Dritter Auftritt


[83] Die Vorigen. Tasso.


TASSO mit einem Buche in Pergament geheftet.

Ich komme langsam dir ein Werk zu bringen,

Und zaudre noch es dir zu überreichen.

Ich weiß zu wohl, noch bleibt es unvollendet,

Wenn es auch gleich geendigt scheinen möchte.

Allein, war ich besorgt es unvollkommen

Dir hinzugeben, so bezwingt mich nun

Die neue Sorge: Möcht ich doch nicht gern

Zu ängstlich, möcht ich nicht undankbar scheinen.

Und wie der Mensch nur sagen kann: Hie bin ich![83]

Daß Freunde seiner schonend sich erfreuen:

So kann ich auch nur sagen: Nimm es hin!


Er übergibt den Band.


ALFONS.

Du überraschest mich mit deiner Gabe

Und machst mir diesen schönen Tag zum Fest.

So halt ich's endlich denn in meinen Händen,

Und nenn es in gewissem Sinne mein!

Lang wünscht ich schon, du möchtest dich entschließen

Und endlich sagen: Hier! es ist genug.

TASSO.

Wenn ihr zufrieden seid, so ist's vollkommen;

Denn euch gehört es zu in jedem Sinn.

Betrachtet ich den Fleiß den ich verwendet,

Sah ich die Züge meiner Feder an,

So konnt ich sagen: dieses Werk ist mein.

Doch seh ich näher an, was dieser Dichtung

Den innren Wert und ihre Würde gibt,

Erkenn ich wohl, ich hab es nur von euch.

Wenn die Natur der Dichtung holde Gabe

Aus reicher Willkür freundlich mir geschenkt,

So hatte mich das eigensinnge Glück

Mit grimmiger Gewalt von sich gestoßen;

Und zog die schöne Welt den Blick des Knaben

Mit ihrer ganzen Fülle herrlich an,

So trübte bald den jugendlichen Sinn

Der teuren Eltern unverdiente Not.

Eröffnete die Lippe sich zu singen,

So floß ein traurig Lied von ihr herab,

Und ich begleitete mit leisen Tönen

Des Vaters Schmerzen und der Mutter Qual.

Du warst allein der aus dem engen Leben

Zu einer schönen Freiheit mich erhob;

Der jede Sorge mir vom Haupte nahm,

Mir Freiheit gab, daß meine Seele sich

Zu mutigem Gesang entfalten konnte;

Und welchen Preis nun auch mein Werk erhält,

Euch dank ich ihn, denn euch gehört es zu.

ALFONS.

Zum zweitenmal verdienst du jedes Lob

Und ehrst bescheiden dich und uns zugleich.

TASSO.

O könnt ich sagen wie ich lebhaft fühle[84]

Daß ich von euch nur habe was ich bringe!

Der tatenlose Jüngling – nahm er wohl

Die Dichtung aus sich selbst? Die kluge Leitung

Des raschen Krieges – hat er die ersonnen?

Die Kunst der Waffen, die ein jeder Held

An dem beschiednen Tage kräftig zeigt,

Des Feldherrn Klugheit und der Ritter Mut

Und wie sich List und Wachsamkeit bekämpft,

Hast du mir nicht, o kluger tapfrer Fürst,

Das alles eingeflößt als wärest du

Mein Genius, der eine Freude fände

Sein hohes, unerreichbar hohes Wesen

Durch einen Sterblichen zu offenbaren?

PRINZESSIN.

Genieße nun des Werks das uns erfreut!

ALFONS.

Erfreue dich des Beifalls jedes Guten.

LEONORE.

Des allgemeinen Ruhms erfreue dich.

TASSO.

Mir ist an diesem Augenblick genug.

An euch nur dacht ich wenn ich sann und schrieb,

Euch zu gefallen war mein höchster Wunsch,

Euch zu ergötzen war mein letzter Zweck.

Wer nicht die Welt in seinen Freunden sieht

Verdient nicht daß die Welt von ihm erfahre.

Hier ist mein Vaterland, hier ist der Kreis

In dem sich meine Seele gern verweilt.

Hier horch ich auf, hier acht ich jeden Wink.

Hier spricht Erfahrung, Wissenschaft, Geschmack,

Ja, Welt und Nachwelt seh ich vor mir stehn.

Die Menge macht den Künstler irr und scheu:

Nur wer euch ähnlich ist, versteht und fühlt,

Nur der allein soll richten und belohnen!

ALFONS.

Und stellen wir denn Welt und Nachwelt vor,

So ziemt es nicht nur müßig zu empfangen.

Das schöne Zeichen, das den Dichter ehrt,

Das selbst der Held, der seiner stets bedarf,

Ihm ohne Neid ums Haupt gewunden sieht,

Erblick ich hier auf deines Ahnherrn Stirne.


Auf die Herme Virgils deutend.


Hat es der Zufall, hat's ein Genius

Geflochten und gebracht? Es zeigt sich hier[85]

Uns nicht umsonst. Virgilen hör ich sagen:

Was ehret ihr die Toten? Hatten die

Doch ihren Lohn und Freude da sie lebten;

Und wenn ihr uns bewundert und verehrt,

So gebt auch den Lebendigen ihr Teil.

Mein Marmorbild ist schon bekränzt genug,

Der grüne Zweig gehört dem Leben an.


Alfons winkt seiner Schwester, sie nimmt den Kranz von der Büste Virgils und nähert sich Tasso. Er tritt zurück.


LEONORE.

Du weigerst dich? Sieh welche Hand den Kranz,

Den schönen unverwelklichen, dir bietet!

TASSO.

O laßt mich zögern, seh ich doch nicht ein

Wie ich nach dieser Stunde leben soll.

ALFONS.

In dem Genuß des herrlichen Besitzes,

Der dich im ersten Augenblick erschreckt.

PRINZESSIN indem sie den Kranz in die Höhe hält.

Du gönnest mir die seltne Freude, Tasso,

Dir ohne Wort zu sagen wie ich denke.

TASSO.

Die schöne Last aus deinen teuren Händen

Empfang ich knieend auf mein schwaches Haupt.


Er kniet nieder, die Prinzessin setzt ihm den Kranz auf.


LEONORE applaudierend.

Es lebe der zum erstenmal Bekränzte!

Wie zieret den bescheidnen Mann der Kranz!


Tasso steht auf.


ALFONS.

Es ist ein Vorbild nur von jener Krone,

Die auf dem Kapitol dich zieren soll.

PRINZESSIN.

Dort werden lautere Stimmen dich begrüßen,

Mit leiser Lippe lohnt die Freundschaft hier.

TASSO.

O nehmt ihn weg von meinem Haupte wieder,

Nehmt ihn hinweg! Er sengt mir meine Locken!

Und wie ein Strahl der Sonne, der zu heiß

Das Haupt mir träfe, brennt er mir die Kraft

Des Denkens aus der Stirne. Fieberhitze

Bewegt mein Blut. Verzeiht! Es ist zu viel!

LEONORE.

Es schützet dieser Zweig vielmehr das Haupt

Des Manns, der in den heißen Regionen

Des Ruhms zu wandeln hat, und kühlt die Stirne.

TASSO.

Ich bin nicht wert die Kühlung zu empfinden,[86]

Die nur um Heldenstirnen wehen soll.

O hebt ihn auf, ihr Götter, und verklärt

Ihn zwischen Wolken, daß er hoch und höher

Und unerreichbar schwebe! daß mein Leben

Nach diesem Ziel ein ewig Wandeln sei!

ALFONS.

Wer früh erwirbt, lernt früh den hohen Wert

Der holden Güter dieses Lebens schätzen;

Wer früh genießt, entbehrt in seinem Leben

Mit Willen nicht was er einmal besaß;

Und wer besitzt, der, muß gerüstet sein.

TASSO.

Und wer sich rüsten will, muß eine Kraft

Im Busen fühlen die ihm nie versagt.

Ach! sie versagt mir eben jetzt! Im Glück

Verläßt sie mich, die angeborne Kraft,

Die standhaft mich dem Unglück, stolz dem Unrecht

Begegnen lehrte. Hat die Freude mir,

Hat das Entzücken dieses Augenblicks

Das Mark in meinen Gliedern aufgelöst?

Es sinken meine Knie! Noch einmal

Siehst du, o Fürstin, mich gebeugt vor dir!

Erhöre meine Bitte; nimm ihn weg!

Daß wie aus einem schönen Traum erwacht

Ich ein erquicktes neues Leben fühle.

PRINZESSIN.

Wenn du bescheiden ruhig das Talent,

Das dir die Götter gaben, tragen kannst,

So lern auch diese Zweige tragen, die

Das Schönste sind was wir dir geben können.

Wem einmal, würdig, sie das Haupt berührt,

Dem schweben sie auf ewig um die Stirne.

TASSO.

So laßt mich denn beschämt von hinnen gehn!

Laßt mich mein Glück im tiefen Hain verbergen,

Wie ich sonst meine Schmerzen dort verbarg.

Dort will ich einsam wandeln, dort erinnert

Kein Auge mich ans unverdiente Glück.

Und zeigt mir ungefähr ein klarer Brunnen

In seinem reinen Spiegel einen Mann,

Der wunderbar bekränzt im Widerschein

Des Himmels zwischen Bäumen, zwischen Felsen

Nachdenkend ruht: so scheint es mir, ich sehe[87]

Elysium auf dieser Zauberfläche

Gebildet. Still bedenk ich mich und frage,

Wer mag der Abgeschiedne sein? Der Jüngling

Aus der vergangnen Zeit? So schön bekränzt?

Wer sagt mir seinen Namen? Sein Verdienst?

Ich warte lang und denke: käme doch

Ein andrer und noch einer, sich zu ihm

In freundlichem Gespräche zu gesellen!

O säh ich die Heroen, die Poeten

Der alten Zeit um diesen Quell versammelt!

O säh ich hier sie immer unzertrennlich,

Wie sie im Leben fest verbunden waren!

So bindet der Magnet durch seine Kraft

Das Eisen mit dem Eisen fest zusammen,

Wie gleiches Streben Held und Dichter bindet.

Homer vergaß sich selbst, sein ganzes Leben

War der Betrachtung zweier Männer heilig,

Und Alexander in Elysium

Eilt den Achill und den Homer zu suchen.

O daß ich gegenwärtig wäre, sie

Die größten Seelen nun vereint zu sehen!

LEONORE.

Erwach! Erwache! Laß uns nicht empfinden

Daß du das Gegenwärtge ganz verkennst.

TASSO.

Es ist die Gegenwart die mich erhöht,

Abwesend schein ich nur, ich bin entzückt.

PRINZESSIN.

Ich freue mich, wenn du mit Geistern redest,

Daß du so menschlich sprichst und hör es gern.


Ein Page tritt zu dem Fürsten und richtet leise etwas aus.


ALFONS.

Er ist gekommen! recht zur guten Stunde.

Antonio! – Bring ihn her – Da kommt er schon!


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 83-88.
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