[428] Prospero. Miranda.
MIRANDA ihm entgegen gehend. Hab' ich euch beleidigt, lieber Vater? Küßt ihm die Hand.
PROSPERO ernsthaft. Wie kömmst du auf die Frage?
MIRANDA. Weil ihr heute meinen Morgengruß verschmäht habt.
PROSPERO. Du schlummertest noch so sanft, als ich die Zelle verließ!
MIRANDA. Warum eilt ihr auch dem Tage zuvor?
PROSPERO. Die Morgenluft war so einladend – und ich konnte nicht länger schlafen.
MIRANDA. Eure Miene sagt mir, daß euch abermahls Sorgen geweckt haben.[428]
PROSPERO. Du irrst, Miranda.
MIRANDA. Ich irre nicht. Zu auffallend ist die Veränderung, die ich seit einiger Zeit an euch bemerke. Heiterkeit und Ruhe sind von euch gewichen. Ihr bringt den Tag in finsterm Nachdenken zu, und Nachts windet ihr euch seufzend auf eurem Lager. – Was fehlt euch?
PROSPERO wendet sich schwermüthig gegen Majas Grabmal. Ach!
MIRANDA. Ist es der Verlust unserer Freundinn, der euch zu Boden drückt?
PROSPERO sich gegen sie kehrend und seine Hand auf ihre Schultern legend. Um deinetwillen. – Ich bin alt, und werde ihr bald folgen.
MIRANDA. O, denkt doch daran nicht![429]
PROSPERO. Arme Verlassene! was wird dann aus dir werden?
MIRANDA. Was der Himmel will. – War sie, die wir beweinen, war nicht Maja einst auch von der ganzen Welt verlassen? Schmachtete sie hier nicht viele Jahre, unter der Gewalt der alten, bösen Sycorax? und sandte euch nicht endlich der Himmel hierher, ihren Zauber zu lösen?
PROSPERO. Sie hat mir diesen Dienst tausendfältig vergolten. Sie hat den Saamen des Guten in dein Herz gelegt. Sie liebte dich, wie ihr Kind.
MIRANDA. Ich liebte sie, wie meine Mutter.
PROSPERO. Sie war eine Heilige, – durch Leiden ohne Zahl geprüft, und reif zur Vollendung. – Diese Insel glich einer Wildniß. Sie betete Gedeihen auf meinen Fleiß herab, und die Wildniß ward ein Garten.[430]
MIRANDA. Ihr Segen ruht auf uns und dieser Einöde. Wohl mir, die ich nichts kenne, als ihre stillen Freuden! – Mein Fürstenthum ist hier. Für mich ist Mayland auf unsrer Insel.
Arie
Hier, wo wir, geborgen
Vor Stürmen und Sorgen,
In einsamer Zelle
Des Lebens uns freun,
Flößt jegliche Stelle
Ergözen mir ein.
Es rauschet die Quelle
Mir Labung entgegen:
Es athmet der Hain
Balsamische Düfte.
Ein Genien Chor,
Zum Wohlthun verbunden,
Bewohnet die Lüfte,
Bezaubert mein Ohr;
Und stärket und hebet,
In muthlosen Stunden,[431]
Mit Trost mich empor.
Und ewiger Seegen
Der holden Natur
Umschwebet,
Belebet
Die lachende Flur.
PROSPERO steht auf. Umarme mich, mein Kind: der Himmel erhalte dir diese glückliche Stimmung! Er drückt sie an seine Brust.
MIRANDA. Bester Vater! – lernt vergessen, und ihr werdet eben so glücklich seyn, als ich. Woran mangelt es euch hier? kann euer Herz noch an einem Lande hangen, wo euer eigner Bruder an euch zum Vertäther ward? könnt ihr euch noch nach falschen Höflingen, und treulosen Unterthanen zurück sehnen? Hier, wo die ganze Natur willig eurem Stabe gehorcht, und liebreiche Geister mit euch im Bunde stehen![432]
PROSPERO. Ich traure nicht um das Vergangene. Die Zukunft allein schwebt vor meiner Seele.
MIRANDA. Die Zukunft? O, die Zukunft ist noch ferne, unvermerkt kettet sich ein Tag an den andern –
PROSPERO einfallend. Unvorbereitet überrascht den Sichern das Unglück.
MIRANDA. Hoffen und Vertrauen haben mich die Schutzgeister gelehrt.
PROSPERO. Und mich lehrt Caliban zittern.
MIRANDA. Caliban, sagt ihr? – Daß mich schaudert, wenn ich ihn erblicke, das begreife ich; denn er ist häßlich, wie die Sünde. – Aber Ihr? Wie vermag er euch Furcht einzujagen? Ihr habt seine Mutter, die weyland furchtbare Zauberinn Sycorax, überwältigt; habt ihm die Macht, euch zu schaden genommen,[433] habt ihn neun volle Jahre geduldet, und –
PROSPERO ihr in die Rede fallend. Woher weißt du, daß die neun Jahre voll sind?
MIRANDA. Ich weiß nicht – es fiel mir so ein – hab' ichs getroffen? sind sie voll?
PROSPERO bestürtzt. Sonderbare Eingebung! – Getroffen! – Heute geht das neunte zu Ende. – Eben heute!
MIRANDA. Warum legt ihr so viel Nachdruck auf diese Worte?
PROSPERO. Weil unser Schicksal an diesem Tage hängt.
MIRANDA. Erklärt euch deutlicher!
PROSPERO. Ich kann nicht.[434]
MIRANDA. Habt ihr Geheimnisse vor eurer Tochter?
PROSPERO. Nein, aber du hast keine Aufmerksamkeit für deinen Vater.
MIRANDA. Könnt ihr mir das vorwerfen? Ich höre euch so gern erzählen; und behalte ich nicht alles, bis auf den kleinsten Umstand? –
PROSPERO. Meine Erzählungen haften in deinem Gedächtnisse, meine Warnung schwebt an deinem Ohre vorüber.
MIRANDA. Ich will alle meine Sinne anstrengen.
PROSPERO. Wenn es bey dir stände, dich des Schlafs zu erwehren?
MIRANDA erstaune. Des Schlafs? was sagt ihr?
PROSPERO. Er ist die Wirkung des Fluches, den die wüthende Sycorax dir zurückließ. Sobald[435] ich dich der sorglosen Unbefangenheit entreißen will, in der du der Gefahr entgegen taumelst – fallen dir die Augen zu.
MIRANDA. Laßt mich versuchen, sie offen zu erhalten! – theilt mir eure Warnung mit! Redet!
PROSPERO.
Duo.
Vernimm die Schrecken, die uns drohn,
So bald, vom Horizont entflohn,
Der Sonne Strahlen heut erblassen!
MIRANDA.
Was für Gefahren uns auch drohn,
Ich spreche jedem Schrecken Hohn,
Wenn mich des Vaters Arm' umfassen.
PROSPERO.
Recitativ.
Neun Jahre schon
Von diesem Strand,
Durch meine Kunst, zur Unterwelt gebannt,
Kehrt heute – Hörst du mich?[436]
MIRANDA mit dem Schlafe kämpfend.
Ich hör', ich wache.
PROSPERO.
Kehrt heute Sycorax – Sobald den Sternen – Thron
Die Nacht besteigt – zu kränkevoller Rache
Hierher zurück; und ihr, und ihrem Sohn
Muß ich –
Faßt die schlummernde Miranda bey der Hand.
Du schläfst? Erwache!
Miranda ermuntert sich allmählig wieder.
A tempo.
Vernimm die Schrecken, die uns drohn,
Sobald, vom Horizont entflohn
Der Sonne Strahlen heut erblassen!
MIRANDA.
Was für Gefahren uns auch drohn,
Ich spreche jedem Schrecken Hohn,
Wenn mich des Vaters Arm' umfassen.
PROSPERO.
Ich muß der Feinde frechem Hohn
Dich ohne Beystand überlassen.[437]
MIRANDA wach, aber betäubt.
Ich lausche bang auf jeden Ton,
Doch deiner Worte Sinn zu fassen,
Streb' ich vergebens.
PROSPERO.
Dich umwallen
Des Zauberschlafes Düfte schon.
MIRANDA.
Ich höre nur ein fernes Lallen,
Auf deiner Lippe stirbt der Ton.
PROSPERO.
Und ließ ich ihn, wie Donner, schallen;
Dein Zauberschlaf –
MIRANDA sich ermunternd.
Er ist entflohn.
PROSPERO.
Er spräche selbst dem Donner Hohn.
MIRANDA.
Er soll mich nicht mehr überfallen.
Versuchs noch einmahl!
PROSPERO.
Wohl, gieb Acht![438]
ARIOSE.
Zurück, zu schwarzer Rache,
Kehrt Sycorax bey Nacht;
Gelähmt ist meine Macht,
Kein Geist, der dich bewache!
Und Caliban –
Die Musik bricht rasch ab.
MIRANDA im Traume. Ja, ja doch – gute Nacht! Schläft ganz ein.
PROSPERO. Es ist über uns beschlossen! Sie schläft am offnen Abgrunde, und ich kann sie nicht ermuntern! – O du, deren fromme Gebeine unter diesem stillen Hügel schlummern, Maja, Maja, laß den Schutz deines Gebets über ihr walten, wenn die entscheidende Nacht beginnt, wenn Kraft und Bewußtseyn von mir weichen, und die treuen Geister dieses Eilandes den Einflüssen ihrer alten Tyranninn erliegen! Man hört eine sanfte Musik.
Ha! diese lieblichen Töne verkündigen mir die Ankunft meines Sulfen.[439]
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