C. F. G. Westfeld

[652] Die Erzeugung der Farben, eine Hypothese. Göttingen 1767.

Dieser einzelne Bogen verdiente wohl, wenn man eine Anzahl kleiner, auf die Farbenlehre bezüglicher, sich verlierender Schriften sammeln und der Vergessenheit entziehen wollte, mit abgedruckt zu werden.

Des Verfassers Vortrag ist zwar nicht luminos, und weil er sich gleich in Kontrovers verwickelt, keineswegs erfreulich; doch ist seine Überzeugung guter Art. Erst drückt er sie im allgemeinen folgendermaßen aus: »Die Verschiedenheit der Farben ist nur eine Verschiedenheit der Bewegung in den nervigen Fasern der Netzhaut«; dann aber tritt er der Sache näher und schreibt die Farbenwirkung aufs Auge einer mehr oder minder erregten Wärme auf der Netzhaut zu.

Mit einer vergnüglichen Zufriedenheit sehen wir dasjenige geahndet und vorbereitet, was später von Herscheln entdeckt und zu unserer Zeit weiter ausgeführt worden. Wir wollen ihn selbst hören:[652]

»Das Licht ist ein ausgedehntes Feuer, das man nur in einen engen Raum zusammendrängen darf, um sich von der Heftigkeit seiner Wirkungen zu überführen. Die Netzhaut des Auges hat die natürliche Wärme des Körpers. Die Lichtstrahlen, die auf sie fallen, müssen ihre natürliche Wärme vermehren und ihre Fasern desto mehr ausdehnen, je dichter sie sind. Diese Verschiedenheit der Ausdehnung der nervigen Fasern muß eine verschiedene Empfindung in der Seele hervorbringen, und diese verschiedenen Empfindungen nennen wir Farben. Mit den Empfindungen, wenn sie zu heftig sind, ist bisweilen ein gewisses Gefühl verbunden, das wir Schmerz heißen. Wenn die Lichtstrahlen solche Empfindungen erregen, so haben sie einen zu heftigen Grad der Ausdehnung hervorgebracht. Die Empfindungen, die wir Farben nennen, müssen von einem geringern Grade der Ausdehnung herrühren, und unter diesen ist die heftigste Empfindung gelbe Farbe, weniger heftige die rote, grüne, blaue Farbe.«

»Ein einzelner Lichtstrahl dehnt die Stelle der Netzhaut, auf die er fällt, so aus, daß dadurch die Empfindung in der Seele entsteht, die wir gelbe Farbe nennen. Man zerlege diesen Lichtstrahl durch das Prisma in sieben Teile, wovon einer immer dichter ist als der andere, so werden diese sieben Teile, nach Verhältnis ihrer Dichtigkeit, verschiedene Ausdehnungen erzeugen, wovon wir jede mit einem eigenen Namen belegen. Schwarze Körper saugen die meisten Lichtstrahlen ein; folglich bringen sie auch die geringste Ausdehnung auf der Netzhaut hervor; violette etwas mehr, und dies steigt bis zu den gelben und weißen Körpern, die, weil sie am dichtesten sind, die meisten Lichtstrahlen zurückwerfen und dadurch die heftigste Ausdehnung auf der Netzhaut erregen.«

»Man merke es wohl, was wir vorhin gesagt haben, daß die natürliche Wärme der Netzhaut vermehrt werden muß, wenn wir Farben sehen, oder überhaupt, wenn wir sehen sollen. So können wir lange in einem warmen finstern Zimmer sein, worinnen wir durch die Wärme nicht sehen. Der[653] ganze Körper empfindet in diesem Falle, und deswegen lassen sich die Empfindungen an einzelnen Teilen nicht unterscheiden. Wir sehen im Winter bei einer heftigen Kälte gefärbte und ungefärbte Körper, weil sie Lichtstrahlen in unser Auge werfen und dadurch eine größere Wärme oder größere Ausdehnung erregen.«

»Die Dichtigkeit der Lichtstrahlen, die die gelbe oder weiße Farbe in uns erzeugt, kann sehr verschieden sein, ohne daß sie eine andere Farbe hervorbringt. Das Licht, das in der Nähe gelb brennt, brennt auch noch in einer großen Entfernung so. Kreide sieht in der Nähe und in der Ferne weiß aus. Ganz anders verhält es sich mit den Farben, die von einer viel mindern Dichtigkeit der Lichtstrahlen entstehen: diese werden schon in einer kleinen Entfernung schwarz.«

»Ich sehe nicht, wie ein Newtonianer verantworten kann, daß Körper von schwachen Farben in der Entfernung schwarz zu sein scheinen. Wenn sie zum Beispiel nur die blauen Lichtteilchen zurückwerfen, warum bleiben denn diese auf der entfernten Netzhaut nicht ebensowohl blaue Lichtteilchen als auf der nahen? Es ist ja nicht wie mit dem Geschmacke eines Salzes, das man mit zu vielem Wasser verdünnt hat. Die blauen Lichtteilchen werden auch in der Entfernung mit nichts vermischt, das ihre Wirkungen verändern könnte. Sie gehen zwar durch die Atmosphäre, die voll fremder Körper und anderer Farbeteilchen ist, aber sie leiden doch dadurch keine Veränderung.«

»Die scheinbaren Farben lassen sich aus dieser Hypothese noch leichter als aus den übrigen erklären. Wenn die Netzhaut, indem das Auge lange in das Licht sah oder einen andern gefärbten Körper einige Zeit betrachtete, nach Verhältnis der Dichtigkeit der empfangenen Lichtstrahlen erwärmt wurde, so konnte sich diese Wärme nur nach und nach verlieren. So wird ein warmes Metall nicht auf einmal kalt. Mit der Fortdauer der Wärme dauerte die Ausdehnung fort, und folglich die Farben, die allmählich, sowie sich die Wärme verlor, in andere Farben übergingen.«[654]

»Ich mag diese Hypothese jetzt nicht weitläuftiger ausführen, und deswegen will ich nur noch das Wahre derselben, von dem Wahrscheinlichen abgesondert, heraussetzen. Wahr ist es: ›daß die Lichtstrahlen, so einfach sie auch sein mögen, Wärme und Ausdehnung auf der Netzhaut hervorbringen müssen‹, daß die Seele diese Ausdehnung empfinden muß. Denn man erkläre auch die Farben, wie man will, so muß man mir doch allezeit zugeben, daß das, was zum Beispiel die blaue Farbe erzeugt, nicht heftiger wirken kann, als die Wärme eines solchen blauen Lichtteilchens wirkt.«

Hätte Westfeld statt des Mehr und Minder, wodurch doch immer nur eine Abstufung ausgedrückt wird, von der man nicht weiß, wo sie anfangen und wo sie aufhören soll, seine Meinung als Gegensatz ausgesprochen und die Farbenwirkungen als erwärmend und erkältend angenommen, so daß die von der einen Seite die natürliche Wärme der Retina erhöhen, die von der andern sie vermindern, so wäre nach ihm diese Ansicht nicht viel mehr zu erweitern gewesen. Sie gehört in das Kapitel von der Wirkung farbiger Beleuchtung, wo wir teils das Nötige schon angegeben haben, teils werden wir das allenfalls Erforderliche künftig supplieren.

Quelle:
Johann Wolfgang Goethe. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Band 1–24 und Erg.-Bände 1–3, Band 16, Zürich 1948 ff, S. 652-655.
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