab das schwere Joch.
GLAUBE wie jene, nur etwas rascher und lebhafter.
Will ich mich vom Ort bewegen,
Wird vielleicht der Busen frei.
Sieht die Schwester herankommen.
O, die Schwester! Welch ein Segen!
Ja, die Gute kommt herbei.
Indem sie gegeneinander die Arme ausstrecken, sehen sie sich so weit entfernt, daß sie sich nicht berühren können.
LIEBE.
Gott! ich kann dich nicht erreichen,
Ach, von dir steh' ich gebannt!
Indem sie an ihren vorigen Platz eilig zurückkehrt.
GLAUBE.
Gibt's ein Elend solchesgleichen!
Die noch gezögert und sich hin und wieder umgesehen hat, stürmt auch nach ihrer Seite.
Nein! die Welt hat's nicht gekannt.
Beide werfen sich an ihrer Stelle nieder.
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Des Epimenides Erwachen
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