Rose und Rebe.

[261] Inzwischen trug eine Barke

Den armen greisen Marke

Meerüber mit Brangänen,

Die ihm in Angst und Thränen,

Bedräut vom Grimme seiner Hand,

Der Minne ganzes Werk gestand:

Wie sie auf der Fahrt gen Kornwall sich

In die pflichtentzweiten Herzen schlich,

Die Königin und den edlen Knecht

Im Sturme zwang zu ihrem Recht,

Zu spät, ein falsches Band zu sprengen,

Zu stark, um sie zurückzudrängen;

Und wie mit Einem Zauberzug

Die Reihe von Wirren, Schuld und Trug,

Kampf, Haß, endlose Herzensnoth

Und gar vielleicht der bittre Tod

Hervor aus jenem Becher brach.

Des Königs Herz, indem sie sprach,

Ging auf und nieder wie die See,

Wogend von Groll und Mitleidsweh:

Er wußte nicht, was er mit ihnen wollte,

Ob er Tod, ob Leben sprechen sollte.

Doch als er in den Hafen kam,

Die Trauermäre vom Schloß vernahm,

Den Herzog und Karsien da

An Särgen weinen und beten sah,

Da war ihm gänzlich Herz und Hand

Zu seinen Lieben hingewandt,

Da hätte er wohl sein altes Leben

Gern für ihr junges hingegeben.

Da ging es, wie es oft verkehrt

Den Menschenkindern widerfährt:

Die Jungen, Holden lagen todt,

Die Alten standen in Leid und Noth.


Der König nahm den Schmerzgewinn,

Die Leichen seiner Kinder, hin

Und führte sie über die blaue See,

Ach, in dem Kiele, der sie eh

Hochzeitlich mit zu raschem Flug

Von Irlands Strand gen Kornwall trug!

Ist nun erfüllt der Brautgesang,

Den leuchtend ihnen die Woge klang?

Sind sie vermählt? Ach wohl, ach wohl!

Er brachte sie gen Tintayol;

Im Garten unterm Olivenbaum,

Wo sie träumten manchen Wonnetraum,

Wo sie die stille Cynthia

Oft lächeln und oft weinen sah,

In der vertrauten Erde hie,

Der heimischen, begrub er sie.

Die Kirche segnete ihr Gebein,

Bischöfe weihten den Hügel ein;

Auch sollte drüber in künft'gen Tagen

Nach des Königs Willen ein Münster ragen.

Noch aber in frischer Gottesluft,

In des Oelbaums Schatten, im Blumenduft

Lag unter der Sonne die Stätte frei;

Das klare Bächlein floß vorbei;

Seine Welle, die den Süßen

Einst diente mit Botengrüßen,

Sang ihnen Schlummerlieder zu,

Hingleitend an dem Ort der Ruh.

Und als die Zeit erfüllet ward,[261]

Da kam ein Meister von rechter Art

Und baute drüber ein Monument,

Wie seine heimische Stadt eins kennt,

Ein Meister, den sein Werk beweist,

Von Erwins hohem und zartem Geist:

Es gleicht dem Münster, so däucht es mir,

In seinen Massen und seiner Zier,

Es gleicht dem steingewordnen Strahl,

Dran Thürme und Thürmchen ohne Zahl

Mit leichten Steingeweben

In die Lüfte des Himmels streben;

Ein halbes Werk von großer Hand

(Wie noch so manches im deutschen Land),

Das fromme Treue sich nun erlas

Zum Ausbau im verjüngten Maß.


Noch hört, was die Märe so schön, so hold

Erzählt von Tristan und Isold,

Wie sie da noch Minne pflagen,

Da sie in der Erde lagen!

Brangäne pflanzte auf das Grab,

Da man die Gelieben dem Grabe gab,

Eine Rebe und eine Rose hin:

Die Rebe, das Bild von Kraft und Sinn,

Auf Tristans Haupt und, niederwärts,

Die Rose auf Isoldens Herz.

Die wurzelten zur Stunde

Im hochzeitlichen Grunde

Und trieben bald und neigten sich

Zusammen, wie geschwisterlich,

Und wuchsen in einander strebend,

Mit Liebesarmen sich umwebend;

Man konnte mit keinen Dingen

Sie von einander bringen.

Brangäne auf manchem stillen Gang

Begoß sie mit Thränen, jedoch nicht lang:

Ihr Herz ward schwerer mit jedem Tag,

Bis sie auch im stillen Grunde lag.

In Sanct Mariens Kloster drüben

Konnt ihre Seele kein Leid mehr trüben.

Und ganz verwaist trat oft ein Mann

Zum Grab der Liebenden heran;

Er floh vom Schwarm des Hofes fern

Und setzte sich unter den Oelbaum gern

Und sah der Rose und Rebe zu,

Die standen so hold auf Du und Du,

Die wuchsen empor, verstrickt so dicht,

Gesegnet vom schönen Himmelslicht.

Es war ein alter gebeugter Mann,

Und also hub er oftmals an:

»Weh, daß der Mensch, selbstisch empört,

Auf Gottes Stimme so selten hört,

Auf das Wort des Herzens, aus dem so schlicht,

So vernehmlich der Geist Gottes spricht!

Rief nicht, als das herrliche Zwillingspaar

Aus dem Schiffe trat ans Gestade dar,

Rief's nicht in meinem Herzen laut:

›Das ist der Bräutigam und die Braut!‹

Die sind von Gott erkoren,

Sind für einander geboren!

Wie? warnte nicht ein dumpfer Schmerz

Mein armes, lebenssattes Herz?

Gebot mir nicht die Gottespflicht?

Ist mir, ein flehender Engel, nicht

In ihren gehaltnen Mienen

Der Minne Leid erschienen?

Ich aber gab, o Scham und Schmach,

Dem eklen Greisengelüste nach,

Nahm, was nicht mein war, und was ich nahm,

Trug mir mit Wucher Schmach und Scham.

Der Krone wollt ich pflichtig sein,

Ich, arm und falsch wie der Krone Schein!

Ich that, gestützt auf Menschenwahn,

Gewalt dem zartesten Herzen an,

Dem treusten nahm ich seinen Stern,

Ihm, meinem König, meinem Herrn!

War er das nicht? Wer schlug den Ball

Am höchsten stets? Wer hat Kornwall,

Das auf so schwachen Füßen stand,

Beschirmt mit königlicher Hand?

Von meinem Herd die junge Flamme,

Das schöne Reis von meinem Stamme!

Hat's nicht Gott selber so gelenkt,

Der ihn zum Erben mir geschenkt?

Was hört ich auf des Zweifels Stimme?

Was zagt ich vor des Neides Grimme?

Blödsinniger Greis, was logst du dir?

Ach wohl, du scheutest dich vor ihr,

Die einzig Trost und Rettung schafft,

Vor der gottumwitterten Jugendkraft.

Die ist uns ein lieber Kampfgenoß!

Doch fesseln wir listig das edle Roß,[262]

Um schnöd es, wenn die Aengste schwinden,

Mit schmalem Futter abzufinden.

Und doch, er sah es nicht so an,

Er nicht! Demüthig war Tristan,

Er war züchtig, getreu und mild,

Adliger Sitten ein echtes Bild.

Er war nicht träg, nach Preis zu jagen,

Der Erste war er, ›Ich!‹ zu sagen,

Wenn rings die feige Meute schwieg.

Doch wie er freudig war zum Sieg,

Er war's für seinen König nur.

Wer schlug Morolden mir? Wer fuhr

Nach Irland, der Gefahr vertraut,

Dem Ohm zu holen die schöne Braut?

Wie er sie pries vor allen Leuten,

Konnt ich es nicht als Vater deuten?

Erwies er sich, da er sie gewann,

Nicht überall als den rechten Mann,

Der ihre Treuen, ihre Ehren

Frei durfte vor Gott und Welt begehren?

Was mußte denn sein Edelstein

Um der Krone willen verhandelt sein,

Ans Alter ohne Freud und Dank

Verzaubert durch den Höllentrank?

Unselige Klugheit dieser Welt,

Die Gott dem Herrn sein Werk vergällt!

Wie wärest du vor ihm erbleicht,

Wie wäre der junge Aar so leicht,

In dessen Hand wir alle waren,

Uns allen durch den Sinn gefahren!

Was hättest du, schwacher Greis, gemacht,

Hätt er sie als sein Weib gebracht?

›Herr Ohm, die schöne Braut ist mein,

Ist Eure Nichte, nun gebt Euch drein!‹ –

Was du als Vater mußtest thun,

Du hättest's still geduldet nun.

Er aber dachte der Ehr und Pflicht,

Er dachte des Ohms und that es nicht.

Ja, er war treu, er war voll Zucht,

Griff lüstern nicht nach der schönen Frucht,

Hegte sie still im Herzen drinnen,

Wollte sie ehrlich dem Ohm gewinnen.

Auch sie. Nein, zwischen ihnen war

Nichts angezettelt: das war kein Paar,

Wie man's in losen Gedichten trifft,

Das willig greift nach dem süßen Gift.

Des bessern Rechtes sich bewußt,

Der Minne Stachel in der Brust,

Ging schweigend Jedes seine Bahn,

Keusch und kühl bis ans Herz hinan,

Bis sie den Feuerbecher tranken

Und kämpfend in die Gluthen sanken,

Ach, rettungslos dahingerafft

Vom Zauberrausch der Leidenschaft!

Und weil nicht kann die Liebe fern

Entfliehen auf einen lichten Stern,

So brachte er mir, was die Pflicht gebot,

Und schwieg, befangen in Schuld und Noth.

Und ich, mit sehenden Augen blind,

Zwang, die mich hätte geliebt als Kind,

Zum Schwur, den sie nicht halten konnte.

Wenn ich in ihrem Glück mich sonnte,

Ich alter Mann, umspielt von ihnen,

Wie glücklich wär ich mir erschienen!

Wie hätte mich mein starker Sohn,

In Liebe stützend meinen Thron,

Demüthig und der Wünsche satt,

Geehrt an Vaters und Gottes Statt!

Auch so, auch sündigend haben sie

Dies wesenlose Leben hie

Mit Rosen, die sich schön erhoben

Aus all den Dornen, mir umwoben.

Was war ich mir mit meinen Jahren,

Die einsam nun zur Grube fahren,

Was war ich ohne sie? Wie hing

Mein Leben in dem Einen Ring?

Wie nährte mein Blut, das träge schlich,

Von ihrem holden Dasein sich!

Wie erfüllten sie meine Nichtigkeit

Mit ihrer Liebe, mit ihrem Leid,

Ja, selbst mit Noth und Grimm nicht minder.

O meine Kinder, meine Kinder!

Die mir die Treusten gewesen wären,

Die stieß ich aus der Bahn der Ehren,

Mit Lauer, Hinterhalt und Lug

Trieb ich sie tief in Schuld und Trug,

Tief, ja, bis in der Hölle Gründe.

Herr Gott, vergib mir meine Sünde!

Denn ihnen hast du schon vergeben:

Sie büßten ihre Schuld im Leben.

Was blöde Menschenaugen sahn,

Das war ein Schein, das war ein Wahn.[263]

Du aber sahst den wahren Lauf,

Zu dir stieg nur das Wesen auf.

Die Opfer grausen Menschenspottes

Stehn frei vor den Gerichten Gottes.

Nun weiß ich, daß nicht, blöd erschlafft,

Verzichten darf die echte Kraft,

Daß Liebe nicht feig und jämmerlich

Aufgeben kann den Gott in sich.

Hier fühl ich's, von dem Sinn durchschauert

Der Worte, die ich hier belauert,

Die ich zur Arglist dir gewandt,

Du hohes Weib, das ich mißkannt.

Ich hielt's für Trug und loses Spiel,

Sah nicht den Jammer, das tiefe Ziel

Der Rede, die mir wollte sagen

Dein heilig Recht und deine Klagen.

O wie so selten verstehen wir

Ein Menschenwort im Leben hier!

Wie wir es oben hören tönen,

Können wir's schelten, können's höhnen,

Weil Keiner fragt nach dem stillen Grund,

Von dem es aufsteigt zu dem Mund.

Wenn klingend Wort an Wort sich fügt

Zum Spiel der Rede, das genügt.

Wenn man auf dem Hügel hier so traut

Verschlungen Reb und Rose schaut,

Das gnügt den Augen: welcher Sinn

Folgt ihren Wurzeln zum Grunde hin,

Wo ihr nun ruht mit euren Schmerzen,

Ihr schönen, ihr gebrochnen Herzen?

Friede mit euch! Wie mag euch nun

Nach Stürmen so sanft die Ruhe thun!

Wie ist nun eure Wohnung rein,

Wie mag es bei euch stille sein!

Hier oben aber in der Welt,

Die ihr verworrnes Urtheil fällt,

Seid frommen Dichtern anbefohlen,

Die eure Sache unverhohlen

Und reinigend, indem sie rühren,

Vor allem Volke mögen führen.

Dann schwebt ihr hoch und leuchtend hin,

Nicht mehr Vasall und Königin,

Nicht mehr, wie in des Hofes Schwarm,

Getrennt durch Namen, hohl und arm:

Nein, nein, wo über Grabesnacht

Des Sängers Saitenspiel erwacht,

Muß jeder Bann der Erde ruhn,

Da gelten andre Namen nun,

Da waltet anders das Gesetz;

Und die einst schied ein Lügennetz,

Sind Eins nun in der Wahrheit, sind,

Eins wie das Andre Gottes Kind,

Geläutert hier in Schmerzensgluthen,

Gebadet in der Dichtung Fluthen,

Rein, gleich der Treue Bild, dem Golde,

Auf ewig Tristan und Isolde[264]

Quelle:
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Stuttgart 1877, S. 261-265.
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