[118] Prinzessin. Leonore.
PRINZESSIN.
Was bringst du, Leonore? sag mir an:
Wie steht's um unsre Freunde? Was geschah?
LEONORE.
Mehr als wir wissen hab ich nicht erfahren
Sie trafen hart zusammen, Tasso zog,
Dein Bruder trennte sie: allein es scheint,
Als habe Tasso diesen Streit begonnen.
Antonio geht frei umher und spricht
Mit seinem Fürsten, Tasso bleibt dagegen
Verbannt in seinem Zimmer und allein.
PRINZESSIN.
Gewiß hat ihn Antonio gereizt,
Den Hochgestimmten kalt und fremd beleidigt.
LEONORE.
Ich glaub es selbst. Denn eine Wolke stand,
Schon als er zu uns trat, um seine Stirn.
PRINZESSIN.
Ach daß wir doch dem reinen stillen Wink
Des Herzens nachzugehn so sehr verlernen!
Ganz leise spricht ein Gott in unsrer Brust,
Ganz leise, ganz vernehmlich, zeigt uns an,
Was zu ergreifen ist und was zu fliehn.
Antonio erschien mir heute früh
Viel schroffer noch als je, in sich gezogner.
Es warnte mich mein Geist, als neben ihn
Sich Tasso stellte. Sieh das Äußre nur[118]
Von beiden an, das Angesicht, den Ton,
Den Blick, den Tritt! es widerstrebt sich alles,
Sie können ewig keine Liebe wechseln.
Doch überredete die Hoffnung mich,
Die Gleisnerin, sie sind vernünftig beide,
Sind edel, unterrichtet, deine Freunde;
Und welch ein Band ist sichrer als der Guten?
Ich trieb den Jüngling an; er gab sich ganz;
Wie schön, wie warm ergab er ganz sich mir!
O hätt ich gleich Antonio gesprochen!
Ich zauderte; es war nur kurze Zeit;
Ich scheute mich, gleich mit den ersten Worten
Und dringend ihm den Jüngling zu empfehlen,
Verließ auf Sitte mich und Höflichkeit,
Auf den Gebrauch der Welt, der sich so glatt
Selbst zwischen Feinde legt; befürchtete
Von dem geprüften Manne diese Jähe
Der raschen Jugend nicht. Es ist geschehn.
Das Übel stand mir fern, nun ist es da.
O gib mir einen Rat! was ist zu tun?
LEONORE.
Wie schwer zu raten sei, das fühlst du selbst
Nach dem was du gesagt. Es ist nicht hier
Ein Mißverständnis zwischen Gleichgestimmten;
Das stellen Worte, ja im Notfall stellen
Es Waffen leicht und glücklich wieder her.
Zwei Männer sind's, ich hab es lang gefühlt,
Die darum Feinde sind, weil die Natur
Nicht einen Mann aus ihnen beiden formte.
Und wären sie zu ihrem Vorteil klug,
So würden sie als Freunde sich verbinden.
Dann stünden sie für einen Mann, und gingen
Mit Macht und Glück und Lust durchs Leben hin.
So hofft ich selbst, nun seh ich wohl umsonst.
Der Zwist von heute, sei er wie er sei,
Ist beizulegen; doch das sichert uns
Nicht für die Zukunft, für den Morgen nicht.
Es wär am besten, dächt ich, Tasso reiste
Auf eine Zeit von hier; er könnte ja
Nach Rom, auch nach Florenz sich wenden; dort[119]
Träf ich in wenig Wochen ihn, und könnte
Auf sein Gemüt als eine Freundin wirken.
Du würdest hier indessen den Antonio,
Der uns so fremd geworden, dir aufs neue
Und deinen Freunden näher bringen; so
Gewährte das, was jetzt unmöglich scheint,
Die gute Zeit vielleicht, die vieles gibt.
PRINZESSIN.
Du willst dich in Genuß, o Freundin, setzen,
Ich soll entbehren; heißt das billig sein?
LEONORE.
Entbehren wirst du nichts, als was du doch
In diesem Falle nicht genießen könntest.
PRINZESSIN.
So ruhig soll ich einen Freund verbannen?
LEONORE.
Erhalten, den du nur zum Schein verbannst
PRINZESSIN.
Mein Bruder wird ihn nicht mit Willen lassen.
LEONORE.
Wenn er es sieht wie wir, so gibt er nach.
PRINZESSIN.
Es ist so schwer, im Freunde sich verdammen.
LEONORE.
Und dennoch rettest du den Freund in dir.
PRINZESSIN.
Ich gebe nicht mein Ja, daß es geschehe.
LEONORE.
So warte noch ein größres Übel ab.
PRINZESSIN.
Du peinigst mich und weißt nicht ob du nützest.
LEONORE.
Wir werden bald entdecken, wer sich irrt.
PRINZESSIN.
Und soll es sein, so frage mich nicht länger.
LEONORE.
Wer sich entschließen kann, besiegt den Schmerz.
PRINZESSIN.
Entschlossen bin ich nicht, allein es sei,
Wenn er sich nicht auf lange Zeit entfernt –
Und laß uns für ihn sorgen, Leonore,
Daß er nicht etwa künftig Mangel leide,
Daß ihm der Herzog seinen Unterhalt
Auch in der Ferne willig reichen lasse.
Sprich mit Antonio, denn er vermag
Bei meinem Bruder viel, und wird den Streit
Nicht unserm Freund und uns gedenken wollen.
LEONORE.
Ein Wort von dir, Prinzessin, gölte mehr.
PRINZESSIN.
Ich kann, du weißt es, meine Freundin, nicht
Wie's meine Schwester von Urbino kann,
Für mich und für die Meinen was erbitten.
Ich lebe gern so stille vor mich hin
Und nehme von dem Bruder dankbar an,
Was er mir immer geben kann und will.[120]
Ich habe sonst darüber manchen Vorwurf
Mir selbst gemacht, nun hab ich überwunden.
Es schalt mich eine Freundin oft darum:
Du bist uneigennützig, sagte sie,
Das ist recht schön, allein du bist's so sehr,
Daß du auch das Bedürfnis deiner Freunde
Nicht recht empfinden kannst. Ich laß es gehn
Und muß denn eben diesen Vorwurf tragen.
Um desto mehr erfreut es mich, daß ich
Nun in der Tat dem Freunde nützen kann;
Es fällt mir meiner Mutter Erbschaft zu,
Und gerne will ich für ihn sorgen helfen.
LEONORE.
Und ich, o Fürstin, finde mich im Falle,
Daß ich als Freundin auch mich zeigen kann.
Er ist kein guter Wirt; wo es ihm fehlt,
Werd ich ihm schon geschickt zu helfen wissen.
PRINZESSIN.
So nimm ihn weg, und, soll ich ihn entbehren,
Vor allen andern sei er dir gegönnt!
Ich seh es wohl, so wird es besser sein!
Muß ich denn wieder diesen Schmerz als gut
Und heilsam preisen? Das war mein Geschick
Von Jugend auf, ich bin nun dran gewöhnt.
Nur halb ist der Verlust des schönsten Glücks,
Wenn wir auf den Besitz nicht sicher zählten.
LEONORE.
Ich hoffe, dich so schön du es verdienst
Glücklich zu sehn!
PRINZESSIN.
Eleonore! Glücklich?
Wer ist denn glücklich? – Meinen Bruder zwar
Möcht ich so nennen, denn sein großes Herz
Trägt sein Geschick mit immer gleichem Mut;
Allein was er verdient, das ward ihm nie.
Ist meine Schwester von Urbino glücklich?
Das schöne Weib, das edle große Herz!
Sie bringt dem jüngern Manne keine Kinder;
Er achtet sie und läßt sie's nicht entgelten,
Doch keine Freude wohnt in ihrem Haus.
Was half denn unsrer Mutter ihre Klugheit?
Die Kenntnis jeder Art, ihr großer Sinn?
Konnt er sie vor dem fremden Irrtum schützen?[121]
Man nahm uns von ihr weg; nun ist sie tot,
Sie ließ uns Kindern nicht den Trost, daß sie
Mit ihrem Gott versöhnt gestorben sei.
LEONORE.
O blicke nicht nach dem, was jedem fehlt,
Betrachte, was noch einem jeden bleibt!
Was bleibt nicht dir, Prinzessin?
PRINZESSIN.
Was mir bleibt?
Geduld, Eleonore! üben konnt ich die
Von Jugend auf. Wenn Freunde, wenn Geschwister
Bei Fest und Spiel gesellig sich erfreuten,
Hielt Krankheit mich auf meinem Zimmer fest,
Und in Gesellschaft mancher Leiden mußt
Ich früh entbehren lernen. Eines war,
Was in der Einsamkeit mich schön ergötzte,
Die Freude des Gesangs; ich unterhielt
Mich mit mir selbst, ich wiegte Schmerz und Sehnsucht
Und jeden Wunsch mit leisen Tönen ein.
Da wurde Leiden oft Genuß und selbst
Das traurige Gefühl zur Harmonie.
Nicht lang war mir dies Glück gegönnt, auch dieses
Nahm mir der Arzt hinweg; sein streng Gebot
Hieß mich verstummen; leben sollt ich, leiden,
Den einzgen kleinen Trost sollt ich entbehren!
LEONORE.
So viele Freunde fanden sich zu dir,
Und nun bist du gesund, bist lebensfroh.
PRINZESSIN.
Ich bin gesund, das heißt, ich bin nicht krank;
Und manche Freunde hab ich, deren Treue
Mich glücklich macht. Auch hatt ich einen Freund –
LEONORE.
Du hast ihn noch.
PRINZESSIN.
Und werd ihn bald verlieren.
Der Augenblick, da ich zuerst ihn sah,
War viel bedeutend. Kaum erholt ich mich
Von manchen Leiden; Schmerz und Krankheit waren
Kaum erst gewichen. Still bescheiden blickt ich
Ins Leben wieder, freute mich des Tags
Und der Geschwister wieder, sog beherzt
Der süßen Hoffnung reinsten Balsam ein.
Ich wagt es vorwärts in das Leben weiter
Hinein zu sehn, und freundliche Gestalten[122]
Begegneten mir aus der Ferne. Da,
Eleonore, stellte mir den Jüngling
Die Schwester vor; er kam an ihrer Hand,
Und daß ich dir's gestehe, da ergriff
Ihn mein Gemüt und wird ihn ewig halten.
LEONORE.
O meine Fürstin, laß dich's nicht gereuen!
Das Edle zu erkennen, ist Gewinst,
Der nimmer uns entrissen werden kann.
PRINZESSIN.
Zu fürchten ist das Schöne, das Fürtreffliche,
Wie eine Flamme, die so herrlich nützt,
So lange sie auf deinem Herde brennt,
So lang sie dir von einer Fackel leuchtet,
Wie hold! wer mag, wer kann sie da entbehren?
Und frißt sie ungehütet um sich her,
Wie elend kann sie machen! Laß mich nun.
Ich bin geschwätzig und verbärge besser
Auch selbst vor dir, wie schwach ich bin und krank.
LEONORE.
Die Krankheit des Gemütes löset sich
In Klagen und Vertraun am leichtsten auf.
PRINZESSIN.
Wenn das Vertrauen heilt, so heil ich bald;
Ich hab es rein und hab es ganz zu dir.
Ach, meine Freundin! Zwar ich bin entschlossen,
Er scheide nur; allein ich fühle schon
Den langen ausgedehnten Schmerz der Tage, wenn
Ich nun entbehren soll was mich erfreute.
Die Sonne hebt von meinen Augenlidern
Nicht mehr sein schön verklärtes Traumbild auf;
Die Hoffnung ihn zu sehen füllt nicht mehr
Den kaum erwachten Geist mit froher Sehnsucht;
Mein erster Blick hinab in unsre Gärten
Sucht ihn vergebens in dem Tau der Schatten.
Wie schön befriedigt fühlte sich der Wunsch
Mit ihm zu sein an jedem heitern Abend!
Wie mehrte sich im Umgang das Verlangen
Sich mehr zu kennen, mehr sich zu verstehn,
Und täglich stimmte das Gemüt sich schöner
Zu immer reinern Harmonien auf.
Welch eine Dämmrung fällt nun vor mir ein!
Der Sonne Pracht, das fröhliche Gefühl[123]
Des hohen Tags, der tausendfachen Welt
Glanzreiche Gegenwart, ist öd und tief
Im Nebel eingehüllt, der mich umgibt.
Sonst war mir jeder Tag ein ganzes Leben;
Die Sorge schwieg, die Ahndung selbst verstummte,
Und glücklich eingeschifft trug uns der Strom
Auf leichten Wellen ohne Ruder hin:
Nun überfällt in trüber Gegenwart
Der Zukunft Schrecken heimlich meine Brust.
LEONORE.
Die Zukunft gibt dir deine Freunde wieder,
Und bringt dir neue Freude, neues Glück.
PRINZESSIN.
Was ich besitze, mag ich gern bewahren:
Der Wechsel unterhält, doch nutzt er kaum.
Mit jugendlicher Sehnsucht griff ich nie
Begierig in den Lostopf fremder Welt,
Für mein bedürfend unerfahren Herz
Zufällig einen Gegenstand zu haschen.
Ihn mußt ich ehren, darum liebt ich ihn;
Ich mußt ihn lieben, weil mit ihm mein Leben
Zum Leben ward, wie ich es nie gekannt.
Erst sagt ich mir, entferne dich von ihm!
Ich wich und wich und kam nur immer näher.
So lieblich angelockt, so hart bestraft!
Ein reines wahres Gut verschwindet mir,
Und meiner Sehnsucht schiebt ein böser Geist
Statt Freud und Glück verwandte Schmerzen unter.
LEONORE.
Wenn einer Freundin Wort nicht trösten kann,
So wird die stille Kraft der schönen Welt,
Der guten Zeit dich unvermerkt erquicken.
PRINZESSIN.
Wohl ist sie schön die Welt! in ihrer Weite
Bewegt sich so viel Gutes hin und her.
Ach daß es immer nur um einen Schritt
Von uns sich zu entfernen scheint,
Und unsre bange Sehnsucht durch das Leben
Auch Schritt vor Schritt bis nach dem Grabe lockt!
So selten ist es, daß die Menschen finden,
Was ihnen doch bestimmt gewesen schien,
So selten, daß sie das erhalten, was
Auch einmal die beglückte Hand ergriff![124]
Es reißt sich los, was erst sich uns ergab,
Wir lassen los, was wir begierig faßten.
Es gibt ein Glück, allein wir kennen's nicht:
Wir kennen's wohl, und wissen's nicht zu schätzen.
Ausgewählte Ausgaben von
Torquato Tasso
|
Buchempfehlung
Anselm vertritt die Satisfaktionslehre, nach der der Tod Jesu ein nötiges Opfer war, um Gottes Ehrverletzung durch den Sündenfall des Menschen zu sühnen. Nur Gott selbst war groß genug, das Opfer den menschlichen Sündenfall überwiegen zu lassen, daher musste Gott Mensch werden und sündenlos sterben.
86 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro