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1778, um 20. Mai.
Wenn Sie [Gleim] ihn hätten kommen sehen, unerwartet in unsre Thür treten, mit den Augen meine Mutter suchen, mit seinen Augen! Ach! unaussprechlich reizend war die Scene. So kommt nur reuige Liebe zu Liebe ..... Das weiß ich [Caroline Luise Hempel], daß in seinen großen hellen Augen der ganze Goethe strahlte, nicht der stammende, zugreifende, ungenügsame[244] Goethe, der, welcher Lotten Brod schneiden sah. Der war's ungefähr, nur daß sein Mund stumm blieb, und Goethe stumm blieb beim Eintritt, beim Umarmen und einiger Wendung bis zum Sitze, da denn meine Mutter die erste Frage an ihn that. Ich hätte gar zu gern die Hand auf seine liebe Brust gelegt, ob nur sein Herz auch das geschlagen hätte, was sein seraphgleiches Stummsein verkündigte, aber der Mensch wirft soviel Respect aus seinen Augen, daß ich mich kaum traute, in seiner Gegen wart zu bleiben. Ich mußte einpaarmal hinaus, lief aber geschwind wieder hinein und da hört ich einmal, daß meine Mutter von Ihnen frug; er antwortete wider seine Gewohnheit in dreien Theilen darauf, und ich fühlt' es, daß Ihr Name sein Ohr tränkte und daß er gerne mehr von Ihnen gesprochen hätte, wenn bei einem Fest-Besuche die Reden nicht zur bloßen Cour wären ..... Mama sagte zu Goethe: Sie habe eine neugeborne Dichterin zur Enkelin. »Wie alt ist sie?« Vierzehn Wochen sagte sie. »So lassen Sie dieselbe Dichterin sein bis sie sprechen kann.« War das wohl menschenfreundlich von dem Unart?
Ich [A. L. Karsch] frug ihn, ob er nicht auch das Vergnügen kosten wolle, Vater zu sein. Er schien's nicht weit von sich zu werfen; er ist ein großer Kinderfreund, und eben dieser Zug läßt mich hoffen, daß er[245] auch ein guter Ehemann werden wird .... Vielleicht kommt er bald mit seinem Herzog allein auf längere Zeit her: beim Abschied ließ er sich so was verlauten. Ich gab ihm einpaar frische Rosen, und geschwind hub er einen Strohhalm von der Erd' auf, band damit die Rosen zusammen und steckte sie auf den Hut. Er liebt die freimüthigen offenherzigen Leute und mag's gern haben, wenn er geliebt wird; das gefällt ihm besser, als hohes Lob.[246]
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1778, Mai (?).
In früheren Zeiten besuchte Goethe in seines fürstlichen Freundes Gefolge Wörlitz oft auf mehrere Wochen. Einst an einem heiteren Sommernachmittage gesellte[49] man sich unter der Vorhalle des Schlosses zusammen. Die Fürstin war mit einer Stickerei beschäftigt, der Fürst las etwas vor, Goethe zeichnete, und ein Hofcavalier überließ ohne Zwang und Sorge sich indeß der behaglichen Verführung des Nichtsthuns. Da zog ein Bienenschwarm vorüber. Goethe sagte: »Die Menschen, an denen ein Bienenschwarm vorüberzieht, treiben nach einem alten Volksglauben dasjenige, was gerade im Augenblicke des Ansummens von ihnen mit Vorliebe getrieben wurde, noch sehr oft und sehr lange. Die Fürstin wird noch viel und noch recht köstlich sticken, der Fürst wird noch unzähligemal interessante Sachen vorlesen, ich selbst werde gewiß unaufhörlich im Zeichnen fortmachen, und Sie, mein Herr Kammerherr, werden bis ins Unendliche faullenzen.«[50]