Zwanzigster Auftritt.

[20] Florindo, Truffaldino mit einem Träger, der einen Koffer trägt.


TRUFFALDINO. Wetter! da ist noch mein anderer Herr! Zurück, Kamerad! und erwarte mich an jener Ecke. Er zieht ihn zurück.

FLORINDO der in Gedanken stand. Ja, ich will ohne Verzug nach Turin zurückkehren.

TRUFFALDINO. Ich bin wieder da, aufzuwarten.

FLORINDO. Truffaldino! willst du mit mir nach Turin?

TRUFFALDINO. Wann?

FLORINDO. Diesen Augenblick.

TRUFFALDINO. Ohne zu Mittag zu essen?

FLORINDO. Nein, erst wollen wir essen; dann reisen.

TRUFFALDINO. Aufzuwarten; ich werd' es bei Tische überlegen.

FLORINDO. Kommst du von der Post?

TRUFFALDINO. Aufzuwarten.

FLORINDO. Hast du Briefe?

TRUFFALDINO. Ja, ich habe Briefe.

FLORINDO. Gib sie her.

TRUFFALDINO. Aufzuwarten. Er zieht drei Briefe aus der Tasche, für sich. Blitz! da stecken sie alle beieinander; nun weiß ich nicht, welche diesem, oder dem anderen Herrn gehören; ich kann nicht lesen.

FLORINDO der in Gedanken auf und ab ging. Nun, wird's bald?

TRUFFALDINO. Aufzuwarten! Für sich. O weh! o weh! Laut. Lieber Herr! diese drei Briefe gehören nicht alle Ihnen. Ich traf unterwegs einen alten Bekannten. Ich sagte ihm, daß ich nach der Post ginge! Er bat mich, daß ich fragen möchte, ob auch Briefe an seinen Herrn da wären. Ich glaube, es ist einer darunter, aber da ich nicht lesen kann, so weiß ich nicht, welcher es ist.

FLORINDO. So gib nur her; ich kann lesen.

TRUFFALDINO. Da sind sie! ich möchte gerne meinem Freund bald dienen.

FLORINDO. Was seh' ich? An Beatrice Rasponi aus Turin!

TRUFFALDINO. Haben Sie den Brief für meinen Kameraden gefunden?

FLORINDO. Wer ist der Kamerad?

TRUFFALDINO. Ein Bedienter – er nennt sich Pasqual.

FLORINDO. Bei wem dient er?

TRUFFALDINO. Das weiß ich nicht.

FLORINDO. Da du Briefe für seinen Herrn mitbringen solltest, muß er dir doch den Namen gesagt haben.[20]

TRUFFALDINO. Freilich. Für sich. O, weh!

FLORINDO. Wie heißt er also?

TRUFFALDINO. Ich kann mich nicht mehr darauf besinnen.

FLORINDO. Was, du –

TRUFFALDINO. Er hatte mir den Namen auf ein Stück Papier geschrieben.

FLORINDO. Wo ist das Papier?

TRUFFALDINO. Ich hab's verloren. Für sich. Ich werde mich doch noch herauswickeln.

FLORINDO. Wo wohnt dieser Pasqual?

TRUFFALDINO. Ich weiß es nicht.

FLORINDO. Wie kannst du ihm denn den Brief zustellen?

TRUFFALDINO. Wir wollen einander auf dem großen Markt treffen.

FLORINDO für sich. Was soll ich davon denken?

TRUFFALDINO für sich. Ich bin durch. Laut. Wollen Sie mir den Brief nicht geben.

FLORINDO. Nein, erst will ich ihn lesen.

TRUFFALDINO. Blitz! tun Sie das nicht. Es steht grimmige Strafe darauf, wenn man fremde Briefe öffnet.

FLORINDO. Bei diesem hat es nichts auf sich. Er erbricht ihn.

TRUFFALDINO. Na, da ist er offen.

FLORINDO liest für sich. »Mademoiselle! Ihre schnelle Abreise hat alle Ihre Freunde bestürzt gemacht. Endlich hat man erfahren, daß Sie die Stadt in Mannskleidern verlassen haben und vermutlich Ihrem geliebten Florindo nachgeeilt sind – dessen Unschuld durch den Eigentümer des mit Blut befleckten Degens schon halb erwiesen ist. Mit dem nächsten Posttage hofft Ihnen noch wichtigere Dinge melden zu können

Ihr treuer Diener

Manuel.«

TRUFFALDINO für sich. Er denkt wenig daran, was mir seine Neugier für eine Prügelsuppe zuziehen kann.

FLORINDO für sich. Beatrice in Mannskleidern entflohen, um mir zu folgen! – Laut. Geh', suche diesen Pasqual unverzüglich auf, und bring' ihn zu mir; ich will euch beide gut belohnen.

TRUFFALDINO. Nun, geben Sie mir nur Pasquals Brief. – Was soll ich ihm aber sagen, daß er offen ist? Das kann eine Imputation auf meine Ehre machen, und da bin ich sehr kitzlig.

FLORINDO. Deine Ehre, Narr! – Sag' ihm, daß ein Versehen daran schuld sei, und daß ihn niemand gelesen habe.[21] Lauf und bringe mir diesen Pasqual. Für sich. Beatrice und Federigo in Venedig! Wenn sie der Bruder findet, so ist sie verloren. Er geht ab.


Quelle:
Goldoni, Carlo: Der Diener zweier Herren. Halle a. d. S. [o. J.], S. 20-22.
Lizenz:
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Der Diener zweier Herren
Der Diener zweier Herren
Der Diener zweier Herren (Italienisch/Deutsch)
Der Diener zweier Herren / Mirandolina
5 Stücke von Goldoni: Der Diener zweier Herren / Der Lügenbold / Der Impresario von Smyrna / Die Ungehobelten / Das Kaffeehaus
Diener zweier Herren. Nach der Komödie von Carlo Goldoni

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