1825

1737.*


Nach 1824.


Mit Christian Schuchardt und allgemeines

über Goethes Gespräche


a.

Ich [Robert Springer] sprach dann über Goethe's Verhältniß zu Zelter und äußerte:... Zelter müsse meiner Vermuthung nach der intimste Freund Goethe's gewesen sein. Schuchardt wollte das nicht zugeben; Zelter sei zu einseitig gewesen. ›Derjenige‹, sagte er, ›mit welchem Goethe im herzlichsten Einvernehmen stand, war Heinrich Meyer.‹ – »Jedenfalls weil derselbe in allen Kunstanschauungen mit ihm übereinstimmte.« – ›Ja, aber merkwürdigerweise standen sie sich dessen ungeachtet immer gegenüber und hatten stets mit einander zu streiten.‹ – Dieß war mir neu und[133] widerlegte die oft ausgesprochene Behauptung, daß Goethe sich amliebsten mit unterthänigen Nachschleichern und solchen Leuten umgeben habe, die ihm keinen Widerspruch entgegensetzten.

Auf die eigenen Erfahrungen im Umgang mit Goethe hingelenkt, erzählte mir der alte Herr manche ausdrucksvolle Charakterzüge. ›Er war ein verdammt liebenswürdiger Kerl!‹ rief er, sich halb vergessend, in seiner treuherzigen thüringischen Mundart aus. ›Stets war er ruhig, heiter und human; ich habe ihn nie anders gesehen. Mit jedem hatte er Geduld und Nachsicht, selbst mit Kerlen, die ich amliebsten zur Thüre hinausgeworfen hätte. Erst im reiferen Alter wurde es mir klar, weshalb er jeden so ruhig und widerspruchslos anhörte: es lag ihm vorallem daran, die Menschen, mit denen er, wenn auch nur vorübergehend, zu thun hatte, kennen zu lernen, und er wußte wohl, daß dieß ambesten dadurch erreicht wird, wenn man das Individuum, anstatt es durch Widerspruch zu verwirren und zu reizen, frei seine Meinung aussprechen läßt. Auch an mir, dem damals noch jungen Mann, hatte er oft Gelegenheit seine Geduld und Nachsicht zu bewähren. Niemals schalt er, wenn ich gegen oder ohne seinen Willen nach meinem eigenen Sinne gehandelt hatte. Er fragte mich nur in größter Ruhe: ›Warum haben Sie das gethan?‹ und widerlegte mich dann mit wenigen überzeugenden Worten. In seinen Zurechtweisungen war er immer bündig und praktisch und einmal legte er mir selber[134] die Hand aus das Lineal zurecht, als ich mich beim Liniiren ungeschickt benahm. – Ein Dintenfleck aus dem Manuscript war ihm ein Greuel, aber dennoch wurde er niemals unwillig, sondern suchte mich einfürallemal durch eine kleine Anekdote zu bessern. ›Ich will Ihnen einmal etwas erzählen, junger Mann,‹ sagte er bei dieser Gelegenheit; ›wenn es dem Herzog von Gotha beim Briefschreiben begegnete, daß die Schleife eines Buchstabens, wie beim h, g u.s.w. in der Dinte zusammenlief, so fing er den Brief vonneuem an.‹‹


b.

Ob Goethe beim Dictiren im Zimmer aufundnieder gegangen sei, fragte ich weiter; denn es war für mich von Interesse, zu erfahren, unter welchen äußeren Umständen sich die erhabensten Gedankenfrüchte aus der körperlichen Rinde gelöst hätten. ›Auf und nieder ging er nicht‹; war die Antwort; ›denn dazu fehlte es in dem engen Zimmer an Raum. Goethe ging, wenn er dictirte, um den Tisch herum. Von dieser Art des Dictirens können Sie sich schwerlich eine Vorstellung machen: es floß ihm ohne Unterbrechung, ohne Stockung vom Munde, daß man Mühe hatte, mit der Feder zu folgen. Keine Störung konnte ihn wesentlich irre machen. Es geschah leider oft genug, daß er durch lästige Besuche abgerufen wurde; er zog dann gewöhnlich in der Eile einen blauen Überrock an und begab sich[135] in das Empfangszimmer. Wenn er aber zurückkehrte, nahm er das Dictat an der Stelle wieder auf, wo er stehen geblieben war, ohne sich die letzten Sätze erst in die Erinnerung zurückrufen zu lassen.‹

Dieses geläufige Produciren, meinte ich, sei wol eben daraus zu erklären, daß Goethe schon vor dem Dictiren die Stoffe jahrelang in sich herumgetragen, in seinem Geiste bewegt und theilweise schon völlig ausgearbeitet habe. ›Freilich wol!‹ bestätigte Schuchardt. ›Meyer, gegen den ich mich verwundert darüber aussprach, erzählte mir sogar: Goethe habe ihn aus einer Fahrt von Jena nach Weimar im Wagen ganze Abschnitte aus den »Wahlverwandtschaften«, von denen damals noch nichts niedergeschrieben gewesen, so geläufig vorgetragen, als ob er von einem Buche abgelesen habe. Aber es erklärt sich besonders daraus, daß Goethe sich beim Vortrage ganz in die Sache versetzte, alle Vorgänge, die er schilderte, im Geiste miterlebte. Er sprach mit mächtiger Stimme, mit dramatischem Ausdruck, und ich fuhr manchmal zusammen, wenn er, mir zu den »Wanderjahren« dictirend, die Personen drastisch oder pathetisch vorführte. Dabei schien er weder mich noch irgendetwas von seiner alltäglichen Umgebung zu bemerken.‹[136]


970.*


1825, 10. Januar.


Mit Eckermann und einem englischen

Ingenieuroffizier H.

Bei seinem großen Interesse für die englische Nation hatte Goethe mich ersucht, die hier anwesenden jungen Engländer ihm nach und nach vorzustellen. Heute um fünf Uhr erwartete er mich mit dem englischen Ingenieuroffizier Herrn H., von welchem ich ihm vorläufig viel Gutes hatte sagen können. Wir gingen also zur bestimmten Stunde hin und wurden durch den Bedienten in ein angenehm erwärmtes Zimmer geführt, wo Goethe in der Regel nachmittags und abends zu sein pflegt. Drei Lichter brannten auf dem Tische; aber Goethe war nicht darin, wir hörten ihn in dem anstoßenden Saale sprechen .....

Nachdem wir einige Minuten gewartet hatten, trat Goethe zu uns herein und begrüßte uns freundlich. »Ich darf Sie geradezu in deutscher Sprache anreden,« wendete er sich an Herrn H.; »denn ich höre, Sie sind im Deutschen schon recht bewandert.« Dieser erwiederte hierauf mit wenigem freundlich, und Goethe bat uns darauf, Platz zu nehmen.

Die Persönlichkeit des Herrn H. mußte auf Goethe einen guten Eindruck machen, denn seine große Liebenswürdigkeit und heitere Milde zeigte sich dem Fremden gegenüber heute in ihrer wahren Schönheit. »Sie[122] haben wohlgethan,« sagte er, »daß Sie, um deutsch zu lernen, zu uns herübergekommen sind, wo Sie nicht allein die Sprache leicht und schnell gewinnen, sondern auch die Elemente, worauf sie ruht, unsern Boden, Klima, Lebensart, Sitten, gesellschaftlichen Verkehr, Verfassung und dergleichen mit nach England im Geiste hinübernehmen.«

»Das Interesse für die deutsche Sprache,« erwiederte Herr H., »ist jetzt in England groß und wird täglich allgemeiner, sodaß jetzt fast kein junger Engländer von guter Familie ist, der nicht deutsch lernte.«

»Wir Deutschen,« versetzte Goethe freundlich, »haben es jedoch Ihrer Nation in dieser Hinsicht um ein halbes Jahrhundert zuvorgethan. Ich beschäftige mich seit fünfzig Jahren mit der englischen Sprache und Literatur, sodaß ich Ihre Schriftsteller und das Leben und die Einrichtung Ihres Landes sehr gut kenne. Käme ich nach England hinüber, ich würde kein Fremder sein.

Aber, wie gesagt, Ihre jungen Landsteute thun wohl, daß sie jetzt zu uns kommen und auch unsere Sprache lernen; denn nicht allein daß unsere eigene Literatur es an sich verdient, sondern es ist auch nicht zu leugnen, daß wenn einer jetzt das Deutsche gut versteht, er viele andere Sprachen entbehren kann. Von der französischen rede ich nicht, sie ist die Sprache des Umgangs und ganz besonders auf Reisen unentbehrlich, weil sie jeder versteht und man sich in allen Ländern mit ihr statt eines guten Dolmetschers aushelfen[123] kann. Was aber das Griechische, Lateinische, Italienische und Spanische betrifft, so können wir die vorzüglichsten Werke dieser Nationen in so guten deutschen Übersetzungen lesen, daß wir ohne ganz besondere Zwecke nicht Ursache haben, auf die mühsame Erlernung jener Sprachen viele Zeit zu verwenden. Es liegt in der deutschen Natur, alles Ausländische in seiner Art zu würdigen und sich fremder Eigenthümlichkeit zu bequemen. Dieses und die große Fügsamkeit unserer Sprache macht denn die deutschen Übersetzungen durchaus treu und vollkommen.

Und dann ist wohl nicht zu leugnen, daß man im allgemeinen mit einer guten Übersetzung sehr weit kommt. Friedrich der Große konnte kein Latein, aber er las seinen Cicero in der französischen Übersetzung ebenso gut als wir andern in der Ursprache.«

Dann das Gespräch auf das Theater wendend, fragte Goethe Herrn H., ob er es viel besuche. »Ich besuche das Theater jeden Abend,« antwortete dieser, »und ich finde, daß der Gewinn für das Verstehen der Sprache sehr groß ist.« – »Es ist merkwürdig,« erwiederte Goethe, »daß das Ohr und überall das Vermögen des Verstehens dem des Sprechens voraufeilt, sodaß einer bald sehr gut alles verstehen, aber keineswegs alles ausdrücken kann.« – »Ich finde täglich,« entgegnete Herr H., »daß diese Bemerkung sehr wahr ist; denn ich verstehe sehr gut alles, was gesprochen wird, auch sehr gut alles, was ich lese, ja ich fühle[124] sogar, wenn einer im Deutschen sich nicht richtig ausdrückt. Allein wenn ich spreche, so stockt es, und ich weiß nicht recht zu sagen was ich möchte. Eine leichte Conversation bei Hofe, ein Spaß mit den Damen, eine Unterhaltung beim Tanz und dergleichen gelingt mir schon. Will ich aber im Deutschen über einen höhern Gegenstand meine Meinung hervorbringen, will ich etwas Eigenthümliches und Geistreiches sagen, so stockt es und ich kann nicht fort.« – »Da trösten und beruhigen Sie sich nur,« erwiederte Goethe; »denn dergleichen Ungewöhnliches auszudrücken wird uns wohl in unserer eigenen Muttersprache schwer.«

Goethe fragte darauf Herrn H., was er von deutscher Literatur gelesen habe. »Ich habe den ›Egmont‹ gelesen,« antwortete dieser, »und habe an dem Buche so viele Freude gehabt, daß ich dreimal zu ihm zurückgekehrt bin. So auch hat ›Torquato Tasso‹ mir vielen Genuß gewährt. Jetzt lese ich den ›Faust‹; ich finde aber, daß er ein wenig schwer ist.« Goethe lachte bei diesen letzten Worten. »Freilich,« sagte er, »würde ich Ihnen zum ›Faust‹ noch nicht gerathen haben. Es ist tolles Zeug und geht über alle gewöhnlichen Empfindungen hinaus. Aber da Sie es von selbst gethan haben, ohne mich zu fragen, so mögen Sie sehen, wie Sie durchkommen. Faust ist ein so seltsames Individuum, daß nur wenige Menschen seine innern Zustände nachempfinden können. So der Character des Mephistopheles ist durch die Ironie und als lebendiges[125] Resultat einer großen Weltbetrachtung wieder etwas sehr Schweres. Doch sehen Sie zu, was für Lichter sich Ihnen dabei aufthun. Der ›Tasso‹ dagegen steht dem allgemeinen Menschengefühl bei weitem näher, auch ist das Ausführliche seiner Form einem leichtern Verständniß günstig.« – »Dennoch,« erwiederte Herr H., »hält man in Deutschland den ›Tasso‹ für schwer, sodaß man sich wunderte, als ich sagte, daß ich ihn lese.« – »Die Hauptsache beim ›Tasso‹,« sagte Goethe, »ist die, daß man kein Kind mehr sei und gute Gesellschaft nicht entbehrt habe. Ein junger Mann von guter Familie mit hinreichendem Geist und Zartsinn und genugsamer äußern Bildung, wie sie aus dem Umgange mit vollendeten Menschen der höhern und höchsten Stände hervorgeht, wird den ›Tasso‹ nicht schwer finden.«

Das Gespräch lenke sich auf den ›Egmont‹, und Goethe sagte darüber folgendes: »Ich schrieb den ›Egmont‹ im Jahre 1775, also vor fünfzig Jahren. Ich hielt mich sehr treu an die Geschichte und strebte nach möglichster Wahrheit. Als ich darauf zehn Jahre später in Rom war, las ich in den Zeitungen, daß die geschilderten revolutionären Scenen in den Niederlanden sich buchstäblich wiederholten. Ich sah daraus, daß die Welt immer dieselbige bleibt, und daß meine Darstellung einiges Leben haben mußte.«

Unter diesen und ähnlichen Gesprächen war die Zeit des Theaters herangekommen, und wir standen auf und wurden von Goethe freundlich entlassen.

[126] Im Nachhausegehen fragte ich Herrn H., wie ihm Goethe gefallen. »Ich habe nie einen Mann gesehen,« antwortete dieser, »der bei aller liebevollen Milde so viel angeborene Würde besäße. Er ist immer groß, er mag sich stellen und sich herablassen wie er wolle.«[127]


971.*


1825, 18. Januar.


Mit Johann Peter Eckermann,

Wilhelm Rehbein

und Friedrich Wilhelm Riemer

Ich ging heute um 5 Uhr zu Goethe, den ich in einigen Tagen nicht gesehen hatte, und verlebte mit ihm einen schönen Abend. Ich fand ihn in seiner Arbeitsstube in der Dämmerung sitzend, in Gesprächen mit seinem Sohn und dem Hofrath Rehbein, seinem Arzt. Ich setzte mich zu ihnen an den Tisch. Wir sprachen noch eine Weile in der Dämmerung; dann ward Licht gebracht, und ich hatte die Freude, Goethe vollkommen frisch und heiter vor mir zu sehen.

Er erkundigte sich, wie gewöhnlich, theilnehmend nach dem, was mir in diesen Tagen Neues begegnet, und ich erzählte ihm, daß ich die Bekanntschaft einer Dichterin1 gemacht habe. Ich konnte zugleich ihr nicht gewöhnliches Talent rühmen, und Goethe, der einige ihrer Produkte gleichfalls kannte, stimmte in dieses Lob mit ein. »Eins von ihren Gedichten,« sagte er, »wo sie eine Gegend ihrer Heimath beschreibt, ist von einem höchst eigenthümlichen Character. Sie hat eine[127] gute Richtung auf äußere Gegenstände, auch fehlt es ihr nicht an guten innern Eigenschaften. Freilich wäre auch manches an ihr auszusetzen, wir wollen sie jedoch gehen lassen und sie auf dem Wege nicht irren, den das Talent ihr zeigen wird.«

Das Gespräch kam nun auf die Dichterinnen im allgemeinen, und der Hofrath Rehbein bemerkte, daß das poetische Talent der Frauenzimmer ihm oft als eine Art von geistigem Geschlechtstriebe vorkomme. »Da hören Sie nur,« sagte Goethe lachend, indem er mich ansah, »geistigen Geschlechtstrieb! – wie der Arzt das zurechtlegt!« – »Ich weiß nicht, ob ich mich recht ausdrücke,« fuhr dieser fort, »aber es ist so etwas. Gewöhnlich haben diese Wesen das Glück der Liebe nicht genossen, und sie suchen nun in geistigen Richtungen Ersatz. Wären Sie zu rechter Zeit verheirathet und hätten sie Kinder geboren, sie würden an poetische Productionen nicht gedacht haben.«

»Ich will nicht untersuchen,« sagte Goethe, »in wiefern Sie in diesem Falle recht haben; aber bei Frauenzimmertalenten anderer Art habe ich immer gefunden, daß sie mit der Ehe aufhörten. Ich habe Mädchen gekannt, die vortrefflich zeichneten, aber sobald sie Frauen und Mütter wurden, war es aus; sie hatten mit den Kindern zu thun und nahmen keinen Griffel mehr in die Hand.

Doch unsere Dichterinnen,« fuhr er sehr lebhaft fort, »möchten immer dichten und schreiben so viel sie[128] wollten, wenn nur unsere Männer nicht wie die Weiber schrieben! Aber das ist es, was mir nicht gefällt. Man sehe doch nur unsere Zeitschriften und Taschenbücher, wie das alles so schwach ist und immer schwächer wird! Wenn man jetzt ein Kapitel des ›Cellini‹ im ›Morgenblatt‹ abdrucken ließe, wie würde sich das ausnehmen!

Unterdessen,« fuhr er heiter fort, »wollen wir es gut sein lassen und uns unsers kräftigen Mädchens in Halle [Therese Albertine Luise v. Jakob] freuen, die uns mit männlichem Geiste in die serbische Welt einführt. Die Gedichte sind vortrefflich! Es sind einige darunter, die sich dem ›Hohen Liede‹ an die Seite setzen lassen, und das will etwas heißen. Ich habe den Aufsatz über diese Gedichte beendigt, und er ist auch bereits abgedruckt.« Mit diesen Worten reichte er mir die ersten vier Aushängebogen eines neuen Heftes von ›Kunst und Alterthum‹ zu, wo ich diesen Aufsatz fand. »Ich habe die einzelnen Gedichte ihrem Hauptinhalte nach mit kurzen Worten characterisirt, und Sie werden sich über die köstlichen Motive freuen. Rehbein ist ja auch der Poesie nicht unkundig, wenigstens was den Gehalt und Stoff betrifft, und er hört vielleicht gern mit zu, wenn Sie diese Stelle vorlesen.«

Ich las den Inhalt der einzelnen Gedichte langsam.

– – – – – – –

Ich bemerkte, daß diese bloßen Motive so viel Leben in mir anregten, als läse ich die Gedichte selbst, und daß ich daher nach dem Ausgeführten gar kein Verlangen trage.

[129] »Sie haben ganz recht,« sagte Goethe, »es ist so. Aber Sie sehen daraus die große Wichtigkeit der Motive, die niemand begreifen will. Unsere Frauenzimmer haben davon nun vollends keine Ahnung. Dies Gedicht ist schön, sagen sie, und denken dabei blos an die Empfindungen, an die Worte, an die Verse. Daß aber die wahre Kraft und Wirkung eines Gedichts in der Situation, in den Motiven besteht, daran denkt niemand. Und aus diesem Grunde werden denn auch Tausende von Gedichten gemacht, wo das Motiv durchaus null ist und die blos durch Empfindungen und klingende Verse eine Art von Existenz vorspiegeln. Überhaupt haben die Dilettanten und besonders die Frauen von der Poesie sehr schwache Begriffe. Sie glauben gewöhnlich, wenn sie nur das Technische loshätten, so hätten sie das Wesen und wären gemachte Leute; allein sie sind sehr in der Irre.«

Professor Riemer ließ sich melden; Hofrath Rehbein empfahl sich. Riemer setzte sich zu uns. Das Gespräch über die Motive der serbischen Liebesgedichte ging fort. Riemer kannte schon, wovon die Rede war, und er machte die Bemerkung, daß man nach den obigen Inhaltsandeutungen nicht allein Gedichte machen könne, sondern daß auch jene Motive, ohne sie aus dem Serbischen gekannt zu haben, von deutscher Seite schon wären gebraucht und gebildet worden. Er gedachte hierauf einiger Gedichte von sich selber, so wie mir während dem Lesen schon[130] einige Gedichte von Goethe eingefallen waren, die ich erwähnte.

»Die Welt bleibt immer dieselbe,« sagte Goethe, »die Zustände wiederholen sich; das eine Volk lebt, liebt und empfindet wie das andere, warum sollte denn der eine Poet nicht wie der andere dichten? Die Situationen des Lebens sind sich gleich, warum sollten denn die Situationen der Gedichte sich nicht gleich sein?«

»Und eben diese Gleichheit des Lebens und der Empfindungen,« sagte Riemer, »macht es ja, daß wir imstande sind, die Poesie anderer Völker zu verstehen. Wäre dieses nicht, so würden wir ja bei ausländischen Gedichten nie wissen, wovon die Rede ist.«

»Mir sind daher,« nahm ich das Wort, »immer die Gelehrten höchst seltsam vorgekommen, welche die Meinung zu haben scheinen, das Dichten geschehe nicht vom Leben zum Gedicht, sondern vom Buche zum Gedicht. Sie sagen immer: das hat er dort her, und das dort! Finden sie z.B. beim Shakespeare Stellen, die bei den Alten auch vorkommen, so soll er es auch von den Alten haben! So giebt es unter andern beim Shakespeare eine Situation, wo man beim Anblick eines schönen Mädchens die Eltern glücklich preist, die sie Tochter nennen, und den Jüngling glücklich, der sie als Braut heimführen wird. Und weil nun beim Homer dasselbige vorkommt, so soll es der Shakespeare auch vom Homer haben! Wie wunderlich! Als ob man nach solchen Dingen so weit zu gehen brauchte, und[131] als ob man dergleichen nicht täglich vor Augen hätte und empfände und ausspräche!«

»Ach ja,« sagte Goethe, »das ist höchst lächerlich.«

»So auch,« fuhr ich fort, »zeigt selbst Lord Byron sich nicht klüger, wenn er Ihren ›Faust‹ zerstückelt und der Meinung ist, als hätten Sie dieses hier her und jenes dort.«

»Ich habe,« sagte Goethe, »alle jene von Lord Byron angeführten Herrlichkeiten größtentheils nicht einmal gelesen, viel weniger habe ich daran gedacht, als ich den ›Faust‹ machte. Aber Lord Byron ist nur groß, wenn er dichtet; sobald er reflectirt, ist er ein Kind. So weiß er sich auch gegen dergleichen ihn selbst betreffende unverständige Angriffe seiner eigenen Nation nicht zu helfen; er hätte sich stärker dagegen ausdrücken sollen. Was da ist, das ist mein – hätte er sagen sollen, und ob ich es aus dem Leben oder aus dem Buche genommen, das ist gleichviel; es kam blos darauf an, daß ich es recht gebrauchte! Walter Scott benutzte eine Scene meines ›Egmont‹, und er hatte ein Recht dazu, und weil es mit Verstand geschah, so ist er zu loben. So auch hat er den Character meiner Mignon in einem seiner Romane nachgebildet; ob aber mit ebenso viel Weisheit, ist eine andere Frage. Lord Byron's verwandelter Teufel ist ein fortgesetzter Mephistopheles, und das ist recht. Hätte er aus origineller Grille ausweichen wollen, er hätte es schlechter machen müssen. So singt mein[132] Mephistopheles ein Lied von Shakespeare, und warum sollte er das nicht? Warum sollte ich mir die Mühe geben, ein eigenes zu erfinden, wenn das von Shakespeare eben recht war und eben das sagte, was es sollte? Hat daher auch die Exposition meines ›Faust‹ mit der des ›Hiob‹ einige Ähnlichkeit, so ist das wiederum ganz recht, und ich bin deswegen eher zu loben als zu tadeln.«

Goethe war in der besten Laune. Er ließ eine Flasche Wein kommen, wovon er Riemern und mir einschenkte; er selbst trank Marienbader Wasser. Der Abend schien bestimmt zu sein, mit Riemern das Manuscript seiner fortgesetzten Selbstbiographie durchzugehen, um vielleicht hinsichtlich des Ausdrucks hin und wieder noch einiges zu verbessern. »Eckermann bleibt wohl bei uns und hört mit zu,« sagte Goethe, welches mir sehr lieb war zu vernehmen. Und so legte er denn Riemern das Manuscript vor, der mit dem Jahre 1795 zu lesen anfing.

In Goethen . . . war die geschilderte Lebensepoche rege, er schwelgte in Erinnerungen und ergänzte bei Erwähnung einzelner Personen und Vorfälle das Geschriebene durch detaillirte mündliche Erzählung. Es war ein köstlicher Abend! Der bedeutensten mitlebenden Männer ward wiederholt gedacht; zu Schillern jedoch, der dieser Epoche von 1795 bis 1800 am engsten verflochten war, kehrte das Gespräch immer von neuem zurück. Das Theater war ein Gegenstand ihres gemeinsamen[133] Wirkens gewesen; so auch fallen Goethes vorzüglichste Werke in jene Zeit: der ›Wilhelm Meister‹ wird beendigt, ›Hermann und Dorothea‹ gleich hinterher entworfen und geschrieben, ›Cellini‹ übersetzt für die ›Horen‹, die ›Xenien‹ gemeinschaftlich gedichtet für ›Schillers Musenalmanach‹. An täglichen Berührungspunkten war kein Mangel. Dieses alles kam nun diesen Abend zur Sprache, und es fehlte Goethen nicht an Anlaß zu den interessantesten Äußerungen.

»›Hermann und Dorothea‹«, sagte er unter anderm, »ist fast das einzige meiner größern Gedichte, das mir noch Freude macht; ich kann es nie ohne innigen Antheil lesen. Besonders lieb ist es mir in der lateinischen Übersetzung; es kommt mir da vornehmer vor, als wäre es, der Form nach, zu seinem Ursprunge zurückgekehrt.«

Auch vom ›Wilhelm Meister‹ war wiederholt die Rede. »Schiller,« sagte er, »tadelte die Einflechtung des Tragischen, als welches nicht in den Roman gehöre. Er hatte jedoch unrecht, wie wir alle wissen. In seinen Briefen an mich sind über den ›Wilhelm Meister‹ die bedeutendsten Ansichten und Äußerungen. Es gehört dieses Werk übrigens zu den incalculabelsten Productionen, wozu mir fast selbst der Schlüssel fehlt. Man sucht einen Mittelpunkt, und das ist schwer und nicht einmal gut. Ich sollte meinen: ein reiches mannigfaltiges Leben, das unsern Augen vorübergeht, wäre auch an sich etwas ohne ausgesprochene Tendenz, die[134] doch blos für den Begriff ist. Will man aber dergleichen durchaus, so halte man sich an die Worte Friedrich's, die er am Ende an unsern Helden richtet, indem er sagt: ›Du kommst mir vor wie Saul, der Sohn Kis, der ausging, seines Vaters Eselinnen zu suchen, und ein Königreich fand.‹ Hieran halte man sich; denn im Grunde scheint doch das Ganze nichts anderes sagen zu wollen, als daß der Mensch trotz aller Dummheiten und Verwirrungen, von einer höhern Hand geleitet, doch zum glücklichen Ziele gelange.«

Der großen Cultur der mittlern Stände ward darauf gedacht, die sich seit den letzten funfzig Jahren über Deutschland verbreitet, und Goethe schrieb die Verdienste hierum weniger Lessing zu als Herder und Wieland. »Lessing,« sagte er, »war der höchste Verstand, und nur ein ebenso großer konnte von ihm wahrhaft lernen. Dem Halbvermögen war er gefährlich.« Er nannte einen Journalisten, der sich nach Lessing gebildet und am Ende des vorigen Jahrhunderts eine Rolle, aber keine edle gespielt habe, weil er seinem großen Vorgänger so weit nachgestanden.

»Wielanden,« sagte Goethe, »verdankt das ganze obere Deutschland seinen Stil. Es hat viel von ihm gelernt, und die Fähigkeit, sich gehörig auszudrücken, ist nicht das geringste.«

Bei Erwähnung der ›Xenien‹ rühmte Goethe besonders die von Schiller, die er scharf und schlagend nannte, dagegen seine eigenen unschuldig und geringe.[135] »Den ›Thierkreis‹«, sagte er, »welcher von Schiller ist, lese ich stets mit Bewunderung. Die guten Wirkungen, die sie zu ihrer Zeit auf die deutsche Literatur ausübten, sind gar nicht zu berechnen. Viele Personen wurden bei dieser Gelegenheit genannt, gegen welche die ›Xenien‹ gerichtet waren; ihre Namen sind jedoch meinem Gedächtniß entgangen.«

Nachdem nun so, von diesen und hundert andern interessanten Äußerungen und Einflechtungen Goethes unterbrochen, das gedachte Manuscript bis zu Ende des Jahres 1800 vorgelesen und besprochen war, legte Goethe die Papiere an die Seite und ließ an einem Ende des großen Tisches, an dem wir saßen, decken und ein kleines Abendessen bringen. Wir ließen es uns wohl sein; Goethe selbst rührte aber keinen Bissen an, wie ich ihn denn nie abends habe essen sehen. Er saß bei uns, schenkte uns ein, putzte die Lichter und erquickte uns überdieß geistig mit den herrlichsten Worten. Das Andenken Schiller's war in ihm so lebendig, daß die Gespräche dieser letzten Hälfte des Abends nur ihm gewidmet waren.

Riemer erinnerte an Schiller's Persönlichkeit. »Der Bau seiner Glieder, sein Gang auf der Straße, jede seiner Bewegungen« sagte er, »war stolz, nur die Augen waren sanft.« – »Ja,« sagte Goethe, »alles übrige an ihm war stolz und großartig, aber seine Augen waren sanft. Und wie sein Körper war sein Talent. Er griff in einen großen Gegenstand kühn[136] hinein und betrachtete und wendete ihn hin und her, und sah ihn so an und so, und handhabte ihn so und so. Er sah seinen Gegenstand gleichsam nur von außen an, eine stille Entwickelung aus dem Innern war nicht seine Sache. Sein Talent war mehr desultorisch. Deßhalb war er auch nie entschieden und konnte nie fertig werden; er wechselte oft noch eine Rolle kurz vor der Probe. Und wie er überall kühn zu Werke ging, so war er auch nicht für vieles Motiviren. Ich weiß, was ich mit ihm beim ›Tell‹ für Noth hatte, wo er geradezu den Geßler einen Apfel vom Baum brechen und vom Kopf des Knaben schießen lassen wollte. Dies war nun ganz gegen meine Natur, und ich überredete ihn, diese Grausamkeit doch wenigstens dadurch zu motiviren, daß er Tells Knaben mit der Geschicklichkeit seines Vaters gegen den Landvogt großthun lasse, indem er sagt, daß er wohl auf hundert Schritte einen Apfel vom Baume schieße. Schiller wollte anfänglich nicht daran, aber er gab doch endlich meinen Vorstellungen und Bitten nach und machte es so, wie ich ihm gerathen.

Daß ich dagegen oft zu viel motivirte, entfernte meine Stücke vom Theater. Meine ›Eugenie‹ ist eine Kette von lauter Motiven, und dies kann auf der Bühne kein Glück machen.

Schiller's Talent war recht für's Theater geschaffen. Mit jedem Stücke schritt er vor und ward er vollendeter; doch war es wunderlich, daß ihm noch[137] von den ›Räubern‹ her ein gewisser Sinn für das Grausame anklebte, der selbst in seiner schönsten Zeit ihn nie ganz verlassen wollte. So erinnere ich mich noch recht wohl, daß er im ›Egmont‹ in der Gefängnißscene, wo diesem das Urtheil vorgelesen wird, den Alba in einer Maske und in einen Mantel gehüllt im Hintergrunde erscheinen ließ, um sich an dem Effect zu weiden, den das Todesurtheil auf Egmont haben würde. Hierdurch sollte sich der Alba als unersättlich in Rache und Schadenfreude darstellen. Ich protestirte jedoch, und die Figur blieb weg. Er war ein wunderlicher großer Mensch.

Alle acht Tage war er ein anderer und ein vollendeterer; jedesmal wenn ich ihn wiedersah, erschien er mir vorgeschritten in Belesenheit, Gelehrsamkeit und Urtheil. Seine Briefe sind das schönste Andenken, das ich von ihm besitze, und sie gehören mit zu dem Vortrefflichsten, was er geschrieben. Seinen letzten Brief bewahre ich als ein Heiligthum unter meinen Schätzen.« Goethe stand auf und holte ihn. »Da sehen und lesen Sie,« sagte er, indem er mir ihn zureichte.

Der Brief war schön und mit kühner Hand geschrieben. Er enthielt ein Urtheil über Goethes Anmerkungen zu ›Rameaus Neffen‹, welche die französische Literatur jener Zeit darstellen, und die er Schillern in Manuscript zur Ansicht mitgetheilt hatte. Ich las den Brief Riemern vor. »Sie sehen,« sagte Goethe, »wie sein Urtheil treffend und beisammen ist, und wie die[138] Handschrift durchaus keine Spur irgend einer Schwäche verräth. Er war ein prächtiger Mensch, und bei völligen Kräften ist er von uns gegangen. Dieser Brief ist vom 24. April 1805 – Schiller starb am 9. Mai.«

Wir betrachteten den Brief wechselsweise und freuten uns des klaren Ausdrucks wie der schönen Handschrift, und Goethe widmete seinem Freunde noch manches Wort eines liebevollen Andenkens, bis es spät gegen elf Uhr geworden war und wir gingen.


1 Agnes Franz?[139]


972.*


1825, 26. Januar.


Mit Friedrich von Müller

Ich traf ihn in den vordern Zimmern und brachte ihm Hiob1 zum Geschenk von Umbreit. »Es ist ein schwer zu verstehendes Buch, man wird nie darüber einig werden; einige setzen es sogar vor Moses. Ich habe meine eigenen Gedanken darüber, die ich aber nicht aufdringen will.«

Von mir an die Herausgabe der Fortsetzung vom ›Diwan‹ erinnert, erwiederte er, sie müsse bis zur Herausgabe seiner sämmtlichen Werke verschoben bleiben, die er durchaus noch bei Lebzeiten besorgen und daher Bedacht[139] nehmen müsse, daß täglich etwas zu diesem Zwecke Förderliches geschehe und geleistet werde.

Seine ›zahmen Xenien‹ lagen im Manuscript vor ihm. In einer derselben kommt vor: ›Auch den Verdruß müsse man sich zu Nutze machen, denn er sei ja auch ein Theil und zwar ein großer des Lebens.‹

Er commentirte viel hierüber, entfernte sich dann und ließ mich nach einer kleinen Weile ins hintere Zimmer rufen, da es ihm um diese Abendzeit in dem kleinen stillen Raume wohnlicher sei. Und auch mir war es so. Ich las ihm aus einem Briefe des Grafen Reinhard vor, worin eine Stelle über Jacobi vorkommt.

Dies gab zu den herrlichsten Schilderungen von Jacobi's Persönlichkeit und zu höchst wichtigen Aufschlüssen über ihn und sein Verhältniß zu Goethe Anlaß, die ich immer noch mehr durch Vorlesung anschlagender Stellen aus Jacobi's Briefsammlung hervorzurufen bemüht war.

»Die Speculation, die metaphysische,« sagte er, »ist Jacobi's Unglück geworden: war er doch eigentlich nicht dazu geboren noch erzogen. Ihm haben die Naturwissenschaften gemangelt, und mit dem bischen Moral allein läßt sich doch keine große Weltansicht fassen. Er war mehr zu einem liebenswürdigen, seinen Hof- und Weltmann geboren, zumal bei unverkennbarer Eitelkeit, die man ihm jedoch nicht verargen muß. Es kommt nur darauf an, ob sie sich nach außen oder[140] nach innen richtet. Von stattlicher Figur, edler Haltung, seinen Manieren und würdigem Ernst, wüßte ich nicht leicht mir eine liebenswürdigere Erscheinung zu denken als eben Jacobi.

Ihm starb aber seine heitere, lebensfrohe, tüchtige Gattin, die eine echt niederländische Figur, wie wir sie in Rubens besten Gestaltungen finden, viel zu früh.

Bei seinem Bedürfniß nach weiblicher Pflege und Anregung fiel er dann bald unter die Tutel seiner Schwestern, die sich die Herrschaft über ihn anmaßten und ihn verweichlichten. Die jüngere, klar, voll Verstand und Character, aber auch voll Einseitigkeit und bitterer Schärfe, ist für ihn und andere zu einem wahren Reibeisen geworden.«

Wir kamen auf den Hofrath Wilhelm Müller aus Dessau zu sprechen, der uns dieser Tage besucht hatte. »Es ist mir eine unangenehme Personnage, sagte er, suffisant, überdieß Brillen tragend, was mir das Allerunleidlichste ist. Frau von Varnhagen und die Arnim haben mir Müllers Gattin ganz richtig geschildert, die wirklich recht liebenswürdig ist. Die Arnim ist übrigens jetzt selten mehr redlich, sondern erzschelmisch. Was sie in früheren Jahren sehr gut gekleidet, die halb Mignon- halb Gurli-Maske, nimmt sie jetzt nur als Gaukelei vor, um ihre List und Schelmerei zu verbergen. Das italienische Blut in ihr hat freilich die Mignon auf's lebhafteste auffassen müssen. Solche problematische Charactere aber interessiren mich immer, um so mehr,[141] je schwieriger es mir wird, sie zu erklären und zu entziffern.

Ich muß gestehen, ich wüßte auch nichts mit der ewigen Seligkeit anzufangen, wenn sie mir nicht neue Aufgaben und Schwierigkeiten zu besiegen böte. Aber dafür ist wohl gesorgt, wir dürfen nur die Planeten und Sonnen anblicken, da wird es auch Nüsse genug zu knacken geben.«

Seine Monita zu meinem Brief an den König von Bayern wollte er auch heute nicht kund geben.

»Mit der Farbenlehre ist es wie mit dem Whistspiel; man lernt nie aus, muß es aber beständig spielen, um weiter zu kommen. Es läßt sich nur darin thun, nicht überliefern, nicht lehren.

Jede Hoffnung ist eigentlich eine gute That.«


1 Übersetzung und Auslegung von Fr. W. Umbreit. Heidelberg 1824.[142]


973.*


1825, 24. Februar.


Mit Johann Peter Eckermann

»Wäre es meine Sache noch, dem Theater vorzustehen,« sagte Goethe diesen Abend, »ich würde Byron's ›Dogen von Venedig‹ auf die Bühne bringen. Freilich ist das Stück zu lang und es müßte gekürzt werden; aber man müßte nichts daran schneiden und streichen, sondern es so machen: man müßte den Inhalt jeder Scene in sich aufnehmen und ihn blos kürzer wiedergeben. Dadurch würde das Stück zusammengehen, ohne[142] daß man ihm durch Änderungen schadete, und es würde an kräftiger Wirkung durchaus gewinnen, ohne im wesentlichen von seinem Schönen etwas einzubüßen.«

Diese Äußerung Goethes gab mir eine neue Ansicht, wie man beim Theater in hundert ähnlichen Fällen zu verfahren habe, und ich war über diese Maxime, die freilich einen guten Kopf, ja einen Poeten voraussetzt, der seine Sache versteht, höchst erfreut.

Wir sprachen über Lord Byron weiter, und ich erwähnte, wie er in seinen Conversationen mit Medwin es als etwas höchst Schwieriges und Undankbares ausgesprochen habe, für das Theater zu schreiben. »Es kommt darauf an,« sagte Goethe, »daß der Dichter die Bahn zu treffen wisse, die der Geschmack und das Interesse des Publicums genommen hat. Fällt die Richtung des Talents mit der des Publicums zusammen, so ist alles gewonnen. Diese Bahn hat Houwald mit seinem ›Bilde‹ getroffen, daher der allgemeine Beifall. Lord Byron wäre vielleicht nicht so glücklich gewesen, insofern seine Richtungen von der des Publicums abwichen. Denn es fragt sich hierbei keineswegs, wie groß der Poet sei; vielmehr kann ein solcher, der mit seiner Persönlichkeit aus dem allgemeinen Publicum wenig hervorragt, oft eben dadurch die allgemeinste Gunst gewinnen.«

Wir setzten das Gespräch über Lord Byron fort, und Goethe bewunderte sein außerordentliches Talent.[143] »Dasjenige, was ich die Erfindung nenne,« sagte er, »ist mir bei keinem Menschen in der Welt größer vorgekommen als bei ihm. Die Art und Weise, wie er einen dramatischen Knoten löst, ist stets über alle Erwartung und immer besser als man es sich dachte.« – »Mir geht es mit Shakespeare so,« erwiederte ich, »namentlich mit dem Falstaff, wenn er sich festgelogen hat und ich mich frage, was ich ihn thun lassen würde, um sich wieder loszuhelfen, wo denn freilich Shakespeare alle meine Gedanken bei weitem übertrifft. Daß aber Sie ein Gleiches von Lord Byron sagen, ist wohl das höchste Lob, das diesem zu theil werden kann. Jedoch,« fügte ich hinzu, »steht der Poet, der Anfang und Ende klar übersieht, gegen den befangenen Leser bei weitem im Vortheil.«

Goethe gab mir recht und lachte dann über Lord Byron, daß er, der sich im Leben nie gefügt und der nie nach einem Gesetz gefragt, sich endlich dem dümmsten Gesetz der drei Einheiten unterworfen habe. »Er hat den Grund dieses Gesetzes so wenig verstanden,« sagte er, »als die übrige Welt. Das Faßliche ist der Grund, und die drei Einheiten sind nur insofern gut, als dieses durch sie erreicht wird. Sind sie aber dem Faßlichen hinderlich, so ist es immer unverständig, sie als Gesetz betrachten und befolgen zu wollen. Selbst die Griechen, von denen diese Regel ausging, haben sie nicht immer befolgt; im ›Phaëthon‹ des Euripides und in andern Stücken wechselt der Ort, und man sieht also, daß die[144] gute Darstellung ihres Gegenstandes ihnen mehr galt als der blinde Respect vor einem Gesetz, das an sich nie viel zu bedeuten hatte. Die Shakespeare'schen Stücke gehen über die Einheit der Zeit und des Orts so weit hinaus als nur möglich; aber sie sind faßlich, es ist nichts faßlicher als sie, und deshalb würden auch die Griechen sie untadelig finden. Die französischen Dichter haben dem Gesetz der drei Einheiten am strengsten Folge zu leisten gesucht, aber sie sündigen gegen das Faßliche, indem sie ein dramatisches Gesetz nicht dramatisch lösen, sondern durch Erzählung.«

– – – – – – – – – – – – – – – – – -

Goethe fuhr über Lord Byron zu reden fort. »Seinem stets ins Unbegrenzte strebenden Naturell,« sagte er, »steht jedoch die Einschränkung, die er sich durch Beobachtung der drei Einheiten auflegte, sehr wohl. Hätte er sich doch auch im Sittlichen so zu begrenzen gewußt! Daß er dieses nicht konnte, war sein Verderben, und es läßt sich sehr wohl sagen, daß er an seiner Zügellosigkeit zu Grunde gegangen ist.

Er war gar zu dunkel über sich selbst. Er lebte immer leidenschaftlich in den Tag hin und wußte und bedachte nicht, was er that. Sich selber alles erlaubend und an andern nichts billigend, mußte er es mit sich selbst verderben und die Welt gegen sich aufregen. Mit seinen ›English Bards and Scotch Reviewers‹ verletzte[145] er gleich anfänglich die vorzüglichsten Literatoren. Um nachher nur zu leben, mußte er einen Schritt zurücktreten. In seinen folgenden Werken ging er in Opposition und Mißbilligung fort; Staat und Kirche blieben nicht unangetastet. Dieses rücksichtslose Hinwirken trieb ihn aus England und hätte ihn mit der Zeit auch aus Europa getrieben. Es war ihm überall zu enge, und bei der grenzenlosesten persönlichen Freiheit fühlte er sich beklommen; die Welt war ihm ein Gefängniß. Sein Gehen nach Griechenland war kein freiwilliger Entschluß, sein Mißverhältniß mit der Welt trieb ihn dazu. Daß er sich vom Herkömmlichen, Patriotischen lossagte, hat nicht allein einen so vorzüglichen Menschen persönlich zu Grunde gerichtet, sondern sein revolutionärer Sinn und die damit verbundene beständige Agitation des Gemüths hat auch sein Talent nicht zur gehörigen Entwickelung kommen lassen. Auch ist die ewige Opposition und Mißbilligung seinen vortrefflichen Werken selbst, so wie sie daliegen, höchst schädlich. Denn nicht allein daß das Unbehagen des Dichters sich dem Leser mittheilt, sondern auch alles opponirende Wirken geht auf das Negative hinaus, und das Negative ist nichts. Wenn ich das Schlechte schlecht nenne, was ist da viel gewonnen? Nenne ich aber gar das Gute schlecht, so ist viel geschadet. Wer recht wirken will, muß nie schelten, sich um das Verkehrte gar nicht bekümmern, sondern nur immer das Gute thun. Denn es kommt nicht darauf an, daß eingerissen, sondern daß[146] etwas aufgebaut werde, woran die Menschheit reine Freude empfinde.«

Ich erquickte mich an diesen herrlichen Worten und freute mich der köstlichen Maxime.

»Lord Byron,« fuhr Goethe fort, »ist zu betrachten: als Mensch, als Engländer, und als großes Talent. Seine guten Eigenschaften sind vorzüglich vom Menschen herzuleiten; seine schlimmen, daß er ein Engländer und ein Peer von England war; und sein Talent ist incommensurabel.

Alle Engländer sind als solche ohne eigentliche Reflexion; die Zerstreuung und der Parteigeist lassen sie zu keiner ruhigen Ausbildung kommen. Aber sie sind groß als praktische Menschen.

So konnte Lord Byron nie zum Nachdenken über sich selbst gelangen; deswegen auch seine Reflexionen überhaupt ihm nicht gelingen wollen, wie sein Symbolum: Viel Geld und keine Obrigkeit! beweist, weil durchaus vieles Geld die Obrigkeit paralysirt.

Aber alles, was er produciren mag, gelingt ihm, und man kann wirklich sagen, daß sich bei ihm die Inspiration an die Stelle der Reflexion setzt. Er mußte immer dichten, und da war denn alles, was vom Menschen, besonders vom Herzen ausging, vortrefflich. Zu seinen Sachen kam er wie die Weiber zu schönen Kindern: sie denken nicht daran und wissen nicht wie.

Er ist ein großes Talent, ein geborenes, und die[147] eigentlich poetische Kraft ist mir bei niemand größer vorgekommen als bei ihm. In Auffassung des Äußern und klarem Durchblick vergangener Zustände ist er ebenso groß als Shakespeare. Aber Shakespeare ist als reines Individuum überwiegend. Dieses fühlte Byron sehr wohl, deshalb spricht er vom Shakespeare nicht viel, obgleich er ganze Stellen von ihm auswendig weiß. Er hätte ihn gern verleugnet; denn Shake speare's Heiterkeit ist ihm im Wege: er fühlt, daß er nicht dagegen aufkann. Pope verleugnet er nicht, weil er ihn nicht zu fürchten hatte. Er nennt und achtet ihn vielmehr wo er kann; denn er weiß sehr wohl, daß Pope nur eine Wand gegen ihn ist«

Goethe schien über Byron unerschöpflich, und ich konnte nicht satt werden ihm zuzuhören. Nach einigen kleinen Zwischengesprächen fuhr er fort:

»Der hohe Stand als englischer Peer war Byron sehr nachtheilig; denn jedes Talent ist durch die Außenwelt genirt, geschweige eins bei so hoher Geburt und so großem Vermögen. Ein gewisser mittler Zustand ist dem Talent bei weitem zuträglicher, weshalb wir denn auch alle großen Künstler und Poeten in den mittlern Ständen finden. Byron's Hang zum Unbegrenzten hätte ihm bei einer geringern Geburt und niederm Vermögen bei weitem nicht so gefährlich werden können; so aber stand es in seiner Macht, jede Anwandlung in Ausführung zu bringen, und das verstrickte ihn in unzählige Händel. Und wie sollte[148] ferner dem, der selbst aus so hohem Stande war, irgend ein Stand imponiren und Rücksicht einflößen? Er sprach aus, was sich in ihm regte, und das brachte ihn mit der Welt in einen unauflöslichen Conflict.

Man bemerkt mit Verwunderung,« fuhr Goethe fort, »welcher große Theil des Lebens eines vornehmen reichen Engländers in Entführungen und Duellen zugebracht wird. Lord Byron erzählt selbst, daß sein Vater drei Frauen entführt habe. Da sei einer einmal ein vernünftiger Sohn!

Er lebte eigentlich immer im Naturzustande, und bei seiner Art zu sein mußte ihm täglich das Bedürfniß der Nothwehr vorschweben. Deßwegen sein ewiges Pistolenschießen. Er mußte jeden Augenblick erwarten, herausgefordert zu werden.

Er konnte nicht allein leben. Deßwegen war er trotz aller seiner Wunderlichkeiten gegen seine Gesellschaft höchst nachsichtig. Er las das herrliche Gedicht über den Tod des Generals Moore einen Abend vor, und seine edeln Freunde wissen nicht, was sie daraus machen sollen. Das rührt ihn nicht, und er steckt es wieder ein. Als Poet beweist er sich wirklich wie ein Lamm. Ein anderer hätte sie dem Teufel übergeben!«[149]


974.*


1825, 9. März.


Mit Friedrich von Müller

Goethe, der sehr freundlich war, sprach heute über die gefährliche Zerstreuung durch Tageslectüre: »der Mensch nimmt am Ende doch nur an, was ihm gemäß ist.«[150]


975.*


1825, 21. März.


Mit Friedrich von Müller

Heute Nachmittag gab mir Goethe seinen Wunsch zu erkennen, mich und Riemern zu Executoren seines literarischen Nachlasses zu machen.[150]


976.*


1825, 22. März.


Mit Johann Peter Eckermann

[Nach Erzählung des Theaterbrandes in der Nacht vom 21. zum 22. März berichtet Eckermann:]


Ich ging nach Hause, um ein wenig zu ruhen, dann im Laufe des Vormittags zu Goethe.

Der Bediente sagte mir, er sei unwohl und im Bette. Doch ließ Goethe mich in seine Nähe rufen. Er streckte mir seine Hand entgegen. »Wir haben alle verloren,« sagte er, »allein was ist zu thun! Mein Wölfchen kam diesen Morgen früh an mein Bette; er[150] faßte meine Hand, und indem er mich mit großen Augen ansah, sagte er: ›So geht's den Menschen!‹ Was läßt sich weiter sagen als dieses Wort meines lieben Wolf, womit er mich zu trösten suchte. Der Schauplatz meiner fast dreißigjährigen liebevollen Mühe liegt in Schutt und Trümmer. Allein, wie Wolf sagt, so geht's den Menschen! Ich habe die ganze Nacht wenig geschlafen; ich sah aus meinen vordern Fenstern die Flamme unaufhörlich gegen den Himmel steigen. Sie mögen denken, daß mir mancher Gedanke an die alten Zeiten, an meine vieljährigen Wirkungen mit Schiller und an das Herankommen und Wachsen manches lieben Zöglings durch die Seele gegangen ist, und daß ich nicht ohne einige innere Bewegung davongekommen bin. Ich denke mich daher heute auch ganz weislich zu Bette zu halten.«

Ich lobte ihn wegen seiner Vorsicht. Doch schien er mir nicht im geringsten schwach und angegriffen, vielmehr ganz behaglich und heiterer Seele. Es schien mir vielmehr dieses im Bette Liegen eine alte Kriegslist zu sein, die er bei irgend einem außerordentlichen Ereigniß anzuwenden pflegt, wo er den Zudrang vieler Besuche fürchtet.

Goethe bat mich, auf einem Stuhle vor seinem Bette Platz zu nehmen und ein wenig dazubleiben. »Ich habe viel an Euch gedacht und Euch bedauert,« sagte er. »Was wollt Ihr nun mit Euern Abenden anfangen!«

[151] »Sie wissen,« erwiederte ich, »wie leidenschaftlich ich das Theaterliebe. Als ich vor zwei Jahren hierher kam, kannte ich außer drei bis vier Stücken, die ich in Hannover gesehen, so gut wie gar nichts. Nun war mir alles neu, Personal wie Stücke; und da ich nun nach Ihrem Rath mich ganz den Eindrücken der Gegenstände hingab, ohne darüber viel zu denken und reflectiren zu wollen, so kann ich in Wahrheit sagen, daß ich diese beiden Winter im Theater die harmlosesten, lieblichsten Stunden verlebt habe, die mir je zutheil geworden. Auch war ich in das Theater so vernarrt, daß ich nicht allein keine Vorstellung versäumte, sondern mir auch Zutritt zu den Proben verschaffte; ja, auch damit noch nicht zufrieden, konnte ich wohl am Tage, wenn ich im Vorbeigehen zufällig die Thüren offen fand, mich halbe Stunden lang auf die leeren Bänke des Parterre setzen und mir Scenen imaginiren, die man etwa jetzt spielen könnte.«

»Ihr seid eben ein verrückter Mensch,« erwiederte Goethe lachend; »aber so hab' ich's gerne. Wollte Gott, das ganze Publicum bestände aus solchen Kindern! Und im Grunde habt Ihr recht, es ist was. Wer nicht ganz verwöhnt und hinlänglich jung ist, findet nicht leicht einen Ort, wo es ihm so wohl sein könnte als im Theater. Man macht an Euch gar keine Ansprüche, Ihr braucht den Mund nicht aufzuthun, wenn Ihr nicht wollt; vielmehr sitzt Ihr im völligen Behagen wie ein König und laßt Euch alles bequem vorführen[152] und Euch Geist und Sinne tractiren, wie Ihr es nur wünschen könnt. Da ist Poesie, da ist Malerei, da ist Gesang und Musik, da ist Schauspielkunst, und was nicht noch alles! Wenn alle diese Künste und Reize von Jugend und Schönheit an einem einzigen Abend, und zwar auf bedeutender Stufe, zusammenwirken, so giebt es ein Fest, das mit keinem andern zu vergleichen. Wäre aber auch einiges schlecht und nur einiges gut, so ist es immer noch mehr, als ob man zum Fenster hinaussähe oder in irgend einer geschlossenen Gesellschaft beim Dampf von Cigarren eine Partie Whist spielte. Das weimarische Theater ist wie Sie fühlen, noch keineswegs zu verachten; es ist immer noch ein alter Stamm aus unserer besten Zeit da, dem sich neuere frische Talente zugebildet haben, und wir können immer noch etwas produciren, das reizt und gefällt und wenigstens den Schein eines Ganzen bietet.«

»Ich hätte es vor zwanzig, dreißig Jahren sehen mögen!« versetzte ich.

»Das war freilich eine Zeit,« erwiederte Goethe, »die uns mit großen Avantagen zu Hilfe kam. Denken Sie sich, daß die langweilige Periode des französischen Geschmacks damals noch nicht gar lange vorbei und das Publicum noch keineswegs überreizt war, daß Shakespeare noch in seiner ersten Frische wirkte, daß die Opern von Mozart jung, und endlich daß die Schiller'schen Stücke erst von Jahr zu Jahr hier entstanden und auf dem weimarischen Theater, durch ihn[153] selber einstudirt, in ihrer ersten Glorie gegeben wurden – und Sie können sich vorstellen, daß mit solchen Gerichten Alte und Junge zu tractiren waren, und daß wir immer ein dankbares Publicum hatten.«

»Ältere Personen,« bemerkte ich, »die jene Zeit erlebt haben, können mir nicht genug rühmen, auf welcher Höhe das weimarische Theater damals gestanden.«

»Ich will nicht leugnen,« erwiederte Goethe, »es war etwas. Die Hauptsache aber war dieses, daß der Großherzog mir die Hände durchaus frei ließ, und ich schalten und machen konnte wie ich wollte. Ich sah nicht auf prächtige Decorationen und eine glänzende Garderobe, aber ich sah auf gute Stücke. Von der Tragödie bis zur Posse, mir war jedes Genre recht; aber ein Stück mußte etwas sein, um Gnade zu finden. Es mußte groß und tüchtig, heiter und graziös, auf alle Fälle aber gesund sein und einen gewissen Kern haben. Alles Krankhafte, Schwache, Weinerliche und Sentimentale, sowie alles Schreckliche, Greuelhafte und die gute Sitte Verletzende war ein für allemal ausgeschlossen; ich hätte gefürchtet, Schauspieler und Publicum damit zu verderben.

Durch die guten Stücke aber hob ich die Schauspieler; denn das Studium des Vortrefflichen und die fortwährende Ausübung des Vortrefflichen mußte nothwendig aus einem Menschen, den die Natur nicht im Stich gelassen, etwas machen. Auch war ich mit den Schauspielern in beständiger persönlicher Berührung.[154] Ich leitete die Leseproben und machte jedem seine Rolle deutlich; ich war bei den Hauptproben gegenwärtig und besprach mit ihnen, wie etwas besser zu thun; ich fehlte nicht bei den Vorstellungen und bemerkte am andern Tage alles, was mir nicht recht erschienen.

Dadurch brachte ich sie in ihrer Kunst weiter. Aber ich suchte auch den ganzen Stand in der äußern Achtung zu heben, indem ich die Besten und Hoffnungsvollsten im meine Kreise zog und dadurch der Welt zeigte, daß ich sie eines geselligen Verkehrs mit mir werth achtete. Hierdurch geschah aber, daß auch die übrige höhere weimarische Gesellschaft hinter mir nicht zurückblieb und daß Schauspieler und Schauspielerinnen in die besten Zirkel bald einen ehrenvollen Zutritt gewannen. Durch alles mußte für sie eine große innere wie äußere Cultur hervorgehen. Mein Schüler Wolff in Berlin sowie unser Durand sind Leute von dem feinsten geselligen Tact; Herr Ols und Graff haben hinreichende höhere Bildung, um der besten Gesellschaft Ehre zu machen.

Schiller verfuhr in demselbigen Sinne wie ich. Er verkehrte mit Schauspielern und Schauspielerinnen sehr viel. Er war gleich mir bei allen Proben gegenwärtig, und nach jeder gelungenen Vorstellung von einem seiner Stücke pflegte er sie zu sich einzuladen und sich mit ihnen einen guten Tag zu machen. Man freute sich gemeinsam an dem, was gelungen, und besprach sich über das, was etwa das nächste Mal besser[155] zu thun sei. Aber schon als Schiller bei uns eintrat, fand er Schauspieler wie Publicum bereits im hohen Grade gebildet vor, und es ist nicht zu leugnen, daß es dem raschen Erfolg seiner Stücke zugute kam.«

Es machte mir viel Freude, Goethe so ausführlich über einen Gegenstand sprechen zu hören, der für mich immer ein großes Interesse hatte und der besonders durch das Unglück dieser Nacht bei mir obenauf war.

»Der heutige Brand des Hauses,« sagte ich, »in welchem Sie und Schiller eine lange Reihe von Jahren so viel Gutes gewirkt, beschließt gewissermaßen auch äußerlich eine große Epoche, die für Weimar so bald nicht zurückkommen dürfte. Sie müssen doch in jener Zeit bei Ihrer Leitung des Theaters und bei dem außerordentlichen Erfolge, den es hatte, viel Freude erlebt haben!«

»Auch nicht geringe Last und Noth!« erwiederte Goethe mit einem Seufzer.

»Es mag schwer sein,« sagte ich, »ein so vielköpfiges Wesen in gehöriger Ordnung zu halten.«

»Sehr viel,« erwiederte Goethe, »ist zu erreichen durch Strenge, mehr durch Liebe, das meiste aber durch Einsicht und eine unparteiische Gerechtigkeit, bei der kein Ansehen der Person gilt.

Ich hatte mich vor zwei Feinden zu hüten, die mir hätten gefährlich werden können. Das eine war meine leidenschaftliche Liebe des Talents, die leicht in den Fall kommen konnte, mich parteiisch zu machen;[156] das andere will ich nicht aussprechen, aber Sie werden es errathen. Es fehlte bei unserm Theater nicht an Frauenzimmern, die schön und jung und dabei von großer Anmuth der Seele waren. Ich fühlte mich zu mancher leidenschaftlich hingezogen, auch fehlte es nicht, daß man mir auf halbem Wege entgegenkam. Allein ich faßte mich und sagte: Nicht weiter! Ich kannte meine Stellung und wußte, was ich ihr schuldig war. Ich stand hier nicht als Privatmann, sondern als Chef einer Anstalt, deren Gedeihen mir mehr galt als mein augenblickliches Glück. Hätte ich mich in irgend einen Liebeshandel eingelassen, so würde ich geworden sein wie ein Compaß, der unmöglich recht zeigen kann, wenn er einen einwirkenden Magnet an seiner Seite hat.

Dadurch aber, daß ich mich durchaus rein erhielt und immer Herr meiner selbst blieb, blieb ich auch Herr des Theaters, und es fehlte mir nie die nöthige Achtung, ohne welche Autorität bald dahin ist.«

Dieses Bekenntniß Goethes war mir sehr merkwürdig. Ich hatte bereits von andern etwas Ähnliches über ihn vernommen und freute mich, jetzt aus seinem eigenen Munde die Bestätigung zu hören. Ich liebte ihn mehr als je und verließ ihn mit einem herzlichen Händedruck.[157]


977.*


1825, 22. März.


Mit Friedrich von Müller

Nach dem Theaterbrande besuchte ich Goethen, der sehr angegriffen war. »Die Brandstätte ist das Grab meiner Erinnerungen. Aber,« setzte er hinzu, »nur durch frische Thätigkeit sind die Widerwärtigkeiten zu überwinden, und ich will deßhalb noch heute mit Riemer eine Session halten.«[158]


978.*


1825, kurz nach dem 22. März.


Über den Theaterbrand

Für die Stimmung Goethes in jenen Tagen giebt eine Außerung Meyer's Licht, der zum Kanzler Müller sagte: Ich begreife nicht, warum Goethe sich so außerordentlich um das Theater betrübt. Ich habe mich aber nie vermessen, ihm meine Ansichten und Empfindlichkeiten aufdringen zu wollen, sonst wären wir wohl auch nicht so gute Freunde geblieben. Ich habe das Hinwegsetzen über unabwendliche Ereignisse gerade in Goethes Schule gelernt, und nun wird er seiner Lehre selbst untreu. Was will er mit »traurigen Vorzeichen für das Jubeljahr«?[158]


979.*


1825, 24. März.


Mittag bei Goethe

[Eckermann] bei Goethe zu Tische. Der Verlust des Theaters bildete fast den ausschließlichen Gegenstand des Gesprächs. Frau von Goethe und Fräulein Ulrike lebten in Erinnerung glücklicher Stunden, die sie in dem alten Hause genossen. Sie hatten sich aus dem Schutt einige Reliquien gesucht, die sie für unschätzbar hielten; es war aber am Ende weiter nichts als einige Steine und angebrannte Stücke einer Tapete. Aber diese Stücke sollten gerade von der Stelle sein, wo sie auf dem Balcon ihre Plätze gehabt!

»Die Hauptsache ist,« sagte Goethe, »daß man sich schnell fasse und sich so schnell als möglich wieder einrichte. Ich würde schon in nächster Woche wieder spielen lassen, im Fürstenhause, oder im großen Saale des Stadthauses, gleichviel. Nur darf keine zu lange Pause eintreten, damit das Publicum für seine langweiligen Abende sich nicht erst andere Ressourcen suche.«

»Aber von Decorationen ist ja so gut wie gar nichts gerettet!« bemerkte man.

»Es bedarf keiner vielen Decorationen,« erwiederte Goethe. »Auch bedarf es keiner großen Stücke. Auch ist gar nicht nöthig, daß man ein Ganzes gebe, noch weniger ein großes Ganzes. Die Hauptsache ist, daß[159] man Sachen wählt, bei denen kein großer Ortswechsel stattfindet. Irgend ein einactiges Lustspiel, oder eine einactige Posse oder Operette. Dann irgend eine Arie, irgend ein Duett, irgend ein Finale einer beliebten Oper – und Ihr werdet schon ganz passabel zufrieden sein. Es ist nur daß der April leidlich vorübergehe, im Mai habt Ihr schon die Sänger des Waldes.

Indessen,« fuhr Goethe fort, »werdet Ihr das Schauspiel haben, im Laufe der Sommermonate ein neues Haus hervorsteigen zu sehen. Dieser Brand ist mir sehr merkwürdig. Ich will Euch nur verrathen, daß ich die langen Abendstunden des Winters mich mit Coudray beschäftigt habe, den Riß eines für Weimar passenden neuen schönen Theaters zu machen. Wir hatten uns von einigen der vorzüglichsten deutschen Theater Grund- und Durchschnittsrisse kommen lassen, und indem wir daraus das Beste benutzten und das uns fehlerhaft Scheinende vermieden, haben wir einen Riß zustande gebracht, der sich wird können sehen lassen. Sobald der Großherzog ihn genehmigt, kann mit dem Bau begonnen werden, und es ist keine Kleinigkeit, daß dieses Unheil uns sehr merkwürdigerweise so durchaus vorbereitet findet.«

Wir begrüßten diese Nachricht Goethes mit großer Freude.

»In dem alten Hause,« fuhr Goethe fort, »war für den Adel gesorgt durch den Balcon und für die dienende Classe und jungen Handwerker durch die[160] Galerie. Die große Zahl des wohlhabenden und vornehmen Mittelstandes aber war oft übel daran; denn wenn bei gewissen Stücken das Parterre durch die Studenten eingenommen war, so wußten jene nicht wohin. Die paar kleinen Logen hinter dem Parterre und die wenigen Bänke des Parquets waren nicht hinreichend. Jetzt haben wir besser gesorgt. Wir lassen eine ganze Reihe Logen um das Parterre laufen und bringen zwischen Balcon und Galerie noch eine Reihe Logen zweiten Ranges. Dadurch gewinnen wir sehr viel Platz, ohne das Haus sonderlich zu vergrößern.«

Wir freuten uns dieser Nachricht und lobten Goethe, daß er es so gut mit dem Theater und Publicum im Sinne habe.[161]


980.*


1825, 27. März.


Mittag bei Goethe

[Eckermann] bei Goethe zu Tische in größerer Gesellschaft. Er zeigte uns den Riß des neuen Theaters. Es war so, wie er uns vor einigen Tagen gesagt hatte: der Riß versprach sowohl für das Äußere als das Innere ein sehr schönes Haus.

Es ward bemerkt, daß ein so hübsches Theater auch schöne Decorationen und bessere Anzüge als bisher verlange. Auch war man der Meinung, daß auch das Personal anfange nach und nach lückenhaft zu werden,[161] und daß sowohl für das Schauspiel als die Oper einige ausgezeichnete junge Mitglieder müßten engagirt werden. Zugleich aber verhehlte man sich nicht, daß alles dieses mit einem bedeutenden Kostenaufwande verbunden sei, wozu die bisherigen Mittel der Kasse nicht reichen dürften.

»Ich weiß recht gut,« viel Goethe ein, »man wird unter dem Vorwande, die Kasse zu schonen, einige Persönchen engagiren, die nicht viel kosten. Aber man denke nur nicht, mit solchen Maßregeln der Kasse zu nützen. Nichts schadet der Kasse mehr, als in solchen wesentlichen Dingen sparen zu wollen. Man muß daran denken, jeden Abend ein volles Haus zu bekommen. Und da thut ein junger Sänger, eine junge Sängerin, ein tüchtiger Held und eine tüchtige junge Heldin von ausgezeichnetem Talent und einiger Schönheit sehr viel. Ja, stände ich noch an der Spitze der Leitung, ich würde jetzt zum Besten der Kasse noch einen Schritt weiter gehen, und ihr solltet erfahren, daß mir das nöthige Geld nicht ausbliebe.«

Man fragte Goethe, was er zu thun im Sinne habe.

»Ein ganz einfaches Mittel würde ich anwenden,« erwiederte er. »Ich würde auch die Sonntage spielen lassen. Dadurch hätte ich die Einnahme von wenigstens vierzig Theaterabenden mehr, und es müßte schlimm sein, wenn die Kasse dabei nicht jährlich zehn- bis funfzehntausend Thaler gewinnen sollte.«

[162] Diesen Ausgang fand man sehr praktisch. Es kam zur Erwähnung, daß die große arbeitende Classe, die an den Wochentagen gewöhnlich bis spät in die Nacht beschäftigt sei, den Sonntag als einzigen Erholungstag habe, wo sie denn das edlere Vergnügen des Schauspiels dem Tanz und Bier in einer Dorfschenke sicher vorziehen würde. Auch war man der Meinung, daß sämmtliche Pächter und Gutsbesitzer sowie die Beamten und wohlhabenden Einwohner der kleinen Städte in der Umgegend den Sonntag als einen erwünschten Tag ansehen würden, um in das weimarische Theater zu fahren. Auch sei bisher der Sonntagabend in Weimar für jeden, der nicht an Hof gehe oder nicht Mitglied eines glücklichen Familienkreises oder einer geschlossenen Gesellschaft sei, sehr schlimm und langweilig; denn der einzelne wisse nicht wohin. Und doch mache man Ansprüche, als müsse am Abend eines Sonntags sich irgend ein Ort finden lassen, wo es einem wohl sei und man die Plage der Woche vergesse.

Goethes Gedanke, auch die Sonntage spielen zu lassen, wie es in den übrigen deutschen Städten üblich, fand also die vollkommenste Zustimmung und ward als ein sehr glücklicher begrüßt. Nur erhob sich ein leiser Zweifel, ob es auch dem Hofe recht sein würde.

»Der weimarische Hof,« erwiederte Goethe, »ist zu gut und weise, als daß er eine Maßregel hindern sollte, die zum Wohl der Stadt und einer bedeutenden Anstalt gereicht. Der Hof wird gewiß gern das kleine[163] Opfer bringen und seine Sonntags-Soiréen auf einen andern Tag verlegen. Wäre dies aber nicht annehmlich, so gäbe es ja für die Sonntage Stücke genug, die der Hof ohnedies nicht gern sieht, die aber für das eigentliche Volk durchaus geeignet sind und ganz trefflich die Kasse füllen.«

Das Gespräch wendete sich auf die Schauspieler, und es ward über den Gebrauch und Mißbrauch ihrer Kräfte sehr viel hin und wieder geredet.

»Ich habe in meiner langen Praxis,« sagte Goethe, »als Hauptsache gefunden, daß man nie ein Stück oder gar eine Oper einstudiren lassen solle, wovon man nicht einen guten Succeß auf Jahre hin mit einiger Bestimmtheit voraussieht. Niemand bedenkt hinreichend das Aufgebot von Kräften, die das Einstudiren eines fünfactigen Stückes oder gar einer Oper von gleicher Länge in Anspruch nimmt. Ja, ihr Lieben, es gehört viel dazu, ehe ein Sänger eine Partie durch alle Scenen und Acte durchaus inne habe, und sehr viel, ehe die Chöre gehen, wie sie gehen müssen. Es kann mich gelegentlich ein Grauen überfallen, wenn ich höre, wie leichtsinnig man oft den Befehl zum Einstudiren einer Oper giebt, von deren Succeß man eigentlich nichts weiß und wovon man nur durch einige sehr unsichere Zeitungsnachrichten gehört hat. Da wir in Deutschland schon ganz leidliche Posten besitzen, ja sogar anfangen Schnellposten zu bekommen, so würde ich bei der Nachricht von irgend einer auswärts gegebenen[164] und gepriesenen neuen Oper den Regisseur oder ein anderes zuverlässiges Mitglied der Bühne an Ort und Stelle schicken, damit er sich durch seine persönliche Gegenwart bei einer wirklichen Aufführung überzeuge, inwiefern die gepriesene neue Oper gut und tüchtig, und inwiefern unsere Kräfte dazu hinreichen oder nicht. Die Kosten einer solchen Reise kommen gar nicht in Betracht im Vergleich der enormen Vortheile, die dadurch erreicht, und der unseligen Mißgriffe, die dadurch verhütet werden.

Und dann: ist einmal ein gutes Stück oder eine gute Oper einstudirt, so soll man sie in kurzen Zwischenpausen so lange hintereinander geben, als sie irgend zieht und irgend das Haus füllt. Dasselbe gilt von einem guten ältern Stück oder einer guten ältern Oper, die vielleicht seit Jahr und Tag geruht hat und nun gleichfalls eines nicht geringen erneuten Studiums bedurfte, um wieder mit Succeß gegeben werden zu können. Eine solche Vorstellung soll man in kurzen Zwischenpausen gleichfalls so oft wiederholen, als das Publicum irgend sein Interesse daran zu erkennen giebt. Die Sucht, immer etwas Neues haben und ein mit unsaglicher Mühe einstudirtes gutes Stück oder Oper nur einmal, höchstens zweimal sehen zu wollen, oder auch zwischen solchen Wiederholungen lange Zeiträume von sechs bis acht Wochen verstreichen zu lassen, wo denn immer wieder ein neues Studium nöthig wird, ist ein wahrer Verderb des Theaters und ein Mißbrauch[165] der Kräfte des ausübenden Personals, der gar nicht zu verzeihen ist.«

Goethe schien diese Angelegenheit so wichtig zu halten und sie schien ihm so sehr am Herzen zu liegen, daß er darüber in eine Wärme gerieth, wie sie ihn bei seiner großen Ruhe selten anwandelt.

»In Italien,« fuhr Goethe fort, »giebt man eine und dieselbige Oper vier bis sechs Wochen lang jeden Abend, und die italienischen großen Kinder verlangen darin keineswegs eine Änderung. Der gebildete Pariser sieht die klassischen Stücke seiner großen Dichter so oft, daß er sie auswendig weiß und für die Betonung einer jeden Silbe ein geübtes Ohr hat. Hier in Weimar hat man mir wohl die Ehre erzeigt meine ›Iphigenie‹ und meinen ›Tasso‹ zu geben; allein wie oft? Kaum alle drei bis vier Jahre einmal. Das Publicum findet sie langweilig. Sehr begreiflich! Die Schauspieler sind nicht geübt, die Stücke zu spielen, und das Publicum ist nicht geübt, sie zu hören. Würden die Schauspieler durch öftere Wiederholung sich in ihre Rollen so hineinspielen, daß die Darstellung ein Leben gewönne, als wäre es nicht eingelernt, sondern als entquölle alles aus ihrem eigenen Herzen, so würde das Publicum sicher auch nicht ohne Interesse und ohne Empfindung bleiben.

Ich hatte wirklich einmal den Wahn, als sei es möglich, ein deutsches Theater zu bilden. Ja ich hatte den Wahn, als könne ich selber dazu beitragen und als[166] könne ich zu einem solchen Bau einige Grundsteine legen. Ich schrieb meine ›Iphigenie‹ und meinen ›Tasso‹ und dachte in kindischer Hoffnung, so würde es gehen. Allein es regte sich nicht und rührte sich nicht und blieb alles wie zuvor. Hätte ich Wirkung gemacht und Beifall gefunden, so würde ich euch ein ganzes Dutzend Stücke wie die ›Iphigenie‹ und den ›Tasso‹ geschrieben haben. An Stoff war kein Mangel. Allein, wie gesagt, es fehlten die Schauspieler, um dergleichen mit Geist und Leben darzustellen, und es fehlte das Publicum, dergleichen mit Empfindung zu hören und aufzunehmen.«[167]


981.*


1825, 27. März.


Mit George Henry Calvert

Ich hörte im »Erbprinzen«, daß Goethe um 2 Uhr speise, wartete also bis ein Viertel auf vier und ging dann nach seinem Hause am Frauenplatze. Ich hatte kein Einführungsschreiben und zog deshalb die Klingel mit sehr geringem Vertrauen. Der Diener meldete, der Herr Geheimrath sei noch bei Tische. Ich wanderte in den Park und gegen vier Uhr klingelte ich zum zweiten Male an Goethes Hause. Der Diener fragte nach meinem Namen und ich gab ihm meine Karte, auf die ich unter den Namen geschrieben hatte: aus Washington, Amerika. Er kam bald zurück und ließ mich eintreten ..... Der Diener öffnete mir die[167] Thür und mitten im Zimmer stand Goethe groß, aufrecht, majestätisch, den Kopf leicht vorgebogen und die großen leuchtenden Augen auf den Eintretenden gerichtet.

Im Jahr 1825 sah man Amerikaner selten soweit im Innern Deutschlands. Goethe war höchst wahrscheinlich sein ganzes Leben lang nicht mit einem halben Dutzend zusammengetroffen, und die Anmeldung eines solchen für einige müßige Augenblicke nach Tische mochte für ihn, diesen immer und überall Beobachtenden, etwas Pikantes haben. Seine Haltung und sein Ausdruck, als ich eintrat, waren die eines Naturforschers, der mit einiger Spannung das überseeische Phänomen erwartet ..... Er empfing mich mit herzlicher Freundlichkeit, trat mir entgegen und forderte mich auf, neben ihm auf dem Sopha Platz zu nehmen. Nach wenigen Minuten fühlte ich mich ganz behaglich. Er fragte mich, wie lange ich in Europa sei, auf welchem Wege ich gekommen und nach der Seereise. Als er vernommen, daß ich seit fünfviertel Jahren in Göttingen studirt, erkundigte er sich theilnehmend nach einigen Professoren, namentlich nach Blumenbach und Sartorius.

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Und in dieser Unterredung mit dem Ersten der Lehrer, dem Weisesten der Weisen, in einer Unterredung mit Goethe – hunderte der besten und größten Männer würden heute einen Finger, ja, eine Hand drum geben,[168] könnten sie sich dadurch eine solche erkaufen – belehrte nicht Goethe mich, sondern ich belehrte Goethe ..... Ich will kurz erzählen, wie das kam.

Es war eben die Nachricht von der Wahl John Quincy Adam's zum Präsidenten der Vereinigten Staaten in Deutschland angelangt. Goethe erwähnte sie und wünschte sich über die Art und Form einer solchen Wahl zu unterrichten. Ich gab ihm die gewünschte Auskunft, und als ich bemerkte, daß das Volk nicht direct wähle, sondern eine kleine Anzahl Wahlmänner ernenne, brauchte ich den Ausdruck: der Volkswille werde so gleichsam gereinigt oder durchgesiebt. Das Wort gefiel ihm.[169]


982.*


1825, 4. April.


Mit Friedrich von Müller

Heute war ich ein Stündchen bei Goethe, der Naglern einen Velocifer-Character nannte und an dem Plane der Errichtung eines orthopädischen Institutes großen Antheil nahm. Über die (Jubel-) Medaille sprach er sich noch nicht aus. Er zeigt mir Fragmente von ›Tasso‹, die aus dem Theaterbrande herstammten, und äußerte: »Ich bin fast nicht mehr communicabel nach außen, nur daß mein Inneres etwas werth ist, tröstet mich noch.«[169]


983.*


1825, 10. April.


Mit Johann Peter Eckermann

Bei Goethe zu Tische. »Ich habe Euch die gute Nachricht zu vermelden,« sagte er, »daß der Großherzog unsern Riß des neuen Theaters genehmigt hat, und daß mit Legung des Grundes ungesäumt begonnen wird.«

Ich war über diese Eröffnung sehr froh.

»Wir hatten mit allerlei Gegenwirkungen zu kämpfen,« fuhr Goethe fort, »allein wir sind zuletzt glücklich durchgedrungen. Wir haben dabei sehr viel dem Geheimrath Schweitzer zu verdanken, der, wie sich von ihm erwarten ließ, mit tüchtiger Gesinnung treu auf unserer Seite stand. Der Riß ist vom Großherzog eigenhändig unterschrieben und erleidet nunmehr keine weitere Änderung. Freuet euch also; denn ihr bekommt ein sehr gutes Theater.«[170]


984.*


1825, 14. April.


Mit Johann Peter Eckermann

Abends bei Goethe. Da unsere Gespräche über Theater und Theaterleitung einmal an der Zeit waren, so fragte ich ihn, nach welchen Maximen er bei der Wahl eines neues Mitgliedes verfahren.

[170] »Ich könnte es kaum sagen,« erwiederte Goethe. »Ich verfuhr sehr verschieden. Ging dem neuen Schauspieler ein bedeutender Ruf voran, so ließ ich ihn spielen und sah, wie er sich zu den andern passe, ob seine Art und Weise unser Ensemble nicht störe, und ob durch ihn überhaupt bei uns eine Lücke ausgefüllt werde. War es aber ein junger Mensch, der zuvor noch keine Bühne betreten, so sah ich zunächst auf seine Persönlichkeit, ob ihm etwas für sich Einnehmendes, Anziehendes inwohne, und vor allen Dingen, ob er sich in der Gewalt habe; denn ein Schauspieler, der keine Selbstbeherrschung besitzt und sich einem Fremden gegenüber nicht so zeigen kann, wie er es für sich am günstigsten hält, hat überhaupt wenig Talent. Sein ganzes Metier verlangt ja ein fortwährendes Verleugnen seiner selbst und ein fortwährendes Eingehen und Leben in einer fremden Maske. –

Wenn mir nun sein Äußeres und sein Benehmen gefiel, so ließ ich ihn lesen, um sowohl die Kraft und den Umfang seines Organs als auch die Fähigkeiten seiner Seele zu erfahren. Ich gab ihm etwas Erhabenes eines großen Dichters, um zu sehen, ob er das wirklich Große zu empfinden und auszudrücken fähig; dann etwas Leidenschaftliches, Wildes, um seine Kraft zu prüfen. Dann ging ich wohl zu etwas klar Verständigem, Geistreichem, Ironischem, Witzigem über, um zu sehen, wie er sich bei solchen Dingen benehme, und ob er hinlängliche Freiheit des Geistes besitze. Dann[171] gab ich ihm etwas, worin der Schmerz eines verwundeten Herzens, das Leiden einer großen Seele dargestellt war, damit ich erführe, ob er auch den Ausdruck des Rührenden in seiner Gewalt habe.

Genügte er mir nun in allen diesen mannigfaltigen Richtungen, so hatte ich gegründete Hoffnung, aus ihm einen sehr bedeutenden Schauspieler zu machen. War er in einigen Richtungen entschieden besser als in andern, so merkte ich mir das Fach, für welches er sich vorzugsweise eigne. Auch kannte ich jetzt seine schwachen Seiten und suchte bei ihm vor allem dahin zu wirken, daß er diese stärke und ausbilde. Bemerkte ich Fehler des Dialects und sogenannte Provinzialismen, so drang ich darauf, daß er sie ablege, und empfahl ihm zu geselligem Umgange und freundlicher Übung ein Mitglied der Bühne, das davon durchaus frei war. Dann fragte ich ihn, ob er tanzen und fechten könne, und wenn dieses nicht der Fall, so übergab ich ihn auf einige Zeit dem Tanz- und Fechtmeister.

War er nun so weit, um auftreten zu können, so gab ich ihm zunächst solche Rollen, die seiner Individualität gemäß waren, und ich verlangte vorläufig nichts weiter, als daß er sich selber spiele. Erschien er mir nun etwas zu feuriger Natur, so gab ich ihm phlegmatische, erschien er mir aber zu ruhig und langsam, so gab ich ihm feurige, rasche Charactere, damit er lerne sich selber abzulegen und in eine fremde Persönlichkeit einzugehen.«[172] Die Unterhaltung wendete sich auf die Besetzung von Stücken, wobei Goethe unter anderm Folgendes aussprach, welches mir merkwürdig erschien.

»Es ist ein großer Irrthum,« sagte er, »wenn man denkt, ein mittelmäßiges Stück auch mit mittelmäßigen Schauspielern besetzen zu können. Ein Stück zweiten, dritten Ranges kann durch Besetzung mit Kräften ersten Ranges unglaublich gehoben und wirklich zu etwas Gutem werden. Wenn ich aber ein Stück zweiten, dritten Ranges auch mit Schauspielern zweiten, dritten Ranges besetze, so wundere man sich nicht, wenn die Wirkung vollkommen null ist.

Schauspieler secundärer Art sind ganz vortrefflich in großen Stücken. Sie wirken dann wie in einem Gemälde, wo die Figuren im Halbschatten ganz herrliche Dienste thun, um diejenigen, welche das volle Licht haben, noch mächtiger erscheinen zu lassen.«[173]


985.*


1825, 16. April.


Mit Johann Peter Eckermann

und Joseph Wilhelm Eduard d'Alton

Bei Goethe zu Tische mit d'Alton.

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D'Alton sprach über die Nagethiere und die Bildungen und Modificationen ihrer Scelette, und Goethe konnte nicht satt werden immer noch mehr einzelne Facta zu vernehmen.[173]


986.*


1825, 27. April.


Mit Johann Peter Eckermann

Gegen Abend bei Goethe, der mich zu einer Spazierfahrt in den untern Garten hatte einladen lassen. »Ehe wir fahren,« sagte er, »will ich Ihnen doch einen Brief von Zelter geben, den ich gestern erhalten und worin er auch unsere Theaterangelegenheit berührt.«

»Daß Du der Mann nicht bist,« schreibt Zelter unter anderm, »dem Volk in Weimar ein Theater zu bauen, hätte ich Dir schon eher angesehen. Wer sich grün macht, den fressen die Ziegen. Das möchten nur auch andere Hoheiten bedenken, die den Wein in der Gohre pfropfen wollen. Freunde, wir haben's erlebt, ja erleben es.«

Goethe sah mich an, und wir lachten. »Zelter ist brav und tüchtig,« sagte er, »aber er kommt mitunter in den Fall, mich nicht ganz zu verstehen und meinen Worten eine falsche Auslegung zu geben.

Ich habe dem Volk und dessen Bildung mein ganzes Leben gewidmet, warum sollte ich ihm nicht auch ein Theater bauen! Allein hier in Weimar, in dieser kleinen Residenz, die, wie man scherzhafterweise sagt, zehntausend Poeten und einige Einwohner hat, wie kann da viel von Volk die Rede sein – und nun gar von einem Volkstheater! Weimar wird ohne Zweifel einmal eine recht große Stadt werden, allein wir[174] können immer noch einige Jahrhunderte warten, bis das weimarische Volk eine hinlängliche Masse bildet, um ein Theater bauen und erhalten zu können.« ....

Goethe ließ seine Blicke umherschweifen, bald an den Wolken, bald über das Grün hin, das überall an den Seiten des Weges und auf der Wiese wie an Büschen und Hecken mächtig hervorquoll. »Ein warmer Gewitterregen, wie der Abend es verspricht,« sagte er, »und der Frühling wird in der ganzen Pracht und Fülle abermals wieder da sein.«

Indessen ward das Gewölk drohender, man hörte ein dumpfes Donnern, auch einige Tropfen fielen, und Goethe fand es gerathen, wieder in die Stadt zurückzufahren. »Wenn Sie nichts vorhaben,« sagte er, als wir an seiner Wohnung abstiegen, »so gehen Sie wohl mit hinauf und bleiben noch ein Stündchen bei mir.« Welches denn mit großer Freude von mir geschah.

Zelters Brief lag noch auf dem Tische. »Es ist wunderlich, gar wunderlich,« sagte Goethe, »wie leicht man zu der öffentlichen Meinung in eine falsche Stellung geräth! Ich wüßte nicht, daß ich je etwas gegen das Volk gesündigt, aber ich soll nun ein für allemal kein Freund des Volkes sein. Freilich bin ich kein Freund des revolutionären Pöbels, der auf Raub, Mord und Brand ausgeht und hinter dem falschen Schilde des öffentlichen Wohles nur die gemeinsten egoistischen Zwecke im Auge hat. Ich bin kein Freund solcher Leute, ebenso wenig als ich ein Freund eines Ludwig[175] des Funfzehnten bin. Ich hasse jeden gewaltsamen Umsturz, weil dabei ebenso viel Gutes vernichtet als gewonnen wird. Ich hasse die, welche ihn ausführen, wie die, welche dazu Ursache geben. Aber bin ich darum kein Freund des Volkes? Denkt denn jeder rechtlich gesinnte Mann etwa anders?

Sie wissen, wie sehr ich mich über jede Verbesserung freue, welche die Zukunft uns etwa in Aussicht stellt. Aber, wie gesagt, jedes Gewaltsame, Sprunghafte ist mir in der Seele zuwider, denn es ist nicht naturgemäß.

Ich bin ein Freund der Pflanze, ich liebe die Rose als das Vollkommenste, was unsere deutsche Natur als Blume gewähren kann, aber ich bin nicht Thor genug, um zu verlangen, daß mein Garten sie mir schon jetzt, Ende April, gewähren soll. Ich bin zufrieden, wenn ich jetzt die ersten grünen Blätter finde, zufrieden, wenn ich sehe wie ein Blatt nach dem andern den Stengel von Woche zu Woche weiter bildet; ich freue mich, wenn ich im Mai die Knospe sehe, und bin glücklich, wenn endlich der Juni mir die Rose selbst in aller Pracht und in allem Duft entgegenreicht. Kann aber jemand die Zeit nicht erwarten, der wende sich an die Treibhäuser.

Nun heißt es wieder, ich sei ein Fürstendiener, ich sei ein Fürstenknecht. Als ob damit etwas gesagt wäre! Diene ich denn etwa einem Tyrannen? einem Despoten? Diene ich denn etwa einem solchen, der auf[176] Kosten des Volkes nur seinen eigenen Lüsten lebt? Solche Fürsten und solche Zeiten liegen gottlob längst hinter uns. Ich bin dem Großherzog seit einem halben Jahrhundert auf das innigste verbunden und habe ein halbes Jahrhundert mit ihm gestrebt und gearbeitet; aber lügen müßte ich, wenn ich sagen wollte, ich wüßte einen einzigen Tag, wo der Großherzog nicht daran gedacht hätte etwas zu thun und auszuführen, das dem Lande zum Wohle gereichte, und das geeignet wäre den Zustand des einzelnen zu verbessern. Für sich persönlich, was hatte er denn von seinem Fürstenstande als Last und Mühe! Ist seine Wohnung, seine Kleidung und seine Tafel etwa besser bestellt, als die eines wohlhabenden Privatmannes? Man gehe nur in unsere Seestädte und man wird Küche und Keller eines angesehenen Kaufmanns besser bestellt finden, als die seinigen.

Wir werden,« fuhr Goethe fort, »diesen Herbst den Tag feiern, an welchem der Großherzog seit funfzig Jahren regiert und geherrscht hat. Allein, wenn ich es recht bedenke, dieses sein Herrschen was war es weiter als ein beständiges Dienen! Was war es als ein Dienen in Erreichung großer Zwecke, ein Dienen zum Wohl seines Volkes! Soll ich denn also mit Gewalt ein Fürstenknecht sein, so ist es wenigstens mein Trost, daß ich doch nur der Knecht eines solchen bin, der selber ein Knecht des allgemeinen Besten ist.«[177]


987.*


1825, 28. April.


Mit Victor Cousin

Je suis allé à onze heures chez Goethe. On me dit que M. le ministre de Goethe était malade. Jeremis au domestique la lettre de M. Hegel, et me retirai. J'avais déja fait la moitié de la rue, quand je vis accourir le domestique, qui me dit que M. de Goethe désirait me voir. Je repris donc le bel escalier orné de plâtres et de petites statues; puis on m'introduisit dans cette galerie où, il y a huit ans, j'avais eu le plaisir de faire plusieurs tours avec Goethe, et de cette galerie dans le cabinet, où l'on me dit que Goethe allait venir ..... La porte de la galerie s'ouvrit, et je vis un vieillard, que je reconnus sur-le-champ. Il avait une cravate de couleur nouée négligemment, un pantalon de drap gris, une redingote bleue, et la tête nue. Quelle tête! large, haute, imposante comme celle de Jupiter Olympien. Il s'avança lentement et doucement, me montra un sopha, et s'y assit avec moi.

A chaque mot qu'il prononçait, il toussait, sa voix tremblait. En l'écoutant, je le regardais fixement, et je pus juger des ravages que huit années avaient faits sur cette grande et forte figure. Chaque parole lui coûtait; il avait l'air de souffrir; je le lui dis. »Non; je ne souffre pas trop; mais l'âge![178] Il faut seulement que je prenne des précautions, que je ne me livre à rien trop longtemps, et me tienne en équilibre pour pouvoir suffire aux occupations dont je suis capable encore.«

Je lui demandai ses commissions pour Paris, où on commençait à s' intéressait à la littérature allemande, où on traduisait Schiller et Goethe. Je voulais l'amener à me parler de l'état de la littérature en France et prendre ses conseils; mais voici tout ce qu'il me dit: »Oui, tant de traductions prouvent un désir du mieux, et on ne peut nier qu'il n'y ait de la bonne volonté en France... Oui, je le sais; mais je n'ai pas lu ces traductions; comme je vous disais, je dois me tenir en équilibre, et me refuser à des lectures qui mes plairaient. Dans ma jeunesse, je me livrais à tout ce qui m' intéressait; maintenant, il faut que je m'abstienne, et me borne à quelques objets .... On a traduit Faust littéralement? Je le conçois pourtant; pour s'améliorer la langue française n'a besoin que de reculer de quelques siècles et de revenir à Marot... Oui, la langue de Marot... Il faut prendre quelques libertés; peu à peu on s'y habitue.«

On comprend tout ce que j'aurais eu á lui répondre, moi qui trouve insupportable l'archaisme de M. Courier, toutes les fois que la passionne vient pas l'ani mer et le rajeunir, et qui préfère incomparablement la prose simple et mâle du XVIIe siècle[179] à la langue souple et gracieuse, il est vrai, mais déjà maniérée du XVIe. Mais ne voulant pas contredire l'illustre vieillard, et voyant que je n'en pourrais tirer davantage sur la France, je changeai de sujet: »Du moins« – lui dis-je – »je suis heureux que, parmi les choses dont vous pouvez vous occuper, vous ayez mis la nouvelle littérature italienne et mon ami Manzoni.« – »Ah! Manzoni!« (en levant les yeux et avec un accent réfléchi) »c'est un jeune homme bien intéressant. Il a commencé à s'écarter des règles reçues, et surtout de l'unité de lieu. Mais les anciennistes,« dit-il en souriant lui-même de son mot, »ne veulent pas cela... Oui, on lui en a voulu, et cependant il ne s'en est écarté qu'avec mesure, et cela me plait. C'est très bien commencé. D'ailleurs, ces querelles dureront toujours, et il n'y a pas de mal; il faut que chacun fasse à sa manière. Oui, j'ai reçu Adelchi. J'en ai même fait un extrait que je publierai peut-être, si j'en ai l'occasion. Je l'ai bien étudié. Il y a de très belles choses. Je n'aime pas à m'arrêter aux particularités, c'est toujours l'ensemble qu'il faut voir; mais, tenez, vous rappelez-vous ce soldat lombard chez qui se réunissent les conjurés, et qui ne songe qu'à sa propre élévation? Comme il arrange tout pour lui!« Ici Goethe, fatigué et toujours toussant, quoique paraissant s'intéresser à la conversation, accompagna le peu de mots qu'il pouvait[180] prononcer de regards et de gestes, comme pour me faire entendre ce qu'il ne pouvait exprimer. »Comme il fait servir les desseins de tout le monde à son but! Et ensuite, à la cour de Charlemagne, comme il à l'air de protéger ceux qu'il a trahis! Oui, Manzoni se tient à l'histoire et aux personnages réels qu'elle fournit; mais il les élève jusqu'à nous par les caractères qu'il leur donne; il leur prête nos sentiments humains, libéraux même, et il a raison. Nous ne pouvons nous intéresser qu'à ce qui nous ressemble un peu, et non aux Lombards ou Longobards et à la cour de Charlemagne, qui serait aussi un peu trop rude. Voyez Adelchi, c'est un caractère de l'invention de Manzoni.«

Là-dessus je lui dis avec un peu d'émotion: »Les sentiments d'Adelchi mourant sont ceux de Manzoni lui-mème. Manzoni, qui est toujours un poëte lyrique, s'est peint dans Adelchi.« – »Oui, vraiment? Il y a longtemps que j'avais connu son âme et sa manière de sentir dans ses Inni sacri. C'est un catholique naïf et vertueux.«

Je lui exprimai ma reconnaisance, comme ami de Manzoni, de ce qu'il avait eu la bonté de le défendre contre la critique du Quarterly Review. Il me répondit, avec un accent vrai et profond: »J'en fais grand cas, j'en fais grand cas! Adelchi est un plus grand sujet; mais le comte de Carmagnola a[181] bien de la profondeur. Et la partie lyrique en est si belle que ce méchant critique anglais l'a louée et même traduite.«

Je lui appris que Manzoni faisait un roman où il serait plus fidèle à l'histoire que Walter Scott, et appliquerait à la rigueur son système historique. »Et quel en est le sujet?« »Le seizième siècle à Milan.« – »Le seizième siècle à Milan! Manzoni est Milanais, il aura bien étudié ce siècle. Si vous voyez Manzoni, dites-lui combien je l'estime et je l'aime.«

Goethe était si fatigué qu'en conscience je ne voulus pas prolonguer l'entretien. Je me levai, et lui demandai ses ordres pour Paris. Il me dit que pour le moment il n'avait aucune commission à me donner. »Mais croyez,« dit-il en me regardant avec ses yeux calmes et pénétrants, »que je m'intéresse bien à vous; et quand vous serez à Paris, donnez-moi de vos nouvelles.« Là-dessus il inclina doucement sa noble tête, et je sortis.

Le soir, quand je dis à Mme de Schw[endler ?], que j'avais vu Goethe le matin, elle en fut bien surprise, et m'apprit que la veille Goethe avait été saigné, et que le médecin lui avait commandé de ne recevoir personne pendant plusieurs jours. M. le chancelier de Muller, l'un des habitués de la maison de Goethe, qui y avait dîné, me dit que Goethe lui avait parlé de moi avec bonté, et qu'il n'avait pas voulu me laisser quitter Weimar sans me voir.[182]


988.*


1825, 1. Mai.


Mit Johann Peter Eckermann u.a.

Bei Goethe zu Tische. Es ist zu denken, daß der veränderte Theaterbau das erste war, das zwischen uns zur Sprache kam. Ich hatte, wie gesagt, gefürchtet, daß die höchst unerwartete Maßregel Goethe tief verletzen würde. Allein keine Spur! Ich fand ihn in der mildesten, heitersten Stimmung, durchaus über jede kleine Empfindlichkeit erhaben.

»Man hatte,« sagte er, »dem Großherzog von seiten des Kostenpunktes und großer Ersparungen, die bei dem veränderten Bauplan zu machen, beizukommen gesucht, und es ist ihnen gelungen. Mir kann es ganz recht sein. Ein neues Theater ist am Ende doch immer nur ein neuer Scheiterhaufen, den irgend ein Ungefähr über kurz oder lang wieder in Brand steckt. Damit tröste ich mich. Übrigens ein bischen mehr oder weniger, ein bischen auf oder ab ist nicht der Rede werth. Ihr werdet immerhin ein ganz leidliches Haus bekommen, wenn auch nicht gerade so, wie ich es mir gewünscht und gedacht hatte. Ihr werdet hineingehen, und ich werde auch hineingehen, und es wird am Ende alles ganz artig ausfallen.

Der Großherzog,« fuhr Goethe fort, »äußerte gegen mich die Meinung, ein Theater brauche keineswegs ein architectonisches Prachtwerk zu sein; wogegen[183] im ganzen freilich nichts einzuwenden. Er meinte ferner, es sei doch immer nur ein Haus, das den Zweck habe, Geld zu verdienen. Diese Ansicht klingt beim ersten Anhören etwas materiell, allein es fehlt ihr, recht bedacht, auch keineswegs eine höhere Seite; denn will ein Theater nicht blos zu seinen Kosten kommen, sondern obendrein noch Geld erübrigen und Geld verdienen, so muß eben alles durchaus ganz vortrefflich sein. Es muß die beste Leitung an der Spitze haben, die Schauspieler müssen durchweg zu den besten gehören, und man muß fortwährend so gute Stücke geben, daß nie die Anziehungskraft ausgehe, welche dazu gehört, um jeden Abend ein volles Haus zu machen. Das ist aber mit wenigen Worten sehr viel gesagt, und fast das Unmögliche.«

»Die Ansicht des Großherzogs,« sagte ich, »mit dem Theater Geld verdienen zu wollen, scheint also eine durchaus praktische zu sein, indem in ihr eine Nöthigung liegt, sich fortwährend auf der Höhe des Vortrefflichen zu erhalten.«

»Shakespeare und Molière,« erwiederte Goethe, »hatten auch keine andere. Beide wollten auch vor allen Dingen mit ihren Theatern Geld verdienen. Damit sie aber diesen ihren Hauptzweck erreichten, mußten sie dahin trachten, daß fortwährend alles im besten Stande und neben dem alten Guten immer von Zeit zu Zeit etwas tüchtiges Neues da sei, das reize und anlocke. Das Verbot des ›Tartuffe‹ war für[184] Molière ein Donnerschlag – aber nicht sowohl für den Poeten als für den Director Molière, der für das Wohl einer bedeutenden Truppe zu sorgen hatte, und der sehen mußte, wie er für sich und die Seinigen Brot schaffte.

Nichts,« fuhr Goethe fort, »ist für das Wohl eines Theaters gefährlicher, als wenn die Direction so gestellt ist, daß eine größere oder geringere Einnahme der Kasse sie persönlich nicht weiter berührt und sie in der sorglosen Gewißheit hinleben kann, daß dasjenige, was im Laufe des Jahres an der Einnahme der Theaterkasse gefehlt hat, am Ende desselben aus irgend einer andern Quelle ersetzt wird. Es liegt einmal in der menschlichen Natur, daß sie leicht erschlafft, wenn persönliche Vortheile oder Nachtheile sie nicht nöthigen. Nun ist zwar nicht zu verlangen, daß ein Theater in einer Stadt wie Weimar sich selbst erhalten solle und daß kein jährlicher Zuschuß aus der fürstlichen Kasse nöthig sei, allein es hat doch alles sein Ziel und seine Grenze, und einige tausend Thaler jährlich mehr oder weniger sind doch keineswegs eine gleichgültige Sache, besonders da die geringere Einnahme und das Schlechterwerden des Theaters natürliche Gefährten sind, und also nicht blos das Geld verloren geht, sondern die Ehre zugleich.

Wäre ich der Großherzog, so würde ich künftig, bei einer etwa eintretenden Veränderung der Direction, als jährlichen Zuschuß ein für allemal eine feste Summe[185] bestimmen; ich würde etwa den Durchschnitt der Zuschüsse der letzten zehn Jahre ermitteln lassen und danach eine Summe ermäßigen, die zu einer anständigen Erhaltung als hinreichend zu achten wäre. Mit dieser Summe müßte man haushalten. Dann würde ich aber einen Schritt weiter gehen und sagen; wenn der Director mit seinen Regisseuren durch eine kluge und energische Leitung es dahin bringt, daß die Kasse am Ende des Jahres einen Überschuß hat, so soll von diesem Überschuß dem Director, den Regisseuren und den vorzüglichsten Mitgliedern der Bühne eine Remuneration zutheil werden. Da solltet Ihr einmal sehen, wie es sich regen, und wie die Anstalt aus dem Halbschlafe, in welchen sie nach und nach gerathen muß, erwachen würde.

Unsere Theatergesetze,« fuhr Goethe fort, »haben zwar allerlei Strafbestimmungen, allein sie haben kein einziges Gesetz, das auf Ermunterung und Belohnung ausgezeichneter Verdienste ginge. Dies ist ein großer Mangel; denn wenn mir bei jedem Versehen ein Abzug von meiner Gage in Aussicht steht, so muß mir auch eine Ermunterung in Aussicht stehen, wenn ich mehr thue, als man eigentlich von mir verlangen kann. Dadurch aber, daß alle mehr thun als zu erwarten und zu verlangen, kommt ein Theater in die Höhe.«

Frau von Goethe und Fräulein Ulrike traten herein; beide wegen des schönen Wetters sehr anmuthig sommerhaft gekleidet. Die Unterhaltung über Tische war leicht und heiter. Man sprach über allerlei Vergnügungspartien[186] der vergangenen Woche sowie über Aussichten ähnlicher Art für die nächste.

»Wenn wir die schönen Abende behalten,« sagte Frau von Goethe, »so hätte ich große Lust, in diesen Tagen im Park beim Gesang der Nachtigallen einen Thee zu geben. Was sagen Sie, lieber Vater?« – »Das könnte sehr artig sein!« erwiederte Goethe. – »Und Sie, Eckermann,« sagte Frau von Goethe, »wie steht's mit Ihnen? Darf man Sie einladen?« – »Aber Ottilie!« fiel Fräulein Ulrike ein, »wie kannst du nur den Doctor einladen! Er kommt ja doch nicht: und wenn er kommt, so sitzt er wie auf Kohlen, und man sieht es ihm an, daß seine Seele wo anders ist und daß er je eher je lieber wieder fort möchte.« – »Wenn ich ehrlich sagen soll,« erwiederte ich, »so streife ich freilich lieber mit Doolan im Felde umher. Thee und Theegesellschaft und Theegespräch widerstrebt meiner Natur so sehr, daß es mir schon unheimlich wird, wenn ich nur daran denke.« – »Aber, Eckermann,« sagte Frau von Goethe, »bei einem Thee im Park sind Sie ja im Freien und ganz in Ihrem Element.« – »Im Gegentheil,« sagte ich. »Wenn ich der Natur so nahe bin, daß ich alle Düfte wittere und doch nicht eigentlich hinein kann, so wird es mir ungeduldig wie einer Ente, die man in die Nähe des Wassers bringt, aber am Hineintauchen hindert.« – »Sie könnten auch sagen,« bemerkte Goethe lachend, »es würde Ihnen zu Sinne wie einem Pferde, das seinen Kopf zum Stalle[187] hinausstreckt und auf einer gedehnten Weidefläche vor sich andere Pferde frei umherjagen sieht. Es riecht zwar alle Wonne und Freiheit der frischen Natur, aber es kann nicht hinein. Doch laßt nur den Eckermann! er ist wie er ist, und Ihr macht ihn nicht anders. Aber sagen Sie, mein Allerbester, was treiben Sie denn mit Ihrem Doolan die schönen langen Nachmittage im freien Felde?« – »Wir suchen irgend ein einsames Thal,« sagte ich, »und schießen mit Pfeil und Bogen.« – »Hm!« sagte Goethe, »das mag kein schlechtes Vergnügen sein.« – »Es ist herrlich,« sagte ich, »um die Gebrechen des Winters los zu werden.« – »Wie aber in aller Welt,« sagte Goethe, »sind Sie hier in Weimar zu Pfeil und Bogen gekommen?« – »Zu den Pfeilen,« erwiederte ich, »habe ich mir in dem Feldzuge von 1814 ein Modell aus Brabant mitgebracht. Das Schießen mit Pfeil und Bogen ist dort allgemein ..... Ich war damals für das Bogenschießen so begeistert, daß ich dachte, es sei etwas Großes, es in Deutschland einzuführen, und ich war so dumm, daß ich glaubte, es sei möglich. Ich handelte wiederholt auf einen Bogen; allein unter zwanzig Franken war keiner zu haben, und wie sollte ich armer Feldjäger so viel Geld auftreiben! Ich beschränkte mich daher auf einen Pfeil, als das Wichtigere und Künstlichere, den ich in einer Fabrik zu Brüssel für einen Franken kaufte und neben einer Zeichnung als meine einzige Eroberung mit in meine Heimat brachte.«

[188] »Das sieht Ihnen ähnlich,« erwiederte Goethe. »Aber denken Sie nur nicht, man könnte etwas Natürliches und Schönes populär machen. Zum wenigsten will es Zeit haben und verlangt verzweifelte Künste. Aber ich kann mir denken, es mag schön sein dieses Brabanter Schießen. Unser deutsches Kegelbahnvergnügen erscheint dagegen roh und ordinär und hat sehr viel vom Philister.«

»Das Schöne beim Bogenschießen ist,« erwiederte ich, »daß es den Körper gleichmäßig entwickelt und die Kräfte gleichmäßig in Anspruch nimmt. Da ist der linke Arm, der den Bogen hinaushält, straff, stark und ohne Wanken; da ist der rechte, der mit dem Pfeil die Senne zieht und nicht weniger kräftig sein muß. Zugleich beide Füße und Schenkel strack zum Boden gestreckt, dem Oberkörper als feste Basis. Das zielende Auge, die Muskeln des Halses und Nackens, alles in hoher Spannung und Thätigkeit. Und nun das Gefühl und die Freude, wenn der Pfeil hinauszischt und im erwünschten Ziele steckt! Ich kenne keine körperliche Übung, die nur irgend damit zu vergleichen.«

»Es wäre etwas für unsere Turnanstalten,« versetzte Goethe. »Und da sollte es mich nicht wundern, wenn wir nach zwanzig Jahren in Deutschtand tüchtige Bogenschützen zu Tausenden hätten. Überhaupt mit einer erwachsenen Generation ist nie viel zu machen, in körperlichen Dingen wie in geistigen, in Dingen des[189] Geschmacks wie des Characters; seid aber klug und fangt in den Schulen an, und es wird gehen.«

»Aber unsere deutschen Turnlehrer,« erwiederte ich, »wissen mit Pfeil und Bogen nicht umzugehen.«

»Nun,« antwortete Goethe, »da mögen sich einige Turnanstalten vereinigen und einen tüchtigen Schützen aus Flandern oder Brabant kommen lassen. Oder sie mögen auch einige hübsche wohlgewachsene junge Turner nach Brabant schicken, daß sie sich dort zu guten Schützen ausbilden und auch lernen, wie man die Bogen schnitze und die Pfeile mache. Diese könnten dann in deutschen Turnanstalten als Lehrer eintreten, als wandernde Lehrer, die sich bald bei dieser Anstalt eine Zeit lang aufhielten und bald bei einer andern.

Ich bin,« fuhr Goethe fort, »den deutschen Turnübungen durchaus nicht abgeneigt. Um so mehr hat es mir leid gethan, daß sich sehr bald allerlei Politisches dabei einschlich, sodaß die Behörden sich genöthigt sahen, sie zu beschränken oder wohl gar zu verbieten und aufzuheben. Dadurch ist nun das Kind mit dem Bade verschüttet. Aber ich hoffe, daß man die Turnanstalten wieder herstelle, denn unsere deutsche Jugend bedarf es, besonders die studirende, der bei dem vielen geistigen und gelehrten Treiben alles körperliche Gleichgewicht fehlt und somit jede nöthige Thatkraft zugleich. Aber sagen Sie mir noch etwas von Ihrem Pfeil und Bogen. Also einen Pfeil haben Sie sich aus Brabant mitgebracht? Ich möchte ihn sehen.«

[190] »Er ist längst verloren,« erwiederte ich. »Aber ich hatte ihn so gut in Gedanken, daß es mir gelungen ist ihn wieder herzustellen, und zwar statt des einen ein ganzes Dutzend. Das war aber gar nicht so leicht als ich mir dachte ..... Das Schwierigste und Künstlichste war aber jetzt noch zu thun, nämlich den Pfeil zu befiedern. Was habe ich da gepfuscht und für Mißgriffe gethan, ehe es mir gelang und ich es darin zu einiger Geschicklichkeit brachte!«

»Nicht wahr,« sagte Goethe, »die Federn werden nicht in den Schaft eingelassen, sondern aufgeleimt?«

»Sie werden aufgeleimt,« erwiederte ich; »aber das muß so fest, zierlich und gut geschehen, daß es aus sieht als wären sie mit dem Schafte eins und aus ihm hervorgewachsen ..... Zwar sind die abgezogenen Fahnen der Schwungfedern jedes großen Vogels gut, doch habe ich die rothen Flügelfedern des Pfaus, die großen Federn des Truthahns, besonders aber die starken und prächtigen von Adler und Trappe als die vorzüglichsten gefunden.«

»Ich höre dieses alles mit großem Interesse,« sagte Goethe. »Wer sie nicht kennt, sollte kaum glauben, daß Ihre Richtungen so lebendig wären. Aber sagen Sie mir nun auch, wie Sie zu einem Bogen gekommen.«

»Ich habe mir selber einige gemacht,« erwiederte ich, »aber dabei anfänglich auch wieder ganz entsetzlich[191] gepfuscht ..... Man rieth mir darauf, einen Stamm zu nehmen, der stark genug sei um ihn schlachten zu können und zwar zu vier Theilen.«

»Schlachten?« fragte Goethe, »was ist das?«

»Es ist ein Kunstausdruck der Wagner,« erwiederte ich, »und heißt soviel als spalten, und zwar wird dabei ein Keil durch den Stamm der Länge nach von einem Ende bis zum andern durchgetrieben. War nun der Stamm gerade gewachsen, ich meine: strebte die Faser in gerader Richtung aufwärts, so werden auch die geschlachteten Stücke gerade sein und sich durchaus zum Bogen eignen. War aber der Stamm gewunden, so werden die geschlachteten Stücke, indem der Keil der Faser nachgeht, eine gekrümmte, gewundene Richtung haben und zum Bogen nicht zu gebrauchen sein.«

»Wie wäre es aber,« sagte Goethe, »wenn man einen solchen Stamm mit der Säge in vier Theile schnitte? da bekäme man doch auf jeden Fall gerade Stücke.«

»Man würde,« erwiederte ich, »bei einem Stamm mit etwas gewundener Richtung die Faser durchschneiden, und das würde die Theile zu einem Bogen durchaus unbrauchbar machen.«

»Ich begreife,« sagte Goethe, »ein Bogen mit durchschnittener Faser würde brechen. Doch erzählen Sie weiter, die Sache interessirt mich.«

»Ich machte also,« fuhr ich fort, »meinen zweiten Bogen aus einem Stück geschlachteter Esche.«


[192] [Dann setzt Eckermann auseinander, welch' großer Unterschied zwischen demselben Holz von verschiedenen Stämmen ist je nach dem Orte, an dem sie gewachsen.]


»Sie können denken,« sagte Goethe »daß Ihre Beobachtungen für mich, der sich ein halbes Leben mit dem Wachsthum der Pflanzen und Bäume beschäftigt hat, von besonderm Interesse sind. Doch erzählen Sie weiter! Sie machten also wahrscheinlich darauf einen Bogen von der zähen Esche.«

»Ich that so,« erwiederte ich, »und zwar nahm ich ein gutgeschlachtetes Stück von der Winterseite, wo ich auch eine ziemlich seine Faser fand. Auch war der Bogen weich im Aufziehen und von guter Schnellkraft. Allein nachdem er einige Monate in Gebrauch gewesen, zeigte sich bereits eine merkliche Krümmung, und es war deutlich, daß die Spannkraft nicht Stich halte. Ich machte dann Versuche mit dem Stamm einer jungen Eiche, welches auch ganz gutes Holz war, wobei ich aber nach einiger Zeit denselbigen Fehler fand; dann mit dem Stamm der Walnuß, welches besser, und zuletzt mit dem Stamme des feinblätterigen Ahorns, des sogenannten Maßholder, welches das beste war und nichts weiter zu wünschen übrig ließ.«

»Ich kenne das Holz,« erwiederte Goethe; »man findet es auch häufig in Hecken. Ich kann mir denken, daß es gut ist. Doch habe ich selten einen jungen Stamm gefunden, der ohne Äste war, und Sie bedürfen doch wohl zum Bogen ein Holz, das ganz frei von Ästen ist?«[193] »Ein junger Stamm,« erwiederte ich, »ist freilich nicht ohne Äste; doch wenn man ihn zum Baume aufzieht, so werden ihm die Äste genommen, oder wenn er im Dickicht aufwächst, so verlieren sie sich mit der Zeit von selber ..... Man wird daher auf jeden Fall sicher gehen, wenn man bei einer aus solchem Stamm gesägten Bohle sich gleichfalls an die Außenseite hält und einige Zoll von demjenigen Stück sich abschneiden läßt, was zunächst unter der Rinde war, also den Splint und was ihm folgt, welches überhaupt das jüngste, zäheste und zu einem Bogen das tauglichste Holz ist.«

»Ich meinte,« versetzte Goethe, »das Holz zu einem Bogen dürfte nicht gesägt, sondern müßte gespalten oder, wie Sie es nennen, geschlachtet werden.«

»Wenn es sich schlachten läßt,« erwiederte ich, »allerdings. Die Esche, die Eiche, auch wohl die Walnuß läßt sich schlachten, weil es Holz von grober Faser ist. Der Maßholder aber nicht; denn es ist ein Holz von so feiner, fest ineinandergewachsener Faser, daß es sich in der Faserrichtung durchaus nicht trennt, sondern herüber und hinüber reißt, ganz gegen alle Faser und alle natürlich gewachsene Richtung. Das Holz des Maßholder muß daher mit der Säge getrennt werden, und zwar ohne alle Gefahr für die Kraft des Bogens.«

»Hm! Hm!« sagte Goethe. »Sie sind übrigens durch Ihre Bogentendenz zu ganz hübschen Kenntnissen gekommen, und zwar zu lebendigen, die man nur auf[194] praktischem Wege erlangt. Das ist aber immer der Vortheil irgend einer leidenschaftlichen Richtung, daß sie uns in das Innere der Dinge treibt. Auch ist das Suchen und Irren gut, denn durch Suchen und Irren lernt man. Und zwar lernt man nicht blos die Sache, sondern den ganzen Umfang. Was wüßte ich von der Pflanze und der Farbe, wenn man meine Theorie mir fertig überliefert und ich beides auswendig gelernt hätte! Aber daß ich eben alles selber suchen und finden und auch gelegentlich irren mußte, dadurch kann ich sagen, daß ich von beiden Dingen etwas weiß, und zwar mehr als auf dem Papiere steht. Aber sagen Sie mir noch eins von Ihrem Bogen. Ich habe schottische gesehen, die bis zu den Spitzen hinaus ganz gerade, andere dagegen, deren Spitzen gekrümmt waren. Welche halten Sie für die besten?«

»Ich halte dafür,« erwiederte ich, »daß bei einem Bogen mit rückwärts geschweiften Enden die Federkraft bei weitem mächtiger ist. Anfangs machte ich sie gerade, weil ich nicht verstand die Enden zu biegen. Nachdem ich aber gelernt damit umzugehen, mache ich die Enden geschweift, und ich finde, daß der Bogen dadurch nicht allein ein schöneres Ansehen, sondern auch eine größere Gewalt erlangt.«

»Nicht wahr,« sagte Goethe, »man bewirkt die Krümmung durch Hitze?«

»Durch feuchte Hitze,« erwiederte ich .....

»Wissen Sie was?« versetzte Goethe mit einem geheimnißvollen[195] Lächeln. »Ich glaube, ich habe etwas für Sie, das Ihnen nicht unlieb wäre. Was dächten Sie, wenn wir zusammen hinuntergingen und ich Ihnen einen echten Baschkirenbogen in die Hände legte!«

»Einen Baschkirenbogen?« rief ich voll Begeisterung, »und einen echten?«

»Ja, närrischer Kerl, einen echten!« sagte Goethe. »Kommen Sie nur.«

Wir gingen hinab in den Garten. Goethe öffnete das untere Zimmer eines kleinen Nebengebäudes, das auf den Tischen und an den Wänden umher mit Seltenheiten und Merkwürdigkeiten aller Art vollgepfropft erschien. Ich überlief alle diese Schätze nur flüchtig, meine Augen suchten den Bogen. »Hier haben Sie ihn,« sagte Goethe, indem er ihn in einem Winkel aus einem Haufen von allerlei seltsamen Geräthschaften hervornahm. »Ich sehe, er ist noch in demselbigen Stande, wie er im Jahre 1814 von einem Baschkirenhäuptling mir verehrt wurde. Nun, was sagen Sie?«

Ich war voller Freude, die liebe Waffe in meinen Händen zu halten. Es schien alles unversehrt und auch die Senne noch vollkommen brauchbar. Ich probirte ihn in meinen Händen und fand ihn auch noch von leidlicher Schnellkraft. »Es ist ein guter Bogen,« sagte ich. »Besonders aber gefällt mir die Form, die mir künftig als Modell dienen soll.«

»Von welchem Holz, denken Sie, ist er gemacht?« sagte Goethe.[196]

»Er ist, wie Sie sehen,« erwiederte ich, »mit feiner Birkenschale so überdeckt, daß von dem Holz wenig sichtbar und nur die gekrümmten Enden frei geblieben. Und auch diese sind durch die Zeit so angebräunt, daß man nicht recht sehen kann, was es ist. Auf den ersten Anblick sieht es aus wie junge Eiche, und dann wieder wie Nußbaum. Ich denke, es ist Nußbaum, oder ein Holz, das dem ähnlich. Ahorn oder Maßholder ist es nicht. Es ist ein Holz von grober Faser, auch sehe ich Merkmale, daß es geschlachtet worden.«

»Wie wäre es,« sagte Goethe, »wenn Sie ihn einmal probirten! Hier haben Sie auch einen Pfeil. Doch hüten Sie sich vor der eisernen Spitze, sie könnte vergiftet sein.«

Wir gingen wieder in den Garten, und ich spannte den Bogen. »Nun wohin?« sagte Goethe. – »Ich dächte, erst einmal in die Luft,« erwiederte ich.- »Nur zu!« sagte Goethe. Ich schoß hoch gegen die sonnigen Wolken in blauer Luft. Der Pfeil hielt sich gut, dann bog er sich und sauste wieder herab und fuhr in die Erde. »Nun lassen Sie mich einmal,« sagte Goethe. Ich war glücklich, daß er auch schießen wollte. Ich gab ihm den Bogen und hatte den Pfeil. Goethe schob die Kerbe des Pfeiles in die Senne, auch faßte er den Bogen richtig, doch dauerte es ein Weilchen, bis er damit zurechtkam. Nun zielte er nach oben und zog die Senne. Er stand da wie der Apoll, mit unverwüstlicher innerer Jugend, doch alt an Körper. Der[197] Pfeil erreichte nur eine sehr mäßige Höhe und senkte sich wieder zur Erde. Ich lies und holte den Pfeil. »Noch einmal!« sagte Goethe. Er zielte jetzt in horizontaler Richtung den sandigen Weg des Gartens hinab. Der Pfeil hielt sich etwa dreißig Schritte ziemlich gut, dann senkte er sich und schwirrte am Boden hin .... Ich brachte ihm den Pfeil zurück. Er bat mich, auch einmal in horizontaler Richtung zu schießen, und gab mir zum Ziel einen Fleck im Fensterladen seines Arbeitszimmers. Ich schoß. Der Pfeil war nicht weit vom Ziele, aber so tief in das weiche Holz gefahren, daß es mir nicht gelang, ihn wieder herauszubringen. »Lassen Sie ihn stecken,« sagte Goethe, »er soll mir einige Tage als eine Erinnerung an unsere Späße dienen.«

Wir gingen bei dem schönen Wetter im Garten auf und ab; dann setzten wir uns auf eine Bank, mit dem Rücken gegen das junge Laub einer dicken Hecke. Wir sprachen über den Bogen des Odysseus, über die Helden des Homer, dann über die griechischen Tragiker, und endlich über die vielverbreitete Meinung, daß das griechische Theater durch Euripides in Verfall gerathen. Goethe war dieser Meinung keineswegs.

»Überhaupt,« sagte er, »bin ich nicht der Ansicht, daß eine Kunst durch irgend einen einzigen Mann in Verfall gerathen könne. Es muß dabei sehr vieles zusammenwirken, was aber nicht so leicht zu sagen. Die tragische Kunst der Griechen konnte so wenig durch[198] Euripides in Verfall gerathen, als die bildende Kunst durch irgend einen großen Bildhauer, der neben Phidias lebte, aber geringer war; denn die Zeit, wenn sie groß ist, geht auf dem Wege des Bessern fort, und das Geringere bleibt ohne Folge.

Was war aber die Zeit des Euripides für eine große Zeit! Es war nicht die Zeit eines rückschreitenden, sondern die Zeit eines vorschreitenden Geschmacks. Die Bildhauerei hatte ihren höchsten Gipfel noch nicht erreicht, und die Malerei war noch im frühern Werden. Hatten die Stücke des Euripides, gegen die des Sophokles gehalten, große Fehler, so war damit nicht gesagt, daß die nachkommenden Dichter diese Fehler nachahmen und an diesen Fehlern zu Grunde gehen mußten. Hatten sie aber große Tugenden, so daß man einige sogar den Stücken des Sophokles vorziehen mochte, warum strebten denn die nachkommenden Dichter nicht diesen Tugenden nach, und warum wurden sie denn nicht wenigstens so groß als Euripides selber?

Erschien aber nach den bekannten drei großen Tragikern dennoch kein ebenso großer vierter, fünfter und sechster, so ist das freilich eine Sache, die nicht so leicht zu beantworten ist, worüber man jedoch seine Vermuthungen haben und der man wohl einigermaßen nahe kommen kann.

Der Mensch ist ein einfaches Wesen. Und wie reich, mannigfaltig und unergründlich er auch sein mag, so ist doch der Kreis seiner Zustände bald durchlaufen.[199] Wären es Umstände gewesen wie bei uns armen Deutschen, wo Lessing zwei bis drei, ich selber drei bis vier, und Schiller fünf bis sechs passable Theaterstücke geschrieben, so wäre auch wohl noch für einen vierten, fünften und sechsten tragischen Poeten Raum gewesen.

Allein bei den Griechen und dieser Fülle ihrer Production, wo jeder der drei Großen über hundert oder nahe an hundert Stücke geschrieben hatte und die tragischen Sujets des Homer und der Heldensage zum Theil drei- bis viermal behandelt waren, bei solcher Fülle des Vorhandenen, sage ich, kann man wohl annehmen, daß Stoff und Gehalt nach und nach erschöpft war, und ein auf die drei großen folgender Dichter nicht mehr recht wußte, wo hinaus.

Und im Grunde wozu auch? War es denn nicht endlich für eine Weile genug? Und war das von Äschylos, Sophokles und Euripides Hervorgebrachte nicht der Art und Tiefe, daß man es hören und immer wieder hören konnte, ohne es trivial zu machen und zu tödten? Sind doch diese auf uns gekommenen wenigen grandiosen Trümmer schon von solchem Umfang und solcher Bedeutung, daß wir armen Europäer uns bereits seit Jahrhunderten damit beschäftigen und noch einige Jahrhunderte daran werden zu zehren und zu thun haben.«[200]


989.*


1825, 12. Mai.


Mit Johann Peter Eckermann

Goethe sprach mit hoher Begeisterung über Menander. »Nächst dem Sophokles,« sagte er, »kenne ich keinen, der mir so lieb wäre. Er ist durchaus rein, edel, groß und heiter; seine Anmuth ist unerreichbar. Daß wir so wenig von ihm besitzen, ist allerdings zu bedauern, allein auch das wenige ist unschätzbar und für begabte Menschen viel daraus zu lernen.

Es kommt nur immer darauf an,« fuhr Goethe fort, »daß derjenige, von dem wir lernen wollen, unserer Natur gemäß sei. So hat z.B. Calderon, so groß er ist und so sehr ich ihn bewundere, auf mich gar keinen Einfluß gehabt, weder im Guten noch im Schlimmen. Schillern aber wäre er gefährlich gewesen, er wäre an ihm irre geworden, und es ist daher ein Glück, daß Calderon erst nach seinem Tode in Deutschland in allgemeine Aufnahme gekommen. Calderon ist unendlich groß im Technischen und Theatralischen, Schiller dagegen weit tüchtiger, ernster und größer im Wollen, und es wäre daher schade gewesen, von solchen Tugenden vielleicht etwas einzubüßen, ohne doch die Größe Calderon's in anderer Hinsicht zu erreichen.«

Wir kamen auf Molière. »Molière,« sagte Goethe, »ist so groß, daß man immer von neuem erstaunt, wenn man ihn wieder liest. Er ist ein Mann für sich,[201] seine Stücke grenzen ans Tragische, sie sind apprehensiv, und niemand hat den Muth, es ihm nachzuthun. Sein ›Geiziger‹, wo das Laster zwischen Vater und Sohn alle Pietät aufhebt, ist besonders groß und im hohen Sinne tragisch. Wenn man aber in einer deutschen Bearbeitung aus dem Sohn einen Verwandten macht, so wird es schwach und will nicht viel mehr heißen. Man fürchtet, das Laster in seiner wahren Natur erscheinen zu sehen, allein was wird es da, und was ist denn überall tragisch wirksam als das Unerträgliche?

Ich lese von Molière alle Jahre einige Stücke, so wie ich auch von Zeit zu Zeit die Kupfer nach den großen italienischen Meistern betrachte; denn wir kleinen Menschen sind nicht fähig, die Größe solcher Dinge in uns zu bewahren, und wir müssen daher von Zeit zu Zeit immer dahin zurückkehren, um solche Eindrücke in uns anzufrischen.

Man spricht immer von Originalität, allein was will das sagen! Sowie wir geboren werden, fängt die Welt an auf uns zu wirken, und das geht so fort bis ans Ende. Und überall: was können wir denn unser Eigenes nennen als die Energie, die Kraft, das Wollen! Wenn ich sagen könnte, was ich alles großen Vorgängern und Mitlebenden schuldig geworden bin, so bliebe nicht viel übrig.

Hierbei aber ist es keineswegs gleichgültig, in welcher Epoche unseres Lebens der Einfluß einer fremden bedeutenden Persönlichkeit stattfindet.

[202] Daß Lessing, Winckelmann und Kant älter waren als ich, und die beiden erstern auf meine Jugend, der letztere auf mein Alter wirkte, war für mich von großer Bedeutung.

Ferner daß Schiller so viel jünger war und im frischesten Streben begriffen, da ich an der Welt müde zu werden begann; ingleichen daß die Gebrüder von Humboldt und Schlegel unter meinen Augen aufzutreten anfingen, war von der größten Wichtigkeit. Es sind mir daher unnennbare Vortheile entstanden.«

Nach solchen Äußerungen über die Einflüsse bedeutender Personen auf ihn kam das Gespräch auf die Wirkungen, die er auf andere gehabt, und ich erwähnte Bürger, bei welchem es mir problematisch erscheine, daß bei ihm, als einem reinen Naturtalent, gar keine Spur einer Einwirkung von Goethes Seite wahrzunehmen.

»Bürger,« sagte Goethe, »hatte zu mir wohl eine Verwandtschaft als Talent, allein der Baum seiner sittlichen Cultur wurzelte in einem ganz andern Boden und hatte eine ganz andere Richtung. Und jeder geht in der aufsteigenden Linie seiner Ausbildung fort, so wie er angefangen. Ein Mann aber, der in seinem dreißigsten Jahre ein Gedicht wie die ›Frau Schnips‹ schreiben konnte, mußte wohl in einer Bahn gehen, die von der meinigen ein wenig ablag. Auch hatte er durch sein bedeutendes Talent sich ein Publicum gewonnen, dem er völlig genügte, und er hatte daher[203] keine Ursache, sich nach den Eigenschaften eines Mitstrebenden umzuthun, der ihn weiter nichts anging.

Überall,« fuhr Goethe fort, »lernt man nur von dem, den man liebt. Solche Gesinnungen finden sich nun wohl gegen mich bei jetzt heranwachsenden jungen Talenten, allein ich fand sie sehr spärlich unter gleichzeitigen. Ja ich wüßte kaum einen einzigen Mann von Bedeutung zu nennen, dem ich durchaus recht gewesen wäre. Gleich an meinem ›Werther‹ tadelten sie so viel, daß, wenn ich jede gescholtene Stelle hätte tilgen wollen, von dem ganzen Buche keine einzige Zeile geblieben wäre. Allein aller Tadel schadete mir nichts; denn solche subjective Urtheile einzelner, obgleich bedeutender Männer stellten sich durch die Masse wieder ins Gleiche. Wer aber nicht eine Million Leser erwartet, sollte keine Zeile schreiben.

Nun streitet sich das Publicum seit zwanzig Jahren, wer größer sei: Schiller oder ich, und sie sollten sich freuen, daß überall einpaar Kerle da sind, worüber sie streiten können.«[204]


990.*


1825, zwischen 26. und 29. Mai.


Mit Heinrich Meyer

Wenn Herr Brandt seinem Werk [der Medaille zum Jubiläum des Großherzogs], welches ihm alle Ehre macht, seinen Namen beisetzen will, so wünscht[204] Herr Staatsminister v. Goethe (und ich halte es auch für die schicklichste Stelle), daß derselbe auf dem Abschnitt der Schulter des Bildnisses angebracht werde.

– – – – – – – – – – – – – – – –

Herr St. M. v. Goethe ist gegenwärtig bei ziemlichem Wohlbefinden, und die schöne Arbeit des Herrn Brandt hat ihn gleich in die nöthige Stimmung versetzt an den Revers zu denken und uns seinen Vorschlag dazu mitzutheilen. Dieser ist ungefähr folgender. Der Zodiakus bildet auf der Kehrseite einen Kreis wie der Blätterkranz auf der Vorderseite der Medaille; der Raum oder die Abtheilung, worin die Wage ist, steht oben; hinter oder in demselben Andeutung des Sonnenbildes, und im mittlern runden Feld, welches der Zodiakus umschließt, kommen zwei oder drei Worte zu stehen.[205]


991.*


1825, 28. Mai.


Mit Friedrich von Müller

und Heinrich Meyer

Abends von 6-8 1/2 Uhr war ich mit Meyern bei ihm. Anfangs schien er weniger aufgelegt, wurde aber immer mittheilender und zuletzt recht gemüthlich. Erst sprachen wir lange über die Gothaische Gemälde-Gallerie; Meyer beschrieb ein Paar vorzügliche Bilder von Correggio (namentlich von dem Knaben mit einem Vogel), die ich ganz übersehen hatte.

[205] Der Berliner Probeabdruck der Jubiläumsmedaille ward vorgezeigt; herrlich gerathen! Goethe holte treffliche Medaillen von Benvenuto Cellini herbei, um durch Vergleich die Schönheit des Berliner Entwurfs noch mehr darzuthun. Als Meyer weg war, sagte er: »Wir sind zu kühn in dieser Sache gewesen, mehr als billig, wir mögen nur Gott danken, daß es so glücklich abläuft.« Nun zeigte er mir schöne Hamburger Steindrücke, was er eine Stunde früher abgelehnt hatte. Louis Devrient und ein zahmer Blücher waren darunter.

Das Gespräch verbreitete sich über die Belagerung von Navarino, über geistige Ähnlichkeit zwischen Frau von Stael und Byron, über die Mémoires sur Mad. de Pompadour, aus denen er mancherlei erzählte, über Gagern und den rechten Gesichtspunkt zu seiner und seiner Schriften Würdigung, über die durchgefallene Emancipationsbill in England, über Rehbein's Tüchtigkeit, der sich von der Jenaischen Naturphilosophie gerade genug angeeignet, um sich ein höheres Urtheil zu bilden und seinen Kopf aufzuhellen, über des alten, verstorbenen Stark practischen Tiefblick, über Goethes tödtliche Krankheit im Jahre 1800, die blos aus einem Brownianischen zurückgetriebenen Katarrh entstanden, über Reil's Gutachten hinsichtlich seiner Nierenkrämpfe, ebenfalls aus katarrhalischem Stoff hergeleitet, über Aufhebung des Sclavenhandels, wodurch eine gewaltigere Zusammenfassung der afrikanischen Völker und[206] Vertreibung der Europäer von Afrika's Küsten drohen dürfte, über die Wichtigkeit des Besitzes der jonischen Inseln aus der venetianischen Erbschaft, über die großen Pläne des ägyptischen Vicekönigs, über Alexander Humboldt's gescheiterte Hoffnung zu politischer Wichtigkeit. »Er ließ« – sagte Goethe – »die Republik hinter sich, als er nach Amerika zog, und fand einen Dictator, als er wiederkehrte, der ihn geringschätzig frug: Sie beschäftigten sich mit Botanik? Ich weiß, daß auch meine Frau sie treibt.« Das National-Institut, das Humboldt aufs Grandioseste hatte mit einrichten helfen, war während dem ganz umgemodelt worden.

Endlich kam Goethe auf Cicero, von dem ihm die erste Rede, die er, erst 27 Jahre alt, zu Defension eines des Mordes angeklagten Landmannes und gegen einen Günstling Sylla's hielt, heute Morgen wieder in die Hand gefallen war. Er characterisirte sie aufs lebendigste nach der Keckheit, Gelbschnabeligkeit, Petulanz, die darin herrsche und doch schon mit großem Verstand und Umsicht gepaart sei. Ehe die römische Republik ausgeartet, fuhr er fort, als Jahrhunderte lang kein Ehebruch vorgekommen, gegen den Vatermord gar kein Gesetz nöthig geschienen etc., sei es doch übrigens so langweilig und nüchtern hergegangen, daß kein honneter Mensch sich dort gelebt zu haben wünschen möchte. Die zwölf Tafeln waren eine elende Compilation. Ich kann mich jetzt mit allem diesen Zeug und Detail nicht mehr abgeben, aber ich weiß wohl, was[207] an jedem dieser Staaten war und halte die Hauptumrisse aller jener Zustände fest in mir.

Den Beschluß machte meine Ankündigung der Gräfin Rapp. Es war schon ganz dunkel geworden, als ich von Goethen schied, der lange nicht so mild und redselig gewesen war.[208]


992.*


1825, Mai (?).


Mit Wilhelm Dorow

In Weimar ward Dorow mit einem splendiden Frühstück bei Goethe regalirt; die Aufnahme war sehr freundlich, und er sagte, als Dorow seine Versetzung in den Ruhestand erzählte: »Jetzt sind Sie in Ihren Lebensverhältnissen dahin gelangt, wohin man zu kommen streben muß, wenn man in einem Fache etwas Tüchtiges leisten will: Sie haben Unabhängigkeit erlangt. Ein großes Glück! ein Gut, welches wenigen Menschen zutheil wird.« – Jetzt, nachdem Reichardt todt, brachte Goethe das Gespräch selbst auf denselben, ließ sich viel von seinen letzten Tagen, seinem Tode erzählen, und schien besonders an Karl v. Raumer, dem Mineralogen, Interesse zu nehmen. Dorow empfand große Freude über die Wärme, mit welcher Goethe von Reichardt sprach. Auf Dorow's Äußerung, daß er nicht begriffe, wie man die Compositionen des alten plumpen Zelter, denen Zartheit und Phantasie[208] fehlen, den Reichardt'schen vorziehen könne, und daß man wohl nur das Gefühl, den guten Geschmack preisgebe, um Parteileidenschaft und Haß zu befriedigen, machte Goethe ein sehr unfreundliches Gesicht und sagte: »Reichardt war ein sehr reich begabter Mann: seine Compositionen meiner Lieder sind das Unvergleichlichste, was ich in dieser Art kenne. Ich habe in Giebichenstein mit Ihrem Onkel sehr glückliche Tage verbracht. Möge es seiner vortrefflichen Wittwe wohlgehen!«

Darauf kam Goethe auf Spontini und meinte, Reichardt's Abneigung gegen Mann und seine Werke käme aus einer zu großen Freundschaft für Cherubini, und äußerte sich tadelnd, daß D. diesen »Heros in der Musik« nicht genauer kennen gelernt und nun nicht imstande sei, ihm mehr von demselben zu erzählen; denn »wird man von einer solchen großen Persönlichkeit auch durch seine Eitelkeit und andere kleine Thorheiten entfernt, so muß man sich doch für sehr beglückt halten, mit einem solchen Mann in Einem Zeitalter geboren zu sein, und um wie viel begünstigter, mit ihm in Einer Stadt zu leben und einen solchen Geist in der Nähe wirken und schaffen zu sehen.«

Goethe holte das Heft mit den Steindrücken von den Externsteinen in Westfalen hervor, ließ sich alles auf's Genaueste beschreiben und fand namentlich das Bildwerk, die Kreuzesabnahme, von sehr großem Interesse; ihm sei etwas Ähnliches von alter Bildhauerarbeit in Deutschland nicht vorgekommen. »Ich werde[209] meine Ansichten darüber aussprechen und Ihnen das Heft senden.«

Goethe wünschte zur Reise nach Italien Glück und reiche Ausbeute, und als er von der Einladung des Papstes und dem eigenhändigen Schreiben desselben an Dorow hörte, veranlaßte er diesen auf das Dringendste, den Brief zu holen. D. that es, und es war merkwürdig, mit welch' eigenthümlicher Aufmerksamkeit Goethe das Schreiben besah, um- und wieder umkehrte, und es nicht genugsam betrachten konnte. Er ergoß sich in Lobeserhebungen nicht allein über den vortrefflichen Stil, sondern besonders über den liebevollen Inhalt in so würdigen Ausdrücken. Goethes stets ernste, unwandelbare Züge, seine Augen waren förmlich leuchtend geworden, und mit großer Zufriedenheit zeigte er noch an D. eine kleine Anticagliensammlung und bat, solche doch zu vermehren.[210]


993.*


1825, 1. Juni.


Mit Friedrich von Müller

Von 6 – 8 1/2 Uhr weilte ich bei Goethe allein.

Er zeigte die Leybold'sche Skizze zum »Charon«, die ganz herrlich gerathen, in brauner Sepia, die Goethen große Freude bereitete. Er sagte über Capitän Parry's Werk »die letzten Lebenstage Byron's«, daß es das Interessanteste unter allem Erschienenen sei.[210] Byron sei aus Verbruß und Ingrimm über die schlechte Wirthschaft in Griechenland gestorben. Er hatte gleich vor Missolunghi umkehren sollen.

Ich las Reinhard's Brief vor; seine Cantate auf die Krönungsfeier gefiel Goethe sehr. An dem Studium der Meteorologie verzweifelte er.

Goethe war im Ganzen sehr munter und wohlwollend. Dem Gefühl der Ordnung und geregelten Thätigkeit spendete er großes Lob.[211]


994.*


1825, 5. Juni.


Mit Johann Peter Eckermann

Goethe erzählte mir, daß Preller bei ihm gewesen und Abschied genommen, um auf einige Jahre nach Italien zu gehen.

»Als Reisesegen,« sagte Goethe, »habe ich ihm gerathen, sich nicht verwirren zu lassen, sich besonders an Poussin und Claude Lorrain zu halten und vor allem die Werke dieser beiden Großen zu studiren, damit ihm deutlich werde, wie sie die Natur angesehen und zum Ausdruck ihrer künstlerischen Anschauungen und Empfindungen gebraucht haben.

Preller ist ein bedeutendes Talent, und mir ist für ihn nicht bange. Er erscheint mir übrigens von sehr ernstem Character, und ich bin fast gewiß, daß er sich eher zu Poussin als zu Claude Lorrain neigen[211] wird. Doch habe ich ihm den letztern zu besonderm Studium empfohlen, und zwar nicht ohne Grund; denn es ist mit der Ausbildung des Künstlers wie mit der Ausbildung jedes andern Talents. Unsere Stärken bilden sich gewissermaßen von selber, aber diejenigen Keime und Anlagen unserer Natur, die nicht unsere tägliche Richtung und nicht so mächtig sind, wollen eine besondere Pflege, damit sie gleichfalls zu Stärken werden.

So können einem jungen Sänger, wie ich schon oft gesagt, gewisse Töne angeboren sein, die ganz vortrefflich sind und die nichts weiter zu wünschen übrig lassen; andere Töne seiner Stimme aber können weniger stark, rein und voll befunden werden. Aber eben diese muß er durch besondere Übung dahin zu bringen suchen, daß sie den andern gleich werden.

Ich bin gewiß, daß Preller'n einst das Ernste, Großartige, vielleicht auch das Wilde ganz vortrefflich gelingen wird; ob er aber im Heitern, Anmuthigen und Lieblichen gleich glücklich sein werde, ist eine andere Frage, und deßhalb habe ich ihm den Claude Lorrain ganz besonders ans Herz gelegt, damit er sich durch Studium dasjenige aneigne, was vielleicht nicht in der eigentlichen Richtung seines Naturells liegt.

Sodann war noch eins, worauf ich ihn aufmerksam gemacht. Ich habe bisher viele Studien nach der Natur von ihm gesehen. Sie waren vortrefflich und mit Energie und Leben aufgefaßt, aber es waren alles[212] nur Einzelheiten, womit später bei eigenen Erfindungen wenig zu machen ist. Ich habe ihm nun gerathen, künftig in der Natur nie einen einzelnen Gegenstand allein herauszuzeichnen, wie einen einzelnen Baum, einen einzelnen Steinhaufen, eine einzelne Hütte, sondern immer zugleich einigen Hintergrund, und einige Umgebung mit. Und zwar aus folgenden Ursachen. Wir sehen in der Natur nie etwas als Einzelheit, sondern wir sehen alles in Verbindung mit etwas anderm, das vor ihm, neben ihm, hinter ihm, unter ihm und über ihm sich befindet. Auch fällt uns wohl ein einzelner Gegenstand als besonders malerisch auf, es ist aber nicht der Gegenstand allein, der diese Wirkung hervorbringt, sondern es ist die Verbindung, in der wir ihn sehen, mit dem, was neben, hinter und über ihm ist, und welches alles zu jener Wirkung beiträgt.

So kann ich bei einem Spaziergange auf eine Eiche stoßen, deren malerischer Effect mich überrascht. Zeichne ich sie aber allein heraus, so wird sie vielleicht gar nicht mehr erscheinen was sie war, weil dasjenige fehlt, was zu ihrem malerischen Effect in der Natur beitrug und ihn steigerte. So kann ferner ein Stück Wald schön sein, weil gerade dieser Himmel, dieses Licht und dieser Stand der Sonne einwirkt. Lasse ich aber in meiner Zeichnung dieses alles hinweg, so wird sie vielleicht ohne alle Kraft als etwas Gleichgültiges dastehen, dem der eigentliche Zauber fehlt.

[213] Und dann noch dieses. Es ist in der Natur nichts schön, was nicht naturgesetzlich als wahr motivirt wäre. Damit aber jene Naturwahrheit auch im Bilde wahr erscheine, so muß sie durch Hinstellung der einwirkenden Dinge begründet werden.

Ich treffe an einem Bache wohlgeformte Steine, deren der Luft ausgesetzte Stellen mit grünem Moos malerisch überzogen sind. Es ist aber nicht die Feuchtigkeit des Wassers allein, was diese Moosbildung verursachte, sondern es ist etwa ein nördlicher Abhang oder schattende Bäume und Gebüsch, was an dieser Stelle des Baches auf jene Bildung einwirkte. Lasse ich aber diese einwirkenden Ursachen in meinem Bilde hinweg, so wird es ohne Wahrheit sein und ohne die eigentliche überzeugende Kraft.

So hat der Stand eines Baumes, die Art des Bodens unter ihm, andere Bäume hinter und neben ihm, einen großen Einfluß auf seine Bildung. Eine Eiche, die auf der windigen westlichen Spitze eines felsigen Hügels steht, wird eine ganz andere Form erlangen, als eine andere, die unten im weichen Boden eines geschützten Thales grünt. Beide können in ihrer Art schön sein, aber sie werden einen sehr verschiedenen Character haben und können daher in einer künstlerisch erfundenen Landschaft wiederum nur für einen solchen Stand gebraucht werden, wie die ihn in der Natur hatten. Und deßhalb ist dem Künstler die mitgezeichnete Umgebung, wodurch der[214] jedesmalige Stand ausgedrückt worden, von großer Bedeutung.

Wiederum aber würde es thöricht sein, allerlei prosaische Zufälligkeiten mitzeichnen zu wollen, die so wenig auf die Form und Bildung des Hauptgegenstandes, als auf dessen augenblickliche malerische Erscheinung Einfluß hatten.

Von allen diesen kleinen Andeutungen habe ich Preller'n die Hauptsachen mitgetheilt, und ich bin gewiß, daß es bei ihm als einem geborenen Talent Wurzel schlagen und gedeihen werde.«[215]


995.*


1825, 11. Juni.


Mit Johann Peter Eckermann

Goethe sprach heute bei Tische sehr viel von dem Buche des Majors Parry über Lord Byron. Er lobte es durchaus und bemerkte, daß Lord Byron in dieser Darstellung weit vollkommener und weit klarer über sich und seine Vorsätze erscheine, als in allem, was bisher über ihn geschrieben worden.

»Der Major Parry,« fuhr Goethe fort, »muß gleichfalls ein sehr bedeutender, ja ein hoher Mensch sein, daß er seinen Freund so rein hat auffassen und so vollkommen hat darstellen können. Eine Äußerung seines Buchs ist mir besonders lieb und erwünscht gewesen, sie ist eines alten Griechen, eines Plutarch[215] würdig. ›Dem edeln Lord‹, sagt Parry, ›fehlten alle jene Tugenden, die den Bürgerstand zieren, und welche sich anzueignen er durch Geburt, durch Erziehung und Lebensweise gehindert war. Nun sind aber seine ungünstigen Beurtheiler sämmtlich aus der Mittelclasse, die denn freilich tadelnd bedauern, dasjenige an ihm zu vermissen, was sie an sich selber zu schätzen Ursache haben. Die wackern Leute bedenken nicht, daß er an seiner hohen Stelle Verdienste besaß, von denen sie sich keinen Begriff machen können.‹ Nun, wie gefällt Ihnen das?« sagte Goethe; »nicht wahr, so etwas hört man nicht alle Tage?«

»Ich freue mich,« sagte ich, »eine Ansicht öffentlich ausgesprochen zu wissen, wodurch alle kleinlichen Tadler und Herunterzieher eines höherstehenden Menschen ein für allemal durchaus gelähmt und geschlagen worden.«

Wir sprachen darauf über welthistorische Gegenstände in Bezug auf die Poesie, und zwar inwiefern die Geschichte des einen Volks für den Dichter günstiger sein könne als die eines andern.

»Der Poet,« sagte Goethe, »soll das Besondere ergreifen, und er wird, wenn dieses nur etwas Gesundes ist, darin ein Allgemeines darstellen. Die englische Geschichte ist vortrefflich zu poetischer Darstellung, weil sie etwas Tüchtiges, Gesundes und daher Allgemeines ist, das sich wiederholt. Die französische Geschichte dagegen ist nicht für die Poesie; denn sie stellt eine Lebensepoche dar, die nicht wiederkommt. Die Literatur[216] dieses Volks, insofern sie auf jene Epoche gegründet ist, steht daher als ein Besonderes da, das mit der Zeit veralten wird.« –

»Die jetzige Epoche der französischen Literatur,« sagte Goethe später, »ist gar nicht zu beurtheilen. Das eindringende Deutsche bringt darin eine große Gährung hervor, und erst nach zwanzig Jahren wird man sehen, was dies für ein Resultat giebt.«

Wir sprachen darauf über Ästhetiker, welche das Wesen der Poesie und des Dichters durch abstracte Definitionen auszudrücken sich abmühen, ohne jedoch zu einem klaren Resultat zu kommen.

»Was ist da viel zu definiren!« sagte Goethe. »Lebendiges Gefühl der Zustände und Fähigkeit es auszudrücken macht den Poeten.«[217]


996.*


1825, 13. Juni.


Mit Friedrich von Müller

Nachmittags macht er [Goethe] mit mir eine Spazierfahrt nach Belvedere. Es war seine erste seit sieben bis acht Monaten, und der Wunsch meinen neuen Wagen zu erproben, gab die Veranlassung.

Das herrliche, milde Wetter, nicht allzuheiß, that ihm sehr wohl. Wir stiegen aus, wandelten in den Alleen umher und setzten uns dann geraume Zeit in das schattige Rondell hinter dem Schlosse. Die serbischen[217] Lieder, Fräulein v. Jacob, mein Türkheimischer Brief gaben Stoff zur Unterhaltung.

»Ungemein viel,« sagte er, »kommt bei solcher Übersetzung fremder Volkslieder auf Beibehaltung der Wortstellung des Originals an. Ich kann eben so wenig serbisch als persisch, aber ich habe mir doch durch Ansicht der Originale die Wortstellung abstrahirt.«

Er frug mich nach Sicherheits-Cautelen bei Verlagsverträgen für den Fall, daß der Buchhändler Concurs mache.

Vom Wahnsinn gab er die einfache Definition, daß er darin bestehe, wenn man von der wahren Beschaffenheit der Gegenstände und Verhältnisse, mit denen man es zu thun habe, weder Kenntniß habe, noch nehmen wolle, diese Beschaffenheit hartnäckig ignorire.

Ich reizte ihn sehr lebhaft an, doch noch eine Schilderung des Tiefurter Lebens zur Zeit der Herzogin-Mutter zu entwerfen.

»Es wäre nicht allzuschwer,« erwiederte er, »man dürfte nur die Zustände ganz treu so schildern, wie sie sich dem poetischen Auge in der Erinnerung darstellen, Dichtung und Wahrheit, ohne daß Erdichtung dabei wäre.«

Reiselust und Reisepläne erwachten in ihm. Heimgekehrt, mußte ich noch ein halb Stündchen bei ihm weilen. Ich erzählte ihm die Motive aus den ›Beiden Freunden‹ von Friedrich v. Fouqué.[218]


997.*


1825, 15. Juni.


Mit Friedrich von Müller

Abermalige Spazierfahrt mit Goethe nach Belvedere. Wir stießen umherwandelnd in eine große Gesellschaft bei Völkel.

Wir besichtigten die Winterhäuser, die ihn veranlaßten, den früheren französischen Gartenformen Lob zu spenden, wenigstens für große Schlösser. »Die geräumigen Laubdächer, Berceaux, Quinconces, lassen doch eine zahlreiche Gesellschaft sich anständig entwickeln und vereinen, während man in unsern englischen Anlagen, die ich naturspäßige nennen möchte, allerwärts an einander stößt, sich hemmt oder verliert.«[219]


998.*


1825, 18. Juni.


Mit Friedrich von Müller

Abends war ich bei ihm von 7 bis 8 Uhr. Er sprach über den Hang der neuen Zeit zum Mysticismus, weil man dabei weniger gründlich zu lernen pflege; sonst habe man viel sein müssen, um etwas zu scheinen. Die Faseleien von einem Vor-Noachidischen Zeitalter könnten doch nie zu etwas führen. Aber leider huldigten selbst diejenigen dem falschen Zeitgeiste, die weit höher stünden. Er behalte sich jedoch noch vor, sie derb zu geißeln.[219]


999.*


1825, August (?).


Über das Regierungsjubiläum

des Großherzogs Carl August

Er [Goethe] hatte vermuthen können, daß ein großer Theil der Fremden ihn kennen zu lernen wünschen möchte. Um dieses sowohl den Fremden, als sich selbst zu erleichtern und zugleich das hohe Fest, wie er immer zu thun pflegte, auf eigenthümliche Weise zu feiern, hatte er schon früher erklärt, daß er am Abend des ersten Festtags offenes Haus geben werde; daran, daß man mit ihm diesen Jubeltag begehe, werde er seine Freunde erkennen.[220]


1000.*


1825, 1. September.


Mit Joseph Sebastian Grüner

Am 1. September 1825 Abend 1/2 8 Uhr langten wir [Grüner nebst seinem Sohn Joseph] in Weimar an und stiegen bei dem Hofrathe und Leibarzte Sr. Königlichen Hoheit Dr. Rehbein ab, der... mich sogleich zu Goethe, der mich bei sich wohnen haben wollte, führte ..... Mich empfing er äußerst liebreich, küssend, wies mir sein eignes, zweites Zimmer mit der Entschuldigung an, daß, weil er zur Feier des Festes eine Soirée für die fremden Gäste gebe, und dazu die ganze Etage bedürfe, ich mich mit seinem Studirzimmer, die[220] Aussicht auf den Garten, begnügen möge, »welche Ihnen,« fügte er hinzu, »nicht unangenehm sein dürfte.«

»Sie haben sich,« sagte er dann, »doch bei Bergrath Lenz in Jena sehen lassen?«

Ich antwortete, daß ich demselben ein Kistchen mit Mineralien gebracht hätte, worüber Goethe erfreut war. Als ich ferner erzählte, Lenz habe mich zu einem Mineralienschrank geführt, woran ein Täfelchen mit meinem Namen in vergoldeten Buchstaben angebracht war, sagte Goethe:

»Lenz weiß alles zum Vortheile des Cabinets einzuleiten; seine Haupteigenschaft ist: er will immer haben und nichts ablassen, nichts geben.«[221]


1001.*


1825, 2. September.


Mit Joseph Sebastian Grüner

Nach Tisch fuhr Goethe mit Hofrath Meyer und mir durch alle Straßen der niedlichen, reinlichen, mit Blumengewinden, Fahnen und Inschriften geschmückten Stadt, und machte mich auf die Wohnungen Schiller's, Herder's und auf andere merkwürdige Gegenstände aufmerksam. Schiller's Haus war mit einer Lyra geziert. Der Wagen war aufgeschlagen, damit ich alles besser sehen und mich orientiren könne. Goethe ließ von außen um die Stadt fahren, und machte mich auf seinen Garten mit den Worten aufmerksam: »Dort[221] an der Ilm sehen Sie meinen Garten, man hat ihn schöner und angenehmer beschrieben, als er wirklich ist.«[222]


1002.*


1825, 3. September.


Mit Großherzog Carl August

Das Zusammentreffen des Großherzogs an seinem Jubiläumstage mit Goethe war der Moment, der den Gefeierten sichtbar am meisten erschütterte. Mit beiden Händen hatte der Großherzog Goethes Hände ergriffen, der vor Rührung nicht zu Worte kommen konnte und endlich nur sagte: »Bis zum letzten Hauch beisammen!« Der Großherzog zeigte bald wieder Fassung und ich hörte: »O, achtzehn Jahre und Ilmenau!« Es folgten Erinnerungen an jene Vergangenheit und in höchster Lebendigkeit schloß der Großherzog seine erste Rede mit der Wendung: »Gedenken wir aber dankbar besonders daran, daß uns auch heut noch erfüllt ist, was uns einst in Tiefurt vorgesungen wurde:


Nur Luft und Licht

Und Freundeslieb'!

Ermüde nicht,

Wem dies noch blieb.«


»Dies Dreifache gab mir, was ich gegeben,« antwortete Goethe, den die innerste Bewegung noch nicht verlassen hatte, als ihn der Großherzog umarmte und dann zu einem Fenster hinzog, wo beide leise sprachen,[222] sodaß nur die letzten Worte des Großherzogs zu vernehmen waren: »Ich werd' es ja noch erleben.« Wie man später erfuhr, so bezogen sich diese Worte auf die Jubelfeier der Ankunft Goethes in Weimar, über welche der Großherzog an diesem Tage eine Bestimmung traf.[223]


1003.*


1825, 3. September.1


Mit Joseph Sebastian Grüner

[Es] führte Goethe mich in seine Mineraliensammlung mit den Worten: »Nun können Sie von meinen Doubletten einige Ihrer Lücken ergänzen,« wozu er einen Tisch für mich herrichten ließ. Nun war ich in meinem Elemente, vergaß alle Feierlichkeiten, kümmerte mich nicht um die auf allen Straßen von Tribünen ertönende Musik. Goethe freute sich über meinen Eifer.


[Nach einiger Zeit trat Goethe wieder in das Zimmer.]


»Lassen Sie sich nicht stören!« sagte er. »Es freut mich, daß Sie Einiges gefunden haben, packen Sie es nur sorgfältig ein, wozu ich den Stadelmann schicken werde.« Einige Momente später sagte Goethe: »Der Großherzog weiß, daß Sie hier sind, es ist nothwendig, daß Sie bei der großen Audienz erscheinen und vorgestellt werden.«

[223] Er befahl, sogleich seinen Gallawagen anzuspannen, in welchem ich nach Hofe fahren sollte. Ich mußte seinen Degen, seinen Chapeaubas, seine Schuhschnallen benutzen. Als die Kammerjungfer mir die großherzogliche goldne Medaille an meinen schwarzen Frack befestigen sollte, bezeichnete er ihr die Stelle, wo sie angebracht werden müsse. Er bemerkte: »Auf das rothe Band können Sie sich etwas zu Gute thun, denn ich habe es von Napoleon erhalten. Nun, so, so ist's recht,« sagte er, als ich völlig ausstaffirt war, »jetzt fahren Sie in Gottes Namen!«


1 Seidel, C., Beiträge zur allgemeinen Theorie und Geschichte der schönen Künste. Magdeb. 1825.[224]


1004.*


1825, 4. September.1


Mit Joseph Sebastian Grüner

Die Soirée [vom 3. September bei Goethe] dauerte bis nach Mitternacht. Da Goethe an eine streng regelmäßige Lebensweise gewöhnt war, befand er sich am nächsten Tage leidend. Bei einem so alten Schiffe, sagte er, müsse man besondere Vorsicht anwenden.

Als ich aus der öffentlichen Bibliothek zurückkam, waren meine Effecten in ein anderes Zimmer in der ersten Etage gebracht. Goethe führte mich mit den Worten dahin: »Nun haben Sie Gelegenheit, meine Sachen anzusehen.«

[224] Ich befand mich in der Mitte von Natur- und Kunstschätzen. Er machte mich auf die Seltenheiten, die er aus Herculanum und Pompeji, aus Sicilien, überhaupt von seinen Reisen mitgebracht hatte, aufmerksam und erklärte sie mir. Ich mußte den umfassenden Reichthum seines Wissens, seinen Kunstsinn und sein Kunsturtheil, ganz besonders aber auch sein bei einem so hohen Alter doppelt merkwürdiges Gedächtniß bewundern.

»Ich besitze,« sagte Goethe unteranderm, »seit dem funfzehnten Jahrhunderte bis jetzt die Münzen aller Päpste. Es dient zur Geschichte der Kunst. Ich kenne alle Graveurs. Die griechische Prägung vor und zu Alexander's Zeit ist noch nicht erreicht. Die Ägypter lieferten den Griechen nur Stoff zur Verfeinerung.«

Am 4. September früh wohnte ich der Predigt des Generalsuperintendenten Röhr bei, welche im Druck erschienen ist. Es wurde eine Cantate von Hummel gesungen. Nach meiner Rückkunft forderte Goethe mich bei Tisch auf, den Inhalt der Predigt zu erzählen, was ich zu seiner Zufriedenheit zu thun imstande war, da ich aufmerksam zugehört und die Eintheilung genau dem Gedächtnisse eingeprägt hatte.

Herr Nicolovius aus Berlin war mit zu Tische, ein junger jovialer wißbegieriger Mann. Das Gespräch kam auch auf das Altarblatt von Cranach in der Hauptkirche, Luther'n vorstellend, wie er die Hand auf die Bibel legt. Die Figur ist kräftig, alles Übrige[225] aber wenig zu loben. Nicolovius sagte, es gehöre in eine alte Rüstkammer. Goethe rügte den unpassenden Ausdruck, und empfahl, ein Bild immer so anzusehen, als wenn der Maler es besser als der Beschauer verstanden habe, sonst werde man immer nur tadeln.

Goethe wünschte Aufklärung über die Waisenanstalten in Österreich, welche ich umständlich zu geben vermochte. »Nun müssen Sie aber auch,« sagte Goethe, »Einsicht in unser Criminalverfahren und in unsere Strafanstalten nehmen und Falk besuchen, der die Obsorge über verwahrloste Kinder verbrecherischer Eltern führt. Es ist der nämliche Falk, welcher Ihnen als Satyriker bekannt sein wird. Er lebt jetzt für die ihm anvertrauten Kinder, beurtheilt ihre Fähigkeiten, geistigen Anlagen und körperliche Beschaffenheit, wonach er jeden einzelnen, wozu er zu verwenden wäre, in Antrag bringt. Ich werde die Einleitung treffen, daß man Ihnen überall die gehörige Aufklärung gebe. Bei Falk werden Sie sich in sein großes schwarzes Buch einschreiben müssen.«

Goethe war sehr heiter, und das Gespräch kam darauf, daß manche Meister in ihren Gemälden wunderliche chronologische Fehler begingen. Ich erzählte, daß in der Wohnung des Generalgroßmeisters der Kreuzherren mit dem rothen Stern zu Prag ein sehr schönes Gemälde sich befinde, Maria mit dem Jesuskinde; Maria hält in der rechten Hand das Ordenskreuz der Kreuzherren. In Worms ließ ein Maler[226] die Beschneidung Jesu mit der Brille vornehmen. Nicolovius wußte mehrere Inschriften anzuführen, welche Heiterkeit verbreiteten.

Da ich sagte, ich wünsche das Theater zu besuchen, antwortete Goethe: »Gehen Sie, Freundchen, Sie werden sich gut unterhalten.« – Es wurden »Die beiden Britten« [von Blum] und »Die Humoristenstreiche«2 gegeben.

Nach der Rückkunft aus dem Theater forderte Goethe mich auf, ihm den wesentlichen Inhalt der beiden Stücke zu erzählen. Nachdem ich es gethan und das vortreffliche Spiel der Schauspieler Durand und [La]Roche hervorgehoben und zergliedert hatte, sagte er: »Sie haben recht, sie machen ihre Sache gut.« – Bei meinem Scheiden machte er mich auf die morgige Feierlichkeit aufmerksam.

Diese Feierlichkeit war die Einweihung der neuerbauten großartigen Bürgerschule, welche in Gegenwart des Hofes am Vormittage des 5. September vorgenommen wurde.


1 Unter einer Eiche sitzt Goethe auf einer Anhöhe in antikem Costüm und besingt das Jubelfest des Karl August. Die Portraits der großherzogl. Familie treten als Nebelbilder hervor. Verschiedene Gestalten kommen den Berg herauf und bringen auf die verschiedenste Weise ihre Huldigungen dar: In der Ferne ist das weimarische Schloß mit seiner Umgebung sichtbar. Als Schwerdgeburth die Composition Goethen überreichte, sprach sich letzterer wohlwollend aus und sagte sehr bezeichnend: »Sie haben mich zu hoch gestellt.« Übrigens bemerkte mir persönlich unser hochverehrter Professor Schwerdgeburth: »Ich bin froh, daß dieses Machwerk verschwunden ist. Die Idee war eine gut gemeinte, aber eine verunglückte und meinen Kräften nicht angemessen.«


2 Abul Sefer Moissedin (1765 – 1827), Schah von Audh, unter dem Titel: Haft Kulzum oder die sieben Meere; das vollständigste Wörterbuch der persischen Sprache.[227]


1005.*


1825, 5. September.


Mit Joseph Sebastian Grüner

Goethe... hat... mich.. aufmerksam gemacht, daß »Torquato Tasso« gegeben werde, worauf ich antwortete,[227] daß es längst mein sehnlicher Wunsch gewesen, dieses Meisterstück aufführen zu sehen.

Goethe antwortete: »Da Sie sich schon in höheren Cirkeln bewegt haben, was dieses Stück zur gründlichen Beurtheilung erfordert, so dürfte es bei Ihnen einen guten Eindruck hervorbringen«

Torquato Tasso wurde vortrefflich gegeben, und besonders zeichneten sich Durand und die Jagemann aus. Unter Goethes Werken war Tasso stets mein Lieblingsstück. Durch Vortrag, Geberdespiel und Characterdarstellung wurde mir so Manches lebhaft vorgeführt, was man bei dem aufmerksamsten Lesen und Studiren sich nicht versinnlichen kann, und ich wurde wahrhaft begeistert. In dieser Stimmung trat ich nun gleich nach dem Theater in Goethes Zimmer ein. Er grüßte mich freundlich mit den Worten: »Wie haben Sie sich unterhalten?« Durch den Anblick des Schöpfers eines so großen Werkes noch mehr begeistert, zog es mich, ihm den höchsten Grad der Verehrung zu bezeigen; denn war er nicht ein Souverain im Reiche der Geister? Er aber gestattete es nicht, und ich konnte nur hervorbringen: Ich danke Eurer Excellenz für den unaussprechlich hohen Genuß, den mir dieses Meisterwerk bereitet hat! Auf ferneres Befragen sagte ich: Es wurde vortrefflich gegeben, es paßte Alles, das Costüm, die Decorationen zum Ganzen. Es gehört ein hoher Grad von Bildung und Talent dazu, sich in die Charactere so einzustudiren. Euer Excellenz mögen gewiß früher[228] auf die Darstellung dieser Schauspieler Einfluß genommen haben.

»In früherer Zeit,« antwortete Goethe, »als ich die Direction führte, hatte ich freilich viel mit diesen Leutchen zu thun, Zeitaufwand, auch manchen Verdruß gehabt. Mich freut es, daß Sie sich so gut unterhalten haben.«

Nachdem ich auseinander gesetzt, wie einzelne Scenen gegeben worden, sagte er: »die Rollen waren gut vertheilt, die Direction soll gelobt werden.« Beim Abschiede sagte er: »Gehen Sie mir morgen früh nicht aus, ich habe etwas Wichtiges mit Ihnen vor.«[229]


1006.*


1825, 6. September.


Mit Joseph Sebastian Grüner

Am 6. September früh mußte ich einem Maler sitzen, welchen er, um mich zu portraitiren, bestellt hatte. »Ich habe eine Sammlung von Bildnissen guter Freunde, worunter ich auch Sie zähle«, sagte Goethe. Nachdem der Maler den Umriß in brauner Kreide fertig hatte, wurden Mineralien, Büsten, Antiken besehen.[229]


1007.*


1825, 7. September.


Mit Joseph Sebastian Grüner

Am 7. September früh ließ Goethe für meinen Sohn Joseph, der bei Rehbein wohnte, ein Frühstück[229] bereiten, bei welchem auch seine Enkel Wolfgang und Walther erschienen.

»Sehen Sie meinem Wolf in die Augen,« sagte Goethe, »es spricht so etwas heraus, daß ich meinen sollte, er werde ein Dichter. Mein Sohn hat keine Anlage dazu, wohl aber ist er auf seinem Platz als Kammerrath. Er versieht auch meine ganze Wirthschaft, um die ich mich nicht zu kümmern brauche. Meine Enkel machen mir viele Freude, sie werden gut erzogen, meine Schwiegertochter ist eine einsichtsvolle, in Sprachen geübte, im Umgange in höheren Cirkeln gewandte, unterrichtete Hausfrau. Sie dürften sich selbst bei der Soirée überzeugt haben, wie sie jeden Gast empfangen und sich bemüht hat, jeden nach Möglichkeit zu unterhalten.«

Ich bewunderte, antwortete ich, ihren edlen Anstand, ihr einnehmendes Wesen, und ihre Sprachkenntnisse.

»Nun müssen Sie auch,« sagte Goethe, »die Sammlung meines Sohnes im Gartenhause ansehen, welches er sich für seine Passion für Petrefacte ganz eingeräumt hat.«

Nach Besichtigung der Sammlung sagte Goethe zu seinem Sohne: »Heraus mit deinen Doubletten! Grüner muß sich auch in dieses Fach einstudiren, er kann Dir auch manche Beiträge liefern.«

Ich machte aufmerksam auf die Altsattler so verschiedenartigen Blätterabdrücke, und verschiedenartiges petrificirtes Holz, auf die versteinerten Süßwasserschnecken[230] bei Libnitz im Elbogner Kreise, und sicherte Zusendungen zu. Der junge Goethe versprach, mir ein Verzeichniß seiner Doubletten und die entbehrlichsten davon zu geben.

Hierauf führte mich Goethe zu seinen Münz-, Antiken- und Kupferstichsammlungen. Ich staunte über den Reichthum an Münzen und Antiken, und über Goethes Gedächtniß; denn er kannte die berühmten Steinschneider alle mit Namen, wußte über die Veranlassung zu den Medaillen, und über den Lebenslauf der berühmten Männer, auf deren Ehre sie geschlagen worden, manche Anekdote zu erzählen. Die Kupferstiche bewahrte er in mehreren großen Portefeuilles auf. Unter anderem legte er mir die Schlacht Constantin's in großen Blättern vor, machte mich, mit dem Finger hin- und herweisend, auf die Vertheilung und Gruppirung der Figuren, auf die richtige Zeichnung der Menschen und Pferde aufmerksam und sagte: »Sehen Sie! dazu gehört Geist und Talent, um ein solches Bild zu entwerfen und so glücklich auszuführen.«

Unter dieser belehrenden herrlichen Unterhaltung verstrich die Zeit, bis man endlich das Mittagsmahl ansagte. Indem wir uns anschickten, uns zu demselben zu begeben, erlaubte ich mir die Bemerkung, es sei schade, daß diese häuslichen Schätze nicht öffentlich bekannt würden. »Das lassen wir gut sein,« antwortete Goethe, »bei der Beschreibung müßte ich dabei sein, was mir zu viele Zeit rauben würde.«[231]


1738.*


1825, September.


Mit Justus Amadeus Lecerf

Carus .... legte einen Brief des Componisten Lecerf [seinem Briefe] bei, worin dieser mit Bezug auf das Singspiel »Jery und Bätely« schrieb: ›Die besondere Vorliebe, welche ich für dieses unvergleichliche Gedicht hege, und die aufmerksame Betrachtung, die ich demselben gewidmet, hat mich darin etwas vermissen lassen, was mir zu völliger Befriedigung des Gemüthes am Schlusse wesentlich scheint. Vielleicht ist es nur ein eigenthümliches Gefühl, aber es war mir immer, als möchte das Werk noch aus genügendere Weise schließen, wenn wir zuletzt uns davon sichtlich überzeugt fänden: die endliche Nachgiebigkeit Bätely's habe ihr auch die übrigen Bewohner des Dorfes versöhnt. Denn diese bilden von dem Augenblicke an, wo wir durch den Vater nach dem vergeblichen Hülferuf erfahren, wie sehr sie um des Unheils willen, das ihre Sprödigkeit angerichtet, gegen Bätely aufgebracht und erbittert sind, einen stillen Hintergrund des Gemäldes, und wir können uns wol kaum des Wunsches erwehren, dieser Hintergrund möge zuletzt durch die doch noch zu Hülfe eilenden Sennen fühlbar, und die Liebenswürdigkeit des Mädchens von allen erkannt worden sein. Wie frisch und kräftig könnte dann nicht ein einstimmender[137] Chor der Landleute das Ganze beschließen! Sie zu diesem Ende zu Dichtung eines andern Schlusses zu vermögen, der Ihrer Meisterhand nur Einen Zug kosten würde, ist meine sehr kühne, aber herzlich gutgemeinte Bitte.‹

Goethe erhielt den Brief.. am 21. Januar, und schon am nächsten Tag sandte er an Carus den Chor zu »Jery und Bätely«, der seit der letzthändigen Ausgabe der Werke den Schluß bildet. Der Chor trägt wie der Brief selbst die Unterschrift des 22. Januar 1825. – Als Lecerf im September 1825 aus der Reise nach Aachen, wo ihm die Stelle des städtischen Musikdirectors übertragen war, Goethe besuchte und für die Willfahrung hinsichtlich dieser Chordichtung seinen Dank ausdrückte, erwiederte jener: »Ich konnte Ihren Wunsch leicht erfüllen: er war ganz vernünftig.«[138]


1008.*


1825, 4. October.


Mit Alessandro Poerio

Ho passeggiato con lui pel giardino per circa tre quarti d'ora. Mi ha parlato di diverse cose. Si è informato d'Alfieri, dell' Albany, di altre cose relative all' Italia: È attempato, ma robuato; cammina diritto e con bastante celerità, l'occhio è aquilino e brilla ancora di tutto lo splendore dèlla gioventù.

– – – – – – – – – – – – – – – – – –

A me ha detto di Byron essere una mente straordinaria, una vita essere nelle sue opere e per ciò dovere essere immortali. »Ahimè!« – soggiunse »quando gli scrissi alcuni versi d'incitamento, non sapea, che doveano essere versi di congedo.«[232]


1009.*


1825, 15. October.


Mit Johann Peter Eckermann

Ich fand Goethe diesen Abend in besonders hoher Stimmung und hatte die Freude, aus seinem Munde abermals manches Bedeutende zu hören. Wir sprachen über den Zustand der neuesten Literatur, wo denn Goethe sich folgendermaßen äußerte.

»Mangel an Character der einzelnen forschenden und schreibenden Individuen,« sagte er, »ist die Quelle alles Übels unserer neuesten Literatur.

[232] Besonders in der Kritik zeigt dieser Mangel sich zum Nachtheile der Welt, indem er entweder Falsches für Wahres verbreitet, oder durch ein ärmliches Wahre uns um etwas Großes bringt, das uns besser wäre.

Bisher glaubte die Welt an den Heldensinn einer Lucretia, eines Mucius Scävola, und ließ sich dadurch erwärmen und begeistern. Jetzt aber kommt die historische Kritik und sagt, daß jene Personen nie gelebt haben, sondern als Fictionen und Fabeln anzusehen sind, die der große Sinn der Römer erdichtete. Was sollen wir aber mit einer so ärmlichen Wahrheit! Und wenn die Römer groß genug waren, so etwas zu erdichten, so sollten wir wenigstens groß genug sein, daran zu glauben.

So hatte ich bisher immer meine Freude an einem großen Factum des dreizehnten Jahrhunderts, wo Kaiser Friedrich II. mit dem Papste zu thun hatte und das nördliche Deutschland allen feindlichen Einfällen offen stand. Asiatische Horden kamen auch wirklich herein und waren schon bis Schlesien vorgedrungen, aber der Herzog von Liegnitz setzte sie durch eine große Niederlage in Schrecken. Dann wendeten sie sich nach Mähren, aber hier wurden sie vom Grafen Sternberg geschlagen. Diese Tapfern lebten daher bis jetzt immer in mir als große Retter der deutschen Nation. Nun aber kommt die historische Kritik und sagt, daß jene Helden sich gang unnütz aufgeopfert hätten, indem das asiatische Heer bereits zurückgerufen gewesen und von[233] selbst zurückgegangen sein würde. Dadurch ist nun ein großes vaterländisches Factum gelähmt und zernichtet, und es wird einem ganz abscheulich zu Muthe.«

Nach diesen Äußerungen über historische Kritiker sprach Goethe über Forscher und Literatoren anderer Art.

»Ich hätte die Erbärmlichkeit der Menschen und wie wenig es ihnen um wahrhaft große Zwecke zu thun ist, nie so kennen gelernt,« sagte er, »wenn ich mich nicht durch meine naturwissenschaftlichen Bestrebungen an ihnen versucht hätte. Da aber sah ich, daß den meisten die Wissenschaft nur etwas ist, insofern sie davon leben, und daß sie sogar den Irrthum vergöttern, wenn sie davon ihre Existenz haben.

Und in der schönen Literatur ist es nicht besser. Auch dort sind große Zwecke und echter Sinn für das Wahre und Tüchtige und dessen Verbreitung sehr seltene Erscheinungen. Einer hegt und trägt den andern, weil er von ihm wieder gehegt und getragen wird, und das wahrhaft Große ist ihnen widerwärtig und sie möchten es gern aus der Welt schaffen, damit sie selber nur etwas zu bedeuten hätten. So ist die Masse, und einzelne Hervorragende sind nicht viel besser.

*** [W. v. Schlegel] hätte bei seinem großen Talent, bei seiner weltumfassenden Gelehrsamkeit der Nation viel sein können. Aber so hat seine Characterlosigkeit die Nationum außerordentliche Wirkungen und ihn selbst um die Achtung der Nation gebracht.

[234] Ein Mann wie Lessing thäte uns noth. Denn wodurch ist dieser so groß als durch seinen Character, durch sein Festhalten! So kluge, so gebildete Menschen giebt es viele, aber wo ist ein solcher Character!

Viele sind geistreich genug und voller Kenntnisse, allein sie sind zugleich voller Eitelkeit, und um sich von der kurzsichtigen Masse als witzige Köpfe bewundern zu lassen, haben sie keine Scham und Scheu und ist ihnen nichts heilig.

Die Frau von Genlis hat daher vollkommen recht, wenn sie sich gegen die Freiheiten und Frechheiten von Voltaire auflehnte; denn im Grunde, so geistreich alles sein mag, ist der Welt doch nichts damit gedient; es läßt sich nichts darauf gründen. Ja es kann sogar von der größten Schädlichkeit sein, indem es die Menschen verwirrt und ihnen den nöthigen Halt nimmt.

Und dann, was wissen wir denn, und wie weit reichen wir denn mit all unserm Witze!

Der Mensch ist nicht geboren, die Probleme der Welt zu lösen, wohl aber zu suchen, wo das Problem angeht, und sich sodann in der Grenze des Begreiflichen zu halten.

Die Handlungen des Universums zu messen, reichen seine Fähigkeiten nicht hin, und in das Weltall Vernunft bringen zu wollen, ist bei seinem kleinen Standpunkte ein sehr vergebliches Bestreben. Die Vernunft[235] des Menschen und die Vernunft der Gottheit sind zwei sehr verschiedene Dinge.

Sobald wir dem Menschen die Freiheit zugestehen, ist es um die Allwissenheit Gottes gethan; denn sobald die Gottheit weiß, was ich thun werde, bin ich gezwungen, zu handeln wie sie es weiß.

Dieses führe ich nur an als ein Zeichen, wie wenig wir wissen, und daß an göttlichen Geheimnissen nicht gut zu rühren ist.

Auch sollen wir höhere Maximen nur aussprechen, insofern sie der Welt zu gute kommen; andere sollen wir bei uns behalten, aber sie mögen und werden auf das, was wir thun, wie der milde Schein einer verborgenen Sonne ihren Glanz breiten.«[236]


1010.*


1825, 6. November.


Mit Ernst Förster

Am 5. November kam ich in Weimar an, meldete mich am 6. früh schriftlich und mit Übersendung des d'Alton'schen Briefes bei Goethe und erhielt die Einladung, um 12 Uhr bei ihm zu sein. Ich nahm eine von mir gefertigte Zeichnung nach dem Frescogemälde der Theologie, das ich mit Hermann und einem andern Schüler von Cornelius ausgeführt, zu mir und ging über die geweihte Schwelle. Mit einer namenlosen Empfindung, gemischt aus höchster Freude und hochgesteigerter[236] Angst, die selbst durch das Salve des Eingangs nur wenig gemindert wurde, trat ich in das große Empfangszimmer. Wußte ich doch, daß der erhabene Dichter des »Faust« zugleich der kühle Beurtheiler des Cornelius'schen Faust war, der diesen mit dem von Retzsch, ja fast mit dem von Delacroix auf Eine Stufe gestellt, und der an den Nibelungen meines großen Meisters nur »den alterthümlich tapfern Sinn und die unglaubliche technische Fertigkeit« zu rühmen gewußt! Und doch war er der große, von tausend und abertausend Zungen gepriesene und von mir in tiefster Ehrfurcht bewunderte Dichterfürst. Ich hatte erwartet, ihn auf einem Stuhle, wie den König auf einem Throne, sitzend zu finden und war darauf gefaßt, in bescheidener Stellung an der Thür stehen bleiben zu müssen. Wie war ich überrascht und plötzlich aller Sorgen ledig, als er mit offenen Armen mir entgegenkam, mich mit beiden Händen erfaßte und auf das Herzlichste willkommen hieß. Nach den Vorfragen über d'Alton's Befinden ging er sogleich auf die Kunstunternehmung in Bonn über und war hocherfreut, daß ich meine Antwort mit einer Zeichnung begleiten konnte .....

Ich setzte ihm nun den von Cornelius angeregten, von der preußischen Regierung genehmigten Plan, die Universitätsaula in Bonn mit historischen Darstellungen der vier Facultäten – Theologie, Philosophie, Jurisprudenz und Medicin – in Fresco auszuschmücken, auseinander, berichtete, wie mit der Theologie der Anfang[237] gemacht worden, die Cornelius dem Maler Karl Hermann aus Dresden übertragen, wobei er mich und noch einen seiner Schüler jenem als Gehülfen beigegeben in der Art, daß uns in der Ausführung einzelner Gruppen eine Art Selbständigkeit gewahrt blieb, ein Umstand, den Goethe mit einem fragenden »So?« anhörte. Darauf gab ich, zuweilen von Goethe durch ein »Hm!« oder »So, so!« unterbrochen, die Erklärung der Zeichnung, wie die allegorische Figur auf dem Postament in der Mitte die Theologie vorstellt mit den Genien des Forschens und Glaubens; wie neben ihr gleich Säulen die Evangelisten ständen, an die sich in zwei Reihen sitzend die Kirchenväter anschlossen, die ich, wie alle dargestellten Personen, namentlich bezeichnen mußte. Dann zeigte ich auf die hervorragenden Erscheinungen in der älteren Kirchengeschichte, auf Sectirer, auf Ordensstifter, die Repräsentanten der Hierarchie (Gregor VII. und Innocenz III.), auf die scholastischen Theologen und den frommen Thomas a Kempis; dann auf der andern Seite auf die Verbreiter des Christenthums, auf die Vertreter der Kirchenreformation von Petrus Waldus, Huß und Wiklef bis auf Luther und seine Zeit- und Kampfgenossen, und die Theologen des 17. Jahrhunderts. Endlich machte ich auf die beiden Gruppen im Vordergrunde aufmerksam, in welchen die Richtung der Gegenwart auf eine Ausgleichung katholischer Gläubigkeit und protestantischen Forschersinns ausgesprochen sein sollte, wozu[238] der alte Herr die allerfreundlichste, aber auch allerungläubigste Miene machte.

»Ein rühmliches Unternehmen,« sagte nun Goethe, »und mit Eifer und ernstem Studium angefaßt. Man wird sich um die Kirchengeschichte bekümmern müssen, um Sie zu verstehen. Ich habe aber noch mehr Bedenken.« Und damit wandte er sich, um im Saal auf- und abgehend weiter zu sprechen. »Die Allegorie ist in der bildenden Kunst nicht zu entbehren, sowenig, wie in der Dichtkunst; es fragt sich aber doch, ob sie hier an der rechten Stelle, oder wenigstens, ob sie in der rechten Form aufgeführt ist. Ist sie farbig, d.h. mit dem Schein des wirklichen Lebens dargestellt?« Und als ich dies bejahte, fuhr er fort: »Das würde mich stören. Eine Marmorgruppe an diesem Platze würde den Gedanken aussprechen, ohne in Conflict zu gerathen mit der Gesellschaft wirklicher Personen, die sie umgeben. Auch bei der Gegenwart habe ich einige Scrupel. Das Werdende entzieht sich der unbefangenen Wahrnehmung; nur das Gewordene fällt in die verläßlichere Anschauung: die Gruppe der ausgesöhnten Confessionen gleicht mehr einem frommen Wunsche, als einer Thatsache.«

Wohl über eine Stunde war im Sehen, Sprechen und Hören vergangen, als Goethe das Zeichen der eingetretenen Eßzeit und damit der Besuch sein Ende erhielt. Freundlich reichte er mir zum Abschied die Hand und fügte hinzu: »Morgen erlebe ich mein[239] funfzigjähriges Dienstjubiläum: ich weiß nicht, was die Freunde vorhaben, und will es denn in aller Bescheidenheit erwarten. Ich werde mich freuen, Sie unter ihnen zu sehen.«[240]


1011.*


1825, 6. November.


Mit einem Jugendfreund

[Johann Jacob Riese?]

Am 7. November 1775 ist Goethe nach Weimar gekommen, und als nun der Morgen des 7. Novembers zum funfzigsten Mal wiedergekehrt war seit jenem Tage der Ankunft, sah man von allen Seiten her die Freunde und Verehrer Goethes... zu dessen Hause sich begeben, und kaum vermochte dies alle zuströmenden zu fassen. Die ersten Morgenstunden hatte man ihn dem Kreise seiner nächsten Familienglieder überlassen und war hier nur ein alter Schulfreund Goethes zugegen, der, obwohl auch in den Siebzigen, noch ein Jahr älter, als Goethe, von Frankfurt a. M. hergereist war.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Der Frankfurter, den ich oben erwähnte und der mit mir in demselben Gasthofe wohnte, erzählte mir: er habe bereits am 6. November Abends in dem Arbeitszimmer Goethes ganz allein mit diesem seinen Jugendbekannten – denn »Freund« dürfe er zu sagen sich nicht unterstehen – eine unvergeßliche Stunde[240] zugebracht, und Goethe sei in sehr bewegter Stimmung gewesen ..... Dieser Freund sagte mir auch, Goethe habe dem folgenden Tage mit Beklommenheit entgegengesehen und geäußert: »er wird mir viel des Guten bringen, mich aber auch für lange Zeit mit beschwerlicher Unruhe überhäufen; denn es dürfte vieles zu beantworten sein, und daß es gehörig geschehe, bin ich mir und andern schuldig, obwohl es mich verstört in meinem stillemsigen Schaffen.«[241]


1012.*


1825, 9. November.


Mittag bei Goethe

Für den 9. November war ich [Förster] von Goethe zu Mittag geladen. »Ich hoffe,« sagte er mir beim Eintritt, »Sie heute mit den Männern bekannt zu machen, die bei uns die Kunst repräsentiren.« Und in der That war bald eine zahlreiche und höchst interessante Gesellschaft versammelt. Goethe stellte mich dem Oberbaurath. Coudray vor, der den Gedanken des Großherzogs in Betreff der Fresken [die in Weimar ausgeführt werden sollten] begierig auffaßte und, von Goethe lebhaft secundirt, alsbald die neue Begräbnißhalle als den Ort bezeichnete, wo der Malerei eine bedeutsame Thätigkeit angewiesen werden könne.

Man setzte sich nach angewiesenen Plätzen zu Tisch. Der meinige war zwischen Oberbaurath Coudray und[241] Hofrath Heinrich Meyer, bekannt bei den Künstlern unter dem Namen »Kunschtmeyer«, den ihm seine alemannisch-schweizerische Aussprache zugezogen. Weiter links saß Goethes Schwiegertochter Ottilie, mir gegenüber ihre reizende Schwester, eine junge Dame voll Geist und Lebendigkeit im Gespräch, zwischen Goethe Vater und Sohn. Kein Wort und keine Miene des Mannes konnte mir entgehen, der heute mir bald wie der olympische Zeus, bald wie der Musengott erschien, der alle Herzen fesselte und alle Gedanken entfesselte.

Er lenkte zuerst das Gespräch auf den Maler Asmus Carstens, und als ich das Entzücken nicht zurückhielt, das mir dessen Zeichnungen eingeflößt, die ich in der großherzoglichen Kunstsammlung gesehen, sagte er: »Es geht alles seinen geordneten Gang, und so war es gewiß von guter Vorbedeutung, daß dieser Genius, mit dem man so gern die neue Epoche deutscher Kunst beginnt, sich vor allem an die Dichter und Denker des classischen Alterthums gehalten hat.« – »'Das hat ihn auch'« – fiel der Hofrath ein – »vor der unglücklichen Nachahmung der altdeutschen Manier bewahrt, die seine Nachfolger sich zur angelegentlichen Pflicht gemacht haben.« – »Und doch« – bemerkte ich – »ward er angefeindet, wie seine Nachfolger, ja, er blieb unbekannt im Vaterlande und erst Cornelius wußte das Herz des Volkes zu treffen, indem er ihm den ›Faust‹ vor Augen stellte.«

[242] Goethe nahm die Bemerkung sichtbar wohlgefällig auf, doch fügte er hinzu: Cornelius habe recht gethan, die in seinem »Faust« gebrauchten, der altdeutschen Kunst entlehnten Formen zu verlassen, um sich in seinen jetzigen mythologischen Aufgaben freier bewegen zu können. Da Cornelius sich selbst einmal gegen mich dahin geäußert, daß der Stil durch den Gegenstand bedingt sei, und daß er Faust und Nibelungen auch jetzt in keiner andern Ausdrucksweise wiedergeben würde, als früher, so theilte ich diese Äußerung mit. Aber Eckermann fiel mir ins Wort: »Diese Ansicht scheint auf Verwechslung der dichtenden und bildenden Kunst zu beruhen. Bei der unmittelbaren Einwirkung der letztern auf die Sinne machen sich doch sicher andere Gesetze geltend, als wenn nur Phantasie und Vorstellungsvermögen beschäftigt werden.« – »Es ist ein Unterschied,« bemerkte Goethe; »doch muß ich hier Cornelius beistimmen; denn auch ich hätte ›Iphigenie‹ und ›Tasso‹ nicht im Stil von ›Faust‹ und ›Götz‹ schreiben können, so wenig wie umgekehrt.«

Das Gespräch wurde auf eine – vielleicht nur für mich – überraschende Weise unterbrochen. An dem einen Ende der Tafel wurde es unruhig; man räusperte sich, gab ein leichtes Zeichen am Glas, und ein vierstimmiger Gesang ward angestimmt. Es gehörte die schöne Sitte, das Mahl mit Gesängen zu würzen – wie mir Eckermann vertraute – zu Goethes besonderen Tafelfreuden bei festlichen Gelegenheiten, und so folgte[243] auch heute nach jedem Gange ein Gesang. Unter andern war das Lied angestimmt worden:


Mich ergreift, ich weiß nicht wie?

Himmlisches Behagen;


nach Beendigung desselben hub Goethe an: »Man schreibt sonst den Gerüchen die besondere Kraft zu, Erinnerungen zu wecken: Musik und Gesang wirken ebenso nachdrücklich in der gleichen Richtung. So steht jetzt lebhaft der Abend vor mir, für welchen ich das Lied, das man eben sang, gedichtet habe. Es war vor der Abreise unseres Erbprinzen nach Paris, als ein Freundekreis um ihn versammelt war. Schiller hatte für denselben Abend sein bekanntes Lied an den Erbprinzen geschrieben, das wir nach der Rheinweinliedmelodie sangen; und nun steht der Abend, Schiller, der Kreis der Freunde, der Abschied – alles bis auf den kleinsten Zug vor meiner Seele.«

– – – – – – – – – – – – – – – –

Bisher hatte er [Meyer] die feindliche Stellung, die er der neuen deutschen Kunst gegenüber eingenommen, wenn auch nicht aufgedeckt, doch behauptet. Ich weiß nicht: mochte ihm der Gedanke gekommen sein, daß doch nicht alle, die der neuen Fahne folgten, zu den verhaßten Nazarenern gehören dürften – mochten die letztern Mittheilungen ihn milder gestimmt haben – kurz, als jetzt der Champagner eingeschenkt wurde, Goethe das Glas erhob und gegen mich gewendet sagte: »Lassen Sie uns auf das Wohl Ihres Meisters und[244] einen segensreichen Erfolg seines Wirkens anstoßen!« – und nun Eckermann und mehrere Nahesitzende dem gegebenen Beispiele folgten, und da Goethe hinzufügte: »Grüßen Sie Ihren Meister herzlich von mir und sagen Sie ihm, daß mich alles gefreut habe, was ich durch Sie von ihm und seiner Schule erfahren« – wandte sich auch Meyer mit seinem Glase zu mir, stieß an und fügte – wie mir schien, in einem andern, als dem bisher gebrauchten trocknen und harten Tone – hinzu: »Sagen Sie's Ihrem Meister, daß ich mit Ihnen hier auf sein Wohl ein Glas Champagner geleert; 's ist ernstlich gemeint.«... Und so hatte es den Anschein, als ob es der Rede und Widerrede gelungen sei, Vorurtheile zu zerstreuen, wo sie am festesten Fuß gefaßt.

Nach dem Dessert setzte sich Hummel ans Instrument und gab dem kleinen Feste mit einer heitern und reichen Phantasie einen glänzenden Schluß.

Schon über Tische hatte es mich vielfach beschäftigt, wie ich mich wohl für so viel auszeichnende Güte dankbar beweisen könnte, und so war ich auf den Gedanken gekommen, die Enkel Goethes zu zeichnen. Ich wandte mich deshalb an Frau Ottilie v. Goethe und fand für meinen Antrag die freundlichste Aufnahme; schon am nächsten Morgen konnte ich die Arbeit beginnen.[245]


1013.*


1825, 13. November.


Mittag bei Goethe

Am 13. November war ich [Förster] wieder zu Goethe an den Mittagtisch geladen. Diesmal war außer mir kein Fremder zugegen, als Oberbaurath Coudray und Eckermann. Er hatte mich bitten lassen, die Zeichnung der Theologie wieder mitzubringen, und noch einmal mußte ich vor der kleinen Versammlung über das Ganze wie über jeden kleinsten Theil ausführlich Rechenschaft geben. Die Scene steht noch vor mir in heiterer Erinnerung. Coudray mochte mehr das Ganze überschauen, während Eckermann zwischen jedem Strich den Stein der Weisen zu suchen schien. Frau Ottilie, die mit den Knaben herzugetreten war, wußte auf die liebenswürdigste Weise durch Fragen meine Beredsamkeit zu reizen, und Goethe in besonders behaglicher und höchst gemüthlicher Stimmung gab dem Gespräche mit Wort und Blick die Richtung und theilte, wie der Geber alles Guten aus sonnenumglänztem Wolkensitz, mit würdevoller Freundlichkeit Belehrung und Lob aus.

Coudray bekümmerte sich viel um das Technische der Frescomalerei, die ja damals erst wieder durch Cornelius in Deutschland in Übung gebracht worden. Eckermann äußerte sich sehr erfreut darüber, daß von einem so kleinen Blatt, wie meine Zeichnung, soviel zu lernen[246] sei, und frug, ob uns wohl überall Bildnisse zu Gebote gestanden hätten, was denn freilich, namentlich in Betreff der Evangelisten und Kirchenväter, verneint werden mußte. Bei historischen Gemälden, meinte er, komme doch sehr viel auf die historische Wahrheit an, weshalb er denn auch eine große Scheu vor Anachronismen und dergleichen Fehler habe. An die Zusammenstellung von Heiligen aus verschiedenen Jahrhunderten habe man sich allerdings gewöhnt durch die Altargemälde, aber die Reformatoren in Einen Raum zu versammeln mit den Aposteln und Kirchenvätern, komme ihm doch gewagt vor, mehr aber noch, daß man durch die Arkaden des Saales ins Freie und zugleich auf Rom, auf das Siebengebirg bei Bonn und auf Wittenberg sehe. Aber Goethe fiel ihm ins Wort und sagte: »Die Herren in Düsseldorf scheinen sich an den Ausspruch Schiller's zu halten: Die Kunst ist eine Fabel! Und sie haben nicht ganz Unrecht: es würde uns wenig von der Kunst übrig bleiben, wenn wir ausschließen wollten, was sich nicht fassen und begreifen läßt wie das tägliche Leben.«

Frau Ottilie lenkte jetzt durch eine neue Betrachtung unter dem Beifall des alten Herrn das Gespräch auf eine andere Seite. »Sonst bei Gemälden« – sagte sie – »bin ich gewöhnt, die dargestellten Personen in Beziehung aufeinander zu sehen, unmittelbar oder wenigstens mittelbar. Hier sind so viele Männer in Einem Raum versammelt, hier und da sehe ich zwei, drei, vier zu einer Gruppe vereinigt, aber jede steht[247] für sich; sie lesen und sprechen, ohne sich um den Nachbar zu bekümmern – und doch stört es mich nicht; ich finde es ganz natürlich. Das Bild kommt mir vor wie eine Bibliothek, in der Evangelisten und Kirchenväter, Protestanten und Katholiken mit ihrem ganzen geistigen Gehalt, gut eingebunden, friedlich neben einander stehen und ohne sich gegenseitig in ihren Gedanken zu unterbrechen.« »Nun« meinte Goethe, »das läßt sich hören! Und wenn es sich denn einmal um Gedanken handelt in dem Bilde, so habe ich auch noch eine Frage an unsern jungen Freund. Sie haben mir« – wandte er sich an mich – »Auskunft gegeben über die beiden Genien zuseiten der allegorischen Mittelfigur. Ich sehe, daß sie Tafeln in ihren Händen haben. Bei den Evangelisten, den Kirchenvätern, bei Luther ist über den Inhalt der Bücher, die sie halten, kein Zweifel, aber was bedeuten die Tafeln ohne Inschrift in den Händen der geflügelten Knaben?« – »Es sind, wenn ich mich von meinem Besuch in Bonn her recht erinnere,« nahm Eckermann das Wort, »Sprüche darauf geschrieben; doch weiß ich nicht mehr, welche?«

»An den Tafeln« – sagte ich – »hängt ein Stück lustiger Künstlergeschichte. Die Genien sollen die beiden Elemente der Theologie, Glauben und Forschen, repräsentiren. Um das deutlicher zu bezeichnen, hatte ihnen Hermann Tafeln in die Hand gegeben und Bibelsprüche darauf geschrieben. Auf der einen stand ›Selig, die nicht sehen und doch glauben,‹[248] auf der andern ›Prüfet alles und das Beste behaltet.‹ Ich weiß nicht, ob von katholischer oder protestantischer Seite deshalb eine Mittheilung ans Ministerium nach Berlin gemacht worden war, kurz, Hermann bekam – ich glaube durch das Universitätscuratorium – den Auftrag, die Sprüche zu löschen. Er weigerte sich, weil, wie Ew. Excellenz eben auch bemerkten, es unverständlich, ja lächerlich herauskäme, wenn die Jungen leere Tafeln hielten. Man ließ es geschehen, bis vor kurzem der Besuch des Königs von Preußen in Bonn angekündigt wurde. Daß er, in die Aula zu gehen, gebeten werden müßte, unterlag bei den Häuptern der Hochschule keinem Zweifel, aber die bedenklichen Sprüche durfte er nicht finden. Der Auftrag, sie zu löschen, wurde wiederholt. Vergebens! Ich kann meine eignen Gedanken nicht vernichten oder verstümmeln! – sagte Hermann. Täglich wurde nachgesehen: die Sprüche standen wie in Erz gegossen. Endlich am Tage der erwarteten Ankunft des Königs kam ganz früh schon Professor d'Alton, und da er die Sprüche noch vorfand, stellte er ein Entwederoder, das mich zu einem raschen Entschlusse brachte. Wir können den König nicht zu Ihnen führen, sagte unser besorgter Freund, wenn er nicht sieht, daß sein durch das Ministerium ausgesprochener Wille von Ihnen respectirt wird. – Hermann blieb unbeweglich. Der Moment war peinlich. Die Herren alle meinten es so gut mit uns, und andrerseits war am Besuch des Königs soviel[249] gelegen; auch wußte ich recht gut, daß Cornelius die Festigkeit in diesem Falle nicht gutheißen würde. Ich sah Hermann fragend an. Ich kann es nicht thun! sagte er. Das gab mir den Pinsel in die Hand, und die Sprüche waren verschwunden. Eine Stunde danach trat, begleitet von dem Curator und den Professoren der Universität, Friedrich Wilhelm III. ein und widmete der Betrachtung unsres Bildes etwa fünf bis sechs Minuten. Die gefährlichen Täfelchen schien er gar nicht zu bemerken, sonst hätte er wohl auch, wie Ew. Excellenz gefragt: Warum steht nichts darauf?«

Die Geschichte schien Goethe zu belustigen. »Und doch« – sagte er – »sind wir so oft genöthigt, das Gute fahren zu lassen, um das Bessere zu retten.« – Inzwischen hatte ich meine Mappe mit verschiedenen Bildnissen aufgeschlagen, und Goethe betrachtete sie mit psychologischem und ästhetischem Interesse. Unter diesen sah er plötzlich die Bildnisse seiner Enkel. Es war eine Überraschung (wir hatten ja hinter seinem Rücken operirt) und zwar eine gelungene; denn er hatte eine herzliche Freude daran, die sich steigerte, als ich ihn bat, die Zeichnung gütig von mir anzunehmen.

Ich hatte bisher Goethe zuerst mir allein gegenüber gesehen, dann in festlicher, fast feierlicher Versammlung; dann wiederum als freundlichen Wirth unter zahlreichen Freunden und Verehrern; heute sollte ich ihn im trauten Familienkreise kennen lernen. Überall und immer derselbe, war mir's doch, als ob[250] jedesmal der Nachdruck auf einem andern Zug seines Characters läge. Heute war er die Heiterkeit und gute Laune selbst und ließ sich ganz gehen. Mehr als bei dem festlichen Mahl zog er seinen Sohn ins Gespräch; gegen die Schwiegertochter war er voll zarter Aufmerksamkeit, und mit ihrer Schwester sprach er am liebsten im Tone des leichten, reizenden Humors; äußerst liebreich war er gegen die Enkel. Mich veranlaßte er, vom Leben und Character der Bevölkerung des Niederrheins, ganz besonders aber von den Carnevalslustbarkeiten in Köln und Düsseldorf zu erzählen; dann lenkte er auf Bayern über, von dem er »nach den Mittheilungen seiner Freunde«, im Gegensatz gegen die lebhaften Rheinlande wenig für die Kunst erwartete. »Inzwischen,« sagte er, »viel kann ein Fürst mit energischem Wollen erreichen.« Endlich kam er auf sein Lieblingsthema: die Farben, deren Anwendung, Zusammenstellung, Stärke, Mischung, Behandlung und selbst auf die verschiedenen Farbstoffe.

Nach Tische führte er mich noch zu verschiedenen seiner Sammlungen, namentlich den schönen antiken und mittelalterlichen Münzen. Plötzlich sagte er: »Ich will Sie doch noch was zeigen!« (wirklich, so hat er's gesagt!) und damit zog er aus einem Fach einige Blätter Radirungen nach Zeichnungen von Carstens. Ich weiß nicht: hatte er mir damit eine Freude machen oder bloß wissen wollen, was ich dazu sagen würde; sie blieben nicht lange Gegenstand der[251] Unterhaltung, da ich sie zu wenig in Übereinstimmung mit den Originalen fand.

Ich wollte nun Abschied nehmen, da aber Goethe hörte, daß ich den folgenden Tag noch in Weimar bleiben und erst am 15. abreisen würde, forderte er mich auf das Freundlichste auf, ihn noch einmal zu besuchen.[252]


1014.*


1825, 14. November.


Mit Ernst Förster

Das that ich dann am 14. und ward von ihm mit der gleichen Herzlichkeit wie bisher empfangen. Es schien bei ihm Bedürfniß, dem Besuchenden entweder eine Freude zu machen, oder einen wo möglich sichtbaren Stoff der Unterhaltung zu bieten, und so hatte er denn eine Anzahl sehr kunstreicher Papierausschneidereien von der Hand des Fräulein Adele Schopenhauer bereitgelegt und ging sie einzeln unter Beachtung jeder Kleinigkeit daran mit mir durch.

Unvergeßlich ist mir der Abschied, bei dem ich noch einmal die ganze Größe des Glücks empfand, in die unmittelbare Nähe dieses Genius gekommen zu sein. Als wäre er der Beschenkte, Bereicherte, sprach er zu mir; er forderte mich auf, ihm von Zeit zu Zeit zu schreiben, und indem er mir wie bei dem ersten Willkommen, aber noch viel herzlicher, meine Hand mit beiden Händen faßte, gab er mir nebst vielen freundlichen Grüßen seinen väterlichen Reisesegen.[252]


1015.*


1825, 6. December.


Mit Friedrich von Müller

Er tadelte mich, daß ich immer zu viel Argumente für eine Sache brächte, nicht lediglich auf das Eine, was gerade Noth sei, hinwirke.

»Die Geschäfte müssen abstract, nicht menschlich mit Neigung oder Abneigung, Leidenschaft, Gunst behandelt werden, dann setzt man mehr und schneller durch. Auch keine Recriminationen, keine Vorwürfe über Vergangenes, nun doch nicht zu Änderndes. Jeder Tag bestehe für sich, wie kann man leben, wenn man nicht jeden Abend sich und andern ein Absolutorium ertheilt? Ihr dürft mir das nicht übel nehmen. Wenn ich einmal reden soll, muß ich meine Paradoxa frei aussprechen dürfen; Ihr werdet sie ohnehin nicht mehr lange von mir hören.« Rauch's seltsamer Brief [vom 30. November, über die Umgestaltung der Jubiläumsmünze] hatte zu all diesem die Veranlassung gegeben.[253]


1739.*


1825, 8. December.


Mit Friedrich von Müller

und Heinrich Meyer

Bei Goethe mit Meyer. Heftigste Scene. Mir [v. M.] Chicane, Meyern Leidenschaftlichkeit vorgeworfen (in der Medaillen-Angelegenheit). Doch alsbaldige Ausgleichung und freundschaftliches Scheiden.[138]


1740.*


1825, 9. December.


Mit Friedrich von Müller

Nochmaliger heftiger Streit mit Goethe wegen der Instruction für [den Münzgraveur] Brandt, deren Absendung zuletzt erfolgte.[139]


1016.*


1825, 25. December.


Mit Johann Peter Eckermann

Ich ging diesen Abend um 6 Uhr zu Goethe, den ich allein fand, und mit dem ich einige schöne Stunden verlebte.

[253] »Mein Gemüth,« sagte er, »war diese Zeit her durch vieles belästigt; es war mir von allen Seiten her so viel Gutes geschehen, daß ich vor lauter Danksagungen nicht zum eigentlichen Leben kommen konnte. Die Privilegien wegen des Verlags meiner Werke gingen nach und nach von den Höfen ein, und weil die Verhältnisse bei jedem anders waren, so verlangte auch jeder Fall eine eigene Erwiederung. Nun kamen die Anträge unzähliger Buchhändler, die auch bedacht, behandelt und beantwortet sein wollten. Dann, mein Jubiläum brachte mir so tausendfältiges Gute, daß ich mit den Danksagungsbriefen noch jetzt nicht fertig bin. Man will doch nicht hohl und allgemein sein, sondern jedem doch gern etwas Schickliches und Gehöriges sagen Jetzt aber werde ich nach und nach frei, und ich fühle mich wieder zu Unterhaltungen aufgelegt.

Ich habe in diesen Tagen eine Bemerkung gemacht, die ich Ihnen doch mittheilen will. Alles, was wir thun, hat eine Folge. Aber das Kluge und Rechte bringt nicht immer etwas Günstiges, und das Verkehrte nicht immer etwas Ungünstiges hervor, vielmehr wirkt es oftmals ganz im Gegentheil. Ich machte vor einiger Zeit, eben bei jenen Unterhandlungen mit Buchhändlern, einen Fehler, und es that mir leid, daß ich ihn gemacht hatte. Jetzt aber haben sich die Umstände so geändert, daß ich einen großen Fehler begangen haben würde, wenn ich jenen nicht gemacht hätte. Dergleichen wiederholt sich im[254] Leben häufig, und Weltmenschen, welche dieses wissen, sieht man daher mit einer großen Frechheit und Dreistigkeit zu Werke gehen.«

Ich merkte mir diese Beobachtung, die mir neu war. Ich brachte sodann das Gespräch auf einige seiner Werke, und wir kamen auch auf die Elegie ›Alexis und Dora‹.

»An diesem Gedicht,« sagte Goethe, »tadelten die Menschen den starken leidenschaftlichen Schluß und verlangten, daß die Elegie sanft und ruhig ausgehen solle, ohne jene eifersüchtige Aufwallung; allein ich konnte nicht einsehen, daß jene Menschen recht hätten. Die Eifersucht liegt hier so nahe und ist so in der Sache, daß dem Gedicht etwas fehlen würde, wenn sie nicht da wäre. Ich habe selbst einen jungen Menschen gekannt, der in leidenschaftlicher Liebe zu einem schnell gewonnenen Mädchen ausrief: Aber wird sie es nicht einem andern ebenso machen wie mir?«

Ich stimmte Goethen vollkommen bei und erwähnte sodann der eigenthümlichen Zustände dieser Elegie, wo in so kleinem Raum mit wenig Zügen alles so wohl gezeichnet sei, daß man die häusliche Umgebung und das ganze Leben der handelnden Personen darin zu erblicken glaube. Das Dargestellte erscheint so wahr, sagte ich, als ob Sie nach einem wirklich Erlebten gearbeitet hätten.

»Es ist mir lieb,« antwortete Goethe, »wenn es Ihnen so erscheint. Es giebt indeß wenige Menschen,[255] die eine Phantasie für die Wahrheit des Realen besitzen, vielmehr ergehen sie sich gern in seltsamen Ländern und Zuständen, wovon sie gar keine Begriffe haben und die ihre Phantasie ihnen wunderlich genug ausbilden mag.

Und dann giebt es wieder andere, die durchaus am Realen kleben und, weil es ihnen an aller Poesie fehlt, daran gar zu enge Forderungen machen. So verlangten z.B. einige bei dieser Elegie, daß ich dem Alexis hätte einen Bedienten beigeben sollen, um sein Bündelchen zu tragen; die Menschen bedenken aber nicht, daß alles Poetische und Idyllische jenes Zustandes dadurch wäre gestört worden.«

Von ›Alexis und Dora‹ lenkte sich das Gespräch auf den ›Wilhelm Meister‹.

»Es giebt wunderliche Kritiker,« fuhr Goethe fort. »An diesem Roman tadelten sie, daß der Held sich zu viel in schlechter Gesellschaft befinde. Dadurch aber, daß ich die sogenannte schlechte Gesellschaft als Gefäß betrachtete, um das, was ich von der guten zu sagen hatte, darin niederzulegen, gewann ich einen poetischen Körper und einen mannigfaltigen dazu. Hätte ich aber die gute Gesellschaft wieder durch sogenannte gute Gesellschaft zeichnen wollen, so hätte niemand das Buch lesen mögen.

Den anscheinenden Geringfügigkeiten des ›Wilhelm Meister‹ liegt immer etwas Höheres zum Grunde, und es kommt bloß darauf an, daß man Augen, Weltkenntniß[256] und Ubersicht genug besitze, um im Kleinen das Größere wahrzunehmen. Andern mag das gezeichnete Leben als Leben genügen.«

Goethe zeigte mir darauf ein höchst bedeutendes englisches Werk, welches in Kupfern den ganzen Shakespeare darstellte. Jede Seite umfaßte in sechs kleinen Bildern ein besonderes Stück mit einigen untergeschriebenen Versen, sodaß der Hauptbegriff und die bedeutendsten Situationen des jedesmaligen Werks dadurch vor die Augen traten. Alle die unsterblichen Trauerspiele und Lustspiele gingen auf solche Weise gleich Maskenzügen dem Geiste vorüber.

»Man erschrickt,« sagte Goethe, »wenn man diese Bilderchen durchsieht. Da wird man erst gewahr, wie unendlich reich und groß Shakespeare ist! Da ist doch kein Motiv des Menschenlebens, das er nicht dargestellt und ausgesprochen hätte. Und alles mit welcher Leichtigkeit und Freiheit!

Man kann über Shakespeare gar nicht reden, es ist alles unzulänglich. Ich habe in meinem ›Wilhelm Meister‹ an ihm herumgetupft; allein das will nicht viel heißen. Er ist kein Theaterdichter, an die Bühne hat er nie gedacht, sie war seinem großen Geiste viel zu enge; ja selbst die ganze sichtbare Welt war ihm zu enge.

Er ist gar zu reich und zu gewaltig. Eine productive Natur darf alle Jahre nur ein Stück von ihm lesen, wenn sie nicht an ihm zu Grunde gehen will.[257] Ich that wohl, daß ich durch meinen ›Götz von Berlichingen‹ und ›Egmont‹ ihn mir vom Halse schaffte, und Byron that sehr wohl, daß er vor ihm nicht zu großen Respect hatte und seine eigenen Wege ging. Wie viel treffliche Deutsche sind nicht an ihm zu Grunde gegangen, an ihm und Calderon!

Shakespeare,« fuhr Goethe fort, »giebt uns in silbernen Schalen goldene Äpfel. Wir bekommen nun wohl durch das Studium seiner Stücke die silberne Schale, allein wir haben nur Kartoffeln hineinzuthun, das ist das Schlimme!«

Ich lachte und freute mich des herrlichen Gleichnisses.

Goethe las mir darauf einen Brief von Zelter über eine Darstellung des ›Macbeth‹ in Berlin, wo die Musik mit dem großen Geiste und Character des Stücks nicht hatte Schritt halten können, und worüber nun Zelter sich in verschiedenen Andeutungen ausläßt. Durch Goethes Vorlesen gewann der Brief sein volles Leben wieder, und Goethe hielt oft inne, um sich mit mir über das Treffende einzelner Stellen zu freuen.

»›Macbeth‹,« sagte Goethe bei dieser Gelegenheit, »halte ich für Shakespeare's bestes Theaterstück; es ist darin der meiste Verstand in Bezug auf die Bühne. Wollen Sie aber seinen freien Geist erkennen, so lesen Sie ›Troilus und Cressida‹, wo er den Stoff der ›Ilias‹ auf seine Weise behandelt.«

Das Gespräch wendete sich auf Byron, und zwar[258] wie er gegen Shakespeare's unschuldige Heiterkeit im Nachtheil stehe, und wie er durch sein vielfältiges negatives Wirken sich so häufigen und meistentheils nicht ungerechten Tadel zugezogen habe. »Hätte Byron Gelegenheit gehabt,« sagte Goethe, »sich alles dessen, was von Opposition in ihm war, durch wiederholte derbe Äußerungen im Parlament zu entledigen, so würde er als Poet weit reiner dastehen. So aber, da er im Parlament kaum zum Reden gekommen ist, hat er alles, was er gegen seine Nation auf dem Herzen hatte, bei sich behalten, und es ist ihm, um sich davon zu befreien, kein anderes Mittel geblieben, als es poetisch zu verarbeiten und auszusprechen. Einen großen Theil der negativen Wirkungen Byron's möchte ich daher verhaltene Parlamentsreden nennen, und ich glaube sie dadurch nicht unpassend bezeichnet zu haben.«

Wir sprachen darauf über Platen, dessen negative Richtung gleichfalls nicht gebilligt wurde. »Es ist nicht zu leugnen,« sagte Goethe, »er besitzt manche glänzende Eigenschaften: allein ihm fehlt – die Liebe. Er liebt so wenig seine Leser und seine Mitpoeten als sich selber, und so kommt man in den Fall, auch auf ihn den Spruch des Apostels anzuwenden: ›Und wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.‹ Noch in diesen Tagen habe ich Gedichte von Platen gelesen und sein reiches[259] Talent nicht verkennen können. Allein, wie gesagt, die Liebe fehlt ihm, und so wird er auch nie so wirken, als er hätte müssen. Man wird ihn fürchten, und er wird der Gott derer sein, die gern wie er negativ wären, aber nicht wie er das Talent haben.«[260]


1017.*


1825, 29. December.


Mit Friedrich von Müller

Bei Gelegenheit politischer Erörterungen äußerte Goethe: »Die Menschen werfen sich im Politischen wie auf dem Krankenlager von einer Seite zur andern, in der Meinung besser zu liegen.«[260]


1018.*


1825, 30. December.


Mit Friedrich von Müller

Goethe erzählte: »Ohngefähr ums Jahr 1780 befand ich mich einstmal im Winter mit Seckendorff und Einsiedel zu Thalbürgel auf der Jagd, wo wir uns gar weidlich ergötzten. Der Neujahrstag nahte heran, wir sollten billig nach Weimar zurückkehren. Doch die Lust noch einige Tage ungestörte Freiheit zu genießen, überwog, und am Vorabend beschlossen wir, statt persönlich, poetische Glückwünsche an die vertrautesten Personen des Hofes und der Stadt durch einen Eilboten[260] abzusenden, der sie am frühen Morgen des ersten Januar austheilen sollte. Sogleich machten wir uns ans Werk und brachten die halbe Nacht damit zu, bald sinnreich gelehrte, bald humoristische, mitunter auch ironisch gewürzte Verse zu verfassen.

Leider sind diese launigen Denkblätter jener harmlosen Zeit nicht mehr zusammen zu bringen; nur erinnere ich mich folgende Verse an Fräulein v. Göchhausen adressirt zu haben:


Der Kauz, der auf Minerven's Schilde sitzt,

Kann Göttern wohl und Menschen nützen;

Die Musen haben Dich so treu beschützt,

Nun magst Du ihnen wieder nützen.«[261]


1019.*


1825.


Mit Ernst Förster

»Da hat mir« – sagte Goethe – »ein junger Maler aus Berlin, dessen Name ihn schon zu Anstrengungen für eine bedeutende Zukunft auffordert – er unterzeichnet sich Lessing – eine Landschaft mit einer Staffage zugesandt, welche ein entschiedenes Talent verräth, für poetische Erfindung wie für Composition und Ausführung, und dennoch befinde ich mich mit dem Künstler ebensowenig wie mit seinem Gemälde in Übereinstimmung. Weshalb verlassen wir unsere enge Studirzelle oder den lärmenden Gesellschaftssaal und eilen aus dem dumpfen Gewühle der Stadt vor[261] das Thor hinaus ins Freie? Wir suchen Erholung, Erheiterung, wollen einen frischen Athemzug thun. Wohin führt uns nun aber Ihr Berliner Maler? In eine Winterlandschaft, und nicht etwa in eine jener heitern holländischen, wo wir Damen und Herren sich lustig auf spiegelglatter Eisfläche schlittschuhlaufend umhertummeln sehen – o! ich selbst war zu meiner Zeit ein tüchtiger Schlittschuhläufer – nein! hier führt uns der Maler in eine Winterlandschaft, in welcher ihm Eis und Schnee nicht genug zu sein scheint; er überbietet, oder wir können sagen: er überwintert den Winter noch durch die widerwärtigsten Zugaben. Da sehen Sie einen, in warmen Tagen uns mit einem kühlen Labetrunk versorgenden Brunnen, aus dessen Löwen- oder Drachenrachen das festgefrorene Wasser wie eine Zunge von Eis heraushängt, fest an den Boden angefroren. Dann weiter: dunkle Tannen, deren Zweige unter der Last des Schnees brechen; ich sehe sie lieber auf dem Weihnachtstische mit hellen Lichtern besteckt, von frohen Kindergesichtern umgeben. Und nun die Staffage: ein Zug von Mönchen, noch dazu Barfüßer, im Schnee, giebt einem abgeschiedenen Bruder, der im Sarge liegend auf schwarzbehangener Bahre nach der Gruft in einem verfallenen Kloster getragen wird, das Geleit. Das sind lauter Negationen des Lebens und ›der freundlichen Gewohnheit des Daseins‹ – um mich meiner eignen Worte zu bedienen. Zuerst also die erstorbene Natur, Winterlandschaft:[262] den Winter statuire ich nicht; dann Mönche, Flüchtlinge aus dem Leben, lebendig Begrabene: Mönche statuire ich nicht; dann ein Kloster, zwar ein verfallenes, allein ein Kloster statuire ich nicht; und nun zuletzt, nun vollends noch ein Todter, den Tod aber statuire ich nicht.« – Als ich mir erlaubte an den berühmten Friedhof Ruysdael's in der Dresdner Galerie zu erinnern und bescheidentlich fragte: ob nicht auch die elegische Stimmung in der Landschaftsmalerei eine Berechtigung habe? entgegnete Goethe: »Zuverlässig! allein dann laßt die Marmortafeln der Gräber durch den Zauber der Mondbeleuchtung uns in eine wohlthuend rührende Stimmung versetzen, und die grünbelaubten Bäume und Gras und Blumen vergessen machen, daß wir uns auf einem Todtenacker befinden!«[263]


Quelle:
Goethes Gespräche. Herausgegeben von Woldemar Freiherr von Biedermann, Band 1–10, Leipzig 1889–1896, Band 5, S. 253-264.
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