Dreiundzwanzigstes Kapitel

[388] Joggeli erlebt auch was und was Altes: daß was einer säet, er auch ernten muß


Joggeli ließ eines Abends Vreneli hinüberrufen. Es müsse ihm da etwas lesen, sagte er; er möge Brille nehmen, welche er wolle, so könne er nichts daraus machen, er verstehe sich gar nicht auf die neue Gschrift, welche aufkäme, man sehe es allem an, wie der Glaube abnehme und bald keiner mehr sei. Vreneli verstand sich, wie es schien, besser darauf, denn es[388] ward blaß, las einmal, las zweimal, sagte endlich: »Das ist kaum, das kann nicht sein.« »Was nicht,« sagte Joggeli ungeduldig, »was nicht? Sage es doch und stürme nicht.« »Vetter, da steht, Ihr hättet Elisis Mann eine Gschrift gegeben, gut für fünfzehntausend Taler, die habe er eingesetzt oder versilbert und jetzt wolle man das Geld.« Joggeli begehrte mit Vreneli gräßlich auf, es könne nicht Geschriebenes lesen und wolle ihn zum Besten halten. Man ließ Uli kommen. Mit großer Not und vielem Buchstabieren brachte derselbe ungefähr das Gleiche heraus. Das sei ein abgeredet Spiel, sagte Joggeli, um solche Sachen ihm abzulesen, hätten sie nicht gebraucht zu kommen. Wie sie das hätten abreden wollen? fragte Vreneli; sie seien ja Einer nach dem Andern gekommen, Uli hätte nicht gehört, was es gelesen. Wenn sie einen Narren haben wollten, so sollten sie sich einen eisernen machen lassen; das begreife ja jedes Kind, daß sie gewußt, was im Briefe sei, sie hätten ihn sonst nicht so punktum gleich ablesen können, wenn sie ihn nicht auswendig gewußt hätten, belferte Joggeli. »Komm, Uli,« sagte Vreneli, »der Vetter ist aber so wunderlich, da ist nichts mit ihm zu machen. Morgen hat er vielleicht sich anders besonnen, daß wieder mit ihm zu reden ist.« Sie gingen und kümmerten sich, was da für ein neuer Schelmenstreich abgekartet worden, rieten, was sie machen sollten, und wurden endlich einig, nichts zu sagen, bis Joggeli wieder anfange oder die Sache sich von selbst mache. Joggeli sagte nichts mehr, sie also auch nichts.

Einige Tage darauf kam Elisi daher und zwar zu Fuß in einem schrecklichen Aufzuge, heulend und schreiend. Es suchte den Mann, der war verloren gegangen. Er hatte eine kleine Reise vorgegeben, nun war er seit vierzehn Tagen fort, niemand wußte wohin. Das Gerede schwoll an, er hätte sich mit dem Schelmen davongemacht. Dort, wohin er vorgeblich gereist, sei er nie gewesen, an einem andern Orte hätte[389] er viel Geld auf Joggeli hin genommen und sei damit voraus, wahrscheinlich den Weg aller Spitzbuben, das heißt nach Amerika. So heulte Elisi in Absätzen und wollte seinen Mann haben, oder weil er nicht da sei, solle man ihm ihn herschaffen. Nun, der Mann war nicht da, aber ein bös Licht ging Uli und seiner Frau auf, doch enthielten sie sich, ihre Gedanken zu äußern. Sie dachten, jetzt sollte es doch dem Joggeli einfallen, was der Brief zu bedeuten hätte, es sei denn, er hätte ihn vergessen. Aber Joggeli hatte ihn nicht vergessen und sagte doch nichts. Er schweige dazu, dachte er. Wenn er nichts sage, so werden sie auch schweigen, und er wollte ein Narr sein, da Bescheid zu geben, wo er nichts schuldig sei. Wollten sie im Ernst etwas, so könnten sie ihn aufsuchen wie üblich und bräuchlich.

Da kam Johannes dahergefahren wie aus einer Kanone und blies Tabakswolken von sich, daß man von weitem hätte glauben können, sein Charabanc sei eine Höllenmaschine oder ein kleiner feuerspeiender Berg und blase Rauch von sich. Er hatte auch vernommen, der Schwager sei zum Teufel und zwar mit hunderttausend Gulden vom Vater. Man kann denken, wie der schnaubte und tobte. Joggeli wollte nichts von allem wissen, und das kam Elisi wohl. Johannes hätte es zwar nicht gefressen, aber doch halb zerrissen im ersten Zorn. Joggeli wollte auch nicht glauben, daß der Tochtermann fort sei, er werde nur dem Geheul ein wenig aus dem Wege gegangen sein; auch er hätte Lust, zu gehen, so sei es ihm erleidet, und doch hätte er es noch nicht so lange gehört. Er wollte lieber, man ließe ihn endlich ruhig und plagte ihn nicht bis auf den letzten Tag. Geplagt zu werden, werde ihm beschieden sein. Viele Jahre hätte ihn die Frau geplagt, es sei nie recht gewesen, was er gemacht, zu guter Letzt plagten ihn nun die Kinder und seien ihm immerfort vor der Türe. So kifelte Joggeli, während die Kinder heulten[390] und tobten. Der Alte sei ein Kind, brüllte Johannes den Uli an, man könne kein vernünftig Wort mehr aus ihm herausbringen. Sie hätten besser zu ihm sehen sollen oder Bescheid machen, als sie gesehen, wie er sei, und den Schelm nicht zu ihm lassen. Wenn etwas geschehen sei, so mache er sie dafür verantwortlich. Jetzt wolle er der Sache nachfahren, bis er wisse, woran er sei, das werde nicht so schwer zu erfahren sein. Und hätte er es mal, dann schone er niemand. Da solle er machen, was er könne, sagte Uli; an Joggeli hätten sie nichts Besonderes bemerkt, ihn auch nicht zu hüten gehabt. Sie, die nächsten Verwandten, seien gekommen und gegangen, wann es ihnen gefallen; ihm und seiner Frau wäre es übel angestanden, wenn sie ihnen hätten den Zugang verwehren wollen. Er hätte es ihm doch befohlen, sagte Johannes. »Selb hast,« sagte Uli, »aber ich und die Frau dir wiederum gesagt, daß wir mit der Sache nichts zu tun haben wollen und können.« Johannes ging ab, ganze Mäuler voll Lumpen und Schelmenpack, dem er es eintreiben wolle, vor sich herstoßend.

Es war Johannes allerdings nicht wohl bei der Sache, und er hatte Ursache dazu; was der Bock an sich selbsten weiß, trauet er der Geiß. Er ließ anspannen und fuhr dem Gerücht nach. Das ist ein Ding, welches oft weit schwerer ist als das Verfolgen eines flüchtigen Hirsches durch amerikanischen Urwald. Diesmal war es Johannes viel leichter, denn das Gerücht war nicht bloß ein leises Gemurmel, sondern ein lautes Geschrei, und nicht Johannes allein, sondern gar Viele jagten ihm nach und suchten den wahren Grund. So vernahm man bald, daß der Bursche wirklich einen nicht sehr alten Paß habe, den man ihm ohne Bedenken gegeben, da er immer mit einem versehen gewesen sei, angeblich wegen Handelsgeschäften, den er regelmäßig, wenn er nach dem Gesetze ausgelaufen gewesen, mit einem neuen vertauscht[391] habe. Man vernahm, wo er Geld aufgenommen haben solle. Johannes fuhr darauf los, dort fand er den wahren Grund und ein Papier mit seines Vaters Unterschrift, auf welchem dem Schwager fünfzehntausend Taler zugeschrieben stunden. Dem Johannes verging eine ganze Weile das Fluchen, selbst die Pfeife löschte aus. Als er wieder Atem hatte, ging es freilich wieder los, und das Versäumte hatte er bald reichlich eingeholt. Erst ging es über den Schwager los, dann über den Vater und endlich über den Herrn Handelsmann oder Banquier oder wie man ihm sage, der auf das Papier hin das Geld gegeben hätte. Dem sagte er alle Schande, drohte ihm mit Galgen und Rad, und als dies nichts half, wollte er ihn prügeln. Der aber war nicht dumm, hatte zu rechter Zeit für Hülfe gesorgt, und Johannes mußte abmarschieren, tat es aber nur unter Donner und Blitz und mit dem Drohen, wann er wieder komme, so bringe er dann Leute mit Handschellen und Stricken. Nun kam er auf die Glungge wieder gefahren, wie eine gejagte Seekuh durch den Schilf fährt. Der Vater wollte nichts unterschrieben haben, wenigstens nichts solches. Ein paarmal hätte der Tochtermann ihm Päcklein von der Post gebracht, und da hätte er die Quittung unterschrieben, sonst wisse er von nichts. Wahrscheinlich hatte ihm einmal der Spitzbube das Papier als Postschein untergeschoben, nach, dem er ihn früher einige Postscheine über Päcklein, welche durch seine Vermittelung Joggeli zukamen, unterschreiben lassen. Wenigstens hatte die Schrift Ähnlichkeit mit einem solchen Postschein, und Joggeli hatte schwache Augen, einen schwachen Sinn und war sein Lebtag kein Held im Geschriebenen gewesen. Wahrscheinlich stak der sogenannte Banquier mit dem Spitzbub unter einer Decke, sonst hätte er wohl bei Joggeli selbst über den Wert des Papiers sich näher erkundigt, ehe er Geld darauf gab. Aber bei solchen Händeln ist was zu profitieren und weit mehr als bei ehrlichen;[392] wieviel in seine Tasche floß, vernahm man nicht, auch würde es kaum in seinen Büchern zu finden gewesen sein.

Was das nun für einen fürchterlichen Spektakel auf der Glungge gab, kann man sich denken. Vreneli mußte Elisi ins Haus nehmen, um es vor Johannes und der Trinette, welche nachgefahren kam, zu sichern. Nun aber heulte Elisi drinnen das Haus voll, und Trinette heulte draußen ums Haus herum wie ein Hund unter einem Baum, auf den eine Katze sich geflüchtet. Vreneli mußte seine ganze Tapferkeit aufbieten, um vor dem Ärgsten zu sein. Es mußte für Joggeli in Riß stehen und gegen die Kinder den Vater schützen, über den das ganze Wetter losbrach, den selbst Elisi verwünschte auf eine schauerliche Weise. Vreneli war vielleicht der einzige Mensch auf der Welt, vor dem Johannes noch einigen Respekt hatte, und von Jugend auf mit ihm bekannt, kannte es auch, was auf ihn Eindruck machte. Freilich mußte es sich von ihm bittere Sachen sagen lassen, wie sie mit unter der Decke gesteckt und wie man endlich sehen werde, wie sie den Vater beschummelt und was man an ihnen verlieren müßte. Es mußte sehen, wie bei Trinette zum Zorn noch die Eifersucht kam, als sie sah, daß Vrenelis Worte Macht über Johannes hatten. »So, von der nimmst du das an, von so einer lässest du dir das sagen. So, jetzt merke ich, warum du immer hierher gefahren und mich nicht hast mitnehmen wollen. Jetzt das noch zu allem andern«, und fing an zu heulen, als ob sie hundert hungrige Hyänen im Halse hätte und gute Lust, ihre Tatzen an Vreneli zu versuchen.

Dann brachte man noch Elisis Kinder samt der Nachricht, daheim hätte man ihm alles versiegelt. Johannes wollte alles mit der Peitsche fortjagen, und Trinette wollte alles, was Joggeli hatte, aufpacken und fortnehmen, und Joggeli saß da und stierte herum, wollte an nichts schuld sein, sagte, sie könnten seinethalben machen, was sie wollten. Die Frau selig[393] habe alles auf dem Gewissen, sie hätte ihm den Spitzbub hergeschleppt, sie könne seinetwegen jetzt auch zahlen, er habe nichts mehr und werde wohl noch dem heiligen Almosen nach müssen. Er habe ihr oft gesagt, es käme so, aber sie habe es ihm nie glauben wollen.

Vreneli wußte in dem greulichen Spektakel nicht anders zu helfen, als zu Uli zu sagen: »Um Gottes willen tue mir den Gefallen, nimm das beste Roß im Stalle, fahr, so schnell du kannst, zum Bodenbauer und bringe ihn her; der alleine kann sie setzen und weiß den besten Rat, sonst gibt es wahrhaftig noch ein Unglück. Ich kann nicht allenthalben sein und alle hüten. Statt daß sie allmählich sich fassen und ergeben, werden sie nur noch zorniger, erbitterter auf einander; es ist ein greulich Dabeisein und traurig, wie ein Mensch sein Unglück sich selbst noch unerträglich machen muß. Es ist gerade, wie wenn ein Mensch, der einen Zentner Eisen tragen soll und schwer daran zu tragen hat, denselben noch glühend macht, um ja recht doppelt Qual zu leiden unter ihm.«

Uli war dieses Gedankens froh, doch bangte er um Vreneli. »Aber du bist dann alleine,« sagte er, »und selb ist nicht richtig unter solchen Menschen.« »Habe nicht Kummer,« antwortete Vreneli, »Johannes tut mir nichts und die Weibsbilder fürchte ich nicht. Aber fahre rasch, es ist mir angst um Joggeli. Wenn niemand wehrt, so plündern sie ihn vollends aus, und hintendrein, wenn die Gläubiger kommen und nichts mehr da ist, gibt es wüste Geschichten. Mit dem Johannes ist es auch nicht richtig, wie ich merken mochte, der wird auch gemacht haben, was er konnte. Die Liebe war es nicht, welche so oft ihn hergebracht.«

Uli sputete sich, schonte das Pferd nicht. »Wenn die Base das hätte erleben müssen! dachte er. Aber, dachte er wieder, wenn sie gelebt, wäre das nicht begegnet. Wie wenn man in einem Gebäude einen einzigen Stein wegnehme und[394] dadurch dasselbe aus allen Fugen, vielleicht zum Umsturz bringen könne, so gebe es auch einzelne Personen in Familien. Auf einer einzigen Person ruhe das Ganze, sie halte es zusammen; bei ihren Lebzeiten merke man es vielleicht nicht einmal so recht, erst wenn sie gestorben sei, in Trümmer das Ganze auseinandergehe, merke man, daß sie der Eckstein gewesen. Wie man doch das Gleiche verschieden nehmen könne, dachte er, und wie man erst, wenn was zu tragen sei, merke, ob einer Kraft habe oder keine. Er wisse wohl, er sei ein armer Sünder, aber um alles in der Welt möchte er nicht an ihrer Stelle sein. Er sehe wohl ein, daß er nichts davon, bringe, denn dies Unglück werde auch ihm an die Beine gehen, und jedenfalls werde ihnen noch etwas übrig bleiben, ihm aber nichts als vielleicht noch Schulden. Indessen wüßten er und Vreneli zu sparen und zu arbeiten, Angst habe er nicht, er habe sich darein ergeben, es zu nehmen, wie es komme, und damit zufrieden zu sein. Aber wie Joggelis Kinder es mit Wenigem machen würden, da es nicht mit Vielem gegangen, dazu weder arbeiten noch entbehren könnten, das begreife er nicht. Das gebe die unglücklichsten Leute, welche immer zwischen Können und Mögen hingen, an allen andern Orten den Fehler suchten, nur nicht an ihnen selbst, und da, her auch so wüst täten ohne Unterlaß, sich verfeindeten allenthalben, wo sie Freunde doch so nötig hätten. Er dankte Gott nicht, daß er nicht sei wie jene, aber er fühlte sich doch glücklich, daß er nicht in ihrer Haut war, und das ist erlaubt. Dankbar soll man sein für alle Gnadengaben Gottes, und ist das nicht eine große Gabe, wenn man die Kraft empfangen hat, dem Willen Gottes sich zu unterziehen, und das Genügen, welches übrig haben und Mangel leiden kann und bei, des unbeschwert? Diese Gaben sind sehr zu unterscheiden von persönlichen Eigenschaften oder Vorzügen, auf die man stolz wird, um deretwillen man Andere verachtet oder verfolgt.[395] Hier liegt eben das unterscheidende Merkmal für alle, welche auch hier den Baum nur an den Früchten zu er, kennen vermögen. Wer um eigener Vorzüge willen sich erhebt und Gott ihretwegen dankbar sein zu müssen glaubt, der verachtet Andere, beneidet sie, sucht sie zu erniedrigen. Wer um Gaben Gottes willen dankbar ist, der ist demütig; er weiß, woher er das Beste hat, er bedauert von ganzem Herzen den, der es nicht hat, er würde von ganzem Herzen mit, teilen von seiner Gabe, um die zu erhöhen, welche sie nicht haben.«

Daran eben dachte auch Uli. Nicht daß er glaubte, er könne da was machen, dazu war er zu bescheiden und allzu sehr auf dem bürgerlichen Standpunkte, als daß er daran nur gedacht hätte, er könne was machen. Das ist nämlich der bürgerliche Standpunkt, der im Christentum und namentlich im protestantischen eingerissen ist, weil der Staat die Alleinherrschaft usurpiert hat, daß es auf die äußere Stellung eines Menschen zu Andern ankömmt, ob Einer dem Andern eine Ermahnung geben darf oder nicht, ob die christlichste Ermahnung als anständig oder unanständig gewertet wird. Es ist in reformierten Ländern so weit gekommen, daß der würdigste Geistliche einem unbedeutenden weltlichen Beamten, zum Beispiel einem obrigkeitlichen Schaffner oder Statthalter oder gar Gerichtspräsidenten, welcher den unchristlichsten Wandel zur gröbsten Ärgernis der Gemeinde führt, nicht die geringste Vorstellung unter vier Augen machen darf, wenn er sich erstlich nicht den ärgsten Grobheiten aussetzen, zweitens als pfäffischer Zelot verschrieen und drittens obern Orts nicht als Jesuit denunziert sein will. So kam es Uli wirklich nicht in Sinn, daß er als Pächter und Schuldner da was machen könnte, aber er dachte daran, den Bodenbauer darum zu bitten, und hätte gerne ihm gesagt, wo die armen Leute am besten zu erfassen sein möchten. Aber er[396] mochte denken, wie er wollte, er fand nirgends eine Handhabe zu einem christlichen Griff.

Seine Sendung setzte den Bodenbauer in große Verlegenheit. »Lieber nit, Uli, lieber nit. Kann ich dir was zu Gefallen tun, so soll es nicht Nein sein, aber da laß mich ruhig. Was soll ich da tun so unberufen? Wenn schon du kamest, so sandte dich nur deine Frau und ebenfalls unberufen. Sie würden mir doch da wunderliche Augen machen, wenn ich hinkäme und befehlen wollte.«

»Mußt doch gehen, Johannes,« sagte die Frau. »Brauchst ja nicht zu sagen, kommst du geheißen oder ungeheißen, brauchst auch nicht mit dem Rat ins Haus zu fallen. Du brauchst sie ja nur zu grüßen, und wollen sie nichts von dir, so kannst wieder gehen. Sieh, tue das der Base unter der Erde zulieb und denke, wenn unsere Kinder in einen solchen Fall kämen, wovor Gott sie bewahre, wir wären auch unterm Boden dankbar, wenn ein guter Freund ungeheißen käme und sich ihrer annehmen würde.«

Kurz Johannes mußte gehen, er mochte wollen oder nicht. Auf dem ganzen Wege wand er sich als einer, der Bauchweh hat. »O Uli,« sagte er, »du weißt nicht, wie mir das zuwider ist. Wenn man mit seinen eigenen Sachen fast mehr zu tun hat, als man fertigen kann, in der Gemeinde zu tun hat, daß man oft lange Zeit durch nicht zum Sitzen kommt oder tagelang sitzen muß, daß man glaubt, man sitze auf Feuer, wenn draußen die Sonne scheint und alle Hände voll zu tun sind, und dann noch die Nase unberufen in fremde Händel stecken, unberufen und ohne einmal zu wissen, was man, um bei der Wahrheit zu bleiben, für ein Fürwort brauchen soll, daß man da ist, das ist dumm. Und zu wissen, daß das noch einen langen, langen Schwanz haben kann, und es doch tun, das ist noch viel dümmer.« »Was meint Ihr?« fragte Uli, »was für einen Schwanz?« »He, was für einen?« sagte Johannes.[397] »Wenn da so einer dazwischenkommt, so mir nichts dir nichts, so denkt man, er habe Freude an solchen Sachen und spricht ihn an, und am Ende, er mag wollen oder nicht, muß er darhalten, mitmachen, Läuf und Gänge haben und am Ende des Teufels Dank.« »Wenn Ihr das fürchtet, so habt Ihr ja eine gute Ausrede: Ihr seid mein Bürge, und leider Gott kann es beide Wege gehen, und manche Sache ist ja nicht ausgemacht. Wäre das nicht Grunds genug?« »Uli, gibst noch einen Gemeindsvater,« sagte der Bodenbauer. »Du hast recht, daß mir dies nicht einfiel! Aber die Sache ging mir zu rund und rasch im Kopf herum.«

Nun traf es sich, daß der Bodenbauer nicht in einem ruhigen Augenblick ankam, wo man Zeit hatte zu denken: »was will der und wo kömmt er her?« Es wurde gebrüllt, gestritten, gelärmt, und als Joggeli den Bodenbauer von weitem sah, rief er: »O Vetter, Vetter, wie gut ist doch, daß du kömmst; da haben sie mich zwischeninne, als ob sie mich morden wollten, hilf mir, Vetter, rate mir.« Es waren nämlich Gerichtspersonen da der bekannten Schuld wegen. Da solche Formalitäten allenthalben anders sind, so enthalten wir uns aller nähern Spezialitäten.

Der Sohn, welcher eben erst heimkam von einer Rundreise, auf welcher er bei Freunden Rat und Trost erst halbschoppen-, dann schoppen-, endlich flaschenweise geschöpft, wollte sie vom Hause wegprügeln, Joggeli wollte nichts unterschreiben, auch keinen Abschlag geben, kein Zeugnis, daß das Ding bei ihm verrichtet worden sei. Er rühre keine Feder mehr an, sagte er, ein Narr sei, wer es tue. Wenn er gewußt, wie man sich damit verfehlen könne, er hätte sein Lebtag keine zur Hand genommen. Trinette und Elisi gränneten einander an, erst aus der Ferne, rückten sich aber näher und näher, und wäre Vreneli nicht dazwischen gestanden, so wären sie einander sicher bis auf Nagelweite nahegerückt. Weiber liefern[398] ihre Gefechte gern in nahen Distanzen, je näher je lieber. Männer haben es bisweilen umgekehrt. Die Gerichtspersonen begehrten ebenfalls auf. Hinter dem Mist krähte der Hahn, und zwei feindselige Hunde gingen zähnefletschend um einander herum.

Auch Vreneli verließ seinen Posten unbedacht, grüßte den Bodenbauer freundlich; da, risch, die Trinette auf das Elisi, dann, ermutigt durch das Beispiel, ein Hund auf den andern, und ein Brüllen, Wälzen, Spektakel entstand von Hunden, Trinetten, Elisi bunt durcheinander, daß niemand wußte, war man ganz im Tierreich oder noch halb und halb unter Menschen. Man riß Weiber und Hunde auseinander, nahm es aber nicht so genau, ob die Fußtritte Weiber oder Hunde trafen. Bekanntlich streckt man auch die Hände nicht gern zwischen streitende Weiber oder beißende Hunde, man kriegt gern Zähne drein. Nun, am Ende stoben die zusammengebissenen Parteien heulend auseinander, und die andere Partei, welche eigentlich nicht beißen wollte, sondern bloß reden, konnte ihre Verhandlungen wieder eröffnen. Die Gerichtspersonen beklagten sich bitterlich und sprachen des Bodenbauers Vermittlung dringlichst an. Sie trügen ja keine Schuld an der Sache, sagten sie, täten nichts als ihre Pflicht, begehrten nichts, als was gesetzlich sei; da ließen sie sich nicht persönlich beleidigen, dafür sei ein Richter. Die Leute ins Unglück zu bringen, begehrten sie nicht, sie seien bereits tief genug darin; das sollten die Leute begreifen, dünke sie.

»Ja aber, Vetter Johannes, Vetter Johannes! Der Lumpenhund, der Spitzbube hat mich betrogen, ists dann recht, daß ich bezahle? Soll ich allein darunter leiden, daß der Spitzbube mich betrogen hat?« Der Vetter Johannes sagte, das könne er begreiflich nicht entscheiden, da er nicht wisse, worum es sich eigentlich handle und was die Vorgänge seien. Nun erzählen es ihm alle, aber das Ding war noch[399] schwerer zu fassen als eine neubarbarische, das heißt philosophische Vorlesung. Endlich brachte der Bodenbauer Ordnung in das Chaos, begriff, und endlich sagte er, das sei eine fatale Sache, sie bekümmere ihn sehr. Er könne nicht begreifen, daß man da so mir nichts dir nichts mit den Gerichten komme, ehe man gütlichen Weg versucht, das sei sonst Sitte. Da mußte auf die Einrede der Gerichtspersonen Joggeli endlich sagen, es seien ihm zwei Briefe gekommen mit allerlei Redensarten, die er nicht begriffen. Er habe nicht gedacht, daß das was zu bedeuten hätte, und das Papier abseits gelegt; es könnte ihm jeder Narr schreiben und in den Brief tun, was ihm gefalle. »Ja so,« sagte der Bodenbauer, »also geschrieben hatten sie; aber angefragt vorher, wie die Sache sich verhalten, das wird nicht geschehen sein. Das wäre jedenfalls anständig gewesen, aber die Sache ist, wie sie ist, mit Prügeln macht sich das allweg nicht. Gebt eine Antwort, daß eine Einigung Zeit und Platz hat, eines Tages macht sich das allweg nicht.«

So geschah es endlich, das Gerichtspersonal entfernte sich und der Bodenbauer wollte ebenfalls gehen. Aber er mußte bleiben und sollte raten. »Ja,« sagte er, »die Sache ist schlimm. Da wird wenig anders zu machen sein als Zahlen.« Die Unterschrift ableugnen täte er nicht, von wegen es möge gegangen sein, wie es wolle, unterschrieben sei unterschrieben; ein Dritter vermöge sich dessen nichts, und wenn er auch unter der Decke sein sollte, so sei es noch nicht bewiesen. Elisis arme Kinder könnten ihn dauern, denen sei es abgestohlen; daneben, wie er Vetter Joggelis Vermögen kenne, schade das weiter niemanden etwas. Vielleicht daß, was Joggeli dem Tochtermann geschwitzt, als Weibergut könne geltend gemacht werden, und was später noch auf diese Seite fallen werde, solle er alsbald durch ein Testament bestimmen und regeln, daß der flüchtige Vater nichts mehr dazu zu sagen habe.[400]

Ein Wort gab das andere, und endlich sah der Bodenbauer mit Schrecken zwei Dinge: daß Joggelis Vermögen nicht mehr das war, was es gewesen, und Joggeli statt ein Mann ein Kind sei, das nicht wußte, was es machte, nicht zurechnungsfähig war. »Wißt Ihr was, Vetter,« sagte er endlich, »wißt Ihr was: geht vor Eure Gemeinde und begehrt einen Beistand, der in diesen verwickelten Dingen mit Verstand Euch beistehe. Ihr seiet alt, Euer Sohn weit, und was es koste, zahltet Ihr gern.« Potz Himmel, wie fuhr da Johannes, der Sohn, auf! Ehe daß er dulde, daß der Vater gevogtet werde, schlage er Himmel und Erde entzwei, brüllte er. »Da würdest du zu tun haben,« sagte der Bodenbauer ruhig. »Mache was du willst, aber wäre ich an deiner Stelle, ich besönne mich nicht zweimal; daneben mach, was du willst, die Sache ist nicht meine, sondern ganz hauptsächlich deine. So wie ich merken mag, hast du deinen Teil auch erhalten, und den guten Vater habt ihr beerbt bei Lebzeiten. Es scheint da allweg viel weggegangen zu sein. Kommt nun deiner Schwester Vormundschaftsbehörde dahinter, so trittet sie klagend auf, beschuldigt den Vater unverständiger Handlungen usw. Dann sieh, wie es geht. Begehrt ihr es aber selbst, so behaltet ihr die Sache in Händen, könnt euch mit eurer Gemeinde verständigen, und die Sache läuft so böse nicht. Wenigstens friedlich, soviel an euch.«

Da wolle er lieber den Teufel fressen samt dem Stiel und die Großmutter als Dessert, als daß er seinen Vater wolle bevogten lassen. Wer es gut meine, könne so nicht raten aber wer was Unsauberes in der Wäsche habe, kriegte es vielleicht auf diese Weise am leichtesten ohne Wascherlohn wieder, brüllte der brüllhafte Wirt. »Ja so,« sagte der Bodenbauer, »ist das so gemeint. Sieh, dir sagt man nur Rubigenstrub, aber doch hielt ich dich für witziger. Ich meinte es gut, dein Vater dauert mich, du aber nicht. Dir bessert es nicht, bis du von der[401] tauben Kuh gefressen hast, und dann vielleicht noch nicht. Ich habe da allerdings etwas in der Wäsche, aber ich vermag den Wäscherlohn zu bezahlen, und wäre er noch einmal so groß; ich bin kein Wirt, der am Verlumpen ist. Und weißt, ich zahle den Wascherlohn noch dazu gerne, ich weiß, ich erhalte ihn wieder; ich würde für Uli lieber zehntausend Gulden zahlen als für dich tausend, weißt! Und jetzt behüt euch Gott und lebet wohl; wem nicht zu raten ist, ist auch nicht zu helfen!« So sprach der Bodenbauer hochaufgerichtet und im Zorn. Denn in solchen Punkten verstand er nicht Spaß. Sie hätten ihm nicht gesagt, daß er helfen solle; wenn sie dann seine Hülfe begehrten, so wollten sie es ihm sagen lassen, sagte Johannes, der Rubigenstrub, halblaut. Die Frau selig habe viel auf dem gehabt, jetzt sehe man, was er sei, sagte Joggeli, der von der ganzen Sache wenig oder nichts mehr begriff.

»Fraueli,« sagte der Bodenbauer zu Vreneli, »wenn du mir nicht so lieb wärest, so wäre ich mein Lebtag böse über dich, daß du mich da hineingezogen. Aber so habt ihr Weiber es, ihr meint, es müsse allenthalben geholfen sein, und wo eure Arme zu kurz sind, stoßt ihr die Männer hinein. Da ist nicht mehr zu helfen, das ist, was ich euch sagen wollte. Macht euch gefaßt auf alles, wo ich wohne, wißt ihr, wenn ihr was nötig habt; und solltet ihr rasch fort müssen, so hat mein Tochtermann ein klein Heimwesen, welches für den Aufenthalt euch vielleicht anständig wäre. So viel im Vorbeigang, damit ihr euch nicht etwa ängstigt und nach dem ersten Besten faßt. Sie haben den Alten ausgesogen auf eine heillose Weise, wie Spinnen eine Fliege. Vielleicht daß noch Ordnung zu machen, etwas zu retten wäre, aber Ordnung zu rechter Zeit will der dicke Büffel nicht, er weiß warum. Nun wird alles drüber und drunter gehen, vielleicht gibt es Prozesse, vielleicht Gott weiß was, kurz zählt darauf, innerhalb[402] Jahresfrist ist das Gut verkauft und der Alte, wenn Gott sich seiner nicht erbarmt, im Spital, oder der reiche Glunggenbauer kann von Türe zu Türe sein Essen suchen.« »Nein, Gevattersmann, nein, das geschieht nicht; eher tue ich es für ihn, aber solange ich sonst noch ein Stück Brot habe, hat er auch,« sagte Vreneli. »Er war nie gut gegen mich, aber auch nicht böser als gegen andere Leute. Ich aß sein Brot, als mir niemand welches gab, so soll er es nun auch bei mir haben.« »Das ist brav,« sagte der Bodenbauer. »Es ist schade, daß du nicht eine große Bäuerin bist, du hättest den Sinn dafür und könntest Vielen Gutes tun, daneben ist noch alles möglich.«

Trotz ihrer Fassung und des Bodenbauers Anerbieten erschreckte sie die Lage der Dinge doch, so arg hatten sie dieselbe nicht gedacht, so nahe den Wendepunkt nicht geglaubt. Ein oder zwei günstige Jahre noch, und sie hätten sich erholt gehabt. Uli hätte gerne die Richtigkeit von Bodenbauers Ansicht in Zweifel gezogen. Aber Vreneli sagte: Je mehr es darüber nachdenke, desto überzeugter werde es von derselben. Die Schlingel seien nicht umsonst so oft dagewesen und sicher nicht bloß wegen der Kurzweil. Die Beiden hätten was gebraucht. Bei einem einfachen Bauernwesen habe man keinen Begriff, was zwei solche Bursche in einer Wirtschaft oder im Handel durchzubringen vermöchten. Das gehe zweispännig oder vierspännig, wenn die Weiber helfen und nichts nutz seien, wie an beiden Orten der Fall sei. Uli meinte, wenn man nie viel gehabt, so könne man sich noch drein schicken, nichts mehr zu haben, und es liege die Hoffnung nahe, wieder zu gewinnen, was man verloren. Wenn aber so große Vermögen, mit denen man es nicht hätte machen können, dahingingen, so komme ihm das Totgrämen sehr begreiflich vor. »Da ist keine Hoffnung, wieder zu Vermögen zu kommen, und das Leben mit Nichts, wo man an so viel gewöhnt[403] war, muß eine wahre Hölle sein. Es muß einem zumute sein, als sei man eingenäht in einen Gallensack. Die Hauptsache für uns ist nun die, daß wir mit Ehren davonkommen, wenn schon mit sonst nichts als vielleicht noch mit Schulden.« Sie wollten machen, was möglich, und daneben das Beste hoffen, bis hieher hätten Gott und gute Leute sie nicht verlassen und würden es wohl auch ferner nicht. Und wenn es sein, die Prüfung bis dahin gehen sollte, daß sie in Pfändung fielen, so müßten sie sich auch darein schicken, sie hätten dabei doch den Trost, daß es weder mutwillig noch verschuldet sei, sondern hervorgebracht durch Unglück von höherer Hand, dachten sie.

Ihr Schicksal lag allerdings in der Schwebe, hing von Gottes Segen und des Bodenbauers gutem Willen hauptsächlich ab. Diesem waren sie dreihundert Taler schuldig, ihr Geld, welches sie auf Zins gehabt, war eingezogen. Dagegen hatten sie freilich eine Schrift vom Wirt von fast vierhundert Talern auf dem Papier. Aber ob sie nicht mehr wert sei als etwa österreichisches Papier oder gar nichts, das wußten sie noch nicht. Ein ganzer Zins von achthundert Talern war nächstens fällig, dazu noch der Zins für die Effekten. Nun hatten sie freilich etwas Geld vorrätig, etwas konnten sie noch machen, aber achthundert Taler sind eine Summe. Bis zur Ernte mußten sie auch leben, und ob ihnen am Zins etwas geschenkt werde, das war unter obwaltenden Umständen mehr als zweifelhaft. Freigebig war Joggeli sein Lebtag nie gewesen, dazu besaß er eine zu kleinliche Natur. Eine solche Natur kann bei großem Vermögen und einer guten Frau noch so quasi mit Ehren durchkommen, ohne als ein Geizhals verschrieen zu werden.

Genau genommen ist es eigentlich gar keine große Kunst, bei großem Vermögen nicht schmutzig und ungerecht zu sein. Aber wenn das Vermögen geschwunden oder sonst[404] klein ist, das Geld nirgends reicht, immer neue Forderungen kommen und dazu immer neue Verluste: da nicht zu machen, was man kann, die Schere ins Fleisch gehen zu lassen, wo man was zu scheren hat, nicht den letzten Tropfen auszupressen, wo man das Recht zum Pressen zu haben glaubt, das ist schwer. Darüber können so Viele sich nicht erheben, sondern halten sich an dem Spruche: Mache jeder, was er kann. Sie mußten dieses auch von Joggeli erwarten, der dazu alle Tage kindischer, fast ganz regiert wurde von dem Sohne, der ganz erwildet war und im Lande herumfuhr wie der Teufel im Buche Hiob. Dazu kam noch die Abschatzung der Effekten, welche Uli zur Nutzung hatte. Beim Abtreten des Gutes mußten die wieder geschätzt werden. Den Minderwert mußte er ersetzen, etwaiger Mehrwert ward ihm vergütet. Hier konnte es einige hundert Gulden auf- oder niedergehen ohne eigentliche Ungerechtigkeit, aber doch je nachdem man ihm wohl oder übel wollte. Dann kam es wie gesagt hauptsächlich darauf an, ob er die Pacht ausmachen oder früher davongestoßen werde, was bei Verkauf des Gutes oder Tod des Besitzers gegen eine billige Entschädnis freilich der Fall sein konnte, und ob die Jahre gesegnet oder ungesegnet seien.

Er überzeugte sich immer mehr, daß der Bodenbauer richtig gesehen und richtig geraten hatte. So wie der Fall mit dem Tochtermann bekannt war, schneite es von allen Seiten Forderungen und Abkündigungen, wie es geht in solchen Fällen. Es hatten gar Viele Ursache zur Angst, wenn der Glunggenbauer noch mehr solche Stücklein gemacht hätte, so könnte es ihnen fehlen. Joggeli stand noch mancher Schuld als Bürge zu Gevatter und ganz besonders bei seinem Sohne. Diesem wurden nun alle Schulden, welche ablöslich waren und von den unablöslichen die ausstehenden Zinse eingefordert; das lief zu großen Summen auf, den Forderungen konnte auf keine Weise begegnet werden. Da machte es Johannes[405] wie Viele, er wehrte sich mit Prozessen; das ist aber akkurat, wie wenn man, um dem Fegfeuer zu entrinnen, in die Hölle springt. Er verflocht auch seinen Vater in diese Prozesse, und namentlich verführte er ihn, wegen den fünfzehntausend Talern einen Rechtshandel zu beginnen. Das war ein Geflecht von Prozessen, Forderungen aller Art, daß es einem vernünftigen Menschen die Haare zu Berge gestellt hätte.

Dies ward bekannt. Allgemein hieß es, wenn der Tochtermann am Schwiegervater den Schelm gemacht, so sei es sich nicht zu verwundern, denn der Sohn sei noch der viel ärgere Schelm an ihm gewesen. Elisi, das nirgends anders zu sein wußte als in der Glungge, heulte und lärmte, bis endlich der Gemeindebehörde seiner Heimat, welche eben nicht zu den erleuchteten gehörte, die Augen aufgingen, so daß sie auf Bevormundung von Joggeli drang. Nun erst gab es Spektakel. Dieser Antrag kam Joggeli vor wie ein Majestätsverbrechen, und hätte er die Macht gehabt, er hätte die Antragsteller erst köpfen lassen. Begreiflich gab das einen neuen Prozeß auf die andern alle. Diese Prozesse sind die allerangreiflichsten für die Person, welche bevogtet werden soll und es nicht annehmen will. Die Antragsteller sind also genötigt, ihr Begehren gehörig zu begründen. Um das zu können, müssen sie nun alle möglichen Merkmale aufführen, daß der Besagte nicht mehr imstande sei, sein Vermögen selbst zu verwalten. Freilich werden Kinder, welche so was begehren, im Eingang sagen, wie das Begehren ihr Herz zerreiße, wie sie es aber den eigenen Kindern schuldig seien; sie werden nie anders reden als von ihrem geliebten, verehrten, unglücklichen Vater, werden dann aber dazu alle Schwachheiten, Dummheiten, welche er von den ersten Hosen an gemacht, aufzählen. Ja sie sind imstande, des Vaters Heirat mit ihrer Mutter als seine größte Dummheit, als ein Zeichen seiner momentanen Verrücktheit anzuführen. Zuweilen wird des Vaters[406] kindischer Zustand nicht von der Heirat, sondern von der Mutter Tod weg datiert. Dann wird aber doch gesagt, daß er eigentlich sein Lebtag nie ein Mann gewesen, die Mutter die Hosen angehabt hätte, seit sie aber gestorben, sei er vollends dumm geworden. Nichts wird geschont, sein Bild nicht bloß aschgrau, sondern brandschwarz gemalt. Das alles nun muß der Betreffende lesen, sollte es verdauen und kann nicht, geschweige sich daran erbauen. Dann muß er ein ander Bild von sich entwerfen lassen, wo er wie ein Herrgott strahlt, und hat er Malice auf seine verstorbene Frau, so wird der munter ausgewischt, wobei er sie jedoch immer seine liebe Selige nennt, welche er dem lieben Gott von ganzem Herzen gönne. Hintendrein kommen Ärzte, manchmal noch der Pfarrer und manchmal noch Andere und untersuchen einen nach Stand und Vermögen gründlich und nicht gründlich: ob der zu Bevogtende dumm sei oder gescheut, entweder ganz oder halb, zurechnungsfähig oder nicht, zurechnungsfähig entweder ganz oder halb. Das ist für den Betreffenden eine äußerst interessante und lehrreiche Untersuchung, man kann es sich denken!

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Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 2, Zürich 1978, S. 388-407.
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