Sechster Auftritt


[176] Breme. Martin.


BREME. Seid Ihr's, Gevatter Martin?

MARTIN. Ja, lieber Gevatter Breme, das bin ich. Ich habe mich ganz stille aufgemacht, wie die Glocke zwölfe schlug, und bin hergekommen; aber ich habe noch Lärm gehört[176] und hin und wider gehen, und da bin ich im Garten einigemal auf und ab geschlichen, bis alles ruhig war. Sagt mir nur, was Ihr wollt, Gevatter Breme, daß wir so spät bei Euch zusammenkommen, in der Nacht; konnten wir's denn nicht bei Tag abmachen?

BREME. Ihr sollt alles erfahren, nur müßt Ihr Geduld haben, bis die andern alle beisammen sind.

MARTIN. Wer soll denn noch alles kommen?

BREME. Alle unsere guten Freunde, alle vernünftigen Leute. Außer Euch, der Ihr Schulze von dem Ort hier seid, kommt noch Peter, der Schulze von Rosenhahn, und Albert, der Schulze von Wiesengruben; ich hoffe, auch Jakob wird kommen, der das hübsche Freigut besitzt. Dann sind recht ordentliche und vernünftige Leute beisammen, die schon was ausmachen können.

MARTIN. Gevatter Breme, Ihr seid ein wunderlicher Mann; es ist Euch alles eins, Nacht und Tag, Tag und Nacht, Sommer und Winter.

BREME. Ja, wenn das auch nicht so wäre, könnte nichts Rechts werden. Wachen oder Schlafen, das ist mir auch ganz gleich. Es war nach der Schlacht bei Leuthen, wo unsere Lazarette sich in schlechtem Zustande befanden und sich wahrhaftig noch im schlechteren Zustande befunden hätten, wäre Breme nicht damals ein junger rüstiger Bursche gewesen. Da lagen viele Blessierte, viele Kranke, und alle Feldscherer waren alt und verdrossen, aber Breme ein junger tüchtiger Kerl, Tag und Nacht parat. Ich sag' Euch, Gevatter, daß ich acht Nächte nacheinander weg gewacht und am Tage nicht geschlafen habe. Das merkte sich aber auch der alte Fritz, der alles wußte, was er wissen wollte. Höre Er, Breme, sagte er einmal, als er in eigner Person das Lazarett visitierte, höre Er, Breme, man sagt, daß Er an der Schlaflosigkeit krank liege. – Ich merkte, wo das hinaus wollte, denn die andern stunden alle dabei; ich faßte mich und sagte: Ihro Majestät, das ist eine Krankheit, wie ich sie allen Ihren Dienern wünsche, und da sie keine Mattigkeit zurückläßt und ich den Tag auch noch brauchbar bin, so hoffe ich, daß Seine Majestät deswegen keine Ungnade auf mich werfen werden.[177]

MARTIN. Ei, ei! wie nahm denn das der König auf?

BREME. Er sah ganz ernsthaft aus, aber ich sah ihm wohl an, daß es ihm wohlgefiel. Breme, sagte er, womit vertreibt Er sich denn die Zeit? Da faßt' ich mir wieder ein Herz und sagte: Ich denke an das, was Ihro Majestät getan haben und noch tun werden, und da könnt' ich Methusalems Jahre erreichen und immer fort wachen und könnt's doch nicht ausdenken. Da tat er, als hört' er's nicht, und ging vorbei. Nun war's wohl acht Jahre darnach, da faßt' er mich bei der Revue wieder ins Auge. Wacht Er noch immer, Breme? rief er. Ihro Majestät, versetzt' ich, lassen einem ja im Frieden so wenig Ruh als im Kriege. Sie tun immer so große Sachen, daß sich ein gescheiter Kerl daran zu Schanden denkt.

MARTIN. So habt Ihr mit dem König gesprochen, Gevatter? Durfte man so mit ihm reden?

BREME. Freilich durfte man so und noch ganz anders, denn er wußte alles besser. Es war ihm einer wie der andere, und der Bauer lag ihm am mehrsten am Herzen. Ich weiß wohl, sagte er zu seinen Ministern, wenn sie ihm das und jenes einreden wollten, die Reichen haben viel Advokaten, aber die Dürftigen haben nur einen, und das bin ich.

MARTIN. Wenn ich ihn doch nur auch gesehen hätte!

BREME. Stille, ich höre was! es werden unsere Freunde sein. Sieh da! Peter und Albert.


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 176-178.
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