[212] Die persische Dichtkunst aber, und was ihr ähnlich ist, wird von dem Westländer niemals ganz rein, mit vollem Behagen aufgenommen werden; worüber wir aufgeklärt sein müssen, wenn uns der Genuß daran nicht unversehens gestört werden soll.
Es ist aber nicht die Religion, die uns von jener Dichtkunst entfernt. Die Einheit Gottes, Ergebung in seinen Willen, Vermittlung durch einen Propheten, alles stimmt mehr oder weniger mit unserm Glauben, mit unserer Vorstellungsweise überein. Unsere heiligen Bücher liegen auch dort, ob nur gleich legendenweis, zum Grund.
In die Märchen jener Gegend, Fabeln, Parabeln, Anekdoten, Witz- und Scherzreden sind wir längst eingeweiht. Auch ihre Mystik sollte uns ansprechen; sie verdiente wenigstens, eines tiefen und gründlichen Ernstes wegen, mit der unsrigen verglichen zu werden, die in der neusten Zeit, genau betrachtet, doch eigentlich nur eine charakter- und talentlose Sehnsucht ausdrückt; wie sie sich denn schon selbst parodiert, zeuge der Vers:
Mir will ewiger Durst nur frommen
Nach dem Durste.[212]
Ausgewählte Ausgaben von
West-östlicher Divan
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