Georg Simon Klügel

[650] Die Lehre von der Achromasie war wie ein fruchtbarer und unzerstörlicher Same über das Feld der Wissenschaften ausgestreut. So manches davon auch unter die Schuldornen fiel, um daselbst zu ersticken, so manches davon auch von den immer geschäftigen theoretisch-kritischen Vögeln aufgepickt und verschluckt wurde, so manches davon das Schicksal hatte, auf dem platten Wege der Gemeinheit zertreten zu werden: so konnte es doch nicht fehlen, daß in guten und tragbaren Boden ein Teil treulich aufgenommen ward und, wo nicht gleich Frucht trug, doch wenigstens im stillen keimte.

So haben wir oft genug unsern redlichen Landsmann Klügel bewundert und gelobt, wenn wir sein Verfahren bei Übersetzung und Supplierung der Priestleyschen Optik mit Ruhe beobachteten. Überall vernimmt man leise Warnungen, vielleicht[650] zu leise, als daß sie hätten können gehört werden. Klügel wiederholt bescheiden und oft, daß alle theoretische Enunziationen nur Gleichnisreden seien. Er deutet an, daß wir nur den Widerschein und nicht das Wesen der Dinge sehen. Er bemerkt, daß die Newtonische Theorie durch die achromatische Erfindung wohl gar aufgehoben sein könnte.

Wenn es uns nicht ziemt, von seinem Hauptverdienste, das außer unserm Gesichtskreise liegt, zu sprechen, so geben wir um so lieber ihm das Zeugnis eines vielleicht noch seltenern Verdienstes, daß ein Mann wie er, von so viel mathematischer Gewandtheit, dem Wissenschaft und Erfahrung in solcher Breite zu Gebote standen, daß dieser eine vorurteilsfreie verständige Übersicht dergestalt walten ließ, daß seine wissenschaftlichen Behandlungen, sicher, ohne dogmatisch, warnend, ohne skeptisch zu sein, uns mit dem Vergangenen bekannt machen, das Gegenwärtige wohl einprägen, ohne den Blick für die Zukunft zu verschließen.

Quelle:
Johann Wolfgang Goethe. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Band 1–24 und Erg.-Bände 1–3, Band 16, Zürich 1948 ff, S. 650-651.
Lizenz:
Kategorien: