Die Tristanssänger.

[222] »Wo nun reicher Künste Hort,

Wo schöne Rede, wo blühende Wort,

Wo Fünde, die wie Veilchen blühn,

Wo Sprüche, die wie Rosen glühn,

Wo sinniger Satz, wo fündiger Sinn?

Der aller ich ein Waise bin:

Gedichtes des gar reichen,

Kunstvollen, ohnegleichen,

Bin ich ein erbeloser Mann,

Und hab mich doch genommen an,

Zu vollbringen diese Mär,

Die so blühend bis daher

Mit schöner Rede bedichtend

Und meisterlich berichtend

Meister Gottfried von Straßburg schritt,

Ihr Herre, der so manchen Schnitt,

Künstlichen und reichen,

Schönen und meistergleichen,

Nach vollkommenen Meisters Sitten

Aus blühendem Sinne hat geschnitten

Und hat den Sinn zur selben Zeit

Gehüllt in so reicher Rede Kleid,

Diese Materien hat seine Hand

Gesprenzet in so licht Gewand,

Daß ich gar zweifeln muß daran,

Ob ich irgend erfinden kann

In meines Sinnes Gründen

Reden, die zierlich stünden

Zu diesem goldenen Gedicht.

Nun mögen wir ihn behalten nicht:

Gott, unser Schöpfer, das gebot,

Daß ihn genommen hat der Tod

Hin von dieser schnöden Werlt.

Wohlgeblümet und wohlgeperlt

Ist seiner blühenden Fünde Kranz,

Viel reine, lauter viel und glanz

Ist seiner reichen Künste Hort.

Die Todten mit den Todten dort,

Die Lebenden mit den Lebenden hie!«


Von dem ich diese Worte lieh,

Heinrich von Friberg heißt der Mann:

Er nahm sich des Gedichtes an

Und führte es auch ans Ziel hinaus

Mit Spiel und Fest, mit Ernst und Strauß,

Mit mancher höfischen Kunde

Von Artus' Tafelrunde,

Von Kosen in Waldes Grüne,

Von aber neuer Sühne

Und neuer Minnenheimlichkeit,

Von neuem Trug und neuem Streit,

Mit reichen Bildern, allzu reichen.

Von Türheim Ulrich that desgleichen,

Mit trocknem Muth und kurz genug,

Den doch die schöne Sprache trug

(Die, innerlichen Lebens voll,

Im schwächsten Mund von Leben schwoll)

Aufrecht auch über Stock und Stein;

Er will mir fast noch lieber sein.

Sie thaten Jeder nach seiner Macht;

Auch schelt ich nicht, was sie vollbracht:

Es brächte mich selber leicht in Schmach.

Ich spreche nur dem Meister nach:

»Sie thaten's aus edlem Muthe,

Thaten's der Welt zu Gute.«

Und aber, sagt auch Heinrich da,

Was Thomas von Britannia

Sprach in lampardischer Zungen,[223]

Das habe er nachgesungen, –

Was er auch sagt und was er spricht,

Der echte Thomas war es nicht.


Suche den echten, wer da mag!

Er kommt doch nimmermehr zu Tag.

Der steckt in keiner alten Schrift,

Die man in Staub und Moder trifft

Und mag sie zurechte richten:

Der ist nicht nachzudichten.

Die echte Urschrift, mir ist's kund,

Die lag im liedersüßen Mund,

Im reichen Hort von Freud und Schmerzen,

Die lag in Meister Gottfrieds Herzen.


»Hier liegt ein Dichter.« Diesen Fund

Sprach oftmals eines Hirten Mund

Vor einem Hügel, in Sinnen tief,

Darunter ein alter Sänger schlief,

Allwo er weidete jeden Tag

Und auch bei Nacht am liebsten lag

Auf seinem wundergrünen Rand.

Ein Zauber, den er kaum verstand,

Hielt ihn gebannt an diesen Ort.

Nun suchte er stammelnd Wort zu Wort,

Er wußte selbst nicht, was ihn trieb,

Er hätte gerne zu Lob und Lieb

Ein Lied gesungen dem todten Mann.

Und doch, so oft er den Fund begann:

»Hier liegt ein Dichter« – so ward er stumm;

Im Herzen trug er den Sinn herum,

Auf den Lippen ging das Wort ihm aus.

Da drang ins stille Schlummerhaus

Ein Hauch von seinem treuen Sinn,

Und geistig regte sich's darin:

Denn Dichtung will nicht ruhen,

Wie Schätze in Geizes Truhen.

Und als er entschlief in einer Nacht,

Nachdem er sich lange müd gedacht,

Da kam aus dem Hügel hervorgewallt

Von hohem Wuchs eine edle Gestalt;

Ihre Augen schienen wie Sterne hell.

Sie sprach: »Da liegst du nun, Gesell,

Und möchtest wirken mein Loblied gern.

Merk auf, wie die Schale sich fügt zum Kern:

Entweder bist du zum Heil geboren,

Oder ist all deine Müh verloren.« –

Die Zunge rührt' er ihm und begann:

»Hier liegt ein Dichter:« da ging's erst an,

Und vor des Schläfers Sinn und Ohr

Auf sprang der Rede goldnes Thor.

Der Sänger, wie er sein Lied vollbracht,

Versinkt in den Hügel. Der Hirt erwacht:

Noch sieht er, schwindend im Dämmerlicht,

Die Schulter, das glänzende Angesicht;

Und wie sich der Hügel schließt, zur Stund

Thut auf sich des Sehnenden stummer Mund,

Und mit gelöster Zungen

Nachsingt er, was Der gesungen:

Da grüßt der Morgen mit junger Lust

Eine erschlossene Dichterbrust.


So vor des Meisters Denkmal still

Steh ich: o könnt ich, wie ich will!

Sein Denkmal ist des Liedes Fluth,

Darin sein Geist, sein Herze ruht:

Ich sprach das Lied ihm stammelnd nach,

Harrend, ob nicht die Fessel brach,

Die dreifach um mein Herz geschlagen

In dunklen Nächten, trüben Tagen

Die bleierne Zeit! doch still davon!

Noch klingt mein Lied mit dumpfem Ton,

Nicht, wie des Meisters Preis gebührt:

Er hat mir die Zunge nicht berührt.

Ich hab, ein Loblied ihm zu weihn,

Nur meinen treuen Sinn allein;

Doch mit der Treue sprengt ein Herz,

Still wachsend, siegend, Stahl und Erz,

Und Treue thut, in so öder Zeit,

Mehr Noth als der Rede goldnes Kleid.


Das hohe Lied der Leidenschaft,

Starr, urgebirgisch, riesenhaft

In dunkler Höhle von Basalt,

Wo Trauer durch die Säulen hallt,

Im alten Keltenland entsprungen,

An Englands, Frankreichs Hof gesungen,

– Das hehre Trauerspiel verwischt

Als lüsterne Fabel aufgetischt,

Urstein zu Modetand zerbrochen –

Von Eilhart schläfrig nachgesprochen,

Hier warm gehegt, dort halb gelitten,

Ein leichter Spiegel leichter Sitten,[224]

So kam es in des Meisters Hand.

Er mußt es nehmen, wie er's fand:

Freiheit nach innen, nach außen Pflichten,

Das war die Zeit, das war ihr Dichten.

Gehorsam ging er Schritt für Schritt

Der Märe und seiner Urschrift mit,

Leichtsüßig, wie ein Vogel geht,

Und dennoch, wo er geht und steht,

Bei jedem Schritt versenkt' er sich

Tiefinnerlich, herzinniglich

In aller Dinge Kern und Wesen.

Die Fabel, wie er sie gelesen,

Die enge, von Welt- und Hofeslust,

Die er nach außen lassen mußt,

Nach innen wie hat er sie erweitet,

Tief in des Herzens Grund geleitet

Und dort aus einer losen Mär

Erbaut einen Tempel hoch und hehr,

Einen Tempel echter Minne!

Seht, wie er hat darinne

Alles zum Heiligthum geweiht,

Die holde Lust, das liebe Leid,

Das Zärtste, was ein Herze hegt

Und unerkannt durchs Leben trägt,

Des Weibes allerhöchstes Gut,

Die Treue mit dem Löwenmuth,

Die nicht sie selber nur verschönt,

Die auch ihr ganz Geschlechte krönt,

Die um ureigne Rechte ficht

Mit Welten, weh, mit Recht und Pflicht!

Die, in der Erde Qualm und Staub,

Der Erdenoth, der Lüge Raub,

Mit heiliger Gluth die Schuld vernichtend,

Hilflos die blöde Lüge richtend,

Gereinigt in des Staubes Schmerz,

Dem Vater der Liebe fliegt ans Herz!

Zu solchem Bild der Leidenschaft

Was braucht's noch Zaubertrankes Kraft?

Den Trank, den Tristan und Isold

Getrunken, solch ein flüssig Gold,

Ich wähne, trank auch Gottfrieds Mund;

Vom süßen Gift im Herzen wund,

Die brennende Wunde lächelnd

Mit kühlen Scherzen fächelnd,

Drängt er des Minnezaubers Hort,

Den ganzen, in sein Zauberwort

Und wird, verzaubert von Minne,

Ein Zaubrer aller Sinne.

Seit sich die Erde dreht im Ring,

Und da sie noch im Mittel hing,

Ist mir kein Meister offenbar,

Dem so das Wort gehorsam war.

Die größten aller Zeiten,

Wenn sie zu Heimlichkeiten,

Zu innersten Geweben

Von Herz und Menschenleben,

Zu Wundern, die im dunkeln

Schooße der Erde funkeln,

Mit Sange fahren nieder,

So lassen sie ihre Lieder

Aus dumpfer Ferne läuten,

So wissen sie zu deuten

Mit einem mächtigen Worte

Auf die verschloßne Pforte,

Dahinter das Geheimniß ruht,

Daß wir's im ahnungsvollen Muth,

Doch nicht mit Augen leiblich sehn.

Er aber bleibt davor nicht stehn:

Wo Andre enden, da hebt er an

Und handhabt, wie kein andrer Mann,

Mit seinen süßen, frischen,

Gefügen, zauberischen

Verslein, die schalkhaft blinken,

Des Thores goldne Klinken,

Daß es sich öffnet weit und groß.

Da läßt er uns im Felsenschooß

Auf nie gekannten Auen

Krystallne Wunder schauen.

Kein Schwanken hier, kein Stillestand!

Er führt uns an der treuen Hand

Weit weit hin durch den stillen Raum,

Und nicht in sinnenhalbem Traum:

Ja, nicht umsonst durchs Felsgestein

Hieb er die heimlichen Fensterlein,

Dadurch in die dunklen Hallen bricht

Das holde, sichre Tageslicht,

Das befangne Herz im Zaubersaal

Anheimelnd mit lebenswarmem Strahl.

Und hat er so im Wunderschacht

Den fernsten Winkel hell gemacht,

Da kommt er aus dem Felsenspalt,

Ein klarer Fluß, hervorgewallt[225]

Und eilt mit perlendem Schaume munter

Ueber Fels und Stein ins Thal hinunter,

Gleitet mit sanftem Rieseln

Hin über weißen Kieseln,

Durch Waldesdämmerungen,

Wo Stamm mit Stamm verschlungen,

Vorbei an grünen Auen,

Wo Ritter und zarte Frauen

Sich schaaren zu Tjost und Tänzen

Und bunte Zelte glänzen.

Und jeglichem Gestade

Auf seinem Schlängelpfade

Schwemmt er von seinem Goldsand an,

Den er im tiefen Fels gewann.

Und hört ihr aus den leisen,

Den froh gefügen Weisen,

Aus den geschwätzig süßen,

Frisch murmelnden Wellengrüßen,

Hört ihr die Klage schallen,

Den Seufzer, der die Hallen

Der Felsen füllt mit Schauer,

Die uralt alte Trauer,

Daß Liebe je mit Leide lohnt,

Daß Schmerz je bei der Freude wohnt?

Wie klingt's in seinen Weisen nach,

Wie schmerzlich süß, das leise Ach!

Wohin nun rollt er seine Wogen?

Er wendet sich in scharfem Bogen:

Noch ahnt mir manche Wunderschau,

Felswände schroff, Geklüfte grau,

Zuletzt ein stiller blauer See,

Da endet jede Trauer – Weh,

Er schwindet hin! In voller Pracht

Tückisch entrissen in die Nacht!

Verschlungen ohne Wiederkehr!

Da fuhr wohl böser Geister Heer,

Die schönen Menschenloosen grollen,

Der Dichtung Rosen vergiften wollen,

Zur Stunde, da er dem Tag entschwand,

Mit fesselloser Sklavenhand

Frohlockend über die öde Stelle.


Und ich, von seiner dunklen Schwelle,

Soll seines Liedes goldne Fluth

Zum Ziele führen? Was sagst du, Muth?

Darf ich das Wagestück bestehn,

Erbloser Erbe, wie jene Zween,

Mit meinen nüchternen Loosen

Zu rühren an die großen,

Die Isolden und Tristanden

Zu Lieb und Leid verbanden?

Vorwärts! hier gilt kein Widerstand:

Das Schicksal legt's in meine Hand.

Was Tristan seinem Kurvenal

An seiner Statt zu thun befahl,

War's auch das Werk des Meisters nicht,

Es war geadelt durch Treu und Pflicht.

So hab auch ich zu manchen Tagen

Dem Meister die Lanze nachgetragen

Und mich in seinem Dienst erbaut:

Da hat er mir seinen Sinn vertraut,

Und was ich ihm in den Augen las,

Das sprech ich aus nach meinem Maß.

So lang ich lebe, soll nimmer, nein!

Verwaist die schöne Märe sein,

Und was Rual, der treue Mann,

Am Kinde seines Herrn gethan,

Will ich an des Meisters Waise thun:

Ich will fürwahr nicht eher ruhn,

Bis sie in vollem Gewand und Schnitt

Hervor an der Welt Auge tritt,

So reichlich und so wohl bedacht,

Als nur vermag meine arme Macht.

Dazu gib du mir Rath und Frist,

Der du Trost verwaister Liebe bist,

Auf den in des Lebens wirren Wehn

Das einsame Herz allein mag sehn;

Und laß mich verrichten meine Pflicht

Mit bescheidnem Glück: mehr will ich nicht.

Doch willst du mir ein volles geben,

Gern nehm ich's hin, und gält's mein Leben!

Denn über dieses Lied gebeut

Ein seltsam düstrer Stern noch heut:

Der Held, den in der Todesnoth

Sein Vater zeugte, den im Tod

Gebar der bange Mutterschooß,

Verbreitet um sich ein Todesloos:

Mit tödtlich süßem Weh entfacht

Er auch des Sängers Herz und macht

Das Dichten selbst zum Trauerspiel:

Die kleinen brachten es ans Ziel,

Die großen Sänger starben dran.


[226] So er, der immer war ein Mann,

Ein Meister und ein Ritter auch,

Erfüllt von deutschen Geistes Hauch,

Ein Bannerträger in dem Streit,

Dem heimlich sausenden, der Zeit.

Wie schäumt sein Sang, ureigen klingend,

Rasch über rauhe Blöcke springend!

Das Lied war wieder halb entschlafen:

Er weckt's mit Blitzen, welche trafen.

Er sitzt »in stiller Mitternacht,

Vom alten Schloßthor überdacht,

Wo über Hügeln weht das Korn;«

Und aus der Zeiten Gram und Zorn,

Wo ihre Kronen Häupter tragen,

»Die vor dem Blitz der Geister zagen,«

In deren Machtspruch, deren List

»Der Feigling auszuwittern ist,«

Hoch überm Qualm zur lichten Wolke

Erhebt und rettet er dem Volke,

Dieweil es träumet bang und stumm,

Der Dichtung goldnes Heiligthum.

Wer griff so tief, wer sang so gut

Von Hirschenjagd und Roggendrut,

Vom Mittagszauber, wie er nur

Brütet auf weithin ebner Flur

In Korn und Wiesenniederungen

Der Rothen Erde, die er besungen!

(Uraltes Land von deutschem Kern,

Nimm meinen Heimathgruß von fern,

Land, das die Väterwiege war

Der holden Frau, die mich gebar!)

Wie hat er sein Herz an dich getauscht,

Deine Heimlichkeiten abgelauscht,

Du trutzige treue Sachsenart,

Die altes Recht und Volksthum wahrt;

Wie hat er die Sprossen, die echten, jungen

Der Doppeläste schön verschlungen

Von unsrer Eiche, groß und hehr,

Auf dem Gehöfte dort, wo er

Des deutschen Hochlands Sohn verband

Der Tochter vom deutschen Niederland!

Dort Mittags auf dem schwülen Plan,

Beim Zauberschlaf des alten Pan,

Aus all der webenden Schöpfungskraft

Hat er den Feuerwein geschafft,

Den Tristan und Isolde tranken.

Da führt er sie auf dünnen Planken

Ins Reich der Wellen und läßt die feuchten

Im Widerschein der Liebe leuchten;

Er öffnet ihren dunklen Schooß,

Und Wunder läßt er, reich und groß,

Am Blick der Liebe sich entzünden.

Ja, er ist heimisch in den Gründen,

Im Grund des Herzens wie der See,

In der höchsten Lust, im tiefsten Weh,

Im kochenden Gischt des Höllengrauses,

Im Abgrund eines Hochzeithauses,

Das er im Schaffnersrock am Morgen

Durchwandelt in kummerschweren Sorgen,

Daß Liebe liegt in Lügennetzen,

Gesetze kämpfen mit Gesetzen!

Ja freier, kühnlicher beschwingt,

Gestählter im Schmerzensernst, erklingt

Sein Lied, als Gottfrieds weiche Saiten,

Die leicht hin über die Klippen gleiten.

Doch kein Vergleich! Verschieden haben

Die Geister ausgetheilt die Gaben;

Und auch der Dichtung Lebenswellen,

Jahrhunderte durchziehend, schwellen

Und wachsen unterm Himmelsdom

Zu einem immer stärkern Strom.

Denn wie die Welt, doch umgekehrt,

Die von den Schalen sich vermehrt

Der unsichtbaren Schöpfungszwerge,

Aus deren Tod sich thürmen Berge,

Schädelstätten der Creatur,

So wächst die Welt der Dichtung: nur

Daß die ein Grab des Lebens bleibt,

Und die aus Tode Leben treibt.

Sie nährt sich von den Sängerherzen,

Die in den Wonnen, in den Schmerzen

Des schwindelnden Laufes dieser Erden

Einst schlugen und noch schlagen werden;

Und jedes gibt der heiligen Fluth

Sein eigenstes gottgetränktes Blut,

Den zärtesten innern Lebenskeim,

Der aus den Schlacken strebte heim.

So wächst der Strom der Dichtung, merkt,

Daß sich der Götter Sache stärkt

Mit Waffen, die, aus Geist und Leben

Geschmiedet, tödten und Leben geben,

Auf jenen großen Kampfesschlag,[227]

Den uns abspiegelt jeder Tag,

Auf jene Weltendämmerung,

Darin die Welt wird wieder jung

Und wieder wird auf lichten Auen

Goldtafeln, die verlornen, schauen.


Du treues Herz, so deutsch, so groß,

So fandest denn auch du dein Loos

Und bist in heißer Sehnsucht Pochen,

Im Kampf mit Welt und Zeit gebrochen!

Wie rangst du redlich nach dem Kranz,

Wie warst du hingegeben ganz

Dem Glauben, Schauen und Gestalten,

Wie hast du Stein und Fels gespalten,

Wie nach dem Schwersten stets gegriffen,

Wie scheitertest du oft an Riffen,

Und gingst aus jedem Schiffbruch doch

Leuchtend hervor und größer noch!

Dich weihten in der Wiege Geister

Zu unsres Sanges höchstem Meister,

Der seines Volks tiefinnre Seele

Aussprechen sollte ohne Fehle.

Ihr Lied klang wie ein Traum dir nach:

Da schrittst du durch der Zeiten Schmach,

Vom Zweifel an deiner Kraft verdüstert,

Von leisem Glaubenswort umflüstert,

In Jugendblindheit viel bethört,

Vom blöden Frost der Welt verstört,

Hart strauchelnd auf dem steilsten Pfad,

Gewaltig doch und immer grad

Dem späten Ziel der Reife zu.

Mit manchen Mühen ohne Ruh,

Manch ungefügen Siegfriedshieben

Hast du dein Erz zum Bild getrieben;

Wie hemmten neidisch oft den Guß

Dämonen! Doch der Feuerfluß

Trieb Well auf Welle, nimmer schwach,

Des edelsten Metalles nach.

Und sieh, schon winkt der Siegeslohn!

Das Bild erhebt sich aus dem Thon,

Die Stirne glänzt, die Locken fliegen,

Die Lippe lächelt tausend Siegen,

Aus mächtigen Schultern drängen sich

Die Heldenarme königlich,

Es zuckt! der goldne Bogen rauscht, –

Das Volk steht athemlos und lauscht

Und sieht empor, von Lust geschwellt,

Wie auch die letzte Verkleidung fällt, –

Da, weh, aus blauem Himmel drauf

Ein Strahl! ach, wider Sternenlauf

Und Schicksal! Der so hoch und klar

Ein Leuchtthurm deutscher Bildung war,

Ein Glaubenspfand, ein Halt der Guten,

Er stürzt, und über ihn die Fluthen!

Stumpfsinnig in dem Wassergrausen

Mag nun der Hai, der Roche hausen:

Der Boden, der ein Herze trug,

Das für der Menschheit Höchstes schlug,

Steht nicht bloß öde mit seinem Staub,

Er wird der Niedrigkeit zum Raub,

Und auf dem Damm, der sie gebrochen,

Spreizt sie sich mit zwiefachem Pochen.

Quelle:
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Stuttgart 1877, S. 222-228.
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