Jeremias Friedrich Gülich

[676] Vollständiges Färbe- und Bleichbuch etc. etc. Sechs Bände. Ulm, 1779 bis 1793.

Dieser Mann, welcher zu Sindelfingen bei Stuttgart ansässig und zuletzt im Badenischen angestellt war, dessen Lebensgang wohl mehr verdiente bekannt zu sein, war in seinem Handwerk, in seiner Halbkunst, wie man es nennen will, soviel wir ihn beurteilen können, wohl zu Hause. Alle Erfordernisse bei der Färberei, sowohl insofern sie vorbereitend als ausführend und vollendend gedacht werden, lagen ihm zur Hand, sowie die verschiedensten Anwendungen, welche man von Farben technisch auf alle Arten von Zeugen und Stoffen nach und nach ersonnen hat.

Bei der großen Breite, bei dem genauen Detail seiner Kenntnisse, sah er sich nach einem Leitfaden um, an welchem er sich durch das Labyrinth der Natur- und Kunsterscheinungen durchwinden könnte. Da er aber weder gelehrte noch philosophische noch literarische Bildung hatte, so wurde es seinem übrigens tüchtigen Charakter sehr schwer, wo nicht unmöglich, sich überall zurecht zu finden.

Er sah wohl ein, daß bei allem Verfahren des Färbers nur sehr einfache Maximen zum Grunde lagen, die sich aber unter einem Wust von einzelnen Rezepten und zufälligen Behandlungen verbargen und kaum gefaßt werden konnten.

Daß mit einer klugen Anwendung von Säuren und Alkalien viel, ja beinah alles getan sei, ward ihm klar, und bei dem Drange zum Allgemeinen, den er in sich fühlte, wollte er dem Material seines Geschäfts und dessen Anwendung nicht allein, sondern zugleich der ganzen Natur einen ebenso einfachen Gegensatz zum Grunde legen. Deshalb wurden ihm Feuer und Wasser die zwei Hauptelemente. Jenem gesellte er die Säuren, diesem die Alkalien zu. In jenem wollte er zugleich die hochrote, in diesem die blaue Farbe finden, und hiermit war seine Theorie abgeschlossen; das übrige sollte sich hieraus entwickeln und ergeben.[676]

Da die eminentesten und beständigsten Farben aus den Metallen hervorzubringen waren, so schenkte er auch diesen vorzügliche Aufmerksamkeit und eine besondere Ehrfurcht. Dem Feuer, den Säuren, dem Hochroten soll Gold und Eisen, dem Wasser, den Alkalien, dem Blauen soll vorzüglich Kupfer antworten und gemäß sein; und überall, wo man diese Farben finde, soll etwas, wo nicht gerade wirklich Metallisches, doch dem Metallischen nahe Verwandtes und Analoges angetroffen werden.

Man sieht leicht, daß diese Vorstellungsart sehr beschränkt ist und bei der Anwendung oft genug unbequem werden muß. Weil jedoch seine Erfahrung sehr sicher und stet, seine Kunstbehandlung meisterhaft ist, so kommen bei dieser seltsamen Terminologie Verhältnisse zur Sprache, an die man sonst nicht gedacht hätte, und er muß die Phänomene selbst recht deutlich machen, damit sie vielseitig werden und er ihnen durch seine wunderliche Theorie etwas abgewinnen kann. Uns wenigstens hat es geschienen, daß eine Umarbeitung dieses Buchs, nach einer freiern theoretischen Ansicht, von mannigfaltigem Nutzen sein müßte.

Da, wie der Titel seines Buches ausweist, die erste Sorge des Färbers, die Farblosigkeit und Reinigkeit der Stoffe, auf welche er wirken will, ihm niemals aus den Augen gekommen; da er die Mittel sorgfältig angibt, wie solchen Stoffen alle Farbe und Unreinigkeit zu entziehen: so muß ihm freilich der Newtonische siebenfarbige Schmutz, so wie bei seiner einfachern Ansicht, die siebenfache Gesellschaft der Grundfarben höchst zuwider sein; deswegen er sich auch gegen die Newtonische Lehre sehr verdrießlich und unfreundlich gebärdet.

Mit den Chemikern seiner Zeit, Meyer, Justi und andern, verträgt er sich mehr oder weniger. Das acidum pingue des ersten ist ihm nicht ganz zuwider; mit dem zweiten steht er in mancherlei Differenz. So ist er auch in dem, was zu seiner Zeit über die Färbekunst geschrieben worden und was man sonst über die Farbenlehre geäußert, nicht unbekannt.[677]

Soviel sei genug, das Andenken eines Mannes aufzufrischen, der ein laborioses und ernstes Leben geführt und dem es nicht allein darum zu tun war, für sich und die Seinigen zu wirken und zu schaffen, sondern der auch dasjenige, was er erfahren, und wie er sichs zurecht gelegt, andern zu Nutz und Bequemlichkeit emsig mitteilen wollte.

Quelle:
Johann Wolfgang Goethe. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Band 1–24 und Erg.-Bände 1–3, Band 16, Zürich 1948 ff, S. 676-678.
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