[215] Um uns nun über das Verhältnis der Despoten zu den Ihrigen, und wiefern es noch menschlich sei, einigermaßen aufzuklären, auch uns über das knechtische Verfahren der Dichter vielleicht zu beruhigen, möge eine und die andere Stelle hier eingeschaltet sein, welche Zeugnis gibt, wie Geschichts- und Weltkenner hierüber geurteilt. Ein bedächtiger Engländer drückt sich folgendermaßen aus:
»Unumschränkte Gewalt, welche in Europa durch Gewohnheiten und Umsicht einer gebildeten Zeit zu gemäßigten Regierungen gesänftiget wird, behält bei asiatischen Nationen immer einerlei Charakter und bewegt sich beinahe in demselben Verlauf. Denn die geringen Unterschiede, welche des Menschen Staatswert und Würde bezeichnen, sind bloß von des Despoten persönlicher Gemütsart abhängig und von dessen Macht, ja öfters mehr von dieser als jener. Kann doch kein Land zum Glück gedeihen, das fortwährend dem Krieg ausgesetzt ist, wie es von der frühsten Zeit an das Schicksal aller östlichen schwächeren Königreiche gewesen. Daraus folgt, daß die größte Glückseligkeit, deren die Masse unter unumschränkter Herrschaft genießen kann, sich aus der Gewalt und dem Ruf ihres Monarchen herschreibe, so wie das Wohlbehagen, worin sich dessen Untertanen einigermaßen[215] erfreuen, wesentlich auf den Stolz begründet ist, zu dem ein solcher Fürst sie erhebt.
Wir dürfen daher nicht bloß an niedrige und verkäufliche Gesinnungen denken, wenn die Schmeichelei uns auffällt, welche sie dem Fürsten erzeigen. Fühllos gegen den Wert der Freiheit, unbekannt mit allen übrigen Regierungsformen, rühmen sie ihren eigenen Zustand, worin es ihnen weder an Sicherheit ermangelt noch an Behagen, und sind nicht allein willig, sondern stolz, sich vor einem erhöhten Manne zu demütigen, wenn sie in der Größe seiner Macht Zuflucht finden und Schutz gegen größeres unterdrückendes Übel.«
Gleichfalls läßt sich ein deutscher Rezensent geist- und kenntnisreich also vernehmen:
»Der Verfasser, allerdings Bewunderer des hohen Schwungs der Panegyriker dieses Zeitraums, tadelt zugleich mit Recht die sich im Überschwung der Lobpreisungen vergeudende Kraft edler Gemüter und die Erniedrigung der Charakterwürde, welche dies gewöhnlich zur Folge hat. Allein es muß gleichwohl bemerkt werden, daß in dem in vielfachem Schmucke reicher Vollendung aufgeführten Kunstgebäude eines echt poetischen Volkes panegyrische Dichtung ebenso wesentlich ist als die satirische, mit welcher sie nur den Gegensatz bildet, dessen Auflösung sich sodann entweder in der moralischen Dichtung, der ruhigen Richterin menschlicher Vorzüge und Gebrechen, der Führerin zum Ziele innerer Beruhigung, oder im Epos findet, welches mit unparteiischer Kühnheit das Edelste menschlicher Trefflichkeit neben die nicht mehr getadelte, sondern als zum Ganzen wirkende Gewöhnlichkeit des Lebens hinstellt und beide Gegensätze auflöst und zu einem reinen Bilde des Daseins vereinigt. Wenn es nämlich der menschlichen Natur gemäß und ein Zeichen ihrer höheren Abkunft ist, daß sie das Edle menschlicher Handlungen und jede höhere Vollkommenheit mit Begeisterung erfaßt und sich an deren Erwägung gleichsam das innere Leben erneuert, so ist die Lobpreisung auch der Macht und Gewalt, wie sie in Fürsten sich offenbart, eine herrliche Erscheinung[216] im Gebiete der Poesie und bei uns, mit vollestem Rechte zwar, nur darum in Verachtung gesunken, weil diejenigen, die sich derselben hingaben, meistens nicht Dichter, sondern nur feile Schmeichler gewesen. Wer aber, der Calderon seinen König preisen hört, mag hier, wo der kühnste Aufschwung der Phantasie ihn mit fortreißt, an Käuflichkeit des Lobes denken? oder wer hat sein Herz noch gegen Pindars Siegeshymnen verwahren wollen? Die despotische Natur der Herrscherwürde Persiens, wenn sie gleich in jener Zeit ihr Gegenbild in gemeiner Anbetung der Gewalt bei den meisten, welche Fürstenlob sangen, gefunden, hat dennoch durch die Idee verklärter Macht, die sie in edlen Gemütern erzeugte, auch manche der Bewunderung der Nachwelt werte Dichtungen hervorgerufen. Und wie die Dichter dieser Bewunderung noch heute wert sind, sind es auch diese Fürsten, bei welchen wir echte Anerkennung der Würde des Menschen und Begeisterung für die Kunst, welche ihr Andenken feiert, vorfinden. Enweri, Chakani, Sahir Farjabi und Achestegi sind die Dichter dieses Zeitraums im Fache der Panegyrik, deren Werke der Orient noch heute mit Entzücken liest und so auch ihren edlen Namen vor jeder Verunglimpfung sicherstellt. Ein Beweis, wie nahe das Streben des panegyrischen Dichters an die höchste Forderung, die an den Menschen gestellt werden kann, grenze, ist der plötzliche Übertritt eines dieser panegyrischen Dichter, Sanajis, zur religiösen Dichtung: aus dem Lobpreiser seines Fürsten ward er ein nur für Gott und die ewige Vollkommenheit begeisterter Sänger, nachdem er die Idee des Erhabenen, die er vorher im Leben aufzusuchen sich begnügte, nun jenseits dieses Daseins zu finden gelernt hatte.«
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West-östlicher Divan
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