[341] Stellas Kabinett. Im Mondenschein.
Stella. Sie hat Fernandos Porträt und ist im Begriff, es von dem Blendrahmen loszumachen.
STELLA. Fülle der Nacht, umgib mich! fasse mich! leite mich! ich weiß nicht, wohin ich trete! – – Ich muß! ich will hinaus in die weite Welt! Wohin? Ach wohin? – Verbannt aus deiner Schöpfung! Wo du, heiliger Mond, auf den Wipfeln meiner Bäume dämmerst; wo du mit furchtbar lieben Schatten das Grab meiner holden Mina umgibst, soll ich nicht mehr wandeln? Von dem Ort, wo alle Schätze meines Lebens, alle selige Erinnerung aufbewahrt sind? – Und du, worüber ich so oft mit Andacht und Tränen gewohnt habe, Stätte meines Grabes! die ich mir weihte; wo umher alle Wehmut, alle Wonne meines Lebens dämmert; wo ich noch abgeschieden umzuschweben und die Vergangenheit allschmachtend zu genießen hoffte, von dir auch verbannt sein? – Verbannt sein! – Du bist stumpf! Gott sei Dank! dein Gehirn ist verwüstet; du kannst ihn nicht fassen, den Gedanken: Verbannt sein! Du würdest wahnsinnig werden! – – Nun! – O mir ist schwindlig! – Leb wohl! – Lebt wohl? Nimmerwiedersehen? – Es ist ein dumpfer Totenblick in dem Gefühl! Nicht wiedersehn? – Fort! Stella! Sie ergreift das Porträt. Und dich sollt ich zurücklassen? Sie nimmt ein Messer und fängt an, die Nägel loszubrechen. O daß ich ohne Gedanken wäre! daß ich in dumpfem Schlaf, daß ich in hinreißenden Tränen[341] mein Leben hingäbe! – – Das ist und wird sein: – du bist elend! – Das Gemälde nach dem Monde wendend. Ha, Fernando! da du zu mir tratst und mein Herz dir entgegensprang, fühltest du nicht das Vertrauen auf deine Treue deine Güte? – Fühltest du nicht, welch Heiligtum sich dir eröffnete, als sich mein Herz gegen dich aufschloß? – Und du bebtest nicht vor mir zurück? Versankst nicht? Entflohst nicht? – Du konntest meine Unschuld, mein Glück, mein Leben so zum Zeitvertreib pflücken, und zerpflücken, und am Wege gedankenlos hinstreuen? – Edler! – Ha, Edler! – Meine Jugend! – meine goldnen Tage! – Und du trägst die tiefe Tücke im Herzen! – Dein Weib! – deine Tochter! – Und mir war's frei in der Seele, rein wie ein Frühlingsmorgen! – Alles, alles Eine Hoffnung! – – Wo bist du, Stella? – Das Porträt anschauend. So groß! so schmeichelnd! – Der Blick war's, der mich ins Verderben riß! – – Ich hasse dich! Weg! wende dich weg! – So dämmernd! so lieb! – Nein! Nein! – Verderber! – Mich? – Mich? – Du? Mich? – Sie zuckt mit dem Messer nach dem Gemälde. Fernando! – Sie wendet sich ab, das Messer fällt, sie stürzt mit einem Ausbruch von Tränen vor den Stuhl nieder. Liebster! Liebster! – Vergebens! Vergebens!
Bedienter kommt.
BEDIENTER. Gnädige Frau! wie Sie befahlen, die Pferde sind an der hintern Gartentür. Ihre Wäsche ist aufgepackt. Vergessen Sie nicht Geld!
STELLA. Das Gemälde! Bedienter nimmt das Messer auf und schneidet das Gemälde von dem Rahmen und rollt's. Hier ist Geld.
BEDIENTER. Aber warum?
STELLA einen Moment stillstehend, auf- und umherblickend. Komm! Ab.
Saal.
Fernando.
FERNANDO. Laß mich! Laß mich! Sieh! da faßt's mich wieder mit all der schrecklichen Verworrenheit! – So kalt, so graß liegt alles vor mir – als wär die Welt nichts – ich hätte drin nichts verschuldet – – Und sie! – Ha! bin ich nicht[342] elender als ihr? Was habt ihr an mich zu fordern? – Was ist nun des Sinnens Ende? – Hier! und hier! Von einem Ende zum andern! durchgedacht! und wieder durchgedacht! und immer quälender! immer schrecklicher! – – Sich die Stirn haltend. Wo's zuletzt widerstößt! Nirgends vor, nicht hinter sich! Nirgends Rat und Hülfe! – Und diese zwei, diese drei besten weiblichen Geschöpfe der Erde? – elend durch mich – elend ohne mich! – Ach, noch elender mit mir! – Wenn ich klagen könnte, könnte verzweifeln, könnt um Vergebung bitten – könnt in stumpfer Hoffnung nur eine Stunde hinbringen – zu ihren Füßen liegen, und in teilnehmendem Elend Seligkeit genießen! – Wo sind sie? – Stella! du liegst auf deinem Angesichte, blickst sterbend nach dem Himmel, und ächzest: »Was hab ich Blume verschuldet, daß mich dein Grimm so niederknickt? Was hatte ich Arme verschuldet, daß du diesen Bösewicht zu mir führtest?« – – Cäcilie! Mein Weib! o mein Weib! – Elend! Elend! tiefes Elend! – Welche Seligkeiten vereinigen sich, um mich elend zu machen! – Gatte! Vater! Geliebter! – Die besten, edelsten weiblichen Geschöpfe – Dein! Dein? – Kannst du das fassen, die dreifache, unsägliche Wonne? – Und nur die ist's, die dich so ergreift, die dich zerreißt! – Jede fordert mich ganz – Und ich? – Hier ist's zu! – tief! unergründlich! – – Sie wird elend sein! Stella! bist elend! – Was hab ich dir geraubt? Das Bewußtsein deiner selbst, dein junges Leben! – Stella! – Und ich bin so kalt! Er nimmt eine Pistole vom Tisch. Doch, auf alle Fälle! – Er ladet.
Cäcilie kommt.
CÄCILIE. Mein Bester! wie ist uns? Sie sieht die Pistolen. Das sieht ja reisefertig aus!
FERNANDO legt sie nieder.
CÄCILIE. Mein Freund! Du scheinst mir gelassener. Kann man ein Wort mit dir reden?
FERNANDO. Was willst du, Cäcilie? Was willst du, mein Weib?
CÄCILIE. Nenne mich nicht so, bis ich ausgeredet habe. Wir sind nun wohl sehr verworren; sollte das nicht zu lösen sein? Ich hab viel gelitten, und drum nichts von gewaltsamen Entschlüssen. Vernimmst du mich, Fernando?[343]
FERNANDO. Ich höre!
CÄCILIE. Nimm's zu Herzen! Ich bin nur ein Weib, ein kummervolles, klagendes Weib; aber Entschluß ist in meiner Seele. – Fernando – ich bin entschlossen – ich verlasse dich!
FERNANDO spottend. Kurz und gut?
CÄCILIE. Meinst du, man müsse hinter der Tür Abschied nehmen, um zu verlassen, was man liebt?
FERNANDO. Cäcilie!
CÄCILIE. Ich werfe dir nichts vor, und glaube nicht, daß ich dir so viel aufopfere. Bisher beklagte ich deinen Verlust; ich härmte mich ab über das, was ich nicht ändern konnte. Ich finde dich wieder, deine Gegenwart flößt mir neues Leben, neue Kraft ein. Fernando, ich fühle, daß meine Liebe zu dir nicht eigennützig ist, nicht die Leidenschaft einer Liebhaberin, die alles dahingäbe, den erflehten Gegenstand zu besitzen. Fernando! mein Herz ist warm, und voll für dich; es ist das Gefühl einer Gattin, die, aus Liebe, selbst ihre Liebe hinzugeben vermag.
FERNANDO. Nimmer! Nimmer!
CÄCILIE. Du fährst auf?
FERNANDO. Du marterst mich!
CÄCILIE. Du sollst glücklich sein! Ich habe meine Tochter – und einen Freund an dir. Wir wollen scheiden, ohne getrennt zu sein. Ich will entfernt von dir leben und ein Zeuge deines Glücks bleiben. Deine Vertraute will ich sein; du sollst Freude und Kummer in meinen Busen ausgießen. Deine Briefe sollen mein einziges Leben sein, und die meinen sollen dir als ein lieber Besuch erscheinen – – Und so bleibst du mein, bist nicht mit Stella verbannt in einen Winkel der Erde, wir lieben uns, nehmen teil an einander! Und so, Fernando, gib mir deine Hand drauf.
FERNANDO. Als Scherz wär's zu grausam; als Ernst ist's unbegreiflich! – Wie's nun will, Beste! – Der kalte Sinn löst den Knoten nicht. Was du sagst, klingt schön, schmeckt süß. Wer nicht fühlte, daß darunter weit mehr verborgen liegt; daß du dich selbst betrügst, indem du die marterndsten Gefühle mit einem blendenden eingebildeten Troste schweigen machst. Nein, Cäcilie! Mein Weib, nein! – Du[344] bist mein – ich bleibe dein – Was sollen hier Worte? Was soll ich die Warums dir vortragen? Die Warums sind soviel Lügen. Ich bleibe dein, oder –
CÄCILIE. Nun denn! – Und Stella?
FERNANDO fährt auf und geht wild auf und ab.
CÄCILIE. Wer betrügt sich? Wer betäubt seine Qualen durch einen kalten, ungefühlten, ungedachten, vergänglichen Trost? Ja, ihr Männer kennt euch.
FERNANDO. Überhebe dich nicht deiner Gelassenheit! – Stella! Sie ist elend! Sie wird ihr Leben fern von mir und dir ausjammern. Laß sie! Laß mich!
CÄCILIE. Wohl, glaube ich, würde ihrem Herzen die Einsamkeit tun; wohl ihrer Zärtlichkeit, uns wieder vereinigt zu wissen. Jetzo macht sie sich bittere Vorwürfe. Sie würde mich immer für unglücklicher halten, wenn ich dich verließ, als ich wäre; denn sie berechnet mich nach sich. Sie würde nicht ruhig leben, nicht lieben können, der Engel! wenn sie fühlte, daß ihr Glück Raub wäre. Es ist ihr besser –
FERNANDO. Laß sie fliehen! Laß sie in ein Kloster!
CÄCILIE. Wenn ich nun aber wieder so denke: warum soll sie denn eingemauert sein? Was hat sie verschuldet, um eben die blühendsten Jahre, die Jahre der Fülle, der reifenden Hoffnung hinzutrauern, verzweifelnd am Abgrund hinzujammern? geschieden sein von ihrer lieben Welt! – von dem, den sie so glühend liebt? – von dem, der sie Nicht wahr, du liebst sie, Fernando?
FERNANDO. Ha! was soll das? Bist du ein böser Geist, in Gestalt meines Weibs? Was kehrst du mein Herz um und um? Was zerreißest du das zerrissene? Bin ich nicht zerstört, zerrüttet genug? Verlaß mich! Überlaß mich meinem Schicksal! – und Gott erbarme sich euer! Er wirft sich in einen Sessel.
CÄCILIE tritt zu ihm und nimmt ihn bei der Hand. Es war einmal ein Graf –
FERNANDO will aufspringen, sie hält ihn.
CÄCILIE. Ein deutscher Graf. Den trieb ein Gefühl frommer Pflicht von seiner Gemahlin, von seinen Gütern, nach dem Gelobten Lande –
FERNANDO. Ha![345]
CÄCILIE. Er war ein Biedermann; er liebte sein Weib, nahm Abschied von ihr, empfahl ihr sein Hauswesen, umarmte sie, und zog. Er zog durch viele Länder, kriegte, und ward gefangen. Seiner Sklaverei erbarmte sich seines Herrn Tochter; sie löste seine Fesseln, sie flohen. Sie geleitete ihn aufs neue durch alle Gefahren des Kriegs – Der liebe Waffenträger! – Mit Sieg bekrönt ging's nun zur Rückreise – zu seinem edeln Weibe! – Und sein Mädchen? Er fühlte Menschheit! – er glaubte an Menschheit, und nahm sie mit. – Sieh da, die wackre Hausfrau, die ihrem Gemahl entgegeneilt, sieht all ihre Treue, all ihr Vertrauen, ihre Hoffnungen belohnt, ihn wieder in ihren Armen. Und dann daneben seine Ritter, mit stolzer Ehre von ihren Rossen sich auf den vaterländischen Boden schwingend; seine Knechte, abladend die Beute, sie zu ihren Füßen legend; und sie schon in ihrem Sinn das all in ihren Schränken aufbewahrend, schon ihr Schloß mit auszierend, ihre Freunde mit beschenkend – »Edles, teures Weib, der größte Schatz ist noch zurück!« – Wer ist's, die dort verschleiert mit dem Gefolge naht? Sanft steigt sie vom Pferde – – »Hier!« – rief der Graf, sie bei der Hand fassend, sie seiner Frau entgegenführend – »hier! sieh das alles – und sie! nimm's aus ihren Händen – nimm mich aus ihren Händen wieder! Sie hat die Ketten von meinem Halse geschlossen, sie hat den Winden befohlen, sie hat mich erworben – hat mir gedient, mein gewartet! – Was bin ich ihr schuldig! – Da hast du sie! Belohn sie.« Fernando liegt schluchzend mit den Armen übern Tisch gebreitet. An ihrem Halse rief das treue Weib, in tausend Tränen rief sie: »Nimm alles, was ich dir geben kann! Nimm die Hälfte des, der ganz dein gehört – Nimm ihn ganz! Laß mir ihn ganz! Jede soll ihn haben, ohne der andern was zu rauben – Und«, rief sie an seinem Halse, zu seinen Füßen, »wir sind dein!« – – Sie faßten seine Hände, hingen an ihm – Und Gott im Himmel freute sich der Liebe, und sein heiliger Statthalter sprach seinen Segen dazu. Und ihr Glück und ihre Liebe faßte selig Eine Wohnung, Ein Bett, und Ein Grab.
FERNANDO. Gott im Himmel, der du uns Engel sendest in[346] der Not, schenk uns die Kraft, diese gewaltigen Erscheinungen zu ertragen! – Mein Weib! –
Er fällt wieder zusammen.
CÄCILIE eröffnet die Türe des Kabinetts und ruft. Stella!
STELLA ihr um den Hals fallend. Gott! Gott!
FERNANDO springt auf in der Bewegung zu fliehen.
CÄCILIE faßt ihn. Stella! nimm die Hälfte des, der ganz dein ist – du hast ihn gerettet – von ihm selbst gerettet – du gibst mir ihn wieder!
FERNANDO. Stella! Er neigt sich zu ihr.
STELLA. Ich faß es nicht!
CÄCILIE. Du fühlst's.
STELLA an seinem Hals. Ich darf? – –
CÄCILIE. Dankst du mir's, daß ich dich Flüchtling zurückhielt?
STELLA an ihrem Hals. O du! – –
FERNANDO beide umarmend. Mein! Mein!
STELLA seine Hand fassend, an ihm hangend. Ich bin dein!
CÄCILIE seine Hand fassend, an seinem Hals. Wir sind dein!
Ausgewählte Ausgaben von
Stella
|
Buchempfehlung
»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.
162 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro