Fünftes Kapitel

[75] Kraut und Rüben durcheinander, wie es sich gibt in einer Haushaltung


Uli wurde von so freundlichem Winde nicht angeweht, sondern blieb sich selbsten überlassen. Ihn dünkte, er hätte nicht bloß recht in der Sache, sondern er müsse einmal zeigen, daß er auch jemand sei und zwar eigentlich der Mann, der die Hosen anhabe. Wenn er das immer so gehen ließe, so könnte seine Frau zuletzt ein Recht daraus machen wollen und meinen, er solle zu keiner Sache was sagen. Zu solchen Ansprüchen berechtige sie doch endlich ihr Vermögen nicht; was sie eingebracht, habe an einem kleinen Orte Platz. Er nahm da, her das Gespräch über das Gesinde nicht wieder auf, nahm Vrenelis Freundlichkeit mit dem Mißtrauen, als ob es auf diesem Wege probieren wolle, was es auf dem andern nicht zuwege gebracht. Da er sich auf dieser Seite schwach fühlte, so verpalisadierte er sich mit desto düstererer Miene.

Noch ungerner als mit Vreneli sprach Uli mit dem Gesinde selbst darüber, nur daran zu denken war ihm zuwider. Es waren eine gewisse Schüchternheit und eine gewisse Unbehülflichkeit bei einander, von wegen nicht bloß Meister zu sein, sondern sich auch als Meister darzustellen auf die rechte Weise und in allen Dingen, ist eine Kunst, zu welcher viele alte Bauern nie gelangen; wie sollte man sie von einem jungen Pächter fordern können, der erst noch selbst Knecht gewesen? Darüber wurden die Knechte ungeduldig. »Hat er mit dir gesprochen?« frug einer den andern, »dich gefragt, ob du bleiben oder gehen wollest?« Der eine der Knechte sagte: »Ich halte ihm nicht an, mein Brauch war es nie, daß ich um den Dienst fragte; der Meister mußte mich fragen, und frägt er[75] mich bis Sonntags nicht, so sage ich dem Kabismüller zu. Es ist ein schwerer Dienst, aber der Lohn auch darnach, und verdienen muß man, während man jung ist.« Ein anderer sagte: »Wollte nicht pressieren, er wird das Maul schon noch auftun; mir wäre es zuwider fort, wechsle nicht gerne.« »Wartet, am Samstag soll ich mit dem Meister Spreu holen, da gibt vielleicht ein Wort das andere.« »Meinethalb,« sagte der andere, »aber daß es mir viel machen würde, weiterzudingen, kann ich nicht sagen. Er ist nicht mehr der Gleiche. Man kann nicht genug schaffen, und doch ist er nie recht zufrieden. Es dünket mich, er habe schon vergessen, was ein Knecht gerne oder ungerne hat, und meint, er müsse aus Äckern und Wiesen, Vieh und Menschen das Äußerste, das letzte Tröpflein Saft herauspressen, damit er ein reicher Mann werde. Bloß wegem Zins hätte er das nicht nötig. Wie ich habe merken mögen, ist der so, daß er deswegen keinen Kummer zu haben braucht. Warum nun alle bös haben sollen, um einen zu mästen, weiß ich eben auch nicht, es wäre ein Anderes, wenn Not am Mann wäre.« »Oh,« sagte der Erste, »so viel wirst doch nicht zu klagen gehabt haben, einmal wegen der Speise nicht, die ist, wie man sie nicht an allen Orten antrifft.« »Einstweilen wohl« sagte der Erste, »aber ob es so bleibt, frägt sich. Was ich merken mochte, nimmt man aus der Metzg alle Samstag ein Pfund bis zwei weniger Fleisch, und in letzter Woche hatten wir zweimal keine Milch auf dem Tisch, und bin ich recht berichtet, so mußten sie vorgestern dem Brot erst den Bart abmachen, ehe sie es auf den Tisch stellen konnten. Wenn es so käme, so wäre dies mir nicht anständig, von wegen ein Jahr ist lang und aus dem Jahr zu laufen, ist nicht meine Sitte.« »Man muß nicht immer das Bösere glauben, und mit dem grauen Brot kann das allenthalben geschehen; am Geschmack merkte man nichts, und der Müller kann vielleicht auch noch daran schuld sein.[76]

Die Haglen netzen manchmal das Mehl, daß man Schneeballen daraus machen kann oder es als Mehlsuppe brauchen, ehe es noch in der Pfanne ist,« entgegnete der Erste.

Am Samstag also fuhren sie nach Spreuer aus und luden in Bern an der Matte ein gewaltig Fuder. Spreuer war sehr wohlfeil und die Müller froh, wenn er ihnen aus dem Wege kam. Manchmal wird er rar, ist schwer und teuer zu bekommen, wenn man ihn am nötigsten hätte. Mit dem Spreuer unter den Menschen ists umgekehrt, da wird er am teuersten, wenn er am zahlreichsten ist, da schätzt er sich dann selbst und zwar wie ein Jude seinen lumpichten Trödel. Obgleich Uli wohlfeilen Spreuer kaufte, so war er doch sehr übler Laune. Der Müller hatte ihn aufgezogen, wie wohlfeil der Bauer das diesjährige Korn werde geben müssen; da sollten sie nicht Kummer haben, daß sie die Zeit versäumen müßten, Müller in ihre Spycher zu führen, um das Korn zu zeigen. Da versetze wahrlich kein Müller einen Fuß. »Die Bauern können zu uns kommen, es vor das Haus bringen, das beste wollen wir auslesen, uns noch sehr bedenken, ob wir für das Malter drei Taler geben wollen.« Uli wollte das in Abrede stellen, behaupten, die Preise würden eher steigen als fallen. »Pah, pah, Junge, belehre einen Alten nicht, stehe zuerst ein paar Jahre an der Sonne und lasse dich trocknen hinter den Ohren,« sagte der Müller. »Die Spycher sind ganz voll altes Korn, neues wird es geben, es weiß kein Mensch wie viel, und auf der Straße nach Deutschland hanget ein Schwab am andern, jeder hat einen vierspännigen Wagen voll Korn und man sagt, sie würden bald den Leuten anhalten, um Gottes willen umsonst es ihnen abzunehmen, nur damit sie Platz kriegten für das neue draußen im Schwabenland. Jetzt wollen wir den Bauern die Preise machen, sie haben uns lange genug das Blut unter den Nägeln hervorgepreßt.«

Wer mit Metzgern, Müllern und Schweinhändlern Umgang[77] zu haben das Glück gehabt, kennt diese Sprache wohl und weiß sie zu erwidern in ähnlicher Tonart. Indessen macht sie doch Eindruck. Ein alter Pfiffikus weiß alsbald, was an der Sache ist, bleibt kaltblütig und richtet sich darnach. Jüngere, zartere Gemüter, wie zum Beispiel Uli noch eins hatte, die empfinden den Eindruck solcher Reden nicht bloß, sondern sie können ihn auch nicht verbergen. Je weniger sie das können, desto größere Freude hat so ein alter Müller oder Metzger, ihnen recht heiß, sie so ganz klein zu machen, daß er sie füglich in einen Darm stoßen und als Bratwurst präsentieren könnte. So machte es auch der Müller Uli, daß der ganz mürbe und klein von ihm wegging und dachte, wie er doch der Unglücklichste sei und das doch so schrecklich sich treffen müsse, daß er eine Pacht übernommen, jetzt wo das Korn nichts gelte, ja Schwaben es ins Land brächten und anhielten um Gottes willen, daß man es ihnen abnehme, nur damit sie daheim Platz kriegten für das neue.

Daß es nicht halb so schrecklich sei, zu ernten hundert Malter statt nur fünfzig und die hundert Malter einen Drittel wohlfeiler zu verkaufen, daran dachte Uli nicht. Uli dachte nicht, daß das das Schrecklichste ist, wenn man nichts geerntet, nichts hat als einen Tisch voll hungriger Leute und doppelt so teuer als sonst das Brot ist. Er kalkulierte wie die Meisten und dachte nicht, wie töricht, ja sündlich ein solcher Kalkul ist. Er kalkulierte, daß er am weitesten kommen täte, wenn er recht viel Korn mache und es recht teuer verkaufen könnte. Um die, welche es kaufen müßten, kümmerte er sich nicht, aber daß es nun nicht gehen wollte, wie er dachte, nicht alles Wasser alleine auf seine Mühle laufen wollte, das zürnte er schrecklich an Gott und Menschen.

Der arme Knecht, welcher in diesem Augenblick sein Nächster war, mußte es zuerst entgelten. Es ist sonst Sitte, daß man bei solchen Gelegenheiten sich und dem Knechte so einigermaßen[78] gütlich tut, ein ordentlich Mittagessen macht, ohne sich eben aufwarten zu lassen. Der Knecht erwartete auch nichts anders, besonders da man den Spreuer fast umsonst erhalten. Da kann man denken, wie ein lang Gesicht er machte, als Uli, gefragt, was er verlange, hastig sagte: »Eine Flasche Wein und Suppe!« »Und Fleisch nachher?« fragte die Wirtin. »Ho,« sagte Uli, »wenn man eine gute Suppe hat, so kann man es schon machen, es wäre Mancher zufrieden, wenn er alle Tage eine hätte!« Die Wirtin hatte schon mehr mit Bauern zu tun gehabt, sie trat nicht weiter ein, sondern fragte: »Was für Wein soll ich bringen?« »Sechsbatzigen«, sagte Uli, »der ist gut für den Durst und es macht heiß!« »Potz,« dachte der Knecht, »das geht mager zu.« stopfte sein Pfeifchen, um nachzubessern, und machte ein tiefsinniges Gesicht. Wein und Suppe kamen; mit eingestützten Armen wartete die Wirtin, bis die letztere halb gegessen war, dann fragte sie: »Fleisch werde ich doch auch bringen sollen? Hätte Voressen, bsunderbar schöns Rindfleisch und Speck zum Kraut, wie es üblich und bräuchlich ist, wenn man weit herkommt, weit heim muß. Wenn man läuft, so ist so ein Süpplein gleich runter, und so z'leerem z'laufen oder z'fahren ist nicht gut, man ist gar übel dabei.« »Magst, so sags,« sagte Uli zum Knecht. »Es ist nicht an mir zu befehlen,« sagte der Knecht, »wer zahlt, der befiehlt.« Auf dieses Wort hin machte die Wirtin rechtsum und sagte: »Ich hole, Ihr seid gewiß nicht reuig. Daneben könnt ihr immer noch nehmen oder nicht, wie es Euch beliebt.« Nun machte Uli ein tiefsinnig Gesicht, und als die Wirtin brachte reichlich, gab es ein seltsam Hin- und Herschieben der Herrlichkeiten. Keiner wollte zuerst nehmen. »Kannst nehmen, wenn du magst,« sagte Uli. »Es ist nicht, daß es sein muß, kann es sonst auch machen. Allweg nehme ich nicht zuerst,« sagte der Knecht, und das Ende vom Lied war, daß Beide böse wurden: Uli,[79] weil er mehr gebraucht, als er gedacht, der Knecht, weil er sah, wie ungern es ging.

Es ist sehr leicht, bei solchen Gelegenheiten an einem Knechte drei Batzen zu ersparen, aber sehr schwer zu berechnen ist es, wie groß der Schade werden kann, welcher aus drei ersparten Batzen erwächst.

Der Knecht muckelte stark im Gemüte und war anfangs willens, dem Meister das Wort nicht zu gönnen, denn wenn es so seinen Fortgang haben solle, so sei am wohlsten, wer am weitesten davon weg sei. Indessen der Abend war so mild und lieblich, daß sein Schimmer unwillkürlich die düstersten Gemüter verklärte, wie ja auch die untergehende Sonne die schwärzesten Berge vergoldet. Uli hatte die Zeche verwunden und sprach mit dem Knechte erst über die Rosse, dann über die Arbeit der nächsten Woche, die vorzunehmende Ansaat usw. Dem Knecht war es auch nicht mehr so säuerlich ums Herz; der Wüstest sei er doch noch nicht, dachte er. »Und, Uli,« sagte er, die Pfeife ausklopfend, »was bist Vorhabens wegen den Dienstboten? Solls beim Alten bleiben, oder willst ändern,« Da fuhr eine Wolke über die Sonne, und Uli sprach: »He nun, weil du davon anfängst, so will ich dir sagen, was ich gedacht. Ein Bauer und ein Pächter sind zweierlei, selb weißt. Anständig wäret ihr mir, gegen Keinen habe ich was, aber mit den Löhnen mag ich nicht gfahren, besonders wenn das Korn nichts giltet und ein Schwab am andern hängt vom Bodensee bis nach Zürich, wie mir der Müller gesagt hat. Wenn ich es, weil die Zeitläufe bös sind, mit weniger Lohn machen könnte, so begehrte ich nicht zu ändern.« »An selb denk nicht,« sagte der Knecht, »mehr arbeiten und weniger Lohn reimt sich nicht, und zu uns selbst müssen wir auch sehen, es tuts niemand anders. Eher solltest du noch mit dem Lohn nach; wenn man jung ist, so muß man sehen, daß man zu etwas kömmt,[80] und für den alten Mann sorgen, selb hast du uns oft gesagt und wie dich dein früherer Meister darüber berichtet.« Er habe nichts dagegen, sagte Uli, aber das Gleiche gelte für ihn auch. Er müsse sehen, wie er den Zins aufbringe, daneben Steuer und Brauch ausrichte, da helfe ihm auch niemand, und was das heiße, stelle sich niemand vor, als wer es erfahren. Wenn das Korn nicht mehr gelten solle als drei Taler das Malter, so wüßte er nicht, wie das gehen solle. »Aber meinst du dann, mit wohlfeilen Knechten gewinnest du was?« antwortete der Knecht. »Zwischen einem Schuhmacher, der des Tages einen Schuh macht, und dem, der ein Paar macht, ist ein Unterschied, und so auch zwischen einem Weber, welcher zehn Ellen, und dem, welcher sechs Ellen wibt, selb weiß man. Aber bei einem Knechte will man das nicht wissen, man sieht nur den Unterschied im Lohn und meint, der Unverschämtest fordere auch am meisten, und doch ists ebenso wie bei den Handwerkern. Auch in der Arbeit ist ein Unterschied, denn Weben und Weben sind zwei, und zum Beispiel Mähen und Mähen auch. Daneben mach, was du willst, es ist deine Sache; du wirst bald genug erfahren, wie es gehen kann, wenn du es schon vergessen hast.« »Mit Schein rechnest du den Meister nichts,« sagte Uli gereizt. »Ein guter Meister macht mit wohlfeilen Knechten mehr als ein schlechter Meister mit guten Knechten. Es ist schon aus manchem Klotz ein rechter Bursche geworden, wenn ihn ein guter Meister recht auseinandernahm.« Darwider hätte er nichts, sagte der Knecht, wenn er es probieren wolle, so solle er es machen. Gehört hätte er zwar nie, daß einer aus einem Zwilchsack einen Sammetrock gemacht oder aus einem Kalbe einen Hengsten.

Hier wurden sie unterbrochen, und das Gespräch ward nicht wieder angeknüpft. Die Folge davon ward, daß die zwei besten Knechte andere Plätze annahmen, welche ihnen[81] längst angeboten waren. Uli vernahm dieses alsbald, denn es ist eine gar rege Aufmerksamkeit unter dem dienenden Volke um diese Zeit, sie visieren und gucken nach guten Plätzen schärfer noch als auf ihren Sternwarten die Astronomen nach neuen Kometen und derlei Dingen. Da kamen die Bursche daher, und einer gab sich für einen Karrer aus, ein anderer für einen Melker, redeten, als kämen sie vom Himmel her, und gebärdeten sich, als seien alle Fürstentümer und Gewalten über Kühe und Pferde unter ihre Füße getan. Von diesen hörte dann Uli, der sich über das Geläufe für bestimmte Plätze wunderte, sein Karrer hätte zum Kabismüller gedungen und sein Melker in den Krautboden. Das machte ihn böse, daß sie dieses getan, ohne mit ihm zu reden, ihm das Wort zu gönnen. Er dachte nicht daran, daß er es akkurat so gemacht hatte, daß gute Knechte ihr Bewußtsein haben, sich weder am Lohn abbrechen lassen noch um Plätze betteln. Er hielt es ihnen nicht vor, aber gab ihnen kein gut Wort mehr und suchte andere Knechtlein, aber so wohlfeil als möglich.

Wer Landmann ist, weiß, welche verhängnisvolle Zeit der Herbst ist, wie man alle Hände voll zu tun hat, eigentlich gar nicht in das Bett sollte oder es machen, wie man von reichen Bauern zu Raxligen erzählt: sie hingen, wenn sie zu Bette gingen, ihre Hosen an die Stange auf, welche um den Ofen läuft, aber sobald die Hosen aufhörten zu blampen, stünden sie wieder auf und machten sich frisch an die Arbeit. Im Herbst ists nun Not, daß alles flink sich rührt und geschickt in die Hände arbeitet, Menschen und Vieh. Schmollen aber Meister und Dienstboten, gönnen sich die Worte nicht, dann hat es gefehlt, dann harzet es überall und es ist, als ob die Glieder der Arbeitenden mit Blei gefüllt wären. Vreneli machte gut, so viel es konnte, mußte aber oft die Augen trocknen, wie Uli unwirscher wurde, damit aber die Arbeit nicht förderte. Es wäre sonst ein so gesegneter Herbst gewesen, aber was[82] ist aller Segen des Landes, wenn die Gemüter nicht gesegnet sind mit Frieden! Es war viel Obst, und da Uli das Holz zum Dörren nicht zu kaufen brauchte, sondern Holz nach Notdurft zur Pacht hatte, so ward ein reicher Vorrat für Fehljahre gesammelt. Erdäpfel gabs, daß man sie kaum unterzubringen wußte, Rüben und Möhren wie sonst selten. Man hätte ganze Fuder zu Markte führen können, wenn man entbehrliche Leute und Rosse gehabt hätte. Indessen löste Uli doch schön Geld aus der sogenannten Stümpelten, weit mehr, als er sich vorgestellt hatte. Auf jedem Gute sind nämlich Hauptprodukte, auf welche man hauptsächlich und alle Jahre zählt: Heu, oder wo das Heu abgefüttert wird, Käs oder Milch oder Korn oder Vieh. Dann gibt es noch eine Menge Nebensachen, welche zugleich zufällig sind, Obst zum Beispiel und Erdspeisen, das heißt Speisen, die in der Erde wachsen: Erdäpfel, Kohl, Rüben usw., Hanf, Flachs, in unsren Gegenden auch Ölpflanzen, welche anderwärts zu den Hauptprodukten gehören. Je besser nun ein Gut bewirtschaftet wird und je besser namentlich die Frau ist, desto mehr wird auf diese Weise gleichsam so nebenbei gewonnen. Es wird gar manche Frau hoch gerühmt über ihr Geschick, aus der Stümpelten ein bedeutend Geld zu machen, indem sie alles zu Ehren zu ziehen weiß und es zu Nutzen bringen kann, während andere Weiber nichts zu machen wissen, das Entbehrliche weder bemerken noch an Mann zu bringen wissen, es brauchen, wenn und wie der Gebrauch es mit sich bringt, oder es sich selbst überlassen, wenn sie es nicht selbst brauchen können. Das sind die Weiber, denen das Denken eine Pein ist oder die ihre Gedanken allenthalben haben, nur nicht bei ihrem Hauswesen. Dies macht natürlich einem Mann einen bedeutenden Unterschied, ob seine Frau die Kleinigkeiten alle zu verwerten verstehe oder nicht. Auf größern Gütern kann es in die hundert Gulden gehen.[83]

Vreneli nun verstund das Ding vortrefflich und machte es dem Uli doch nicht ganz recht; es ging nach dem Sprüchwort, daß über dem Essen der Appetit wachse. Uli freute sich des schönen Geldes, aber er hätte lieber noch einmal so viel gehabt. Vreneli war eine von den altväterischen Seelen, welche gerne Vorräte haben im Hause auf mehr als einen Tag, welche gerne die Schränke füllen mit Leinenzeug, Andenken guter Jahre. Vreneli meinte, sie sollten anfangen zu sorgen, daß sie eigenes Bettzeug hätten in alle Spiel, nicht an Joggelis gebunden seien, oder wenn sie einmal hier wegkämen, dann alles auf einmal anschaffen müßten. Fange man frühe an, so komme man weit, und anfangen müsse man in guten Jahren, wie sie jetzt eines hätten, da merke man es nicht, weil man sonst kommen möge mit dem Gelde.

Aber Uli ärgerte sich fast an allem, was über das Notwendige hinaus im Hause blieb. Geld zu machen, daß man sich in alle Spiele kehren könne, selb sei die Hauptsache, meinte er. Für das Haus könne man noch lange sorgen, wenn Gott einem das Leben lasse; das wäre gut, daß man sein Korn nicht verkaufen müsse, wenn es so wohlfeil sei, sondern den Zins sonst machen könne. Nun gab Vreneli etwas nach, und etwas machte es nach seinem Kopf. Da ist aber keine rechte Freudigkeit, wenn Eines hieraus zerrt, das Andere dortaus, das Eine als Beute betrachtet, was es erzerrt, das Andere als Raub, was man ihm abgezerrt.

Vreneli zog die Base zu Rat, ob es nicht gut wäre, einmal verflümert abzustellen und aufzubegehren, daß Uli wüßte, woran er sei, und daß es sich bei solchem Schaffen und Sorgen doch nicht meistern lasse wie ein klein Kind. »Mach es nicht,« riet die Base. »Was trägt es dir ab? Kannst etwas an Vorräten erobern und etwas an Bettzeug, und wenn dir dann die Mäuse darüber kommen, was hast du dann davon? Hundert Jahre, wenn ihr das Leben habt, mußt du es noch hören.[84]

Fahre in Gottes Namen fort, wie du angefangen hast, und verkauft er dir noch mehr, so lasse es auch geschehen; denke, an einigen Ellen Leinenzeug und einigen Metzen Obst hängen Heil und Seligkeit nicht.« Während die Base so sprach, strich Joggeli um ein Wägelchen herum, welches geladen wurde, um auf den Markt gefahren zu werden. »Ja, ja,« sagte er. »so ist es recht, das müßte mir auch verkauft sein, und je mehr je lieber; die Weiber sehen es freilich nicht gerne, wollen Vorräte haben, aber wofür? Um die gute Frau zu machen oder einen Kreuzer Geld, von dem der Mann nichts weiß. Meine Frau hat mir damit geschadet, es weiß kein Mensch wie viel, und Vreni wird wohl von ihr was davon gelernt haben. Daher hast recht, gleich anfangs zu zeigen, wer Meister ist und welchen Weg es gehen muß. Das Geld wirst brauchen können, allweg fressen es die Mäuse nicht, und die Motten kommen nicht darein.« Solche Reden gefielen natürlich Uli wohl, stärkten seinen Glauben an Joggelis Wohlmeinenheit, an die Notwendigkeit, den eigenen Willen durchzusetzen, und in der Ansicht, Geld machen sei unter allen Künsten die erste und dringlichste.

Als Weihnacht kam, hatte Uli wirklich ein schön Stück Geld aus all der Stümpelten gelöst, weit, weit über den Bedarf zu den Gesindelöhnen, und doch war es keine fröhliche Zeit, und das Neujahr war ebenfalls kein heiteres. Es ist oft der Fall, daß wenn man Dienstboten ändert, man den Wendepunkt, wo die alten aus-, die neuen einziehen, nicht er, warten mag und zwar beidseitig nicht. Das Verhältnis ist so giftig geworden, daß man sich nicht bloß kein gut Wort mehr gibt, nicht bloß zornig wird, wenn man sich sieht, sondern sogar, wenn man sich aus der Ferne husten hört. So war es aber in der Glungge nicht, im Gegenteil; als der Zeitpunkt rückte, wo geschieden werden müßte, mochten beide Teile nicht gerne daran denken, hätten gerne dem Rade der[85] Zeit den Hemmschuh untergelegt. Selbst Uli kam es jetzt, er hätte sich doch vielleicht den unrechten Finger verbunden, allweg habe er sich eine schwere Bürde aufgeladen und Jahre werde es gehen, ehe er aus den Klötzen, welche er angestellt, ordentliche Knechte herausgehauen und zurechtgemeißelt. Begreiflich gestand er es nicht, nicht einmal vor sich selbst wollte er so recht den Namen haben, daß es ihm so sei. Den Knechten ging es ähnlich, sie verließen ungern die Glunggen, zeigten es jedoch nur Vreneli, wie es ihnen war und daß sie wohl wüßten, wenn es nach seinem Kopfe gegangen, sie beisammen geblieben wären. Äußerlich hatten alle das Aussehen, als ob sie sich bitterlich haßten, aber innerlich war bloß ein Grollen, und zwar ein Grollen, daß man von einander mußte und zwar ohne Notwendigkeit, sondern weil jeder einen aparten Kopf hatte und Uli den allerapartesten, gespickt mit Joggelischen Brocken.

Abgehende Dienstboten feiern, wie bekannt, das Neujahrsmahl noch mit, es ist das Abschiedsmahl, nach welchem sie weiterziehen auf ihrer Pilgerreise nach einer neuen Station. Viele essen und trinken da noch zum Platzen, um die alten Meisterleute zu ärgern und von ihren Rechten den ausgedehntesten Gebrauch zu machen, und leben doch am besten am Gedanken, wie zornig sie ihre Meisterleute verlassen. Das ist auch ein wüst Zeichen der verkehrten Natur der Menschen, eine wahre Teufelsüchtelei. So gings in der Glungge nicht, man war karg mit den Worten, mit Essen und Trinken ging es auch nicht recht, wie sehr Vreneli nötigte. Daher kam die Offenheit nicht, welche der Wein manchmal bringt, die frostigen Bernernaturen tauten nicht auf, kurz machte man die Sache und düster zog das Jahr auf der Glungge ein, und als am folgenden Morgen die Abgehenden Abschied nahmen und sagten: »Lebet wohl und zürnet nüt«, waren die Gesichter auch düster, doch war keine Stimme, die nicht gebebt[86] hätte, wenn sie Vreneli sagte: »Leb wohl und zürne nüt.« »Leb wohl«, sagte dann Vreneli, »und wenn du vorbeigehst, so komme ins Haus und berichte, wie es dir geht. Hörst, und vergiß es nicht, ich zürnte es, wenn du es nicht tätest. Je besser es dir geht, desto mehr wird es mich freuen. Aber es ist keine Gefahr um dich; stellst dich gut, so gehts dir gut; gibts dir etwas Ungesinnetes und können wir dir helfen, so vergiß uns nicht und denke an uns.« Selbst Uli sagte: Sie sollten ihm nicht zürnen; wenn sie einmal selbst in seine Lage kämen, so würden sie ihn begreifen. Wenn einer einen Anfang hätte wie er, so müsse er sich sturm sinnen, woher er die Kreuzer alle nehmen wolle. So schieden sie im Frieden auseinander, und dies ist allemal schön. Wer aus allen Häusern im Frieden scheidet, darf hoffen, einst auch im Frieden zu scheiden aus dieser Welt und einzuziehen mit Freuden in Gottes himmlisches Haus.

Am Nachmittag und am folgenden Tage zogen die neuen Dienstboten ein, und Vreneli ward es ein um das andere Mal übel.

Es ist ein wunderlich Geschöpf, so ein Menschenkind, und noch wunderlicher krabbelt es ihm im Kopf herum, noch viel wunderlicher, als in einem chinesischen Wörterbuche die achtzigtausend Schriftzeichen, welche die chinesischen Gelehrten ersonnen haben sollen, krabbeln mögen. Ja, müssen noch ganz andere Gelehrte haben, die Chinesen, als wir, haben aber auch um so längere und dickere Zöpfe, begreiflich! Was so in eines Knechtleins Kopfe krabbelt, stellt sich selten ein Mensch vor, und wäre es auch ein Gelehrter, selbst ein deutscher. Sie kamen daher wie Dampfkessel, auf zwei schlechte Beine gestellt zwar, aber aus allen Löchern pfiff und schurrte der Dampf, sintemalen sie aufgeblasen waren, was die Haut ertragen mochte. Erstlich bildeten sie sich schrecklich viel ein, daß sie wirklich einen Platz hatten und noch[87] dazu an einem so berühmten, großen Bauernorte. Wer ihnen begegnete, frugen sie, wie weit es noch bis zur Glungge sei, und jeder mußte vernehmen, dies sei der Berühmte, man werde schon davon gehört haben, der dort als Melker oder Karrer einziehe oder gar als Meisterknecht, denn so genau nahmen sie es nicht. Sie bildeten sich auch wirklich ein, Solche wie sie seien noch nie diese Wege gewandelt, denn sie gingen nicht, sie wandelten. Als sie endlich an Ort und Stelle angewandelt kamen, mußten sie natürlich zeigen, wer da angewandelt käme, und so kamen sie wirklich wie aufrechte Dampfkessel auf zwei Beinen. Vreneli weinte zuletzt, doch bloß für sich. Uli stunden die Haare bolzgerade auf vor Zorn, er verwerchete ihn jedoch auch im Stillen. Joggeli saß hinter dem Fenster und verwerchete nur Galgenfreude, jedoch auch im Stillen, er fürchtete sich doch zuweilen vor den Kernsprüchen seiner Frau.

Nach und nach langte auch die Bagage an; die war traurig, es war, als käme sie aus dem siebenjährigen Kriege und hätte alle Schlachten mitgefochten. Mädi wars, welche rekognoszierte und sichere Berichte darüber brachte. Mädi war also geblieben, Vreneli zu Lieb und Ehr. Uli konnte es nicht verzeihn, daß er die Andern zum Abzug gebracht. Mädi hatte keinen Liebhaber unter den Abgehenden, aber das Ehrgefühl rechter Mägde, welchen alles daran gelegen ist, daß es gut gehe da, wo sie dienen, daß es heißt: da werde recht gearbeitet und bessere Ordnung sehe man nirgends. So viel Verstand hatten zur selben Zeit die Dienstboten, daß die Ehre des Orts auch auf die fiel, welche zu dieser Ordnung beitrugen. Mädi hatte Schadenfreude und sagte, es geschehe Uli recht, daß er solchen Zeug gekriegt, der werde das Jahr über für mehr als zweihundert Taler Zorn und Verdruß zu schlucken haben. Nur sei es nicht recht, sagte es zornig, daß die Unschuldigen mitleiden müssen. Das werde eine Zuversicht[88] geben, daß man vor Zorn nicht mehr werde die Augen auftun mögen. Aber was ihns am zornigsten mache, sei, daß man die Lumpen alle Wochen werde waschen müssen und dann die halbe Woche ums Haus herum werde zu hängen haben, das werde doch der Glungge wohl anstehen! Die Leute werden glauben, es sei da ein Lumpensammler eingezogen und trockne an den Zäunen, was er naß zusammengetragen. Es hasse nichts mehr, als so verhudelte Hemdchen zu waschen. Anrühren dürfe man sie nicht, das Wasser ertrügen sie nicht, an der Sonne führen sie auseinander und das leiseste Lüftchen trage die Fetzen dem Teufel zu, und wenn dann nichts mehr sei, so müsse man alles gestohlen haben. Am besten sei es, Uli wasche selber, Vreneli solle es ihm sagen, Mädi wolle damit hell nichts zu tun haben. Vreneli sagte nichts, aber Mädi konnte sich nicht enthalten, Uli zu fragen: »Sag, Uli, in der hintern Kammer sind noch zwei große alte Tröge; soll ich diese etwa ausputzen, damit die neuen Knechte Platz haben für ihre Sachen?« »Wenn es nötig ist, so will ich es dir schon befehlen,« schnauzte Uli. »Einstweilen siehe nur zu dir und mache, daß du immer Platz hast.« »Jä so« sagte Mädi, »ist das so gemeint? Das wird eine strenge Obrigkeit geben sollen, wo man nicht mehr das Maul auftun soll und sagen, was einem dreinkommt.« »Höre. Mädi,« sagte Vreneli, »schweig und laß der Sache den Lauf.« »Aber darf man dann kein Wort mehr sagen hier? Soll das so streng gehen?« »Reden kannst, so viel du willst, aber Öl ins Feuer schütten, selb tue mir nicht, selb ist nie erlaubt und war es zu keinen Zeiten. Aber es ist halt eine böse Zeit; was klar war, wird finster, und je mehr die Menschen sich einbilden auf ihre Weisheit, desto dümmer gehen sie mit allem um, und was gesetzlich beschränkt war, soll jetzt gesetzlich erlaubt sein, Gift und Feuer in jedes Kindes Hand zu freiem Gebrauch gestellt werden.«[89]

Es war in der Tat nicht nötig, bei Uli Öl ins Feuer zu schütten, es brannte ohnehin sattsam in ihm. Uli hatte sich vorgestellt, wenn er wohlfeile Knechtlein dinge für seine höhern Stallstellen, so kämen die demütig daher im Gefühl, wie ihre dermaligen Kräfte ihrer Aufgabe nicht gewachsen seien, und mit dem Vorsatz, das Fehlende baldmöglichst zu ergänzen. Aber potz Himmeltürk, wie gröblich hatte Uli sich geirrt! Den Bürschchen kam nicht von weitem in Sinn, daß sie noch was zu lernen hätten; so wie sie ihre Posten hatten, hatten sie auch das Bewußtsein vollständiger Vollkommenheit. Sie hätten es immer so gemacht, sie seien es so gewohnt, allenthalben, wo sie gewesen, sei es so recht gewesen, sie wüßten nicht, warum es hier nicht auch recht sein sollte. Das war ihre Antwort, mit welcher sie bei jeder Zurechtweisung bei der Hand waren. Um so trotziger gaben sie diese Antwort, weil sie Uli als ihresgleichen betrachteten. So einer, der auch nur erst Knecht gewesen, solle nicht kommen und sie dressieren wollen; von einem, der nicht mehr sei als sie, ließen sie sich nicht kujonieren, dem wollten sie es zu merken geben, daß sie wohl wüßten, wer er gewesen, wenn er es etwa vergessen wolle; solche liebliche Gedanken hatten sie. Man kann sich denken, welch lieblich Dabeisein Uli hatte, und durfte nicht klagen. Selbst getan, selbst haben, mußte er denken.

Aus der Tenne war viel Korn getragen worden, was nicht immer der Fall ist, wenn auch viel Garben eingefahren worden sind. Aber aufschlagen wollte es nicht, die Müller taten sehr wählig und selten sah man einen bei einem Bauernhause. Dagegen schneite es mächtig, regnete drein, fror wieder zu, schneite wieder, so daß Uli dachte, es lege sich eine Eiskruste über die Äcker, unter dieser ersticke der Samen oder die Mäuse täten ihn fressen. Im Frühling oder gegen den Sommer müsse das Korn allweg aufschlagen, und da sei es doch[90] hart, unter dem Preise verkaufen zu müssen, um den Zins zahlen zu können, den Joggeli durchaus nicht nötig hatte. Die Pachtherren haben es gar verschieden gegenüber ihren Pächtern. Es ist hier nicht von irländischen, nicht von englischen Pachtherrn die Rede, sondern von schweizerischen, begreiflich. Einem Pachtherrn, der noch lebt, brachte einmal ein Pächter den Zins gleich am Verfallstage. Der Pachtherr fuhr ihn schrecklich an: »Meinst, ich habe das Geld so nötig wie so ein Lumpenbub von deinem Kaliber?« Und fast hätte er den armen Teufel vom Hofe gejagt. Der Pächter hatte gemeint, wie gut er es mache, hatte das Geld in allen Ecken zusammengelesen, kam stolz daher im Hochgefühl freudiger Erwartungen und wurde angefahren, daß ihm die Knie noch lange nachher wackelten. So kann man sich täuschen in seinen Erwartungen, wenn man die Menschen nicht kennt; der kam aber sein Lebtag nie mehr am Verfalltage mit dem Zins daher. Ein anderer Pächter kam zu seinem Pachtherren auch ohne langes Warten mit dem vollen Zins und meinte, was er tue und wie wohl er ankäme. »Es scheint,« sagte der Pachtherr, »die Pacht sei gut, daß Ihr den Zins so schnell machen könnt. Ja, ja, die Zeiten sind gut für die Pächter, alles gerät wohl und gilt viel, ein Birnstiel ist wie bar Geld. Apropos, was ich habe sagen wollen: ich gönne Euch die Pacht, aber per Jucharte muß ich zwei Taler Zins mehr haben, anders tue ich es nicht. Für mich sind die Zeiten bös, alles ist teuer, ich muß sehen, wie ich mich durchbringe.« Wart, du alter, verfluchter Schelm, dachte der Pächter, der auch nicht dumm war, dir bin ich schlau genug für die Zukunft, wenn du mich jetzt nicht kriegst. Und demütig tat er, rutschte fast auf den Knien herum und redete verblümt von einem Erblein, welches ihn in den Stand gesetzt, die Pacht zu zahlen, kurz er brachte es dahin, daß der Herr bei dem gleichen Pachtgelde blieb. Von da an kriegte selber[91] Herr den Zins nie schnell und ganz, sondern erst auf langes Mahnen hin verstückelt und unter hundert Seufzern und Bitten, doch abzulassen, dieweil der Zins nicht zu erschwingen sei, das Blut unter den Nägeln hervorgepreßt werden müsse, um ihn aufzubringen. Das freut dann den Herrn gar sehr, daß er sein Land so hoch angebracht, den Pächter so hart gepreßt, läßt aber nicht ab, schlägt aber auch nicht auf, und er und der Pächter sind herzlich wohl zufrieden mit einander. Sind doch zuweilen kuriose Leute, die Menschen!

Uli wußte aber, daß Joggeli weder zu der einen noch zu der andern Sorte gehörte. Er war zu mißtreu, um gerne lange Geld ausstehend zu haben, hatte es zu gerne in den Händen und trieb Kurzweil mit Zählen, als daß er es gerne lange mißte. Sollte er also verkaufen um geringen Preis, um den Zins zu machen, sollte er sein Geldlein einziehen und das Korn sparen? Das ging ihm im Kopfe herum, daß er oft aussah akkurat wie eine wandelnde Brummelsuppe.

Das dritte Ding (an zweien wäre es mehr als hinreichend gewesen, um einen Uli rappelköpfig zu machen) war Vrenelis Zustand. Vrenelis Zustand war eben kein besonderer, aber es war das erstemal, daß Vreneli darin war, Uli so was erlebte, und da meint man dann wunder, wie apart alles sei und das Allerschrecklichste vor der Türe stehe. Je inniger die Liebe, desto größer auch die Angst. Und Uli hatte Vreneli von Herzen lieb, er sah gar wohl, was er an demselben hatte, aber seine Liebe war halt nicht besser als ein Diamant, derselbe läuft im Nebel der Welt auch an, ja sogar mit irdischem Kote kann man ihn bedecken.

Wie sehr Uli Vreneli auch liebte, den rechten Verstand in solchen Dingen und Zuständen hatte Uli doch nicht, bei aller Angst. Die Weiber haben es gerne, wenn man sie an Ruhe mahnt und die Arbeit ihnen wehrt, sie tun dann gerne noch einmal so viel als sonst und ohne sich zu beklagen. Uli[92] kannte das nicht, und wenn Vreneli nicht immer bei allem war wie sonst, so vermißte er es, frug ihm nach, fragte, ob ihm was fehle, dies und jenes sollte gemacht sein; wenn man nicht immer hinten und vornen sei, so sei nichts gemacht usw. Er merkte in seiner Hast nicht, daß er damit Vreneli weh tat; er meinte es gut, hatte aber halt den Verstand nicht. Wer ihn halt nicht habe, dem müsse man ihn machen, meinte die Base. Sie hielt Uli eine scharfe Predigt, machte ihm himmelangst und die Hölle heiß, er versprach das Beste. Fortan, wenn er fragte: »Wo ist Vreneli? Vreneli, das und das sollte gehen, das und das solltest machen«, so setzte er allemal hinzu: »Oder magst etwa nicht, so sag es, ich will dann sehen, wer es macht oder wie es geht.« Die Base sagte oft: Ein Kalb sei dumm, aber so mit einem jungen Mann sei es doch noch lange nicht zusammenzuzählen. »Selbst mit manchem alten nicht«, brummte sie manchmal nachsätzlich. So geduldig die Alte mit dem lieben Gott war, so sehr sie überzeugt war, daß alles komme aus seiner väterlichen Hand zu unserm Besten, Käfer sogar und Mäuse, so geduldig war sie auch mit dem Mannevolk; aber sie betrachtete es eben wie Käfer und Mäuse, wie eine Art Ungeziefer, welches man in Geduld und Langmut zu ertragen habe, weil es eben von Gottes väterlicher Hand geordnet sei. Ihre Ansicht darüber freimütig auszudrücken, hielt sie erlaubt. Es war Uli aber auch etwas zu verzeihen. Wo er nicht war, ging was Krummes, bald was mit den Rossen, bald was mit den Kühen. War er im Walde, so gabs daheim was Dummes, war er daheim, so kam man aus dem Walde mit einem zerbrochenen Wagen heim oder einem blessierten Rosse. Da kommt dann gerne so eine allgemeine Ungeduld in die Glieder. Wie es gehen solle, wenn Vreneli ganz dahinten bleiben müsse, das begriff Uli nicht. Indessen so was muß man begreifen lernen, man mag wollen oder nicht.[93]

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 2, Zürich 1978, S. 75-94.
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