Zweiter Auftritt


[187] Die Gräfin im Negligé. Der Amtmann.


AMTMANN. Euer Exzellenz haben zwar auf eine angenehme Weise, doch unvermutet Ihre Dienerschaft überrascht, und wir bedauern nur, daß Dieselben bei Ihrer Ankunft durch einen so traurigen Anblick erschreckt worden. Wir hatten alle Anstalten zu Dero Empfang gemacht: das Tannenreisig zu einer Ehrenpforte liegt wirklich schon im Hofe; die sämtlichen Gemeinden wollten reihenweis an dem Wege stehen und Hochdieselben mit einem lauten Vivat empfangen, und jeder freute sich schon, bei einer so feierlichen Gelegenheit seinen Festtagsrock anzuziehen und sich und seine Kinder zu putzen.

GRÄFIN. Es ist mir lieb, daß die guten Leute sich nicht zu beiden Seiten des Wegs gestellt haben; ich hätte ihnen unmöglich ein freundlich Gesicht machen können, und Ihnen am wenigsten, Herr Amtmann!

AMTMANN. Wieso? wodurch haben wir Eurer Exzellenz Ungnade verdient?

GRÄFIN. Ich kann nicht leugnen, ich war sehr verdrießlich, als ich gestern auf den abscheulichen Weg kam, der gerade da anfängt, wo meine Besitzungen angehen. Die große Reise hab' ich fast auf lauter guten Wegen vollbracht, und eben da ich wieder in das Meinige zurückkomme, find' ich sie nicht nur schlechter wie vorm Jahr, sondern so abscheulich, daß sie alle Übel einer schlechten Chaussee verbinden. Bald tief ausgefahrne Löcher, in die der Wagen umzustürzen droht, aus denen die Pferde mit aller Gewalt ihn kaum herausreißen, bald Steine ohne Ordnung übereinander geworfen, daß man eine Viertelstunde lang selbst in dem bequemsten Wagen aufs unerträglichste zusammengeschüttelt wird. Es sollte mich wundern, wenn nichts daran beschädigt wäre.

AMTMANN. Euer Exzellenz werden mich nicht ungehört verdammen; nur mein eifriges Bestreben, von Eurer Exzellenz Gerechtsamen nicht das mindeste zu vergeben, ist Ursache an diesem üblen Zustande des Wegs.

GRÄFIN. Ich verstehe –[187]

AMTMANN. Sie erlauben, Ihrer tiefen Einsicht nur anheim zu stellen, wie wenig es mir hätte ziemen wollen, den widerspenstigen Bauern auch nur ein Haarbreit nachzugeben. Sie sind schuldig, die Wege zu bessern, und da Euer Exzellenz Chaussee befehlen, sind sie auch schuldig, die Chaussee zu machen.

GRÄFIN. Einige Gemeinden waren ja willig.

AMTMANN. Das ist eben das Unglück. Sie fuhren die Steine an; als aber die übrigen, widerspenstigen sich weigerten und auch jene widerspenstig machten, blieben die Steine liegen und wurden nach und nach, teils aus Notwendigkeit, teils aus Mutwillen, in die Gleise geworfen, und da ist nun der Weg freilich ein bißchen holprig geworden.

GRÄFIN. Sie nennen das ein wenig holprig?

AMTMANN. Verzeihen Euer Exzellenz, wenn ich sogar sage, daß ich diesen Weg öfters mit vieler Zufriedenheit zurücklege. Es ist ein vortreffliches Mittel gegen die Hypochondrie, sich dergestalt zusammenschütteln zu lassen.

GRÄFIN. Das, gesteh' ich, ist eine eigne Kurmethode.

AMTMANN. Und freilich, da nun eben wegen dieses Streites, welcher vor dem Kaiserlichen Reichskammergericht auf das eifrigste betrieben wird, seit einem Jahre an keine Wegebesserung zu denken gewesen und überdies die Holzfuhren stark gehen, in diesen letzten Tagen auch anhaltendes Regenwetter eingefallen, so möchte denn freilich jemanden, der gute Chausseen gewohnt ist, unsere Straße gewissermaßen impraktikabel vorkommen.

GRÄFIN. Gewissermaßen? ich dächte, ganz und gar.

AMTMANN. Euer Exzellenz belieben zu scherzen. Man kommt doch noch immer fort –

GRÄFIN. Wenn man nicht liegen bleibt. Und doch hab' ich an der Meile sechs Stunden zugebracht.

AMTMANN. Ich, vor einigen Tagen, noch länger. Zweimal wurd' ich glücklich herausgewunden, das drittemal brach ein Rad, und ich mußte mich nur noch so hereinschleppen lassen. Aber bei allen diesen Unfällen war ich getrost und gutes Muts: denn ich bedachte, daß Eurer Exzellenz und Ihres Herrn Sohnes Gerechtsame salviert sind. Aufrichtig gestanden, ich wollte auf solchen Wegen lieber von hier[188] nach Paris fahren, als nur einen Fingerbreit nachgeben, wenn die Rechte und Befugnisse meiner gnädigsten Herrschaft bestritten werden. Ich wollte daher, Euer Exzellenz dachten auch so, und Sie würden gewiß diesen Weg nicht mit so viel Unzufriedenheit zurückgelegt haben.

GRÄFIN. Ich muß sagen, darin bin ich anderer Meinung, und gehörten diese Besitztümer mir eigen, müßte ich mich nicht bloß als Verwalterin ansehen, so würde ich über manche Bedenklichkeit hinausgehen, ich würde mein Herz hören, das mir Billigkeit gebietet, und meinen Verstand, der mich einen wahren Vorteil von einem scheinbaren unterscheiden lehrt. Ich würde großmütig sein, wie es dem gar wohl ansteht, der Macht hat. Ich würde mich hüten, unter dem Scheine des Rechts auf Forderungen zu beharren, die ich durchzusetzen kaum wünschen müßte und die, indem ich Widerstand finde, mir auf lebenslang den völligen Genuß eines Besitzes rauben, den ich auf billige Weise verbessern könnte. Ein leidlicher Vergleich und der unmittelbare Gebrauch sind besser als eine wohl gegründete Rechtssache die mir Verdruß macht und von der ich nicht einmal den Vorteil für meine Nachkommen einsehe.

AMTMANN. Euer Exzellenz erlauben, daß ich darin der entgegengesetzten Meinung sein darf. Ein Prozeß ist eine so reizende Sache, daß, wenn ich reich wäre, ich eher einige kaufen würde, um nicht ganz ohne dieses Vergnügen zu leben. Tritt ab.

GRÄFIN. Es scheint, daß er seine Lust an unsern Besitztümern büßen will.


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 187-189.
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