[456] Prospero. Fernando.
Duo.
FERNANDO.
Ich zolle dir im Staube,
O Schutzgott, meinen Dank.
PROSPERO.
Dich täuscht ein frommer Glaube;
Der Gottheit zolle Dank.
Hebt ihn auf.
FERNANDO.
Aus deinem Auge blicket
Der Himmelsbürger Ruh.
PROSPERO ihn umarmend.
Der an sein Herz dich drücket,
Er ist ein Mensch, wie du.
FERNANDO.
Ein Sterblicher, wärst du?
PROSPERO.
Ein Sterblicher, wie du![456]
FERNANDO.
Der Unbestand des Glückes,
Gewaltsam traf er mich.
PROSPERO.
Die Allmacht des Geschickes
Traf mich so sehr, als dich.
FERNANDO.
Ich kämpfte mit den Wogen;
Dem Tod entrann ich kaum.
PROSPERO.
Von Menschen, falsch wie Wogen,
Ward ich verfolgt, betrogen;
Dem Tod entrann ich kaum.
BEYDE.
Wie gleicht sich unser Traum!
FERNANDO.
Umfaßt von deinen Armen,
Vergeß' ich meinen Schmerz.
PROSPERO.
Geneigter zum Erbarmen
Schuf eignen Gram mein Herz.
PROSPERO.
Wer bist du?[457]
FERNANDO.
Mein Name ist Fernando; mein Vaterland Neapel.
PROSPERO. Kennst du den König von Neapel?
FERNANDO erschüttert. Ob ich ihn kenne? ob ich Alfonso kenne?
PROSPERO mit Theilnahme. Lebt Alfonso noch?
FERNANDO. Er lebt. Wendet sich weg, um eine Thräne abzutrocknen.
PROSPERO. Du weinst! Warum erschüttert meine Frage dich so heftig?
FERNANDO. Die Ursache ist eben so unglaublich, als gerecht.
PROSPERO. Laß mich sie wissen!
FERNANDO. Sie ist unglaublich, sag' ich dir. Die Zeugen dessen, was du zu wissen verlangst, verschlang das Meer.[458]
PROSPERO. Erkläre dich deutlicher!
FERNANDO. Alfonso ist – mein Vater.
PROSPERO. Fremdling! entweihe die Stunde deiner Rettung nicht durch eine Unwahrheit.
FERNANDO. Dieser Ring ist das einzige Kleinod, das mir übrig blieb. Zieht einen Ring vom Finger, und reicht ihn Prospero hin.
PROSPERO indem er den Ring betrachtet, für sich. Was seh' ich. Laut. Kennst du die Inschrift dieses Ringes?
FERNANDO. Kein Sterblicher konnte sie mir entziffern.
PROSPERO. Sie enthält das Schicksal dessen, der ihn dir gab.
FERNANDO. Ich erstaune![459]
PROSPERO. Er war einst glücklich, und hat aufgehört es zu seyn.
FERNANDO. Welche übermenschliche Weisheit! Getroffen! wahr, nur allzu wahr!
PROSPERO. Von wem hast du ihn?
FERNANDO. Von der Hand meines Pathen, eines edlen guten Fürsten, der ein besseres Loos verdiente.
PROSPERO. Sein Name?
FERNANDO. Prospero von Mailand. Seine Geschichte wird dir nicht unbekannt seyn.
PROSPERO Wie sollten eitle Welthändel zu meinen Ohren dringen?
FERNANDO. Durch seinen Bruder Antonio gestürzt, mußte er sein Land meiden.[460]
PROSPERO. Erzähle mir, was du von der Sache weißt.
FERNANDO. Es ist ein Gewebe von Undank, Ungerechtigkeit und Verrätherey. Der Aufruhr brach los, ehe Prospero ihn nur ahnen konnte. Auf dem einsamen Waldschlosse, wo er seine Tage den Wissenschaften widmete, wurde er bey Nacht überfallen, und nebst seiner fünfjährigen Tochter gefangen genommen. Alsbald rüstete sich mein Vater, seinem alten Bundsfreunde zu Hülfe zu eilen. Da erscholl die Nachricht, er sey dem Kerker entronnen, habe sich mit seinem Kinde nach Genua geflüchtet, und sich dort zur See begeben. Auf der Fahrt nach Neapel sey er verunglückt. Mein Vater war untröstlich. Er klagt den Antonio öffentlich des Brudermordes an. Die Wahrheit blieb ein Geheimniß. Hat man die Unglücklichen über Bord geworfen? Hat man sie auf einer wüsten Insel ausgesetzt? Gott allein weiß es, und wird es rächen![461]
PROSPERO. Fremdling, du verstehst die Kunst zu rühren. Wie überzeugst du mich aber, daß Prospero nicht eben so viel Tadel verdient, als du Mitleid für ihn fühlest. Vielleicht war er mehr schwach, als gut. Vielleicht überließ er unwürdigen Günstlingen das Ruder der Regierung, um müßigen Träumereyen nachzuhängen. Für sich. Dank sey dem Unglücke, das mich Selbsterkenntniß gelehrt hat!
FERNANDO Ariels Erscheinung ahnend, für sich. Welche kühle Luft erhebt sich plötzlich! –
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