[223] König. Herzog. Eugenie.
KÖNIG näher tretend.
Hat sich die wackre Reiterin erholt?
Hat sie sich nicht beschädigt?
HERZOG.
Nein, mein König!
Und was noch übrig ist von Schreck und Weh,
Nimmst du, o Herr, durch deinen milden Blick,
Durch deiner Worte sanften Ton hinweg.
KÖNIG.
Und wem gehört es an, das liebe Kind?
HERZOG nach einer Pause.
Da du mich fragst, so darf ich dir bekennen;
Da du gebietest, darf ich sie vor dich
Als meine Tochter stellen.
KÖNIG.
Deine Tochter?
So hat für dich das Glück, mein lieber Oheim,
Unendlich mehr als das Gesetz getan.
EUGENIE.
Wohl muß ich fragen: ob ich wirklich denn
Aus jener tödlichen Betäubung mich
Ins Leben wieder aufgerafft? und ob,
Was mir begegnet, nicht ein Traumbild sei?
Mein Vater nennt vor seinem Könige
Mich seine Tochter. O, so bin ich's auch!
Der Oheim eines Königes bekennt
Mich für sein Kind, so bin ich denn die Nichte
Des großen Königs. O verzeihe mir
Die Majestät! wenn aus geheimnisvollem,
Verborgnem Zustand ich, ans Licht auf einmal
Hervorgerissen und geblendet, mich,
Unsicher, schwankend, nicht zu fassen weiß.
Sie wirft sich vor dem König nieder.
KÖNIG.
Mag diese Stellung die Ergebenheit
In dein Geschick, von Jugend auf, bezeichnen,
Die Demut, deren unbequeme Pflicht
Du, deiner höheren Geburt bewußt,
So manches Jahr im stillen ausgeübt!
Doch sei auch nun, wenn ich von meinen Füßen
Zu meinem Herzen dich herauf gehoben,
Er hebt sie auf und drückt sie sanft an sich.
[223]
Wenn ich des Oheims heil'gen Vaterkuß
Auf dieser Stirne schönen Raum gedrückt,
So sei dies auch ein Zeichen, sei ein Siegel:
Dich, die Verwandte, hab' ich anerkannt
Und werde bald, was hier geheim geschah,
Vor meines Hofes Augen wiederholen.
HERZOG.
So große Gabe fordert ungeteilten
Und unbegrenzten Dank des ganzen Lebens.
EUGENIE.
Von edlen Männern hab' ich viel gelernt,
Auch manches lehrte mich mein eigen Herz;
Doch meinen König anzureden, bin
Ich nicht entfernterweise vorbereitet.
Doch wenn ich schon das ganz Gehörige
Dir nicht zu sagen weiß, so möcht' ich doch
Vor dir, o Herr, nicht ungeschickt verstummen.
Was fehlte dir? was wäre dir zu bringen?
Die Fülle selber, die zu dir sich drängt,
Fließt, nur für andre strömend, wieder fort.
Hier stehen Tausende, dich zu beschützen,
Hier wirken Tausende nach deinem Wink;
Und wenn der einzelne dir Herz und Geist
Und Arm und Leben fröhlich opfern wollte:
In solcher großen Menge zählt er nicht,
Er muß vor dir und vor sich selbst verschwinden.
KÖNIG.
Wenn dir die Menge, gutes, edles Kind,
Bedeutend scheinen mag, so tadl' ich's nicht;
Sie ist bedeutend, mehr noch aber sind's
Die wenigen, geschaffen, dieser Menge
Durch Wirken, Bilden, Herrschen vorzustehn.
Berief hiezu den König die Geburt,
So sind ihm seine nächsten Anverwandten
Geborne Räte, die, mit ihm vereint,
Das Reich beschützen und beglücken sollten.
O träte doch in diese Regionen,
Zum Rate dieser hohen Wächter, nie
Vermummte Zwietracht, leise wirkend, ein!
Dir, edle Nichte, geb' ich einen Vater
Durch allgewalt'gen, königlichen Spruch;
Erhalte mir nun auch, gewinne mir[224]
Des nahverwandten Mannes Herz und Stimme!
Gar viele Widersacher hat ein Fürst:
O laß ihn jene Seite nicht verstärken!
HERZOG.
Mit welchem Vorwurf kränkest du mein Herz!
EUGENIE.
Wie unverständlich sind mir diese Worte!
KÖNIG.
O lerne sie nicht allzu früh verstehn!
Die Pforten unsers königlichen Hauses
Eröffn' ich dir mit eigner Hand; ich führe
Auf glatten Marmorboden dich hinein.
Noch staunst du dich, noch staunst du alles an,
Und in den innern Tiefen ahnest du
Nur sichre Würde mit Zufriedenheit.
Du wirst es anders finden! Ja, du bist
In eine Zeit gekommen, wo dein König
Dich nicht zum heitren, frohen Feste ruft,
Wenn er den Tag, der ihm das Leben gab,
In kurzem feiern wird; doch soll der Tag
Um deinetwillen mir willkommen sein:
Dort werd' ich dich im offnen Kreise sehn,
Und aller Augen werden auf dir haften.
Die schönste Zierde gab dir die Natur;
Und daß der Schmuck der Fürstin würdig sei,
Die Sorge laß dem Vater, laß dem König.
EUGENIE.
Der freud'gen Überraschung laut Geschrei,
Bedeutender Gebärde dringend Streben,
Vermöchten sie die Wonne zu bezeugen,
Die du dem Herzen schaffend aufgeregt?
Zu deinen Füßen, Herr, laß mich verstummen.
Sie will knieen.
KÖNIG hält sie ab.
Du sollst nicht knieen.
EUGENIE.
Laß, o laß mich hier
Der völligsten Ergebung Glück genießen.
Wenn wir in raschen, mutigen Momenten
Auf unsern Füßen stehen, strack und kühn,
Als eigner Stütze froh uns selbst vertraun,
Dann scheint uns Welt und Himmel zu gehören.
Doch was in Augenblicken der Entzückung
Die Kniee beugt, ist auch ein süß Gefühl.
Und was wir unserm Vater, König, Gott[225]
Von Wonnedank, von ungemeßner Liebe
Zum reinsten Opfer bringen möchten, drückt
In dieser Stellung sich am besten aus.
Sie fällt vor ihm nieder.
HERZOG kniet.
Erneute Huldigung gestatte mir.
EUGENIE.
Zu ewigen Vasallen nimm uns an.
KÖNIG.
Erhebt euch denn und stellt euch neben mich,
Ins Chor der Treuen, die an meiner Seite
Das Rechte, das Beständige beschützen.
O diese Zeit hat fürchterliche Zeichen:
Das Niedre schwillt, das Hohe senkt sich nieder,
Als könnte jeder nur am Platz des andern
Befriedigung verworrner Wünsche finden,
Nur dann sich glücklich fühlen, wenn nichts mehr
Zu unterscheiden wäre, wenn wir alle,
Von einem Strom vermischt dahingerissen,
Im Ozean uns unbemerkt verlören.
O laßt uns widerstehen, laßt uns tapfer,
Was uns und unser Volk erhalten kann,
Mit doppelt neuvereinter Kraft erhalten!
Laßt endlich uns den alten Zwist vergessen,
Der Große gegen Große reizt, von innen
Das Schiff durchbohrt, das gegen äußre Wellen
Geschlossen kämpfend nur sich halten kann.
EUGENIE.
Welch frisch wohltät'ger Glanz umleuchtet mich
Und regt mich auf, anstatt mich zu verblenden!
Wie! unser König achtet uns so sehr,
Um zu gestehen, daß er uns bedarf:
Wir sind ihm nicht Verwandte nur, wir sind
Durch sein Vertraun zum höchsten Platz erhoben.
Und wenn die Edlen seines Königreichs
Um ihn sich drängen, seine Brust zu schützen,
So fordert er uns auf zu größerm Dienst.
Die Herzen dem Regenten zu erhalten,
Ist jedes Wohlgesinnten höchste Pflicht:
Denn wo er wankt, wankt das gemeine Wesen,
Und wenn er fällt, mit ihm stürzt alles hin.
Die Jugend, sagt man, bilde sich zu viel
Auf ihre Kraft, auf ihren Willen ein;[226]
Doch dieser Wille, diese Kraft, auf ewig,
Was sie vermögen, dir gehört es an.
HERZOG.
Des Kindes Zuversicht, erhabner Fürst,
Weißt du zu schätzen, weißt du zu verzeihen.
Und wenn der Vater, der erfahrne Mann,
Die Gabe dieses Tags, die nächste Hoffnung
In ihrem ganzen Werte fühlt und wägt,
So bist du seines vollen Danks gewiß.
KÖNIG.
Wir wollen bald einander wiedersehn,
An jenem Fest, wo sich die treuen Meinen
Der Stunde freun, die mir das Licht gegeben.
Dich geb' ich, edles Kind, an diesem Tage
Der großen Welt, dem Hofe, deinem Vater
Und mir. Am Throne glänze dein Geschick.
Doch bis dahin verlang' ich von euch beiden
Verschwiegenheit. Was unter uns geschehn,
Erfahre niemand. Mißgunst lauert auf,
Schnell regt sie Wog' auf Woge, Sturm auf Sturm;
Das Fahrzeug treibt an jähe Klippen hin,
Wo selbst der Steirer nicht zu retten weiß.
Geheimnis nur verbürgte unsre Taten;
Ein Vorsatz, mitgeteilt, ist nicht mehr dein;
Der Zufall spielt mit deinem Willen schon;
Selbst wer gebieten kann, muß überraschen.
Ja, mit dem besten Willen leisten wir
So wenig, weil uns tausend Willen kreuzen.
O wäre mir zu meinen reinen Wünschen
Auch volle Kraft auf kurze Zeit gegeben:
Bis an den letzten Herd im Königreich
Empfände man des Vaters warme Sorge.
Begnügte sollten unter niedrem Dach,
Begnügte sollten im Palaste wohnen.
Und hätt' ich einmal ihres Glücks genossen,
Entsagt' ich gern dem Throne, gern der Welt.[227]
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Die natürliche Tochter
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