|
[587] Sowie Ilja Iljitschs Schnarchen Sachars Ohr erreicht hatte, sprang er vorsichtig ohne Lärm von der Ofenbank herab, ging auf den Fußspitzen ins Vorhaus, schloß den Herrn ein und begab sich zum Haustor hin.
»Ah, Sachar Trofimitsch, willkommen! Man sieht Sie so lange nicht mehr!« sagten die Kutscher, Lakaien, Frauen und Kinder am Haustor.
»Was ist denn mit dem Ihrigen? Ist er fortgegangen?« fragte der Hausbesorger.
»Er schnarcht«, sagte Sachar düster.
»Wieso denn?« fragte der Kutscher, »ich glaube, um diese Zeit ist es ja noch zu früh ... ist er krank?«
»Aber gar keine Spur! Er ist besoffen!« sagte Sachar mit einer solchen Stimme, als wäre er auch selbst davon überzeugt. »Werden Sie es glauben? Er hat allein anderthalb Flaschen Madeira und zwei Seidel Kwaß getrunken, und jetzt liegt er da.«
»Ach ja!« sagte der Kutscher voller Neid.
»Was ist denn heute mit ihm geschehen?« fragte eine von den Frauen.
»Nein, Tatjana Iwanowna«, antwortete Sachar, nachdem er ihr einen seiner einseitigen Blicke zugeworfen hatte, »das ist nicht nur heute; er taugt überhaupt gar nichts mehr – es ekelt einen, mit ihm zu sprechen!«
»Er ist wohl so wie meine Gnädige!« bemerkte sie seufzend.
»Wie ist's, Tatjana Iwanowna, fährt sie heute irgendwohin«, fragte der Kutscher, »ich hätte hier in der Nähe einen Gang zu machen!«[588]
»Wo denken Sie hin!« antwortete Tatjana, »sie sitzt mit ihrem Herzallerliebsten, und die beiden können sich aneinander nicht satt sehen.«
»Er kommt oft zu euch«, sagte der Hausbesorger, »ich habe ihn in den Nächten satt gekriegt, zum Kuckuck. Alle sind schon fortgegangen oder zurückgekehrt, und er kommt zuletzt und schimpft noch, weil das Hauptportal gesperrt ist ... Soll ich denn hier für ihn Wache stehen!«
»So einen Dummkopf müßte man suchen, Bruder!« sagte Tatjana. »Was er ihr alles schenkt! Sie putzt sich wie ein Pfau auf und geht mit so wichtiger Miene herum, wenn aber jemand sehen könnte, was für Unterröcke und für Strümpfe sie trägt, wär's eine Schande! Sie wäscht sich zwei Wochen lang nicht den Hals und malt sich das Gesicht an ... manchmal sündigt man und denkt: Ach, du Arme! Du solltest ein Tuch um den Kopf binden und ins Kloster zum Beten pilgern ...«
Alle außer Sachar lachten.
»Ja, Tatjana Iwanowna zielt nicht vorbei!« sagten beifällige Stimmen.
»Aber wirklich!« fuhr Tatjana fort. »Wieso lassen die Herrschaften so eine nur zu sich? ...«
»Wohin gehen Sie?« fragte sie jemand, »was haben Sie da für ein Bündel?«
»Ich trage ein Kleid zur Schneiderin; meine Modedame schickt mich hin. Es soll ihr zu weit sein! Und wenn ich mit Dunjascha sie einschnüre, können wir dann drei Tage lang nichts mit den Händen tun. Man bricht sie sich fast ab! Nun, es ist Zeit für mich. Lebt unterdessen wohl!«
»Leben Sie wohl! Leben Sie wohl!« sagten einige.
»Leben Sie wohl, Tatjana Iwanowna«, sagte der Kutscher. »Kommen Sie heute abend? ...«
»Ich weiß nicht; vielleicht komme ich, aber auch nicht ... Leben Sie wohl!«
»Leben Sie wohl!« sagten alle.
»Lebt wohl ... laßt's euch gut gehen!« antwortete sie im Gehen.[589]
»Leben Sie wohl, Tatjana Iwanowna!« rief der Kutscher ihr nochmals nach.
»Leben Sie wohl!« antwortete sie laut aus der Ferne.
Als sie fort war, schien Sachar darauf zu warten, daß die Reihe zu erzählen an ihn kam. Er setzte sich auf den gußeisernen Pfeiler am Haustor und begann mit den Beinen zu baumeln, indem er die Vorübergehenden und Vorüberfahrenden düster und zerstreut betrachtete.
»Nun, was ist heute mit dem Ihrigen, Sachar Trofimitsch?« fragte der Hausbesorger.
»Wie immer; er wird vor lauter Fett verrückt«, sagte Sachar, »und alles deinetwegen, ich hab' durch deine Schuld nicht wenig zu ertragen gehabt; alles der Wohnung wegen! Er ist böse, er will nicht ausziehen ...«
»Ist denn das meine Schuld?« sagte der Hausbesorger, »meinetwegen könnt ihr bis an euer Ende hier leben; bin ich denn der Hausherr? Man hat mir's befohlen ... Ja, wenn ich der Hausherr wäre, aber das bin ich doch nicht ...«
»Was macht er denn, schimpft er?« fragte irgendein Kutscher.
»Er schimpfte so, daß ich mich wundere, wie ich die Kraft habe, es zu ertragen!«
»Das macht nichts! Das ist ein guter Herr, der immer schimpft«, sagte ein Lakai, indem er langsam eine runde, knarrende Tabatiere öffnete; alle Hände, außer denen von Sachar, streckten sich zum Tabak hin. Es begann ein allgemeines Schnupfen, Niesen und Spucken.
»Es ist besser, daß er schimpft«, fuhr der Lakai fort, »je mehr er schimpft, desto besser ist es. Wenn er schimpft, schlägt er wenigstens nicht. Ich habe bei einem Herrn gedient, der hat einen gleich bei den Haaren gepackt, bevor man noch wußte, wofür.«
Sachar wartete verächtlich ab, bis er fertig war, und sprach, sich an den Kutscher wendend, weiter:
»Einen Menschen um nichts und wieder nichts zu beschämen«, sagte er, »das ist für ihn das wenigste!«
»Er ist wohl launisch?« fragte der Hausbesorger.[590]
»Und ob!« krächzte Sachar mit Nachdruck und kniff die Augen zu. »Er ist so launisch, daß es das reinste Unglück ist! Das ist ihm nicht recht und jenes auch nicht, man versteht weder zu gehen noch zu reichen, man zerbricht alles, man räumt nicht auf, stiehlt und nascht ... Pfui, daß dich! ... Was er alles gesprochen hat, es war eine Schande zuzuhören! Und weswegen? Es ist noch von der vorigen Woche ein Stückchen Käse zurückgeblieben – es wäre eine Schande, es einem Hund zuzuwerfen –, aber nein, es soll dem Diener um Gottes willen nicht einfallen, es aufzuessen! Er hat danach gefragt – ›es ist nicht da‹, sag' ich, und da geht es los: ›Man muß dich aufhängen‹, sagt er, ›man muß dich in heißem Pech sieden lassen und mit glühenden Zangen zwicken; man muß in dich einen Espenpfahl hineinjagen!‹ sagt er. Und kommt immer näher auf mich zu ... Was glaubt ihr, Brüder, daß neulich geschehen ist? Ich hab' ihm, ich weiß nicht wie – den Fuß verbrüht, da hat er aber gebrüllt! Wenn ich nicht zurückgesprungen wäre, hätte er mich mit der Faust in die Brust gestoßen ... er hat's immer probiert, er hätte mich sicher gestoßen ...«
Der Kutscher schüttelte den Kopf, und der Hausbesorger sagte: »Ist das aber ein strenger Herr, er läßt niemandem etwas hingehen!«
»Nun, wenn er noch schimpft, ist er ein guter Herr!« sagte immer derselbe Lakai phlegmatisch, »einer, der nicht schimpft, ist schlimmer; er schaut nur und faßt einen plötzlich bei den Haaren, bevor man noch darauf gekommen ist, wofür.«
»Dafür ist sein Fuß bis jetzt noch nicht verheilt«, sagte Sachar, ohne die Worte des ihn unterbrechenden Lakaien wieder irgendwie zu beachten, »er schmiert ihn immer noch mit einer Salbe ein; es geschieht ihm schon recht!«
»Ja, das ist ein Herr mit Charakter!« sagte der Hausbesorger.
»Gott schütze uns vor solchen!« fuhr Sachar fort, »er wird noch einmal einen Menschen umbringen; bei Gott, er bringt einen um! Und eines jeden Unsinns wegen[591] schimpft er gleich ›Kahlköpfiger‹ – ich will nicht zu Ende reden. Und heute hat er sich was Neues ausgedacht; er nennt mich ›giftig‹! Wie die Zunge so was nur aussprechen kann! ...«
»Was macht denn das?« sprach immer derselbe Lakai, »Gott sei Dank, daß er schimpft, Gott soll so einem Gesundheit schenken ... Wenn der Herr aber schweigt, dann schaut er einen immer an, wenn man vorübergeht, und stürzt sich plötzlich auf den Diener, so wie es der gemacht hat, bei dem ich gedient habe. Wenn er aber schimpft, dann schadet es nichts ...«
»Es ist dir schon recht geschehen«, bemerkte Sachar, sich über die ungebetenen Entgegnungen ärgernd, »ich hätte es dir noch ganz anders gezeigt!«
»Was meint er denn, wenn er ›Kahlköpfiger‹ schimpft, Sachar Trofimitsch?« fragte ein fünfzehnjähriger Laufbursche, »vielleicht ›Teufel‹?«
Sachar wandte ihm langsam den Kopf zu und ließ seinen trüben Blick auf ihm haften.
»Wart nur!« sagte er dann boshaft, »du bist noch jung, Bruder, und dabei sehr naseweis! Ich mach' mir nichts daraus, daß du beim General dienst. Ich packe dich gleich bei den Haaren! Marsch auf deinen Platz!«
Der Laufbursche trat zwei Schritte zurück, blieb stehen und blickte die Schar lächelnd an.
»Was zeigst du die Zähne?« krächzte Sachar wütend, »wart, wenn ich dich erwische, werde ich dir deine Ohren schon zurechtsetzen; da wirst du nicht mehr grinsen!«
Jetzt lief aus dem Portal ein ungewöhnlich großer Lakai in einem Livreefrack mit Tressen und in Gamaschen heraus. Er kam auf den Laufburschen zu, verabfolgte ihm zuerst eine Ohrfeige und nannte ihn dann einen Dummkopf.
»Was haben Sie, Matwej Mosseitsch, wofür denn?« sagte der verblüffte und verlegene Laufbursche, indem er sich die Wange hielt und krampfhaft blinzelte.
»Was! Du frägst noch?« antwortete der Lakai, »ich suche dich im ganzen Hause, und du bist hier!«[592]
Er packte ihn mit der Hand bei den Haaren, beugte ihm den Kopf herab und schlug ihn methodisch, gleichmäßig und langsam dreimal mit der Faust auf den Nacken.
»Der Herr hat fünfmal geläutet«, fügte er in Form einer Moralpredigt hinzu, »und man schimpft mich deinetwegen, eines solchen jungen Hundes wegen! Marsch!«
Und er wies ihn mit der Hand befehlend auf die Stiege hin. Der Knabe blieb eine Weile verwirrt stehen, blinzelte ein paarmal, blickte den Lakai an, und als er sah, daß von diesem außer einer Wiederholung des Vorangegangenen nichts zu erwarten sei, schüttelte er die Haare und ging wie ein begossener Pudel auf die Stiege.
Was das für ein Triumph für Sachar war!
»Ordentlich, ordentlich, Matwej Mosseitsch! Noch, noch!« sagte er schadenfroh. »Ach, das ist zu wenig! Danke, Matwej Mosseitsch! Er ist zu naseweis ... Das hast du für den ›kahlköpfigen Teufel‹! Wirst du noch grinsen?«
Die Dienerschaft lachte voll Mitgefühl für den strafenden Lakai und für den schadenfrohen Sachar. Nur der Laufbursche fand keine Teilnahme.
»Ganz genau so pflegte es mein früherer Herr zu machen«, begann wieder derselbe Lakai, der Sachar immer unterbrochen hatte, »sowie man sich einen guten Tag machen wollte, schien er zu erraten, was du gedacht hast, ging vorüber und packte einen so, wie Matwej Mosseitsch den Andrjuschka gepackt hat. Was macht es denn, wenn einer schimpft! Was schadet es, wenn er einen ›kahlköpfigen Teufel‹ nennt!«
»Dich hätte vielleicht auch dein Herr gepackt«, antwortete ihm der Kutscher, auf Sachar hinweisend, »du hast ja den reinsten Filz auf dem Kopf! Wo soll er denn aber Sachar Trofimitsch packen! Er hat ja einen Kopf wie ein Kürbis ... Vielleicht nur bei den zwei Bärten, die er auf den Backenknochen hat; da hätte er schon was zum Packen! ...«
Alle lachten, und Sachar war durch diesen Ausfall des Kutschers wie von einem Schlag gerührt, denn das war[593] der einzige unter der Dienerschaft, mit dem Sachar bis dahin freundschaftliche Gespräche geführt hatte.
»Wart, bis ich's meinem Herrn sage«, begann er den Kutscher wütend anzukrächzen, »dann findet er auch bei dir etwas, wo er dich anpacken kann. Er wird dir deinen Bart schon glätten; er ist bei dir ganz zerrauft!«
»Das ist ein netter Herr, der fremden Kutschern den Bart glättet! Nein, da müßt ihr euch erst eure eigenen anschaffen, dann könnt ihr sie glätten; du bist zu freigebig!«
»Soll man vielleicht dich aufnehmen, du Schuft?« krächzte Sachar, »du bist ja nicht einmal wert, daß man dich selbst für meinen Herrn einspannt!«
»Das ist mir auch ein Herr!« bemerkte der Kutscher höhnisch, »wo hast du so einen nur aufgegabelt?«
Er selbst, der Hausbesorger, der Friseur und der Lakai, der das Schimpfsystem verteidigt hatte, sie alle lachten.
»Lacht nur, lacht nur, ich sag's aber dem Herrn!« krächzte Sachar.
»Und du«, sagte er, sich an den Hausbesorger wendend, »solltest diese Räuber im Zaume halten und nicht lachen. Wozu bist du hier angestellt? Um Ordnung zu halten. Und was machst du? Ich werd's dem Herrn sagen; wart nur, du kriegst es schon!«
»Nun, laß gut sein, Sachar Trofimitsch!« sagte der Hausbesorger, um ihn zu beruhigen, »was hat er dir getan?«
»Wie wagt er es, über meinen Herrn so zu sprechen?« entgegnete Sachar leidenschaftlich, auf den Kutscher hinweisend. »Weiß er denn, wer mein Herr ist?« fragte er ehrfurchtsvoll. »Du hast so einen Herrn nicht einmal im Traum gesehen«, sagte er, sich an den Kutscher wendend, »so klug, gut und schön ist er! Und der deinige ist wie ein verhungertes Droschkenpferd! Es ist eine Schande zuzuschauen, wie er auf der braunen Stute vom Hof herausfährt; der reinste Bettler! Ihr eßt ja nur Rettich mit Kwaß. Schau einmal deinen Rock an; man kann die Löcher gar nicht zählen.«[594]
Es muß bemerkt werden, daß der Rock des Kutschers ganz ohne Löcher war.
»Ja, man findet nicht so leicht einen solchen«, unterbrach ihn der Kutscher und zog geschickt den unter Sachars Arm hervorschauenden Hemdzipfel ganz heraus.
»Laßt gut sein!« sagte der Hausbesorger, die Hände zwischen sie streckend.
»Was? Du zerreißt mir meine Kleider!« schrie Sachar, noch mehr vom Hemd hervorziehend, »wart, ich zeig's dem Herrn! Schaut, Brüder, was er gemacht hat; er hat mir mein Kleid zerrissen.«
»Ich hab's getan?« sagte der Kutscher, ein wenig eingeschüchtert; »das hat wohl dein Herr zerrissen.«
»So ein Herr wird mir die Kleider zerreißen!« sagte Sachar, »das ist ja eine gute Seele; das ist ja Gold und kein Herr, Gott schenke ihm Gesundheit! Ich lebe bei ihm wie im Himmelreich; ich kenne keine Not, und er hat mich noch sein Lebtag nicht einen Dummkopf genannt; ich lebe in Ruhe und bin zufrieden, ich esse von seinem Tisch und gehe, wohin ich will – so ist's ... und auf dem Gut habe ich mein eigenes Haus, einen Gemüsegarten, und bekomme mein Pachtkorn. Die Bauern verneigen sich bis zur Erde vor mir! Ich bin der Verwalter Majordom! Und ihr da ...«
Ihm versagte vor Zorn die Stimme, um seinen Gegner endgültig zu vernichten. Er hielt eine Weile an, um Kräfte zu sammeln und sich ein giftiges Wort auszudenken, konnte aber vor dem Übermaß der in ihm angehäuften Galle auf nichts kommen.
»Wart nur, was du noch fürs Kleid kriegst; man wird dich das Reißen lehren! ...« sagte er endlich.
Dadurch, daß man seinen Herrn angegriffen hatte, war auch Sachar empfindlich verletzt worden. Man hatte seinen Ehrgeiz und seine Eitelkeit geweckt. Seine Anhänglichkeit war erwacht und äußerte sich in ihrer ganzen Macht. Er war bereit, nicht nur seinen Gegner, sondern auch dessen Herrn, die Verwandtschaft dieses Herrn, von der er nicht einmal wußte, ob sie existierte,[595] und die Bekannten mit dem Gift seiner Galle zu netzen. Jetzt wiederholte er mit einer bewunderungswürdigen Genauigkeit alle Verleumdungen und Klatschgeschichten, die er aus seinen früheren Gesprächen mit dem Kutscher aufgefangen hatte.
»Und ihr seid mit eurem Herrn ein verfluchtes Lumpenpack, ihr seid Juden, und das ist noch ärger als Deutsche!« sagte er, »ich weiß schon, wer euer Großvater war; ein Kommis vom Trödelmarkt. Gestern sind von euch Gäste herausgekommen, und ich habe geglaubt, daß Diebe sich ins Haus eingeschlichen haben; es war ein Erbarmen, das anzusehen! Auch die Mutter hat auf dem Trödelmarkt mit gestohlenen und abgetragenen Kleidern gehandelt.«
»Genug, genug! ...« redete ihnen der Hausbesorger zu.
»Ja!« sagte Sachar, »ich hab' Gott sei Dank einen Herrn, der ein Edelmann ist; seine Freunde sind lauter Generale, Grafen und Fürsten. Er setzt nicht einmal einen jeden Grafen neben sich; mancher kommt und muß lange im Vorhaus stehen ... Es kommen lauter Schriftsteller ...«
»Wie sind denn diese Schriftsteller?« fragte der Hausbesorger, der den Streit beilegen wollte. »Sind das solche Beamte?«
»Nein, das sind Herrschaften, die immer auf dem Sofa liegen, Sherry trinken und eine Pfeife rauchen. Manchmal tragen sie mit den Füßen so viel Schmutz hinein, daß es gar nicht zu sagen ist ...« erklärte Sachar und stockte, da er bemerkte, daß fast alle spöttisch lächelten.
»Und ihr seid hier alle Schufte, alle miteinander!« sagte er rasch und warf allen einen bösen Blick zu. »Ich werde dir zeigen, wie man fremde Kleider zerreißt. Ich gehe zum Herrn und erzähle ihm das!« sagte er und ging eilig dem Hause zu.
»Aber laß doch gut sein! Wart, wart!« schrie der Hausbesorger. »Sachar Trofimitsch! Komm in die Bierschenke, bitte, komm mit ...«
Sachar blieb stehen, wandte sich schnell um und stürzte[596] noch schneller, ohne die Dienerschaft anzublicken, auf die Straße.
Er erreichte, ohne sich nach irgend jemand umzuschauen, die Tür der Bierschenke, welche sich gegenüber befand; hier wandte er sich um, umfing die ganze Gesellschaft mit einem düstern Blick, winkte noch düsterer allen mit der Hand zu, daß sie ihm folgen möchten, und verschwand hinter der Tür.
Alle übrigen gingen auch fort; die einen in die Bierschenke, die andern nach Hause; es blieb nur der Lakai zurück.
»Nun, und was ist dabei, wenn er es dem Herrn sagt«, sagte er nachdenklich und phlegmatisch zu sich selbst, langsam die Tabatiere öffnend; »das ist ja ein guter Herr, man sieht es aus allem; er wird nur schimpfen! Und was macht es, wenn er schimpft? Und mancher andere schaut, schaut und packt einen bei den Haaren ...«
Ausgewählte Ausgaben von
Oblomow
|
Buchempfehlung
Am Heiligen Abend des Jahres 820 führt eine Verschwörung am Hofe zu Konstantinopel zur Ermordung Kaiser Leos des Armeniers. Gryphius schildert in seinem dramatischen Erstling wie Michael Balbus, einst Vertrauter Leos, sich auf den Kaiserthron erhebt.
98 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro