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[34] Vollkommen abgeschmacktes Zeug geschieht doch auf der Welt. Manchmal gibt's Dinge, die ganz und gar nicht wahrscheinlich sind: plötzlich zeigte sich dieselbe Nase, die im Range eines Staatsrats umhergefahren war und so viel Lärm erregt hatte, just als wäre nichts geschehen, wieder an ihrem Platze, das heißt zwischen den beiden Wangen des Majors Kowalow. Dieses Ereignis trug sich schon am siebenten April zu. Als der Major am Morgen erwachte und plötzlich in den Spiegel blickte, sah er – die Nase! Er betastete sie mit der Hand – richtig die Nase! »Hähä!« sagte Kowalow und hätte vor Freude beinahe in seinem Zimmer barfuß den Trepak getanzt, nur das Erscheinen seines Dieners verhinderte ihn daran. Er befahl diesem, ihm sofort Waschwasser zu geben, und nachdem er sich gewaschen, blickte er noch einmal in den Spiegel – die Nase! Dann rieb er sich mit dem Handtuch ab und schaute nochmals in den Spiegel – die Nase!

»Sieh mal her, Iwan, ich glaube, da ist mir ein Hitzbläschen auf die Nase geflogen«, sprach er und dachte bei sich: Ach, wenn nun aber Iwan sagt: ›Aber gnädiger Herr, Sie haben nicht nur kein Hitzbläschen, sondern nicht einmal eine Nase?‹

Aber Iwan sagte: »Es ist nichts – gar keine Spur von einem Hitzbläschen, die Nase ist ganz rein.«[34]

»Schön, beim Teufel!« sagte der Major und schnalzte mit den Fingern. In diesem Augenblick schaute der Barbier Iwan Jakowlewitsch zur Tür herein, aber so ängstlich wie eine Katze, die gerade Prügel bekommen, weil sie Speck gestohlen hat.

»Zunächst sage mir, ob du saubere Hände hast«, schrie ihm Kowalow schon von weitem zu.

»Sie sind vollständig sauber.«

»Das lügst du!«

»Bei Gott, vollständig sauber, gnädiger Herr!«

»Na, dann gib acht!«

Kowalow setzte sich. Iwan Jakowlewitsch hüllte ihn mit seinem Tuch ein, und im Umsehen hatte er mit Hilfe seines Pinsels das ganze Kinn des Majors und einen Teil der Wangen in Creme verwandelt, wie sie die Kaufleute an ihrem Namenstag auftischen. »Sieh mal an!« sagte Iwan Jakowlewitsch für sich und betrachtete aufmerksam die Nase, und dann hielt er den Kopf nach der Seite, am sie auch von einem andern Standpunkt zu betrachten. »Sieh da, da ist sie, wirklich, denk mal«, fuhr er fort und blickte sie lange an. Endlich erhob er langsam, aber mit denkbar größter Vorsicht zwei Finger, um sie ganz an der Spitze zu erfassen. Das war die Methode Iwan Jakowlewitschs.

»Na, na, na, sieh dich vor!« schrie ihn Kowalow an.

Iwan Jakowlewitsch ließ die Hände sinken und wurde so bestürzt und verwirrt, wie noch nie in seinem Leben. Endlich begann er ganz vorsichtig unter dem Kinn zu rasieren, und obgleich es ihm höchst unbequem und schwer wurde zu rasieren, ohne daß er dabei an dem Riechorgan des Körpers eine Stütze hatte, so gelang es ihm doch schließlich, indem er den einen Finger auf die Wange und den Unterkiefer drückte, sich seiner Aufgabe vollständig zu entledigen und den Major zu rasieren.

Als der Barbier fertig war, kleidete sich Kowalow[35] schnell an, setzte sich in eine Droschke und fuhr geradeswegs nach einer Konditorei. Schon von weitem rief er: »Kellner, eine Tasse Schokolade!« und stand auch schon in demselben Augenblick vor dem Spiegel – er hat eine Nase! Fröhlich trat er zurück und betrachtete mit einem satirischen Gesichtsausdruck und mit den Augen blinzelnd zwei Soldaten, von denen der eine eine Nase hatte, die nicht viel größer war als ein Westenknopf. Dann begab er sich in die Kanzlei derjenigen Abteilung, bei der er sich um die Stelle eines Vizegouverneurs oder, falls eine solche nicht zu erlangen war, um die eines Exekutors bemühte. Als er durch das Empfangszimmer schritt, schaute er in den Spiegel – er hat eine Nase! Dann fuhr er zu einem andern Kollegien-Assessor oder Major, einem großen Witzbold, dem er auf seine Anzüglichkeiten stets zu entgegnen pflegte: »Nun, du kannst mir ja, ich kenne dich doch, du Spötter.« Unterwegs dachte er: Wenn der Major jetzt nicht bei deinem Anblick vor Lachen platzt, so ist es ein untrüglicher Beweis, daß alles ganz an seiner richtigen Stelle sitzt. Aber der Kollegien-Assessor erlaubte sich nicht die geringste Anzüglichkeit.

Ausgezeichnet, ausgezeichnet, beim Satan, dachte Kowalow bei sich. Unterwegs begegnete er der Frau des Stabsoffiziers und deren Tochter. Er machte ihnen eine Verbeugung und wurde mit freudigen Ausrufen empfangen: war also in keiner Weise zu Schaden gekommen ... Lange unterhielt er sich mit den Damen, und absichtlich zog er seine Tabaksdose hervor und versah wiederholt beide Öffnungen seiner Nase mit Schnupftabak, wobei er sich sagte: »Na, seht ihr's nun, ihr Weiber, ihr Hühnervolk! Aber das Töchterchen heirate ich doch nicht. Na, so ein bißchen – par amour – gern!« Und von jetzt an promenierte der Major Kowalow, als wäre gar nichts geschehen, auf dem Newski-Prospekt umher und zeigte sich im Theater,[36] auf Bällen, Soireen – kurz überall. Und auch die Nase saß und zeigte keinerlei Zeichen, daß sie nach dieser oder jener Seite gewichen wäre, als wäre ihr nichts passiert. Und in der Folge sah man den Major Kowalow stets bei ausgezeichneter Laune, immer lächelnd, fortwährend alle, aber alle schönen Damen verfolgend – ja, einmal kehrte er sogar in einen Laden ein und kaufte sich ein Ordensbändchen – aus welchem Grunde, ist nicht bekannt geworden; wenigstens war er nicht im Besitz irgendeines Ordens.

Schau, was für eine Geschichte sich in der nordischen Hauptstadt unseres weiten Reiches ereignet hat! Wenn man jetzt den ganzen Vorfall noch einmal recht bedenkt, so sieht man, daß vieles daran unwahrscheinlich ist. Ich will gar nicht davon sprechen, daß es wirklich wunderlich ist, daß eine Nase sich gegen alle Natürlichkeit entfernt und sich an verschiedenen Orten in Gestalt eines Staatsrates zeigt – aber wie vermochte Kowalow nur nicht zu begreifen, daß er doch unmöglich mit Hilfe einer Zeitung nach einer verschwundenen Nase fahnden konnte? Ich rede hier nicht in dem Sinne, daß mir die Zeitungsanzeige etwas teuer vorkäme: das ist Unsinn, und ich gehöre durchaus nicht zu den gewinnsüchtigen Menschen; aber ich finde so etwas unpassend, unschön, ungeschickt! Und dann wieder die Frage: wie kam die Nase in das Brot und wie konnte Iwan Jakowlewitsch ... nein, das begreife ich nicht! Aber das Seltsamste, Unbegreiflichste an der Sache ist, wie es nur Schriftsteller geben kann, die sich solche Gegenstände wählen. Ich muß gestehen, das ist mir das Allerunbegreiflichste ... in der Tat, das geht vollständig über mein Begriffsvermögen! Denn erstens hat das Vaterland nicht den mindesten Nutzen davon, und dann zweitens – aber auch zweitens springt kein Vorteil dabei heraus. Kurz, ich weiß nicht, was das soll ...[37]

Aber dennoch, trotz alledem, obwohl man schließlich dies und jenes und noch ein drittes zugeben kann und vielleicht sogar ... wo gibt es denn übrigens keine unsinnigen Dinge? – Wie man die Geschichte auch drehen und wenden mag, irgend etwas ist doch daran. Man rede, was man will, solche Dinge gibt es in der Welt – zwar nur selten, aber sie kommen vor.


Quelle:
Gogol, Nikolaus: Die Nase. Stuttgart 1952, S. 34-38.
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