Zehntes Kapitel

[886] Am Abend desselben Tages saßen in einem der Zimmer des oberen Stockwerkes eines zweistöckigen Hauses, das mit der einen Seite auf die Straße, in der Oblomow wohnte, und mit der anderen auf den Kai hinausging, Iwan Matwejewitsch und Tarantjew. Es war eine Kneipe, vor deren Tür stets zwei, drei leere Droschken standen, während die Kutscher im Parterre saßen und aus Untertassen Tee tranken. Das obere Stockwerk war für die »Herrschaften« der Wiborgskajastraße bestimmt. Vor Iwan Matwejewitsch und Tarantjew stand Tee und eine Flasche Rum.

»Das ist echter Jamaika-Rum«, sagte Iwan Matwejewitsch, sich mit zitternder Hand Rum ins Glas einschenkend, »sei kein Kostverächter, Gevatter.«

»Du mußt aber auch zugeben, daß ich deine Bewirtung verdient habe«, gab Tarantjew zur Antwort, »das Haus wäre zerfallen, bevor du einen solchen Mieter gefunden hättest.«

»Das ist wahr«, gab Iwan Matwejewitsch zu. »Und wenn unsere Sache zustande kommt und Satjortij aufs Gut fährt, werde ich mich wieder erkenntlich erweisen!«

»Du bist aber geizig, Gevatter; man muß mit dir handeln«, sprach Tarantjew, »fünfzig Rubel für einen solchen Mieter!«

»Ich fürchte mich, er droht auszuziehen«, bemerkte Iwan Matwejewitsch.

»Ach du, und du willst dich auf solche Dinge verstehen? Wohin soll er ziehen? Er wird sich jetzt nicht einmal fortjagen lassen.«[887]

»Und die Hochzeit? Man sagt, daß er heiratet.«

Tarantjew lachte laut.

»Er heiratet! Willst du wetten, daß er nicht heiratet?« entgegnete er, »ihm hilft Sachar sogar einschlafen, und er soll heiraten! Bis jetzt habe ich ihn immer mit Wohltaten überhäuft; ohne mich, Bruder, wäre er schon längst Hungers gestorben oder ins Gefängnis gekommen. Wenn der Wachmann gekommen ist oder der Hausherr etwas gefragt hat, hat er ja keinen Finger gerührt. Alles habe ich machen müssen! Er versteht nichts ...«

»Nein, gar nichts! Er sagt: ich weiß nicht, was im Kreisgericht gemacht wird, auch nicht, was im Departement vorgeht; er weiß nicht, was er für Bauern hat. Ein kluger Kopf! Ich habe lachen müssen ...«

»Und der Kontrakt, was für einen Kontrakt wir abgeschlossen haben!« prahlte Tarantjew. »Du verstehst dich darauf, Papiere zu schreiben, Iwan Matwejewitsch, bei Gott, du verstehst dich darauf! Ich muß dabei an meinen seligen Vater denken; auch ich war nicht ungeschickt, ich habe es aber verlernt, es ist wirklich wahr, ich habe es vergessen. Sowie ich mich hinsetze, tränen mir die Augen. Er hat es nicht gelesen und hat seine Unterschrift darunter gekritzelt! Und darin steht das vom Gemüsegarten, von den Ställen und Schuppen ...«

»Ja, Gevatter, solange in Rußland die Tölpel nicht aussterben, welche Papiere, ohne sie zu lesen, unterschreiben, kann unsereiner noch leben. Sonst könnte man es gar nicht mehr aushalten! Wenn man den Alten zuhört, war es früher ganz anders! Was für ein Kapital habe ich mir in den fünfundzwanzig Jahren, seit ich in der Kanzlei bin, gesammelt? Man kann damit auf der Wiborgskajastraße wohnen, ohne sich auf Gottes Welt blicken zu lassen; ich habe zwar einen anständigen Bissen erwischt, ich darf nicht klagen, mein Brot wird nicht gar werden! Aber die Zeit, da man sich eine Wohnung auf der Litejnaja mieten, Teppiche kaufen, eine Reiche heiraten und die Kinder zu vornehmen Leuten machen konnte, ist vorüber! Jetzt paßt ihnen auf einmal mein Gesicht nicht, und meine[888] Finger sind zu rot, man soll keinen Schnaps trinken ... Wie sollte man aber keinen trinken? Versuch's einmal! Sie sagen, ich sei ärger als ein Lakai; jetzt trägt selbst ein Lakai keine solchen Stiefel und wechselt täglich das Hemd. Jetzt ist eine ganz andere Erziehung – die Grünschnäbel reißen einem alles vor der Nase fort; sie machen Grimassen, lesen und sprechen französisch ...«

»Sie verstehen aber nichts vom Geschäft«, fügte Tarantjew hinzu.

»Nein, Bruder, sie verstehen schon was; die Geschäfte sind ja jetzt anders geworden; ein jeder will die Sache möglichst einfach betreiben, und alle schaden uns. Es ist unnötig, so zu schreiben; das sei überflüssige Arbeit und Zeitverlust; es könnte schneller gemacht werden ... sie schaden uns

»Der Kontrakt ist aber unterschrieben; das haben sie uns nicht verdorben!« sagte Tarantjew.

»Das ist natürlich unantastbar. Trinken wir, Gevatter! Jetzt wird er den Satjortij nach Oblomowka schicken, er wird das Gut ein wenig aussaugen; dann kann es für die Erben bleiben ...«

»Ja, dann sollen sie es behalten!« bemerkte Tarantjew.

»Aber was sind das für Erben; in dritter Linie.«

»Ich fürchte mich nur vor der Hochzeit!« sagte Iwan Matwejewitsch.

»Fürchte dich nicht, sag ich dir. Denke an meine Worte.«

»Ist's wahr?« erwiderte Iwan Matwejewitsch fröhlich.

»Er glotzt meine Schwester an ...« fügte er flüsternd hinzu.

»Was sagst du?«

»Schweig nur, es ist, bei Gott, wahr ...«

»Na, weißt du, Bruder«, wunderte sich Tarantjew, mit Mühe zu sich kommend, »mir wäre das nicht im Traume eingefallen! Nun, und wie verhält sie sich dazu?«

»Wie sie sich verhält? Du kennst sie ja, so ist sie

Er schlug mit der Faust über den Tisch.[889]

»Kann sie denn ihren Nutzen wahren? Sie ist eine Kuh, eine wahre Kuh; man kann sie schlagen oder umarmen, und sie grinst immer wie ein Pferd, das Hafer sieht. Wenn's eine andere wäre, o je! Ich werde das aber nicht aus dem Auge verlieren – verstehst du, was das bedeutet?«

Quelle:
Gontscharow, Iwan: Oblomow. Zürich 1960, S. 886-890.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Oblomow
Oblomow