101.*
1793, 18. März.
Wir kamen um 11 Uhr nach Weimar, kleideten uns mit Blitzesschnelligkeit um ..... und verfügten uns... zu Goethe. Sein Bedienter sagte uns, es wäre jetzt ein Graf bei ihm, der ihn Schwerlich vor 1 Uhr verlassen dürfte, und wir möchten nur gegen zwei wiederkommen. Ich ließ mich nicht abschrecken, sondern sagte dem Bedienten, er möchte uns nur als Berliner melden, die einen Brief vom Hofrath Moritz mitbrächten. Hierauf wurden wir zwei Treppen hinaufgeführt ..... Aus der Treppe kommt man in ein Vorzimmer,... aus diesem Zimmer in ein kleines, niedliches, in welches wir zugleich mit Goethe, den wir aus dem andern Theil der Wohnung kommen und mehrere Zimmer durchgehen sahen, als wir noch in der[139] Antichambre waren, hereintraten. Er hatte uns nicht zwei Minuten warten lassen.
– – – – – – –
Er hat uns ungemein höflich aufgenommen; als er auf uns zukam, sah er uns recht freundlich an, (sein Blick ist gewöhnlich ernsthaft, oder ohne alle Arroganz wie es scheint; wenn er sich nicht an einen wendet, so sieht er gesenkt zur Erde, mit den Händen auf dem Rücken und spricht so fort) fragte nach dem Endzwecke unserer Reise, erzählte uns, daß es in Frankfurt sehr lebhaft aussähe, daß er Frieden wünsche u.s.w. Nachdem er einen Brief durchgelesen hatte, erkundigte er sich kaltblütig, aber mit vieler Aufmerksamkeit nach Moritz. Sobald ich nur von ihm und der Entweichung seiner Frau zu reden angefangen hatte, sagte er in einem sehr ernsthaften Ton: »Er muß jetzt viel arbeiten, er muß arbeiten; er ist wirklich ein gar lieber Mann, und wenn er etwas unternimmt, so greift er die Sache immer so ganz recht an. Er hat wirklich zu gar vielen Sachen ein recht hübsches Talent. Hm! Herkommen kann er freilich nicht; er muß sehr viel Arbeit haben.« Er ließ sich nun noch über unsere Reise selbst, über die Kriegsoperationen mit uns ein, sprach aber von keiner Partei mit Decision, jedoch immer natürlich, immer, als ob er nur die Sachen, nicht die Worte suchte. Man hört's ihm noch manchmal an, daß er aus dem Reich ist, wie er uns auch selbst sagte. Das Zimmer, in welchem wir standen – sitzen ließ er uns nicht –[140] war mit grünen Tapeten ganz modern geziert .... Eine Viertelstunde – eher mehr, als weniger – hielt er uns auf, machte dann eine bedeutend lächelnde Miene und wir waren nicht dumm. Nach Mendelssohn erkundigte er sich gar nicht, ohngeachtet im Briefe Herr Veit als dessen Schwiegersohn genannt ist. Überhaupt haben wir keinen literarischen Punkt berührt; er fragte nicht einmal nach Moritzens neuesten Sachen; der Mann hat nicht unrecht, wenn ihm mies ist. Er begleitete uns aus der Antichambre und war noch beim Abschiede sehr höflich.[141]
1454.*
1793, Juni oder Juli.
Von einem Adjutanten des Herzogs Karl August von Sachsen-Weimar hatte auch Goethe, der seit einigen Tagen ebenfalls wieder in unserm Lager vor Mainz anwesend war, gehört, daß ich in dieser Batterie commandire. Er besuchte mich alsbald,... und dies war mir ein sicheres Zeichen, daß er eine gewisse Werthschätzung gegen meine Person hege und meine soldatische Aufrichtigkeit nicht übel genommen habe. Auch als Goethe zu uns kam, sahen wir alle vom Pulverdampf arg mitgenommen aus, und meine Fäuste waren so schwarz, daß ich ihm kaum die Hand schütteln konnte. Er meinte lachend: jetzt sehe er uns doch so recht bei der Arbeit, aber unser Handwerk gefiele ihm nicht; dabei würde man zu schwarz und schmutzig, und die Ohren müßten ja von all dem Gekrache und Gesause zerspringen. Ich antwortete ihm scherzend: freilich, bei seiner Arbeit als Schriftsteller könne man sich nur mit Dintenklexen an den Fingern beschmutzen, während wir[254] von Pulverdampf schwarz würden, und der Gesang seiner Schauspielerinnen im Theater zu Weimar kitzele die Ohren wohl sanfter, als das Gekrache unserer Vierundzwanzigpfünder, dafür schaffe unsere Arbeit aber auch besser, als die seine. Auch Goethe brannte ein Geschütz ab [wie vorher Karl August], der Zufall wollte aber, daß nichts mit seinem Schusse getroffen wurde. Später war er noch einmal in meiner Batterie, als wir Bomben auf Mainz warfen und die Flugbahnen der großen Geschosse mit ihrem Feuerschein in der dunkeln Nacht interessirten ihn sehr. Ich habe bei einer andern Gelegenheit einmal ein langes Gespräch mit ihm darüber gehabt, wie wir Artilleristen die Flugbahnen der Geschosse am Raschesten und Praktischsten berechnen können, und merkte dabei, daß er ein ganz tüchtiger Mathematiker sei, dem die verschiedenen mathematischen Formeln vollkommen geläufig waren.[255]
102.*
1793, 12. August.
Nachdem Goethe am 1. August Gerning aufgefordert hatte, ihn zu besuchen, führte letzterer dies bei Goethes Rückkehr nach Frankfurt aus.
An diesem Morgen hatte ich das gewünschte Glück, bei Goethe zu sein, ihm mein poetisches Zeug zu bringen und von ihm schönen Unterricht zu empfangen. Es schien ihm nicht übel zu behagen, und weil ich Anlage oder Liebhaberei dran hätte, so müßte ich auch die nöthigen Grundlagen wissen. Er rieth mir besonders zu Hexametern und Pentametern, worin er mir ein artiges Gedicht, »Das Wiedersehn«, zeigte. Moritzens »Prosodie« und Herder's »Zerstreute Blätter« rieth er mir auch an.[141]
103.*
1793, 14. August.
Von 10-11 Uhr bei Goethe, der mich um meine Pläne fragte, welche ich ihm – nämlich den des Wählens und Neapelsehens – genüglich erklärte. Er rieth mir, vorher einen Cursum von 3-6 Monden in Jena oder Weimar zu machen, das besser wäre, als 10 Jahre literarischen Vegetirens. Der Edle scheint doch mein Zeug zu liken.[142]
104.*
1793, 15. August.
Mit Goethe um's Thor gewandelt; über das zerstreuende Glück, das ihn oft genirende Zeitverlieren etc. gesprochen und zu Barkhausens gegangen, Louisens Gemälde und Zeichnungen bewundert, wo eben deren ältere Schwester, Frau v. Oettingen von Wetzlar, eine weiland Amasia Goethes ankam, der er entgegenging und welche ihm noch schmachtende Augen zuwarf.[142]
105.*
1793, 18. August.
Nach dem Essen zu Goethe, der mir wieder, und wärmer Jena anrieth. Wir sprachen von seinen Jugendproducten z.B. »Von deutscher Baukunst«, worüber er sagte: »wir empfinden da zu lebhaft« und: der Gegenstand wäre nicht immer so der, obgleich richtigen Empfindung werth. Er gab mir einen Kupferstich von Lips an Sophie [Bethmann] zu schicken, mit einem Verslein.[143]
106.*
1793, 20. August.
Heute früh deutete mir Goethe seine morgende Abreise an, und diesen Abend 7 1/2-8 Uhr habe ich noch erwünscht bei ihm zugebracht, über vielerlei gesprochen: ja nach Weimar und Jena zu kommen, wo er mich gut bewirthen und besorgen wolle etc. ..... Goethe gab mir noch einige Wein-, Tuch- etc. Aufträge, er bot mir seine Dienste, Wohnung in Jena etc. zu besorgen und nahm herzvollen Abschied von mir.[143]
Buchempfehlung
Seine naturalistische Darstellung eines Vater-Sohn Konfliktes leitet Spitteler 1898 mit einem Programm zum »Inneren Monolog« ein. Zwei Jahre später erscheint Schnitzlers »Leutnant Gustl" der als Schlüsseltext und Einführung des inneren Monologes in die deutsche Literatur gilt.
110 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro