Drittes Kapitel

[23] Das Erntefest oder die Sichelten


Dennoch setzte sich Uli ein Wurm ans Herz, von wegen was er einnahm, das gehörte ihm, versteht sich, was er ausgeben mußte, das verstand sich nicht von selbst; er kehrte es sieben mal um, bis er sicher war, daß er es schuldig sei. Es ist eine eigene Geschichte, wenn ein großes Bauernhaus sich umwandelt in ein bloßes Pächterhaus. Ein großes Bauernhaus, welches seit hundert und mehr Jahren im Besitz der gleichen Familie war und absonderlich, wenn gute Bäurinnen darinnen wohnten, ist in einer Gegend fast was das Herz im Leibe; drein und draus strömt das Blut, trägt Leben und Wärme in alle Glieder, ist, was auf hoher Weide eine vielhundertjährige Schirmtanne den Kühen, unter welche sie sich flüchten, wenn es draußen nicht gut ist, wenn die Sonne zu heiß scheinet, wenn es hageln will oder sonst was im Anzuge ist, was die Kühe nicht lieben; ist der große, unerschöpfliche Krug, welcher nicht bloß einer Witwe und ihrem Söhnelein das nötige Öl spendet, sondern Hunderten und abermal Hunderten Trost und Rat, Speise und Trank, Herberge und manch warmes Kleid jahraus jahrein. Ein solches Haus ist das Bild[23] der größten Freigebigkeit und der sorglichsten Sparsamkeit. Da liest man die Strohhalme zusammen und zählt die Almosen nicht, da findet man die Hände, welche nie lässig sind im Schaffen und im Geben, denen zur Arbeit nie die Kraft ausgeht und nie die Gabe für den Bedrängten. So ein Haus ist ein wunderbar Haus, aber darum ist es auch eine Art heiliger Wallfahrtsort, wohin wandert, wer bedrängten Herzens ist, Not leidet am Leibe oder an der Seele. Zieht aber nun aus einem solchen Hause die Seele, das heißt die Bäurin oder der Bauer, so bleibt das Haus, und wie Kinder immer wieder zum toten Körper ihrer Eltern zurückkehren, forschen, ob die Seele nicht zurückgekehrt, so kommen die Leute immer und immer noch zum Hause, klopfen an die alte Türe, horchen, ob die alte treue Hand, die nie leer ward, nicht wieder da sei, Gaben spendend, begleitet von einem freundlichen Worte. Sind Bauer und Bäurin auch nur neben dem Hause in den Stock oder das Stöcklein gezogen, so gehen doch nur die Bekanntern oder die Bettler von Profession dahin, denn das Stöcklein ist kein Haus, es ist kein Stall daran und acht Milchkühe drinnen, sind nicht Keller, nicht Kammern, gespickt mit allen möglichen Vorräten. Zum Stöcklein gehört der Hof nicht, gehören die unzähligen Obstbäume nicht, gehören alle die reichen Quellen nicht, welche einer guten Bäurin Hand unerschöpflich machen. Es sind wohl Zuflüsse da, aber in bestimmten Grenzen und nach kleinerem Maßstabe. Zieht nun ein Pächter in das Haus ein, in die Schatzkammer des Hofes, den Wallfahrtsort der Armen und Bedrängten, so erlischt des Hauses Heiligenschein nicht alsobald; die Menge wallfahrtet noch immer zu demselben nach alter Gewohnheit, achtet nicht der geänderten Verhältnisse, macht ans Haus die nämlichen Forderungen. Die Menge nimmt an, die Guttätigkeit des Hauses sei Pflichtigkeit, welche jeder Bewohner, sei er wer er wolle, zu übernehmen habe. Geschieht dieses nicht[24] vollständig, so spricht eine bedeutende Anzahl: »Ach Gott, da hat es auch böset! Gottlob, daß ich so alt bin! Müßte sonst noch erleben, daß die guten Leute alle aussterben.« Eine andere Anzahl aber wird erbittert im Gemüte als wie über versagte Rechte und sagt: Das werde gehen und gehen, bis es endlich zu dem komme, wovon man immer rede, wie man auch von der Fasnacht rede, bis sie komme, daß man selbst zugreifen müsse, wenn man etwas erhalten wolle.

Ähnliches geschah in der Glungge. Vreneli war schon unter der Base Almosnerin gewesen, hatte dabei wohl auch unverschämten Bettlern einen Zuspruch gegeben, der ihnen ins Leben ging. Vreneli war jetzt seine eigene Almosnerin, machte wohl die Stücke Brot etwas kleiner als früher, und Kleider oder Leinenzeug konnte es nicht austeilen; in einer neuen, jungen Haushaltung findet es sich nicht. Das ging bös an. Eine Bettlerin sagte Vreneli ins Gesicht: »Du warst von je ein Wüstes und gönntest keinem Armen was und wirst eher zehnmal schlimmer als einmal besser, von wegen es wird noch immer sein, wie es im Sprichwort heißt: Es ist keine Schere, die schärfer schiert, als wenn ein Bettler zum Herren wird.« Die Meisten jedoch sagten Vreneli ihre Gedanken nicht an den Kopf heraus, aber sie verlästerten es desto jämmerlicher hinterwärts. Da sie nichts Böses wußten, ersannen sie um so Greulicheres; namentlich machten sie geltend, wie sie den Hof fast um nichts hätten, den Kindern das Brot von dem Munde wegstöhlen; da sei es kein Wunder, wenn sie auch gegen die Armen wären wie Türken und Heiden. Schlecht sei schlecht und schlechte Leute habe es immer gegeben, aber Leute wie die, ohne Religion, seien doch noch nie erlebt oder erhört worden. Das alles tat Vreneli sehr weh, denn begreiflich wurden ihm alle diese Reden wieder hinterbracht und wahrscheinlich von denen selbst, welche sie gehalten, nur daß sie dieselben dann Andern in den Mund legten. Doch sagte[25] es davon Uli nichts, es verarbeitete das in seinem eigenen tüchtigen Sinn. Es dachte, Klagen trage nicht viel ab, warum ein zweites Herz betrüben, wenn man imstande sei, es alleine zu verwinden; Hülfe leisten könne ihm Uli nicht, und alle Armen diese Wehtat entgelten lassen wollte es nicht. Uli war wenig zu Hause und hatte den Kopf so voll von Geschäften und Gedanken, daß er gar keine Augen für diese Dinge hatte. Er war es gewohnt, Leute an den Türen zu sehen oder bei Vreneli in der Küche, achtete sich derselben nicht, frug nicht, was sie wollten, dachte gar nicht daran, daß es jetzt über ihn ausging und um seine Sache, ließ Vreneli also ganz gewähren nach seinem Belieben.

Der Heuet war vorbeigeflogen wie gewünscht, die Kirschen mit den Sperlingen im Frieden geteilt worden und die Ernte vor der Türe, ehe man sich dessen versah.

Die Ernte ist dem Landmann eine wichtige Zeit, eine heilige Zeit, von ihrem Ertrage hängt sein Bestehen ab oder wenigstens sein Wohlergehen. Er erkennt dieses auch an, und als Zeichen dieser Erkenntnis richtet er am Schlusse derselben eine Art von Opfermahlzeit aus, er speiset Arme, speiset und tränket Knechte, Mägde, Tagelöhner, deren Weiber und Kinder und den Fremdling, der da wohnet innerhalb seiner Tore. Solche Mahlzeiten bilden die Glanzpunkte in dem Leben so Vieler; würden sie aufhören, wäre es über dem Leben gar Vieler, als wenn alle Sterne erlöschen würden am Himmel. Es ist traurig, wenn über einem Leben keine andern Sterne stehen als Mahlzeiten, aber es ist dumm, wenn man ihnen Wert, Bedeutsamkeit absprechen will.

Die Ernte war prächtig, das Wetter schön, der Acker reich. Uli war glücklich, Joggeli knurrte. Er schrieb des Ackers Fülle Uli zu, der im Herbste dichter gesäet, besser hätte arbeiten lassen und im Frühjahr stark gewalzt. Einen solchen Acker voll Korn habe er sein Lebtag nie gehabt. Dicht wie[26] die Haare einer Bürste stünden die Halme, und doch sei nicht einer gefallen. Der arme Joggeli bedachte nicht, daß säen und wässern der Mensch kann, aber nicht das Gedeihen geben. Ob dicht oder dünn das Korn auf dem Acker steht, ob aufrecht oder ob es auf dem Boden liegt, das ist Gottes Sache. Wer es zu treffen wüßte allezeit, wüßte, ob viel oder wenig säen gut sei, ein kalter Winter käme oder ein milder, der wäre eben ein Hexenmeister, aber solchen gibt es nicht; es ist ein Einziger, der dieses weiß, und der ist eben der, der kalte oder milde Winter macht, und der ist Gott.

Bei allem Segen hatte Vreneli das Herz voll Angst. Niemand besser als es wußte, was jene Opfermahlzeit, Sichelten genannt, verzehrt hatte unter Joggelis Regiment. Im ersten Teile vom Uli steht auch was darüber zu lesen. Daß sie dieselbe nicht nach dem gleichen Maße auszurichten vermöchten, das wußte Vreneli wohl, aber wieviel Uli abbrechen wolle und wieweit es das Verlästertwerden zu fürchten hätte, das wußte es nicht. Vreneli war tapfer, das wissen wir, aber es fürchtete sich doch vor böser Weiber bösen Zungen; es wußte, daß weiter, als die Blitze fahren, weiter, als die Winde wehen, böser Weiber böse Töne tönen. Einige Wochen vorher hatte Vreneli Uli Milchgeld eingehändigt mit dem Bemerken, es werde eine Zeitlang nicht mehr viel geben; was es immer erübrigen könne an Milch, müsse zu Butter gemacht werden für die Sichelten. Darauf hatte Uli gesagt: »Allweg wird es was brauchen, aber den Narren wirst nicht machen wollen, ich bin nicht Joggeli und du einstweilen keine Bäuerin.« »Weiß wohl«, sagte Vreneli. »Zu tun wie sie, kömmt mir nicht in Sinn, aber wenn man es nur gering macht, so wird es dir grauen. Du weißt gar nicht, was es braucht an solchen Tagen.« »He«, sagte Uli, »so macht man es noch geringer, bis es einem nicht mehr darüber graut. Gesetz darüber, wieviel einer ausrichten müsse, wird keines sein.« Dieses[27] Gespräch hatte Vreneli nicht vergessen, darum war ihm so bange. Es sah voraus, daß Verdruß kommen müsse. Uli wollte es nicht gerne böse machen, abbrechen ganz und gar brachte es nicht übers Herz, auszuhausen im ersten Jahre begehrte es auch nicht, da wars fast noch böser als anderwärts, die rechte Mitte zu treffen. Es suchte mit Sparen abzuhelfen, brach sich die Milch am Munde ab, und doch ward ihm fast schwarz vor den Augen, wenn es seine Vorräte musterte und dann dachte, wie manchen Kübel voll geschmolzener Butter ehedem an diesem Tage die Base verbacken hatte.

Eines Tages nun, als Vreneli im Schweiße seines Angesichts haushaltete und eben dachte, kommod wäre es ihm, wenn es vier Hände hätte, mit zweien könne es kaum alles beschicken zu rechter Zeit, kam die Base, setzte sich aufs Bänklein und frug: »Kann dir was helfen, so sags. Die Leut werden hungerig, wollen lieber früher essen als später, und eine alleine kommt fast nicht zurecht, habs oft erfahren.« »Wahrhaftig. Base.« sagte Vreneli. »Ihr kommt mir akkurat wie ein Engel vom Himmel; wenn ich Euch nicht hätte, ich wüßte wahrhaftig nicht, wie ich es machen sollte. Will die Erdäpfel vom Brunnen holen, Ihr seid dann so gut und beschneidet mir diese.« Flugs war Vreneli wieder da, stellte das Körbchen der Base dar samt einem Kessel mit Wasser, in welchen die zerschnittenen und gerösteten Kartoffeln zu werfen waren, und half ab- und zugehend der Base. »Habt ihr es abgeredet mit der Sichelten, wie ihr es machen wollt?« frug diese. »Nein,« sagte Vreneli, »aber sie macht mir großen Kummer. Es ist Gottlob ein gesegnetes Jahr, und wir können Gott nicht genug danken, daß wir einen solchen Anfang haben, aber Uli ist doch ängstlich wegem Zins, und ich kann es ihm nicht verargen. Es ging ihm gar schwer, bis er hatte, was er hat, und daß er nicht gerne plötzlich darum kömmt, ist begreiflich. Ich fürchte daher, er werde nicht Geld brauchen[28] wollen, sagen, es trage nichts ab, und schuldig sei man niemand was; man solle zufrieden sein, wenn man am Ende des Jahres alles ausgerichtet habe, was man schuldig sei. Aber es käme mir schrecklich vor, wenn wir im Trockenen sitzen, an Käs und Brot kauen müßten und dies noch an einem solchen Orte.« »Selb nicht, daran wird er nicht denken«, sagte die Base. »Ich dachte auch daran, die Sache mache euch Ungelegenheit. Daß ihr es nicht haben könnt wie wir, versteht sich; es machte mir manchmal fast übel, wenn ich zwei Tage lang küchelte und unter den Händen gingen mir die Küchli an den Türen weg, daß mir für uns keine bleiben wollten. Aber ungerne hätte ich es doch, wenn auf einmal alles aufhörte, alle Leute umsonst kämen und z'leerem fortgewiesen würden. Du weißt, wie Meiner ist, sonst könnte ich im Stöcklein küchlen und den Armen ausrichten, was üblich und bräuchlich. Darum will ich dir was an die Kosten steuern, viel nicht; seit uns der Tochtermann, Gott behüte uns davor, ausgeplündert hat, ist das Geld auch rarer geworden bei mir. Rede dann mit Uli, wie ihr es ausrichten wollt, anständig, nicht übertrieben. Lieb wäre es mir, ihr lüdet Meinen auch ein, viel, leicht kommt er, vielleicht nicht, aber er sieht doch den guten Willen.« »Allweg,« sagte Vreneli, »und Ihr fehlt auch nicht, es wäre sonst wie ein Tag ohne Sonne oder eine Nacht ohne Sterne, es freute mich nicht, dabeizusein.« »Bist immer ein Narrli,« sagte die Base. »Und Uli tut sonst gut?« frug sie; »wenigstens arbeitsam ist er, daß ich nie einen so gesehen.« »Ja, Base.« sagte Vreneli. »und wenn ich klagen wollte, so wäre es, daß er es zu ängstlich nimmt und daß ich Kummer haben muß, er mache es nicht lang, sondern arbeite sich zu Tode.« »Bist ein Tröpfli,« sagte die Base lachend, »das Mannevolk stirbt nicht so bald, und besser, er tue zu nötlich, als er sei zu gelassen. Sieht er, daß er auskommen mag, so bessert es ihm von selbst, aber ist einer zu gelassen, da ists nicht zu[29] machen. Brennt das Haus, so ist ein Solcher imstande, er stopft erst die Pfeife und zündet sie an, ehe er Anstalt macht, das Haus zu verlassen.«Vreneli lachte, sagte jedoch mit einem kleinen Seufzer: »Zu wenig und zu viel verderben alle Spiel,« nahm die Erdäpfel und setzte sie übers Feuer.

Noch selben Abend eröffnete Vreneli die Verhandlungen mit Uli. Uli sagte, es sei ihm schon lange zuwider gewesen, nur daran zu denken. Schon als ihn die Sache nichts angegangen, sondern alles über den Meister ausgegangen sei, habe er sich darüber geärgert, wie so viel durchaus unnütz und überflüssig draufgehe. Wenn er einmal was dazu zu sagen haben sollte, so müßte es ihm anders gehen, habe er immer gedacht. Viel wohler sei man bei Wenigem, und daß jeder arme Mensch an diesem Tage Küchli essen müsse, bis sie ihm zum Mund heraushingen, selb stehe nirgends geschrieben. Wenn sie Küchli haben wollten, so möchten sie sehen, wo sie welche bekämen, sollten zu Joggeli gehen, der könne den alten Gebrauch fortsetzen. »Rede mir nicht so, Uli,« sagte Vreneli, »das ist ungut. Sieh, der liebe Gott speiste von deinem Acker auch seine Vögel. Wie lustig waren sie nicht dabei, es war ihre gute Zeit im Jahre und du mußtest es geschehen lassen. Und nun, wie viel besser sind doch Menschen als Spatzen, und die sollten nicht einmal einen guten Tag haben, und wenn Gott sie dir vor die Türe schickt, um deinen guten Willen zu sehen, zu erfahren, ob du weißt, wer dir den guten Anfang gibt, denen willst du dann nichts geben? Selb, Uli, wirst du nicht machen!« »Bin ich denn Pächter geworden, um Bettlern zu küchlen? Was brauchen die solche Speise? Brot, wenn was sein muß, tuts. Oder meinst etwa, man solle auch den Vögeln küchlen und Schüsseln voll in den Acker stellen?«

»Lieber Uli, rede dich doch nicht in Zorn hinein, denn das ist dein Ernst nicht. Christenbrauch ists ja, daß man die[30] Armen wie Brüder hält und nicht wie Hunde abspeiset, und gibt man ja selbst den Hunden Brosamen vom Teller, jagt sie nicht mit ungesättigten Gelüsten vom Tische weg. Sollte man dann einem armen Fraueli oder einem armen Kinde, welches das ganze Jahr durch nichts Gutes hat, kaum Salz zu den Kartoffeln hat, nicht eine gebackene Brotschnitte geben oder sonst ein Küchli? Soll es umsonst den ganzen Tag, wohin es kommen mag, den Duft der in der Pfanne brodelnden Butter in der Nase haben? Denke doch an die Geschichte vom reichen Manne und vom armen Lazarus.« »Soll ich jetzt etwa noch gar der reiche Mann sein?« frug Uli nicht sanft. »Aber Uli,« sagte Vreneli, »versündige dich doch nicht, ich kenne dich ja gar nicht wieder. Bist du nicht der reiche Mann, so bist du doch ein gesegneter Mann. Welch gut Jahr haben wir nicht, und das hat Gott gemacht. Leicht hätte er die Hälfte weniger geben können, und damit hätten wir auch müssen zufrieden sein. Willst du nun mutwillig die Armen erbittern, machen, daß ihre Flüche ums Haus fliegen wie die Schwalben, willst nicht lieber, sie wünschen uns alle Gottes Glück und Segen? Was haben wir ja nötiger als dies? Dem ohne dies wären wir nichts, ohne dies werden wir nichts.«

»Das wäre alles gut, und bös meine ich es ja nicht, das weißt du« sagte Uli. »Aber fangen wir einmal an mit Großtun und Austeilen, so müssen wir so fortfahren; ist denn jedes Jahr ein gesegnetes, daß es es ertragen mag? Sollte man nicht gleich anfangs so anfangen, wie man zu jeder und aller Zeit fortfahren kann?« »Ja sieh,« sagte Vreneli, »verstehe mich recht, nicht wie ehedem begehre ich es zu machen, dies wird kein vernünftiger Mensch uns zumuten. Man kann die Schnitten ungleich groß abschneiden, sie ungleich backen, kann das Pack abweisen. Ich kenne seit Jahren die Leute, welche kommen, glaube, mit Wenigem will ich weit reichen, zudem sieh, die Base hat mir vier Taler gegeben; sie hätte es ungern, hat sie gesagt,[31] wenn die Leute alle umsonst kämen und z'leerem wie, der fort müßten.« »Das wäre wohl gut, wenn es mit dem gemacht wäre; aber denk, was wir noch alles kaufen müssen für die eigenen Leute und denen dann auch noch jedem ein Tuch voll heimgeben. Die Weiber der Tagelöhner werden wir noch einladen müssen, und einige davon sind imstande, sie bringen uns noch die Kinder mit. Schlachte ich ein Schaf, so braucht man kein anderes Fleisch, mit dem Weine mache ich es kurz. Wenn ich auf zwei Personen eine Maß rechne, die Maß vier Batzen höchstens, so kostet mich das schon ein Sündengeld.« »Das tue nicht,« sagte Vreneli, »es wäre unser eigener Schade. Vergiß nie, wie es uns war, als wir noch dienten, was wir gesagt hätten, wenn man uns die Sichelten so spärlich zugemessen hätte. Die Arbeiter haben, solange Joggeli lebt, nie so angestrengt gearbeitet, können nichts dafür, daß wir nur Pächter sind, und eine Mahlzeit ist immer eine Mahlzeit, macht auf Fromme und Nichtfromme, auf Reiche und Arme einen seltsamen Eindruck. Der Arme, welcher Monate lang weder Fleisch noch Wein sieht, freut sich darauf wie ein Kind auf Weihnacht, und warum sollte er nicht? An einer Mahlzeit will man genug haben, von allem satt werden; was man noch möchte und nicht bekömmt, das kömmt viel höher in Anschlag als das, was man erhält. Mahlzeiten sind im Leben, was Sterne am Himmel in mondloser Nacht, und nicht bloß wegen Essen und Trinken. Es tauen auch die Herzen auf, es wird einmal wieder Sonntag darin, es bricht die Liebe einmal wieder hervor; wie aus den Wolken die Sonne und wie aus Holland der Nebel, flieht aus mancher Seele der böse Kummer, das Elend wird vergessen, sie wird einmal wieder froh, faßt frischen Mut und danket einmal wieder Gott von Herzen. Nein, lieber Uli, zu mager mach es nicht, mach es um der Menschen willen nicht! Gott hat uns so große Ursache zu Lob und Dank gegeben, gib du jetzt deinen Leuten nicht[32] Ursache zu Groll und Widerwillen, sondern zu Lob und Dank, zu Mut und Freude. Vielfältig bringen wir dieses ein, denn wenn bei allen guter Wille ist, so wird rasch viel wieder eingebracht, während bei bösem Willen unendlich viel zuschanden geht. Das hat Joggeli viele tausend Gulden gekostet, bei ihm habe ich gesehen, wie das gehen kann. Schlechten Wein nimm nicht, er freut niemand, wird getrunken wie Wasser und ist also der teuerste. Nimm guten Wein, der er, freut die Herzen, sie rechnen ihn dir hoch an und trinken weniger als vom Wein, der keine Tugend hat, als die Köpfe bös zu machen. Denke doch, es ist mir so gut daran gelegen, daß wir mit Ehren bestehen, als dir; es geht auch mich was an, denn gewöhnlich soll die Frau daran schuld sein, wenn der Mann zugrunde geht, aber Sparen und Sparen sind zwei. An einer Kuh, welche Milch geben soll, das Heu, an einem Pferde, welches springen soll, den Hafer sparen wollen, hat noch niemand großen Nutzen gebracht, wie man Beispiele von Exempeln an manchem Bauer sehen kann.«

Uli begriff Vreneli und hatte sogar Glauben zu ihm, aber gegen Glauben und Verstand stritten Geld und Angst, trieben Uli vielen Schweiß und manches Aber aus. Indessen siegten doch die Erstern, denn Vreneli half ihnen mit all seiner Liebenswürdigkeit. Uli schaffte guten Wein an und so viel daß er nicht bei jeder Flasche, welche er aus dem Fäßlein zog, Kummer haben mußte, es möchte die letzte sein, und in Versuchung kam, Käsmilch aufzustellen in Ermangelung des Weines, ein bös und dünn Surrogat desselben. Ein Schaf wurde geschlachtet, indessen auch dem Rind- und Schweinefleisch die landesüblichen Stellen angewiesen.

Nun war Vreneli hellauf, es glaubte alles gewonnen, aber die Angst kam ihm wieder und zwar am Tage der Sichelten selbst und nicht von Uli her. Als das Sieden und Braten an, ging, die Feuer prasselten, die Butter brodelte und zischte, die[33] Bettler kamen, als schneie es sie vom Himmel herunter, die Pfannen zu alles verschlingenden Ungeheuern wurden, Vreneli, wie viel es auch hineinwarf, immer frisch wieder angähnten mit weitem, ödem, schwarzem Schlund, da kam die Angst über ihns, aber sie half ihm halt nichts; wie die Sperlinge den Kirschbaum wittern, welcher frühe Kirschen trägt, weither gezogen kommen mit ihren raschen Schnäbeln und nimmersatten Bäuchlein, so kamen die Bettler daher, vom Duft der brodelnden Butter gezogen, schrieen heißhungrig von weitem schon: »Ein Almosen dr tusig Gottswille« und trippelten ungeduldig an der Tür herum, weil sie vor süßer Erwartung die Beine nicht stillehalten konnten. Vreneli begann Schnittchen zu backen, daß es sich fast schämte, so klein und so dünn die Kruste, und alles half nichts; es war, als ob sie Beine kriegten und selbst zuliefen einem Schreihals vor der Tür. Es ward ihm immer himmelängster, für die eignen Leute konnte es gar nicht sorgen.

In der größten Not erschien die Base unter der Küchentüre, wahrhaftig wie ein Engel und zwar einer von den schwereren, denn sie wog wenig unter zwei Zentnern. »Es dünkt mich, es sei noch nie so gegangen mit Betteln,« sagte der dicke Engel, »es ward mir himmelangst für dich; die Leute haben doch je länger je weniger Verstand, und wenn es nicht die Halben versprengt vom Küchlifressen, so meinen sie, es sei ihnen übel gegangen. Da habe ich dir eine kleine Steuer, denn Viele werden meinen, wir seien noch auf dem Hofe, und kommen unsertwegen, und vielleicht kann ich dir sonst noch helfen.« Sie stellte einen bedeutenden Butterkübel, den sie hinter Joggelis Rücken aus ihrem Keller stibitzt hatte, dem besten Schmuggler zum Trotz, auf den Küchentisch.

»Aber Base, Base, nein, das hat doch wirklich keine Art, jetzt noch so viel Butter! Ihr seid doch gewiß die beste Base unter der Sonne! Was kann ich Euch dagegen tun, Vergelts[34] Euch Gott zu hunderttausend Malen!« »Tue nicht so nötlich,« sagte die Base, »und sag, wo ich dir helfen soll. Es wäre ja unsere Pflicht, auszurichten, was üblich und bräuchlich ist, und daß ihr schon zum erstenmal aufgefressen werdet wie das Kraut von den Heuschrecken, selb meinte sicher selbst Joggeli nicht. Bloß daß ihr scharf gebürstet werdet, das wohl, das möchte er euch gönnen.« »Base, glaubt nur, geben tue ich gar gerne; ich fühle es recht, daß Geben seliger ist als Nehmen. Es kommt mir dabei immer vor, als sei ich Gottes selbsteigne Hand, welche er öffnet zur Stunde, damit sich sättigt, was da lebt. Aber wenn es dahergeflogen kömmt wie Krähen im Winter über einen spät gesäeten Acker, dann wird es einem doch angst ums Herz, man kömmt in Versuchung und versündigt sich fast, wird ungeduldig, wenn die Zeit verrinnt, der Abend kommt und unsre Leute hungrig kommen und nichts finden.« »Allweg,« sagte die Base, »aber wart, ich will dir helfen.«

Nun half die Base, sie machte die Schaffnerin und Spenderin nun wirklich so, daß Vreneli Zeit und Stoff für seine Leute die Fülle blieb. Ging jemand unzufrieden weg, so fiel der Groll auf die Bäuerin, deren bekannte Gestalt unter die Tür stund und ihn abgefertigt hatte.

Wie Vreneli in der Küche, schwitzte Uli auf dem Felde. Es war ein Tag, in welchen sich fast mehr Arbeit drängte, als hinein mochte. Zweitausend Garben sollten eingeführt werden. Mit zwei Stieren führte er den Wagen auf dem Acker, war er geladen, so fuhren vier Pferde denselben heim. Eine Partie lud zu Hause die Garben ab, eine andere band Garben, die dritte lud sie. Zu dieser gehörte Uli, er gab alle Garben selbst auf den Wagen, alles griff in einander, ward in halbem Lauf getan, Uli hatte keinen Augenblick zum Verschnaufen. Aber Uli hatte zwei Augen und die sahen einen bedeutenden Teil der Bettler, welche bei dem Hause ab- und zugingen.[35]

Anfangs achtete er sich nicht so viel derselben. Erst als einer sagte: »Es geht heute aber stark, so wie noch nie,« ward er aufmerksam, wollte sie zählen; aber zugleich sollte er die Garben zählen, welche er auf den Wagen gab, und Bettler und Garben kamen ihm untereinander, daß er nicht mehr wußte, woran er war. Dies machte ihn noch giftiger, auslassen durfte er seinen Grimm nicht, höchstens den Stieren konnte er rauhere Worte geben als sonst und unsanfter sie zerren an ihren Hörnern. Aber sie nahmen keine Notiz davon und fraßen gemütlich das vorgelegte Gras und ließen sich behaglich durch einen Knaben Fliegen und Bremsen wehren. »Wart nur bis ich heimkomme,« dachte Uli, »dann will ich sehen, was übrig geblieben. Hoffentlich gibt es Gelegenheit, die Narrheit ein für alle Male abzustellen.«

Indessen bis er mit dem letzten Wagen heim konnte, stund er eine Hitze und Ungeduld aus, daß er von nun an vollkommen wußte, wie es den Menschen im Fegfeuer zumute sein muß. Auf dem Wege begegnete ihm Joggeli. »Führe nur brav ein,« sagte ihm dieser, »hast es nötig, Bettler und Mäuse bedürfen viel und das Jahr ist lang.« Uli antwortete nicht, aber wer sich auf das Knallen einer Peitsche versteht, konnte an demselben dessen Gedanken abnehmen. Es war viel, daß er den Wagen nicht umwarf oder keinen Abweisstein umfuhr, aber Gewohnheit macht viel. Aber sobald die Pferde stillestunden, übergab er das Abspannen dienstbaren Geistern und ging der Küche zu. Gewaltig nahm er sich zusammen, um nicht mit der Türe ins Haus zu fallen, sondern gemäßigt aufzutreten mit dem Anstand, welcher dem Meister ziemt. Gepolter und Aufbegehren an diesem Tage würde sein Ansehen bedenklich geschädigt haben. Das bedachte Uli. Als er unter der Küchentüre erschien, stieß er auf die Base, vor welcher er auch Respekt hatte, so daß er fast kleinlaut frug: »Wie stehts? In einer halben oder ganzen Stunde höchstens sind wir fertig!«[36]

Freundlich kam Vreneli aus Rauch und Qualm ihm entgegengesprungen, glühend von Schweiß und Arbeit. »Gut.« sagte es, »kommt wann ihr wollt, es ist alles zweg, und lieb ists mir gar sehr, wenn es mit der Arbeit nicht geht bis tief in die Nacht hinein; habe es an diesem Tage sehr ungern, denn gewöhnlich geschieht noch was Ungeschicktes. Aber zu tun haben wir gehabt, du glaubst es nicht; wäre die Base nicht gekommen und hätte mir geholfen, ich darf nicht sagen wie, du hättest mich nicht mehr gefunden, ich wäre davongelaufen, so weit mich die Beine hätten tragen wollen. Komm und sieh, was wir geschafft.« »Muß gehen und helfen.« sagte Uli, »die Pferde sind nicht ausgespannt, müssen noch geputzt und abgerieben sein.« »Wärest mir ein schöner Meister, wenn du immer dabeisein müßtest, wenn der Wagen laufen soll, und nicht einen Augenblick Zeit hättest zu sehen, was dir deine Frau zeigen will. Komm.« rief Vreneli schalkhaft, »Base, seht zur Pfanne!« und sprang die Kellertreppe hinab, daß Uli folgen mußte, er mochte wollen oder nicht. Weit sperrte Vreneli die Kellertüre auf, und drinnen auf dem üblichen Tische sah er mit großem Erstaunen Berge von Küchlein von allen Sorten. »Sieh, hier diese sind für diesen Abend, diese für morgen mittag, jene dort für nach Hause zu geben, und für Unbestimmtes backen wir noch, man weiß nie, was es geben kann. Was meinst, haben wir genug?«

Ganz verstaunet stund Uli vor den hohen Türmen, machte Augen wie Pflugsräder, und doch konnten sie das Wunder nicht fassen; fast wäre er davongelaufen, weil er dachte, dieser Segen könne nur durch den Rauchfang heruntergekommen sein, endlich sagte er: »Gott behüt uns davor! Woher dies alles und so viel Bettler!« »Bst! Bst!« sagte Vreneli schalkhaft, »das frägt man nicht und darfs nicht sagen; wenn es die Erdmännchen hörten, sie zürnten es, denke, wie kommod, wenn man nur ein Küchlein auf eine Schüssel zu legen braucht, um[37] handkehrum noch sieben andere darauf zu haben.« »He ja, kommod wärs,« sagte Uli, »aber vielleicht, daß du das Hexli warest,« machte aber dabei doch ein Gesicht, dem man es ansah, daß er nicht wußte, was er glauben sollte, wandte sich und wollte wieder die Treppe auf: »Nit, nit,« sagte Vreneli und faßte ihn am Arm, »es ist noch was anders da, welches du auch sehen mußt, es wartet dir schon lange.« Hinter einer Schüssel voll Küchli holte es eine Flasche und ein Glas her, vor, schenkte ihm ein und sagte: »Weißt nicht, daß es Brauch ist, daß der Meister an heißen Erntetagen zuweilen selbst ein Fuder nach Hause fährt und dann was Kühles im Keller findet? Ein andermal vergiß es nicht; aber nicht wahr, du wolltest kommen und sehen, ob ich noch was hätte, hattest Angst, die Bettler hätten alles vorweggegessen, wolltest mörderlich aufbegehren und hättest fast Freude daran gehabt, wenn ich in Schmach und Schande gekommen wäre. Da, du wüster Kerli du, da nimm noch eines und schäme dich; nicht wahr, bist halb böse, daß alles anders ist, als du dachtest und du nicht Freude haben kannst an meiner Schmach? Komm und gib mir ein Müntschi, aber nur leise, daß es die Base nicht hört, und denke daran, du hättest dich an mir versündigt und wollest nicht mehr so tun und so sein.« »Sagte ja kein Wort,« meinte Uli, »kam nur, zu sehen, ob du fertig seiest.« »Meinst,« erwiderte Vreneli, »ich kenne dein Gesicht nicht und wisse nicht am Trappen deiner Füße, wie das Herz dir schlägt, und am Ton der Worte, was hinter denselben steckt? Arme Weiber sind wir, aber schlauer, als ihr denkt, und was euch durch den Kopf fährt und was ihr brütet im Herzen, das merken wir von weitem; jetzt weißt es, kannst dich hüten, und in einer halben Stunde ist das Essen fertig, mach, daß wir nicht warten müssen,« und husch war es die Treppe auf und schon mitten in der Küche.

Uli war guten Mutes geworden. Er zog die Kellertüre zu[38] mit lachendem Gesichte, und lustig pfeifend ging er den Ställen zu. Er dachte, ein solch Weibchen sei doch kommod und rar, fleißig und lustig, immer mehr gemacht, als man gedacht, und immer gute Worte und ein hell Gesicht, daß man auch ein solches machen müsse, man möge wollen oder nicht. »Was hat er gesagt?« frug droben die Base. »Augen hat er gemacht wie Pflugsräder und weiß noch jetzt nicht, ists mit rechten Dingen zugegangen oder nicht. Aber Gottlob zufrieden ist er, und das ist die Hauptsache,« antwortete Vreneli. Es steht einem Bauernhause nichts schlechter an, als wenn abends, wenn Feierabend gemacht ist, oder Sonntag mittags oder an einer Sichelten die Leute stundenlang herumlungern müssen, ehe sie zum Essen gerufen werden. Es gibt Häuser, in welchen dieses Verspäten regelmäßig ist. Die Weiber in diesen Häusern müssen eine wahre Hausplage sein, es nimmt einem recht wunder, was die für ein Eingericht in ihrem Kopf haben und was sie auch denken? Wahrscheinlich werden sie erst das Roß beim Schwanz zäumen, dann lange es betrachten hinten und vornen, endlich wird es ihnen langsam kommen: eigentlich zäume man ein Roß beim Kopf und nicht beim Schwanz, und dann wird es ihnen kommen und wiederum langsam, das Beste wäre, sie täten den Zaum hinten wegnehmen und brächten ihn nach vornen, dann endlich schreiten sie zur Ausführung dieser Einsicht, aber langsam, begreiflich. Was während dieser Zeit in den Magen und Köpfen der hungrig Harrenden vorgeht und zwar nicht langsam, daran zu denken haben sie nicht Zeit, begreiflich. Eigentlich wäre es interessant zu untersuchen, ob solche Weiber wirklich denken? Wir glauben, sie bringen es höchstens nur zu einem Quasidenken und auch dieses nur ein- oder zweimal des Jahres, etwa wenn sie den Schneider ins Haus kriegen oder Schweine zu ringen sind.

In der Glunggen ging es aber nicht so, in Kopf und Beinen[39] hatte Vreneli ein ander Eingericht. Kaum hatten die Leute die Arbeit beendigt, Staub und Schweiß sich abgewaschen, erscholl der willkommene Ruf zum Essen. Dieser Ruf kommt nicht vom Himmel her noch ruft er in den Himmel, aber am Wohllaut desselben mag der arme Sterbliche abnehmen, wie herrlich und süß einmal der Ruf dorthin klingen wird. Diesmal zögerten die Leute nicht so unerträglich, wie es sonst der Fall ist, es war etwas, welches sie schneller in Bewegung setzte. Sie hatten alle ein gutes Vorurteil für Vreneli, es war allen lieb, ein solcher Verstand bei einer so Jungen sei selten, hieß es. Uli schien ihnen dagegen wohl streng und allzusehr den Meister zu machen. Sie meinten, einer, der selbst Knecht gewesen sei, sollte Verstand haben und begreifen, daß man sich nicht gerne zu Tode arbeite, das heißt nichts darnach frage, in einem Tage zu schaffen, woran man füglich zwei Tage trödeln könne. Es nahm sie nun aber doch sehr wunder, und darüber war die ganze Ernte durch gesprochen worden, wie Vreneli aufwarten und aufstellen werde: ob gehörig, daß man dabeisein könne, oder Speise und Trank apothekermäßig ihnen zugeteilt werden würden?

Als so rasch gerufen wurde, dachten sie: Von zweien ist eins; entweder geht es verdammt mager zu, oder verdammt brav hat Vreneli sich gestellt, denn fast die ganze Last lag ihm alleine ob. Die Neugierde, welches von den zweien der Fall sei, machte ihnen so rasche Beine. Sie kamen fast in die Stube wie Kinder ins Zimmer, wo zu Weihnachten ihnen beschert wird, bemerkten aber nichts Besonderes, es schien alles akkurat wie ehedem, so daß es ihnen ganz traulich und heimelig ward ums Herz und Einer zum Andern sagte: Er hätte geglaubt, das ändere hier, von wegen was einem recht und gut sei, das ändere, das Schlechte könne man behalten. Es sei aber nichts als billig, daß es einmal umgekehrt gehe. Das Beste und Schönste, was zu sehen war, war Vreneli, welches mit Freundlichkeit[40] und Sicherheit alles ordnete, für jeden ein gutes Wort hatte, jeden mit dem Hauche der Heiterkeit berührte, welches ein wunderbar Ding ist, aber die allerbeste Würze, ohne welche das reichste Mahl nichts ist als eine schädliche, gefährliche Abfütterung. Uli war es eigen zumute, es war das erstemal, daß er so gleichsam präsidierte und als Gastgeber eine Gesellschaft bewirtete und mit selbsteigenen Speisen; wer es gewohnt ist, tut es mit einem eigenen Behagen und einem gewissen Selbstgefühl, welches wir nicht Stolz nennen möchten. Uli tat noch linkisch, das Behagen kam erst später, aber er zeigte Geschick dazu, die Leute waren mit ihm zufrieden. Sie freuten sich auch der alten Frau, welche mit einer großen Schüssel Fleisch erschien und dann zu ihnen sich setzte. Besonders erquickte ihr Anblick die alten Tagelöhner, welche seit Jahren auf dem Hofe gearbeitet und in gesunden und kranken Tagen ihre milde Hand erfahren hatten. Da war keiner, der ihr sein Glas nicht brachte, wollte, daß sie ihm Bescheid tue. Wenn sie jedem seinen Willen hätte tun wollen, so wäre sie nicht bloß zwei Zentner schwer geblieben, sondern so schwer geworden, daß wenigstens zweimal vierundzwanzig Stunden lang ihre Beine sie nicht mehr hätten tragen können.

Da kam in die Herrlichkeit hinein die Botschaft, die Base solle heimkommen, Joggeli lasse es sagen. Diese Botschaft machte ungefähr den Eindruck, wie wenn in eine prächtig dampfende Fleischsuppe, nach welcher alle Löffel sich ausstrecken, plötzlich eine Kröte plumpsen würde. Nach Joggeli war schon mehreremal gesandt worden, aber Joggeli liebte es, Pfeffer in die Milch zu rühren; hintendrein hätte er ihn wohl wieder herausgefischt, aber dies ist nicht allemal mehr möglich. Als die Base aufstehen wollte, kam Vreneli und sagte: »Nit, nit, Base, was denket Ihr doch. Ich will hinüber zum Vetter und ihm die Mucken ausklopfen. Was gilts, in wenig Minuten bin ich mit ihm da.«[41]

»Bist immer die gleiche Hexe,« sagte die Base und lachte herzlich, und ein alter Tagelöhner sagte: »Frau, nicht für ungut, aber dem Alten wäre zu gönnen gewesen, Ihr wäret vor ein paar Jahren gestorben und er hätte Vreneli geheiratet. Wohl, die hätte ihn tanzen lassen, bis er gelernt hätte nach Gott schreien und es ihm verleidet wäre, andere Leute zu plagen und ihnen die Freude zu verderben.« Es war wirklich sonderbar, wie Joggeli Vreneli so wenig leiden mochte und doch durch niemand so regiert werden konnte wie durch Vreneli.

Es ging wirklich lange nicht zehn Minuten, so hatte das Fraueli den Alten knurrend und brummend auf den Beinen. »Warte,« sagte er, als er zur Türe des Stöckleins aus war, und ging in den Keller, welcher unter demselben war, kam mit einer großen Strohflasche herauf, welche mehrere Maß faßte, gab sie Vreneli und sagte: »Nimm die und schenke mir davon ein, habt heute Schmarotzer genug, möchte nicht auch noch euch in den Kosten sein.« »O Vetter,« sagte Vreneli, unwillkürlich oft von Mutwillen gestachelt, »das laßt euch nicht kümmern; der Hof mag das alles ertragen, und Vetter Joggeli kann einen Pächter erhalten, welcher alles auszurichten vermag, was einem stolzen Bauernorte wohl ansteht. Wenn der Pachtzins verfallen ist und das Geld ist nicht da, so vermag Vetter Joggeli zu warten oder gar zu schenken. Indessen, den Wein nehme ich doch gerne und mit gar großem Danke, allweg ist er viel besser als der unsere und es hat mir Kummer gemacht, wir könnten dem Vetter nicht recht aufwarten. Uli hat zwar angewendet und meint, er habe recht guten Wein, aber aufwarten könnten wir Euch doch nicht so recht damit. Johannes hat Euch allzusehr verwöhnt.« »Du hast immer das gleiche Schlangenmaul,« sagte Joggeli. »Aber warte du nur, dir wird es schwer werden, wenn du abweinen mußt, was du gelacht hast, und vergehen werden dir deine Flausen vor der[42] letzten Weihnacht.« »Nehmts nicht für ungut, Vetter,« sagte Vreneli, »weiß wohl, daß die Flausen vergehen werden, aber vertreiben soll man sie nicht, so wenig als die Muttermäler, sonst gehen Haut und Knochen damit weg. Aber kommt, alle verlangen nach Euch, alle fragen, wo der Bauer sei, ob krank oder sonst nicht recht im Strumpf, daß man ihn nicht sehe?« Was Joggeli hinter Vreneli her brummte, verstand es nicht, machte die Türe auf und sagte: »Seht, da hab ich ihn!« Nun entstand Lärm und Lachen, sehr fröhlich wurde Joggeli empfangen und von allen Seiten begrüßt und mit Gläsern bestürmt, daß er fast nicht wußte, wo wehren. Anfangs wußte er nicht recht, wie er das Lachen deuten solle, als aber alle so freundlich blieben und ihn als eine Respektsperson bewillkommneten, da ward ihm auch wohl; er fühlte sich als der Glunggenbauer, ließ sich obenansetzen und hart nötigen, bis er nach Speise griff, und wenig war, was er aß; er ließ es bei jedem Bissen durchblicken, daß er sie doch nicht in zu große Kosten bringen möchte.

Die Leute hatten tapfer gearbeitet, aßen nun auch tapfer und nicht mit der angebornen Gemächlichkeit, nicht viel anders als das Klappern der Löffel und Teller ward gehört. Doch nicht lange, so kam ihnen die Besonnenheit; sie gedachten, daß sie die ganze Nacht zum Essen hatten, und je langsamer sie es täten, desto mehr möchten sie und desto länger könnten sie. Da begann das Reden, und zwischendurch scholl Gelächter. Die Jüngern wechselten Witze, trieben Neckereien, die Alten erzählten die Heldentaten ihrer Jugend: wie Viele sie geprügelt und wie manchen Bauer, der gemeint, er sehe das Gras wachsen und höre die Flöhe husten, sie angeschmiert, und was der Dinge mehr waren. Dann schwatzten auch die Honoratioren unter einander, doch so laut wie drüben ging es nicht her. Lange machte hier Joggeli den Hauptredner und erzählte eine Menge Geschichten, wie es[43] Pächtern ergangen, ungesühnt Seuchen ihnen die Ställe geleert, Hagel die Ernte zerschlagen, daß ihnen nichts übrig geblieben sei, als in den Wald zu gehen und sich zu hängen an den ersten besten Baum. Er erzählte von andern, welche den Pachtherren bestohlen, die Milch von der Kuh, welche sie ihm futtern sollten, nicht halb gegeben, alles auf das Allerschlechteste ausgerichtet, hinterrücks Holz aus dem Walde verkauft, bis ihnen endlich der Bauer über die Schelmerei gekommen und sie mit Schimpf und Schande weggejagt, und wie sie Bettelleute geworden und ihr Brot vor den Türen hätten suchen müssen, da ihnen niemand mehr eine Pacht habe anvertrauen wollen. So erzählte Joggeli, legte ein Gedächtnis an den Tag wie eine Heuscheuer, bis ihm endlich seine Frau sagte: »Jetzt schweig mir bald mit deinen Lausgeschichten, du könntest einen zu fürchten machen, daß sie einem im Traum vorkämen.« Vreneli aber, welches dem Vetter, seit er in der Stube war, auch nicht eine witzige Antwort gegeben hatte, sondern die artige Wirtin machte, als ob es in einer sechshunderttalerigen Pension gewesen, sagte: »Laßt den Vetter reden, Base, ich habe ihn lange nicht so kurzweilig gesehen, ich könnte ihm zuhören bis am Morgen, es schläferte mich nicht.« Jä, so hatte es Joggeli nicht gemeint, an Vrenelis Kurzweil war ihm wenig gelegen; er brach daher mit seinen Höllengeschichten ab und machte sich zu den ältern Tagelöhnern. Hier hörte er eine Zeitlang zu, gab selbst Einiges zum Besten, freilich keine Heldentaten, denn von einem Helden hatte Joggeli kein Haar an sich, aber pfiffige Streiche: wie er sich aus der Patsche gezogen und Andere hineingestoßen. Er erregte viel Gelächter, daß selbst die Jüngern ihre Ohren ihm zuwandten, denn Fuchsenstreiche sind leider eine beliebte Speise für alte und junge Ohren von je gewesen und werden es bleiben, leider.

»Ach ja,« sagte er endlich, »selbe Zeit war eine lustige Zeit,[44] da hatte man noch Zeit hie und da zu einem lustigen Lumpenstücklein und meinte nicht, es müsse alles in einem Tage erhastet und erjagt sein.« Er erinnere sich noch an die Zeit, in welcher man mit der Sichel das Korn geschnitten; langsam sei es gegangen, aber lustig. Schnitter und Schnitterinnen seien aus dem Berglande gekommen scharenweise wie Rinderstaren im Herbst. Ganze Haufen hätte ein einziger Bauer angestellt und doch so drei bis fünf Wochen zu ernten gehabt. Da sei man nicht so müde geworden wie jetzt, wo man am Abend kein Glied mehr rühren möge. Er wisse, daß man oft nach dem Feierabend noch bis gegen Mitternacht getanzt hätte im Grase oder in der Tenne. Unter der Schar sei immer einer gewesen, der ein Tänzlein hätte pfeifen können auf dem Blatte oder sonst, und nicht selten hätten die Schnitter neben der Sense eine Geige mitgebracht oder eine Zither. »Jetzt ists mit Pfeifen und Tanzen aus und es kommt noch die Zeit, wo man in einem Tage alles macht. Ja ja, die Leute werden alle Tage gescheuter und abgerichteter auf ihren Nutzen. Wann habt ihr angefangen, und seid schon fertig?« frug Joggeli mit einem andächtigen Seufzer. Auf erhaltene Antwort sagte er: »Das ist nie erhört worden, und wenn man das früher jemanden gesagt hätte, er hätte gesagt, es fehle einem im Kopfe. Aber Uli ist auch ein Ungeheuer zum Arbeiten, es geht ihm von der Hand, ich habe noch niemand so gesehen. Wenn ihr es von ihm lernet, so kömmt es euch in alle Wege kommod.« Nun schlug er Ulis Ruhm auf dieser Saite in allen möglichen Variationen an, bis ihm die Base, welcher es katzangst dabei ward, rief, sie möchte ihn was fragen. Ob es nicht Zeit wäre heimzugehen, meinte sie, es sei über Mitternacht? Als Joggeli nicht Lust bezeigte (wahrscheinlich hatte er wieder was Neues, Interessantes im Kopfe), warf sie so hin: Man könne nie wissen, aber es gebe schlechte Leute in der Welt und zwar immer mehr; wenn die merkten, daß der Stock leer und alles[45] hier sei, so könne sie die Lust ankommen, nachzusehen, ob sie drinnen nicht was fänden, welches ihnen anständig sei. Jä wohl, das wirkte und machte Joggeli Beine. Wenn sie es erzwungen haben wolle, so sei es ihm am Ende gleich. Obgleich nun Uli und Vreneli einredeten und von seiner Flasche mit Wein sprachen, welche noch nicht halb leer sei usw., so hatte er doch kein Bleiben mehr; die Alte hatte ihm den schwachen Punkt berührt, sie kannte den so gut wie ein Husar den Fleck an seinem Pferde, wo man es nicht anrühren darf, wenn es nicht hinten und vornen ausschlagen soll. Nachdem Beide abgegangen, ward es einförmiger am Mahle, wenn auch lärmender mehrere Stunden lang. Zuweilen legte einer den Kopf auf die Arme und schlief; wachte er wieder auf, so trank er erst ein Glas Wein, dann begann er zu essen, als komme er neu zum Tisch. Andere gingen hinaus; was sie trieben, wissen wir nicht, aber kamen sie wieder, so aßen und tranken sie ebenfalls so, als hätten sie noch sehr wenig gehabt. Wenige blieben sitzen, als wären sie da fürs ganze Leben angenagelt; es waren die Veteranen, welche an fünfzig Sichelten sich die kaltblütige Ruhe erworben hatten, welche imstande ist, vierundzwanzig Stunden lang, wenn es sein muß, zu essen und zu trinken, ohne je zu viel zu kriegen. Aber furchtbar langweilig wurden sie und schienen nur dar, auf zu horchen, ob sich die verschluckte Masse nicht setzte, so daß sie einen Bissen hinunterschieben und einen Schluck nachtrinken könnten. Dazu kam nun allgemach der Tag herauf, und nicht leicht was Grausigeres gibt es, als wenn der Tag durch die Fenster kömmt, hinter welchen herabgebrannte Lichter glimmen, Tabaksqualm schwer über grauen, blassen Menschen mit gläsernen Augen liegt, über Menschen, welche essen, trinken, rauchen, reden, singen, aber alles in unsäglicher Schwerfälligkeit und Langsamkeit wie im Traume, zu nichts mehr tauglich sind, nicht einmal zum Aufstehen[46] und zu Bette zu gehen. Ja das ist wüst, aber nicht bloß so einfach wüst, sondern gleichzeitig eine Geduldprobe; für den Wirt, und besonders wenn er bloß Pächter ist, kann kaum eine ärgere erdacht werden. Er muß also aushalten, vielleicht geht auch seine Frau ins Bett, da sie zur Zeit wieder auf dem Platz sein muß, um das Mittagsmahl zu bereiten, während der Mann schlafen kann, bis es auf dem Tische steht. Er ist müde von der Arbeit, schläfrig von kurzem Schlafe in vergangener Zeit, hat Wein getrunken, eine Nacht ganz durchwacht und sitzt da und sieht den Tag kommen, sehnt sich nach dem Bette, dorthin zieht es ihn mit Himmelsgewalt, aber da herum sitzen noch die Angenagelten und nageln auch ihn fest.

So wie der Tag kam, kam es Einen nach dem Andern an wie die Eulen: er suchte die Finsternis, nachdem er noch in sich geschafft hatte, was die Haut ertragen mochte; aber die alten verpichten Häute bleiben und der Wirt muß auch bleiben. Es sieht der Gastgeber, daß sie sich offenbar Gewalt antun, dazubleiben, zu essen, zu trinken, daß sie es ihm offenbar zum Trotz tun, nicht bloß um ihm so wenig als möglich übrig zu lassen, so viel als möglich abzuessen, sondern um ihn zu peinigen mit dem Dableiben, ihn zu versuchen, daß er ungeduldig wird, endlich in die Worte ausbricht: »Es dünket mich, ihr solltet einmal genug haben und euch ins Bett packen, das würde euch wohl anstehen, und schöner als dort seid ihr nirgends.« Dann hätten sie, was sie wollten, würden einige spitzige Worte sagen, gehen, aber dann während ihrer ganzen übrigen Lebenszeit an jeder Sichelten und sonst noch bei jedem Anlasse es rühmen, wie sie es einmal dem Meister gemacht, was er gesagt und was sie gesagt.

Das Aushalten in Ruhe und Würde hat etwas Ähnliches mit dem gelassenen Aushalten eines indianischen Häuptlings, welcher von einem feindlichen Stamme langsam dem Tode[47] entgegengemartert wird, um schließlich skalpiert zu werden. Was dabei das Unerträglichste, ist, daß solche Peiniger sehr oft nicht etwa die schlechtesten Arbeiter sind oder die feindseligsten, sondern die fleißigsten, mit denen man das Jahr durch im besten Verhältnisse gestanden hat, von denen man freundschaftliche Rücksichten erwarten sollte, ein Eingehen in des Meisters Pein. Aber es ist, als ob sie einmal des Jahres genießen wollten, Herren zu sein, den Meister zum Knecht zu haben, ihn ihre Laune empfinden zu lassen so recht bis auf den Grund. Ein ganz ähnliches Gefühl herrscht da vor, welches bei den Römern das merkwürdige Fest erzeugte, wo die Herren ihre Sklaven bedienten, als seien diese zu Herren, sie zu Sklaven geworden. Darin lag Sinn und Witz und beide tief; die Herren sollten ein ganzes Jahr lang nicht vergessen, daß ein Sklave fühlt und wie er fühlt, die Sklaven sollten im Glücke dieses Tages ihr Elend vergessen, nicht vergessen, daß sie Menschen seien und den Göttern angehörten so gut als ihre Herren. Nun, so an einer Sichelten erfährt auch der Berner Bauer, was es heißt, von Launen abhängen, aus der Haut fahren mögen und es nicht dürfen.

Uli mußte aushalten bis morgens halb sechs. Da erst sagte der Letzte: Wenn niemand mehr bleiben wolle, so werde er auch gehen müssen, sonst müsse er aber der Unverschämteste heißen und wäre ihm doch noch wohl da. Es dünke ihn, er sei erst abgesessen. Indessen ging er und zwar so, daß man wohl sah, er müsse eine geraume Zeit abgesessen gewesen sein, denn er fand die Türe kaum, und als er sie endlich hatte, sah er die Türklinke nicht, obgleich die Sonne daran schien. Uli hatte die Geduldprobe männlich bestanden, aber nicht aus selbsteigener Kraft. Der liebe Gott hatte zur Geduld den Schlaf gesandt; dieser, wenn in Uli der Zorn aufbrennen wollte, drückte ihm rasch die Augen zu, lähmte die Zunge, gaukelte ihm ein klein Traumbild vor, dann wich er wieder.[48]

Uli fuhr auf, aber erfrischt, als hätte er ein kühlend Bad genommen. Die Nerven hatten sich abgespannt, das Sieden des Blutes sich gelegt, eine halbe Stunde konnte er sich wieder halten, dann brannte es wieder in ihm, dann kam der Schlaf wieder, kühlte ihn rasch ab; so gings, bis er endlich vom letzten wüsten Gaste erlöset war.

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 2, Zürich 1978, S. 23-49.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Uli der Pächter
Uli der Pächter
Uli, der Pächter (Birkhäuser Klassiker)
Uli, der Pächter: Eine Erzählung (Birkhäuser Klassiker)
Uli der Pächter
Uli der Pächter

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Jenny

Jenny

1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon