1755-1760

1571.*


Zwischen 1755 und 1760.


Mit den Eltern

Oft sah er [Goethe] nach den Sternen, von denen man ihm sagte, daß sie bei seiner Geburt eingestanden haben; hier mußte die Einbildungskraft der Mutter oft das Unmögliche thun, um seinen Forschungen Genüge zu leisten, und so hatte er bald heraus, daß Jupiter und Venus die Regenten und Beschützer seiner Geschicke sein würden. Kein Spielwerk konnte ihn nun mehr fesseln, als das Zahlbret seines Vaters, auf dem er mit Zahlpfennigen die Stellung der Gestirne nachmachte, wie er sie gesehen hatte; er stellte dieses Zahlbret an sein Bett und glaubte sich dadurch dem Einfluß seiner günstigen Sterne näher gerückt. Er sagte auch oft zur Mutter sorgenvoll: die Sterne werden mich doch nicht vergessen und werden halten, was sie bei meiner Wiege versprochen haben? Da sagte die Mutter: warum willst Du denn mit Gewalt den Beistand der Sterne, da wir andere doch ohne sie fertig werden müssen? Da sagte er ganz stolz: »mit dem, was anderen Leuten genügt, kann ich nicht fertig werden.« Damals war er sieben Jahr alt.

Sonderbar fiel es der Mutter auf, daß er bei dem Tod seines jüngeren Bruders Jakob [11. Januar 1759],[1] der sein Spielkamerad war, keine Thräne vergoß, er schien vielmehr eine Art Ärger über die Klagen der Eltern und Geschwister zu haben; da die Mutter nun später den Trotzigen fragte, ob er den Bruder nicht lieb gehabt habe, lief er in seine Kammer, brachte unter dem Bette hervor eine Menge Papiere, die mit Lectionen und Geschichtchen beschrieben waren, er sagte ihr, daß er dieß alles gemacht habe, um es dem Bruder zu lehren.

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Betrachtungen aller Art [über das Erdbeben von Lissabon] wurden in Gegenwart der Kinder vielseitig besprochen, die Bibel wurde aufgeschlagen; dieß alles beschäftigte den Wolfgang tiefer, als einer ahnen konnte, und er machte am Ende eine Auslegung davon, die alle an Weisheit übertraf. Nachdem er mit dem Großvater aus einer Predigt kam, in welcher die Weisheit des Schöpfers gleichsam gegen die betroffene Menschheit vertheidigt wurde, und der Vater ihn fragte, wie er die Predigt verstanden habe, sagte er: »Amende mag alles noch viel einfacher sein, als der Prediger meint; Gott wird wol wissen, daß der unsterblichen Seele durch böses Schicksal kein Schaden geschehen kann.«[2]


Quelle:
Goethes Gespräche. Herausgegeben von Woldemar Freiherr von Biedermann, Band 1–10, Leipzig 1889–1896, Band 10, S. 1-3.
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