Zweiter Auftritt


[169] Die Vorigen. Georg.


GEORG heftig und ängstlich. Liebes Mamsellchen, geben Sie mir geschwinde, geschwinde –

LUISE. Was denn, Georg?

GEORG. Geben Sie mir die Flasche.

LUISE. Was für eine Flasche?

GEORG. Ihr Herr Onkel sagte, Sie sollen mir die Flasche geschwinde geben; sie steht in der Kammer, oben auf dem Brette rechter Hand.

LUISE. Da stehen viele Flaschen; was soll denn drinne sein?

GEORG. Spiritus.

LUISE. Es gibt allerlei Spiritus; hat er sich nicht deutlicher erklärt? wozu soll's denn?

GEORG. Er sagt' es wohl, ich war aber so erschrocken. Ach, der junge Herr –

KAROLINE die aus dem Schlaf auffährt. Was gibt's? – Der Baron?

LUISE. Der junge Graf?

GEORG. Leider, der junge Graf!

KAROLINE. Was ist ihm begegnet?

GEORG. Geben Sie mir den Spiritus.

LUISE. Sage nur, was dem jungen Grafen begegnet ist, so weiß ich wohl, was der Onkel für eine Flasche braucht.

GEORG. Ach, das gute Kind? was wird die Frau Gräfin sagen, wenn sie morgen kommt! wie wird sie uns ausschelten!

KAROLINE. So red' Er doch!

GEORG. Er ist gefallen, mit dem Kopfe vor eine Tischecke,[169] das Gesicht ist ganz in Blut; wer weiß, ob nicht gar das Auge gelitten hat.

LUISE indem sie einen Wachsstock anzündet und in die Kammer geht. Nun weiß ich, was sie brauchen.

KAROLINE. So spät! wie ging das zu?

GEORG. Liebes Mamsellchen, ich dachte lange, es würde nichts Gutes werden. Da sitzt Ihr Vater und der Hofmeister alle Abend beim alten Pfarrer und lesen die Zeitungen und Monatsschriften, und so disputieren sie und können nicht fertig werden, und das arme Kind muß dabei sitzen; da drückt sich's denn in eine Ecke, wenn's spät wird, und schläft ein, und wenn sie aufbrechen, da taumelt das Kind schlaftrunken mit, und heute – nun sehen Sie – da schlägt's eben zwölfe – heute bleiben sie über alle Gebühr aus, und ich sitze zu Hause und habe Licht brennen, und dabei stehen die andern Lichter für den Hofmeister und den jungen Herrn, und Ihr Vater und der Magister bleiben vor der Schloßbrücke stehen und können noch nicht fertig werden –

LUISE kommt mit einem Glase zurück.

GEORG fährt fort. Und das Kind kommt in den Saal getappt und ruft mich, und ich fahre auf und will die Lichter anzünden, wie ich immer tue, und wie ich schlaftrunken bin, lösche ich das Licht aus. Indessen tappt das Kind die Treppe hinauf, und auf dem Vorsaal stehen die Stühle und Tische, die wir morgen früh in die Zimmer verteilen wollen; das Kind weiß es nicht, geht gerade zu, stößt sich, fällt, wir hören es schreien, ich mache Lärm, ich mache Licht, und wie wir hinauf kommen, liegt's da und weiß kaum von sich selbst. Das ganze Gesicht ist blutig. Wenn es ein Auge verloren hat, wenn es gefährlich wird, geh' ich morgen früh auf und davon, eh' die Frau Gräfin ankommt; mag's verantworten, wer will!

LUISE die indessen einige Bündelchen Leinwand aus der Schublade genommen, gibt ihm die Flasche. Hier! geschwind! trage das hinüber und nimm die Läppchen dazu, ich komme gleich selbst. Der Himmel verhüte, daß es so übel sei! Geschwind, Georg, geschwind! Georg ab. Halte warmes Wasser bereit, wenn der Onkel nach Hause kommt und Kaffee verlangt.[170] Ich will geschwind hinüber. Es wäre entsetzlich, wenn wir unsere gute Gräfin so empfangen müßten. Wie empfahl sie nicht dem Magister, wie empfahl sie nicht mir das Kind bei ihrer Abreise! Leider hab' ich sehen müssen, daß es die Zeit über sehr versäumt worden ist. Daß man doch gewöhnlich seine nächste Pflicht versäumt! Ab.


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 169-171.
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