Vierzehntes Kapitel

[225] Von Verträgen und allerlei Künsten und Kniffen


Drei Jahre waren bald verflossen, seit Uli die Pacht angetreten hatte. Der Akkord war ziemlich vorsichtig geschlossen, dank dem Bodenbauer, welcher in solchen Dingen Erfahrung hatte. Es ist wohl nichts schwerer, als solche Akkorde so abzufassen, daß nicht jeder Artikel ein Tor zu Mißhelligkeiten oder zu einem Prozesse wird. Es gibt Spitzbuben von Lehenherren, hohe und niedere, welche eine eigene Kunstfertigkeit im Abschließen solcher Verträge haben, eine Kunstfertigkeit ähnlich der, welche Katzenhändler haben sollen. Es soll nämlich solche geben, welche so geschickt eine gekaufte Katze zu enthäuten wissen, daß dieselbe lebendig davonläuft und unversehens ihren frühern Eigentümern vor der Türe sitzt. Also Pachtherren gibt es, welche regelmäßig alle ihre Pächter enthäuten, so daß diese sich noch glücklich preisen, wenn sie endlich mit dem nackten Leben entrinnen können. Solche Pachtherren hat man nicht bloß in Irland, sondern auch in der Schweiz, und zwar Liberale von Farbe! Kurios! Oder aber der Akkord wird in holdseliger Stimmung geschlossen. Man ist gut Freund oder verwandt oder hat sich endlich gegenseitig gefunden in süßer Liebe. Der Pächter sagt dem Lehnsherrn, er sei ein Engel, der Lehnsherr sagt dem Pächter, er sei ein halber Engel, sie reden vom ewigen Frieden, und nicht selten ists, daß sie wirklich zu singen anfangen, und wenn sie auch nicht singen wie die Engel im Himmel, so meinen sie es doch. In einer solchen Stimmung findet man hundert Dinge nicht nötig auf das Papier zu bringen. Bald sagt der: »Das versteht sich von selbst, ich müßte mich ja schämen,« bald sagt es der Andere. Ja es[225] würde nichts zu Papier gebracht, wenn es nicht wäre wegen dem allgemeinen Gebrauch oder wegen Leben und Sterben, was aber Beide nicht zu erleben hoffen, wie sie sagen. Ja, aber Stimmungen sind veränderlich, besonders wo Weiber dabei sind und eine Pacht im Spiel, wenn allerlei Produkte zu entrichten sind und allerlei Vettern und Basen ab- und zugehn. Stimmungen sind gar wunderlich; was uns lieblich dünket in einer Stimmung, kömmt in einer andern uns schauerlich vor, der Mensch, mit dem wir sangen in himmlischer Harmonie als wie die Engel, kann uns später als das bockfüßigste Untier erscheinen, mit Lastern gespickt ärger als der alte Hiob mit Eiterbeulen. Dann geht erst das Jammern an. »Ei nein aber, dem hätte ich es doch nicht angesehen, wie man sich doch täuschen, wie ein Mensch sich verstellen kann! Ei nein aber, das hätte ich doch niemand geglaubt!« Nach dem Jammern kömmt das Zanken und endlich das Prozedieren. Wo liegt der Fehler Gewöhnlich auf beiden Seiten, wie man zu sagen pflegt. In ihrer holdseligen Stimmung hatte jeder dem Andern das Beste verheißen, im Grunde aber jeder auf des Andern Gutmütigkeit spekuliert, von ihr viel größern Vorteil erwartet als von geschriebenen Bedingungen; der ganzen schönen Geschichte lag also eigentlich Eigennutz zugrunde, freilich Vielen unbewußt, und wenn Eigennutz an Eigennutz wächst, so gibt es Reibungen, Zank, und endlich geht es ans Prozedieren.

Nun, auf solch wandelbarem Fundamente ruhte Ulis Akkord nicht, aber nicht durch seine Schuld, sondern der Bodenbauer hatte Vorsehung getan. Einen Punkt hatte er jedoch nicht umgehen können, den Joggeli ausdrücklich begehrte und wider den Uli nichts hatte, weil er ihn für sich selbst vorteilhaft erachtete. Der Akkord war auf sechs Jahre gestellt, aber im dritten Jahre hatten beide Teile das Recht, aufzusagen, wenn es ihnen nicht mehr anständig sei. Joggeli dachte,[226] wenn er sehe, daß es Uli zu gut gehe oder zu schlecht, so könne er zu rechter Zeit das Heft wieder zur Hand nehmen. Uli dachte, wenn es ihm übel gehe, er sein Auskommen nicht hätte, könnte er das Joch abschütteln, ehe er ganz zugrunde gerichtet sei.

Nun ward Joggeli von seinen beiden Kindern gerupft, viel ärger als eine Gans von ihrer Meisterfrau. Eine Frau rupft ihre Gans doch selten mehr als zweimal im Jahre, wartet, bis Flaum und Federn einigermaßen nachgewachsen sind. Der arme Joggeli konnte kaum zählen, wie oft des Jahres an ihm gerupft wurde. Man rupfte und fragte nicht, wie groß Flaum und Federn seien, wenn sich nur irgend was rupfen ließ. In einem so gerupften Menschen entsteht der Trieb, den Schaden einzuholen und wieder zu rupfen. Wenn einer einen Verlust erleidet, sei es im Handel, im Spiel oder durch Nachlässigkeit irgendwie, so entstehen augenblicklich Gedanken, wie die Lücke auszufüllen sei, an wem man sich wieder erholen könne. Da wird die Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit verdammt in Versuchung geführt. Solange es einem gut geht, da ist ehrlich sein leicht, aber wenn das Glück umschlägt, wird der Teufel los. Daß der baumwollene Tochtermann beständig auf den Pachtakkord schimpfte, Joggeli vorwarf, wenn er gehörig aus seinem Gute zöge, hätte er auch mehr und bessere Federn, versteht sich von selbst. Nun war Joggeli dieser Punkt im Vertrage beigefallen. Er dachte, der ließe sich wohl zur Rupfmaschine machen, aber von diesen Gedanken sagte er seiner Frau wohlweislich nichts. Joggeli hatte auch ein Gewissen, aber es merkwürdigerweise nicht auf Gott, sondern auf seine Frau gestellt. Bei allen Kniffen und Schelmereien, welche ihm beifielen, schämte er sich nie vor Gott, sondern er sagte: »Mußt machen, daß sie es nicht merkt; vernimmt sie es, muß ich wieder der wüsteste Hund, der größte Unflat sein,« oder: »Ja, wenn die nicht wäre, da ließe sich was machen,[227] dem wollte ich es zeigen; aber wenn sie es vernehmen würde, weiß der Teufel, wie die täte, ich wäre niemals sicher. Es wird doch besser sein, ich lasse es unterwegs.« Joggeli wird nicht der einzige Mann sein, der ein also gestelltes Gewissen hat, und wir denken, Gott wird nichts darwider haben, sondern hat eben deswegen einem solchen Züttel von Manne eine solche Frau geordnet.

Er begann bei Uli sachte anzuklopfen, wie sie es mit einander hätten, er werde es wissen, daß es jetzt Zeit sei, zu oder abzusagen; wie er willens sei? Uli hatte allerdings diesen Punkt vergessen, und weil er ihm weiter keine Bedeutung gegeben, so sagte er: Er wisse nichts anders und sei gesinnet zu bleiben, wenn er Joggeli anständig sei und ihm nicht zuwider gedient. Reich werde er nicht dabei, aber wenn er zum Lande recht sehe, es verbessere, daß es mehr Sachen gebe, so gehe es in Zukunft besser und es sei auch Joggelis Nutzen. Klagen wegen Ausnutzen oder schlechter Arbeit oder sonst wolle er nicht, sagte Joggeli, aber Uli gebe schier zu wenig Zins, das dünke ihn und Andere auch. Uli hätte die Pacht um einen hellen Spott. Erst gestern habe ihm einer gesagt, zweihundert Taler mehr wolle er ihm Zins geben und bar vorauszahlen, wenn er wolle.

Da ward Uli zornig und sprach: »So macht es mit ihm,« und ging in den Stall. Da stund Joggeli wie Butter an der Sonne, denn es war nicht wahr, daß ihm jemand etwas geboten. Freilich war es möglich, diesen Augenblick so viel Pacht zu erhalten, aber vielleicht von einem Pächter, der sich mästete und das Gut ermagern ließ. Einen Pächter wie Uli, der zahlte und zum Gut sah, als wäre es sein eigen, verlor Joggeli nicht gerne, so viel Verstand hatte er. Wie ein Kind, welches einen Topf mit Milch umgestoßen und es der Mutter eröffnen will, ohne Schuld daran zu haben, steckelte er endlich heim, setzte sich auf den Ofentritt und sagte endlich:[228] »Mit dem Uli ists nicht mehr auszuhalten, er ist ganz kolderig und so brutal wie ein junger Landjäger.« »Was hast mit ihm?« frug die Mutter, »ihr werdet ja sonst so gut mit einander fertig.« »Gesagt hat er mir,« antwortete Joggeli, »ich könne seinetwegen einen andern Pächter suchen, er begehre das Gut nicht wieder.« »Du wirst ihn böse gemacht haben,« antwortete die Base, »so mir nichts dir nichts hat er dir das nicht gesagt, das weiß ich.« »Nichts habe ich gesagt,« antwortete Joggeli, »gar nichts. Ich habe ihn bloß daran erinnert, daß die drei Jahre da seien, wo wir einander aufsagen könnten, und es nehme mich wunder, was er denke.« »Ah bah,« sagte die Base, »das ist eine Sache, von der ich nichts hören mag.«

Drüben tat Uli wie ein angeschossener Eber; der Streich kam ihm ganz unerwartet, erschien ihm wie eine förmliche Brandschatzung, und gerade jetzt, wo es ihm den Schweiß austrieb, wenn er daran dachte, daß bald der Zins verfallen sei, und er sein vorrätig Geld übersah. Er wollte auf der Stelle fort, andere Schuhe anziehen, um ein ander Gut aus, ein Mann wie er brauche nicht lange zu suchen, er finde was so Gutes als dieses hier! Der Wirt sei gut bekannt in Bern, dort sei mancher Herr schrecklich froh über einen vertrauten Hausknecht oder einen hablichen Pächter, und solche Plätze seien hundertmal besser als ein solch Gut, wo man sich totarbeiten müßte und am Ende nichts davonbringe als dürre Erdäpfelschalen und einen Haufen Kinder. Er möge die Stunde nicht erwarten, wo er wegkäme von dem alten Schelm, der meine, er wolle ihn jetzt ausnutzen, wie er sich von seinen beiden Blutsaugern ausnutzen lasse. Vreneli tat alles Mögliche, um ihn zu besänftigen, aber seine Worte waren Öl ins Feuer. Alles, was es abbrachte, war, daß er erst zu Mittag esse, ehe er gehe; es sei bald gekocht, es wolle pressieren.

Aber Vreneli dachte nicht ans Pressieren, sondern paßte auf die Base, welche um diese Zeit sich gerne unter ihrer Küchentüre[229] sehen ließ. Diesmal ließ sie nicht lange auf sich warten, und alsbald war Vreneli bei ihr und alsbald wußten Beide, woran sie waren. »Er ist immer der gleiche alte Unflat«, sagte die Mutter. »Wenn es mal ordentlich geht, ist es ihm nicht wohl, er muß alles untereinanderrühren; wenn er Garn abwindet, so ist ihm nicht wohl, wenn es glatt läuft, er ruht nicht, bis er die Strange verhürschet hat, daß man sie bloß mit Messer und Schere lösen kann. Als Junger soll er die größte Freude daran gehabt haben, den Mägden die Spinnräder zu traktieren, daß sie nicht mehr darüber noch darunter wußten. Aber warte, dem wollen wir diesmal den Marsch machen, denn Ernst ist es ihm nicht. Daneben kann er mich dauern, er muß fort und fort Geld auftreiben und muß daher sehen, woher er es nimmt, und bekömmt er solches, so ist es ihm in acht Tagen wieder abgedreht.« »Ja,« sagte Vreneli, »mich erbarmet er auch, er plagt sich selbst am meisten und merkts nicht. Es gibt viele solche Menschen, welche ihre eigenen Feinde sind und sich immer selbst das Ärgste antun. Es nimmt mich eigentlich nur wunder, warum unser Herrgott, der doch alles so gut gemacht, solche Leute erschaffen hat und immer noch schafft«. »Das wirst einmal vernehmen,« antwortete die Base. »Aber ich denke, wenn sie die rechte Salbe brauchten, so würden die Blinden sehend und die Hinkenden wären nicht mehr lahm. Unser Heiland hat nicht umsonst leiblich Blinde und Lahme geheilt, er will damit sagen, daß er auch da sei für die geistig Blinden und die da hinken auf Gottes Wegen, und wenn sie begreifen, daß sie krank sind, und zu ihm kommen, will er sie heilen, das ist seine Barmherzigkeit. Wer nun den wahren Lebensbalsam, die Wundersalbe nicht brauchen will, der wird ein Blinder und Lahmer und hinterläßt die Krankheit seinen Kindern. Verkehrt hat Gott die Menschen nicht erschaffen, aber verkehrt läßt er sie werden und immer verkehrter, je leichter sie zum wahren[230] Lebensbalsam kommen könnten, denn wer des Herren Willen weiß und ihn nicht tut, wird mit doppelten Streichen geschlagen werden. Doch gehe, mach daß Uli nicht pressiert, dann kann er seine Schuhe abziehen und wieder in die Holzböden fahren.«

Rasch brachte die Base Joggeli das Essen auf den Tisch, stellte ihm dann seine Schuhe frisch gesalbet unter den Ofen und seine Kamaschen dazu. »Habe nichts gesagt, daß ich fort wolle,« sagte Joggeli, »warum stellst mir die Schuhe zu recht?« »Du mußt um einen neuen Pächter aus,« sagte die Base. »Uli will fort, Vreneli hat mir berichtet von einem Herrn, der hinter ihm sei wegen einem bsunderbar guten Platz. Nun will er gehen und sehen, wie die Sache ist, eher als nicht kann die Sache abgemacht werden.« Da tat der alte Gnäppeler sehr zornig, im Grunde aber war er in seinem Herzen sehr erschrocken. So seien die Leute heutzutage, begehrte er auf, kein vernünftig Wort könne man mehr mit ihnen reden. Wenn man ein Wörtchen rede, protzen sie auf, werfen den Bündel vor die Türe. Es werde doch erlaubt sein, seinen Pächter zu fragen, wie sie es mit einander hätten. Was geschrieben sei, sei geschrieben, es nehme ihn wunder, ob es nicht auch für ihn geschrieben sei, und Fragen werde erlaubt sein. »Du hast ja nicht gefragt,« sagte die Frau, »du hast gefordert.« »He nun, so hätte er sich wehren können, das wäre ihm wohl angestanden und erlaubt gewesen, aber nicht so den Kopf zu machen,« zürnte Joggeli. »Nun,« sagte die Frau, »ich war nicht dabei, mach was du willst, ich kann mich darein schicken, habe mich schon in vieles geschickt. Aber such jetzt alsbald einen Pächter, der dir zum Land sieht, die Sach in Ehren hält und zinset auf den Tag.« Es seien viele Leute auf der Welt, sagte Joggeli. Aber rechte zu finden, selb sei schwer, antwortete die Alte, schenkte Kaffee ein und schwieg, während Joggeli allerlei brummte. Noch hatte Joggeli sein[231] erstes Kacheli nicht ausgetrunken, als er sagte: »Geh sieh, ob der Kolder noch daheim ist, er soll hinüberkommen! Dem will ich sagen, was Manier ist und was gekoldert.« »Ich kann gehen, aber ich will mich dann nicht dareingemischt haben, hörst, will nicht schuld sein, wenns doch Lärm gibt,« sagte die Frau. »Und wer sollte dann daran schuld sein,« sagte Joggeli, »etwa ich?« Darauf gab die Frau keine Antwort, sondern ging, Joggeli aber ärgerte sich ingrimmiglich über die verfluchten Weiber, welche alles zwängen wollten und doch an nichts schuld sein. Das komme auch immer ärger, dachte er. Seine Mutter hätte es dem Vater so machen sollen, wohl der würde er die Faxen vertrieben haben!

Es ging eine Zeitlang, ehe Uli kam. Seine erste Antwort war gewesen, Joggeli hätte so weit zu Uli als Uli zu Joggeli, und wenn der etwas von ihm wolle, so könne er herkommen. Dem setzte aber die Alte den Kopf zurecht und wusch ihm denselben mit scharfer Lauge, daß Uli begriff, was Waschen heißt. Er hatte vor der Alten Respekt und wußte, daß sie es gut meinte, wenn er auch wohl darüber klagte, sie hielte es immer mit seiner Frau und gebe ihr alle Listen und Ränke an, welche je von Weibern gegen ihre Männer ersinnet worden seien.

Als die beiden Männer wieder zusammengebracht waren ging es gegen alles Vermuten sehr ruhig zu. Joggeli sagte: Es sei dann nicht halb so bös gemeint gewesen, und ehe man so zornig werde, sollte man doch erst recht sehen, ob es Ernst oder Spaß sei oder halb Ernst und halb Spaß, besonders wenn man schon so lange beisammen gewesen. Uli entschuldigte sich nun auch: Kurz zuvor hätte er etwas nachgerechnet und sei erschrocken, wie böse das Jahr gewesen; er wisse nicht, ob er den Zins aufbringe oder nicht, all weg habe er umsonst sich halbtot gearbeitet. Und jetzt noch mehr Zins! Das sei ihm zu Haupt gefahren, von wegen wenn man sich solche[232] Gedanken mache wie er, so denke man nicht an Spaß, sondern nehme die Sache ernsthaft. So gab ein Wort das andere. Joggeli ließ eine Flasche Wein holen, sagte, wie er dran sei mit dem Gelde und es ihn dünke, Uli könnte in bessern Jahren wohl etwas mehr tun, doch begehre er ihn nicht zu drücken und sehe wohl, daß das vergangene Jahr nicht das beste gewesen, aber Uli solle an die zwei frühern denken, daß Uli zugab, er begehre nicht weiter, es sei ihm hier recht, und wenn wieder gute Jahre kommen, so wolle er sehen, was etwa billig und recht sei. Jetzt wüßte er wirklich nicht wie machen, um den Zins zu geben, er habe ihn noch nicht vorrätig. »Wirst aber einzuziehen haben«, sagte Joggeli, dem es angst zu werden anfing. »Das wohl,« antwortete Uli, »und ziemlich viel. Aber es sind gute Leute, welche mir schuldig sind, plagen mag ich sie nicht; wenn ich was zu verkaufen habe, gibt mir niemand darum was sie, und dazu ohne Markten, und wenn es abgeliefert ist, sind sie zufrieden damit und klagen nicht noch sieben Jahre hinterher, wie sie an der Sache verspielt, auch wenn sie das Halbe daran gewonnen, wie es Andere zu treiben pflegen.« »Weiß wohl, wen du meinst,« sagte Joggeli, »sind gute Leute, stark im Handel, kehren ihr Geld; ich muß sagen, anständiger als der Wirt ist mir nicht bald einer, und wenn dir der schuldig ist, so kann ich dies, mal vielleicht etwas warten, es ist mir vielleicht sicherer in seinen Händen, als wenn ich es selbst hätte, daneben sieh was du bekommen kannst, die Welt ist schlimm, man weiß fast nicht mehr, wem trauen.« So kamen sie in die schönste Einigkeit, gaben sich die besten Worte, kurz kamen in die friedseligsten Stimmungen hinein, in welchen man sich das Himmelreich nicht bloß verspricht, sondern verschreibt und nicht daran denkt, was für Stimmungen eintreten könnten, wenn es ans Halten käme.

Achthundert Taler sind ein schönes Geld, und im Raume[233] eines Jahres muß gar mancher Batzen zum andern gelegt werden, bis man es beisammen hat. Uli hatte es nicht beisammen, bei weitem nicht, aber allerdings bei Müller, Wirt usw. bedeutende Summen einzuziehen, das heißt nach seiner Rechnung. Wunder nahm es ihn, ob die andern Rechnungen mit seiner übereinstimmten. Er setzte durchaus keinen Zweifel in ihre Ehrlichkeit, aber er hatte die Erfahrung, daß er im Aufmachen noch kein Hexenmeister sei, daß es sich ihm in den eigenen Rechnungen nie so recht treffen wollte. Darum nahm es ihn wunder, wie seine Rechnung zu den Rechnungen der Andern paßte; er hoffte, da werde es besser gehen. Aber der gute Uli kam einstweilen nicht aus dem Gwunder. »Ja freilich,« sagte ein jeder, »wann du willst, es ist alles aufgemacht, punktum, habe nicht Kummer. Doch die nächste Woche schickt es sich mir nicht.« Der eine mußte um Korn aus oder um Hafer oder um Vieh oder um Bauholz oder hatte sonst was, aber in vierzehn Tagen, drei Wochen oder gar den oder den Tag sollte er mit seinem Buche kommen, da wollten sie sehen, wie sie stünden. »Aber da habe keinen Kummer, keinen Kreuzer wird es fehlen, einmal wenn du recht aufgemacht hast, was allweg sein wird.« Aber vor jenem abgeredeten Tage kam Bescheid, der Müller habe ungsinnet Bescheid bekommen und könne an jenem Tage nicht daheim sein. Oder Uli kam zum Wirte, da hieß es, es sei ein Herr gekommen, ein Weinkäufer, und er habe mit ihm müssen trinken, er habe mögen wollen oder nicht. Es sei ein gar grausam guter Herr, den er nicht habe böse machen dürfen. Nun ging es wieder lange, bis neue Termine bestimmt waren, und als die wieder kamen, gings mit allerlei Variationen wieder so und Uli kam nicht zur Rechnung.

Als er endlich ungeduldig ward und sagte, er müsse auch zu sich sehen, sein Zins sei verfallen und wenn er ihn nicht auf den Tag gebe, so wisse kein Mensch, wie es ihm gehe,[234] lachten sie ihn aus und sprachen ihm gar herzlich zu, er solle doch nicht so dumm sein und meinen, er müsse exakt zahlen. Dem alten Geizhals tue es nur wohl, wenn er ein Jahr oder zwei auf den Zins warten müsse, und kein vernünftiger Mensch meine mehr, daß er alles auf den Tag zahlen müsse, was er schuldig sei. Seit Mannsdenken sei das nicht mehr der Gebrauch, und wer es tue, werde nur ausgelacht. Ja, sagte Uli, hier sei eine Sache so, dort anders; Joggeli sei mißtrauisch, zahle er nicht, so werde er geplagt. »Dem wollte ich das Plagen vertreiben, der müßte mir lernen, was Brauch ist« usw., hieß es von allen Seiten, man machte Uli den Kopf so groß, daß er kaum zur Stubentür aus kam. Indessen so ganz z'leerem abspeisen wollte Uli sich doch nicht lassen. »Ja,« hieß es, »Geld kann ich dir wohl geben, Geld, bewahre, habe ich immer im Hause, wenn ein guter Schick einem zuhanden kömmt, daß man ihn machen kann. Aber meine Meinung ist eben die, daß man das Geld nutzen soll, so gut man kann. So einem alten Geizhals schuldig bleiben, kostet nichts; je mehr man auf diese Weise schuldig bleibt, desto mehr Geld kann man im Handel abträglich anlegen. Hat einmal so ein Batzenklemmer das Geld zwischen seinen fünf Fingern, so ist nichts mehr damit zu machen. Das mußt du lernen, Uli, dein Schade soll es nicht sein, von einem wie du möchten wir den Profit nicht nehmen, bewahre, du sollst deinen Teil dar, an auch haben. Aber was man so einer hundshärigen Bauernseele ausdrehen kann, das ist sicherlich Gott und Menschen wohlgefällig.« Uli erhielt Geld auf Abschlag, doch ohne zu rechnen, und als er von Rechnen sprach, sagte man ihm: »Du hast nun für einmal Geld, deine Sache ist all aufgemacht, und sobald es sich mir schickt, will ich dir Bescheid machen; dann bring deinen Kalender, die Sache wird bald fertig sein, und viel fehlen wird es kaum zwischen uns.«

In solchem Aufschieben des Rechnens liegt allerdings Spekulation,[235] aber ebenso sehr eine große Schlaffheit der Seele, ein Widerwille, zu irgend einem bestimmten Resultat zu kommen. Ach, und das ist so begreiflich! So eine gemästete Menschenseele, gehöre sie nun einem Wirte, einem Müller oder sonst einem zweibeinigen Geschöpf, welch Schlußresultat soll sie ziehen, und soll es ihr nicht grauen vor demselben, muß sie nicht den Gedanken daran zu entfernen suchen so lange als möglich? Unwillkürlich muß immer als Resultat der Spruch sich vor Augen stellen: Wer auf das Fleisch säet, wird vom Fleisch das ewige Verderben ernten. Und weil es ihnen vor der allerletzten Rechnung graut, graut es ihnen vor allen übrigen; sie mögen nicht, ehrlich können sie nicht bestehen, müssen alle betrügerisch stellen, und am Ende hilft doch alles nicht. Der Krug geht zum Wasser, bis er bricht. Ach es ist so merkwürdig, einen zwei bis drei Zentner schweren Wirt tanzen zu sehen auf allen Ästen herum, dem allerbesten Eichhörnchen zum Trotz! Verwegener werden nach jedem Sprunge die spätern Sprünge; pauz, glaubt man ihn am Boden, auf dem dicken Rücken, aber husch ist er wieder auf den Beinen, tanzt lustiger als nie, bis es doch endlich sein muß und patsch er auf dem Rücken liegt; denn geht der Krug so lange zum Wasser, bis er bricht, so tanzt auch ein Wirt nicht länger, als bis er liegt.

Uli brachte nicht den ganzen Zins auf, wenn er auch alle Schubfächer ausräumte, aber weil Joggeli getan hatte, als sei ihm dies mehr als halb recht, brachte er getrost, was er hatte. Diesmal war die Stimmung bei Joggeli aber anders, er machte ein sauer Gesicht und sprach von nicht warten können, das Geld nutzen zu wollen, denn ihm trage es auch Zins, wenn er es anlegen täte usw. Uli merkte, Joggeli meine, er ziehe Zins von seinen Ausständen, wie es allerdings Manche treiben, tapfer schuldig bleiben und das Geld anderwärts gebrauchen und nutzen. Es treiben dieses schmähliche Spiel[236] große Herren, und zwar mit armen Handwerkern und andern Arbeitern. Die arme Handwerksfrau muß oft das Schlechteste kaufen auf dem Markte, muß die günstigste Zeit zum Einkaufen unbenutzt vorüberlassen, weil das Geld rar ist bei ihr und die Batzen spärlich in ihrem Beutelchen. Den Koch oder die Köchin eines großen Herrn sieht sie das Köstlichste kaufen an Fischen und Geflügel, Geld auswerfen, als ob es Kieselsteine wären, und das Geld gehört eigentlich dem armen Handwerksmann; der große Herr ist ihm schuldig, aber der Mann kann nichts vom Herrn kriegen als grobe Worte, muß darben, während jener schwelgt. Was das Weib denken muß, wenn es die Hände voll Geld sieht und aus seinem Beutelchen den letzten Groschen drückt! Wenn es ein keck Weib ist, so vernimmt es der ganze Markt, wie ein großer Herr am armen Manne den Schelm macht. Wie muß es einem Schneider oder Schuster oder Bäcker zumute sein, der eine bedeutende Ausgabe machen sollte für das Gewerbe, sein Haus, seine Kinder, und die bedeutendsten Ausstände bekommt er nicht ein, denn die Herren spekulieren in Staatspapieren, gerade jetzt sind die Zeiten günstig, wer Geld hat, ist glücklich, spekuliert jetzt, um seine Gläubiger kümmert er sich nicht, und um so weniger, je ärmer sie sind, je nötiger sie das Geld selbst hätten, denn je kleiner die Götter sind, desto weniger sehen sie die, welche niedrig gehen. Die armen Schelme alle können warten; gewinnt der Vornehme, kriegen sie nichts, und verliert er, so kriegen sie noch nichtser, haben ihre Gesellen bezahlt, haben Zeit versäumt, Arbeit gehabt und können dem Herrn nachseufzen, der an der Sonne herumspaziert im Glanze ihres Geldes und ihres Schweißes. Und solch Pack schämt sich nicht, solch Pack tut vornehm, solch Pack begehrt auf, wenn man es an seine Schulden mahnt, ja solch Pack tut sogar auch fromm, aber wahrlich auf eigene Rechnung! Und wie viel Seligkeit wirft den[237] armen Tröpfen die eigne Rechnung ab! Ach, das sind nicht die Unmündigen, denen Gott im Geiste sich geoffenbaret, sonst würden sie wahrlich die faßlichen Worte fassen: Was ihr einem von diesen tut, das habt ihr mir getan.

Doch Uli gehörte unter diese Schächerkinder nicht, er war zu jung und zu arm dazu. Wenn mit dem Gelde, welches Joggeli zu wenig erhielt, spekuliert wurde, taten es reifere Füchse. Übrigens hatte Uli von diesem Mangel an Barschaft viel größeren Schaden als Joggeli, er war ihm ein Hemmschuh in Handel und Wandel. Uli wußte eigentlich wohl, daß ein Bauer immer mit etwas Geld versehen sein muß, wenn es gut gehen soll. Behalten und kaufen können und immer zur gelegenen Zeit ist eine Hauptsache in bäuerischer Staatswirtschaft, aber es ging Uli wie Vielen: Wissen und Halten sind zwei, man kann die besten Grundsätze haben und doch ganz entgegengesetzte Wege gehen. Die sogenannten Grundsätze haben halt keine Kraft, die bewegende Kraft wird entweder durch eigne Triebe regiert oder durch fremde Personen. Uli sollte seinen Kuhstall instand stellen, er hatte den Winter durch weniger Kühe gehabt als sonst, weil er das Heu sparen mußte. Zweihundert Gulden bedurfte er zu gehöriger Ergänzung, zu verkaufen hatte er nichts Erkleckliches; Korn und Hafer hatte er wohl noch, aber er hielt ratsam, bis nach glücklich eingebrachter Ernte nicht zu verkaufen. Es war ihm, als seien Hände und Füße ihm gebunden, ja als liege er krummgeschlossen in einem Loche. Er ward sehr böser Laune, alle Welt sollte schuld daran sein, und wenn alle Welt an einer Sache schuld sein soll, so muß es das Weib entgelten. Eigentlich billig und von Rechts wegen! Denn ist nicht durch das Weib die Sünde in die Welt gekommen und dadurch dieselbe so schlecht und miserabel geworden, daß ein Mann wie Uli nicht einmal zweihundert bare Gulden hat, um mit denselben den Kühen nachgehen[238] zu können nach Herzenslust? Uli war oftmals in der Laune welche die Suppe kalt haben will, wenn sie heiß ist, und heiß, wenn sie kalt ist; da braucht es wirklich einer eignen und leider noch nicht erfundenen Kunst, wenn man es jemanden recht machen will. Diese Laune ist gewöhnlich der erstgeborne Sohn der Unzufriedenheit mit sich selbst, die man begreiflich nicht an sich selbst ausläßt, das wäre ja dumm, sondern an allen, welche einem über den Weg laufen.

Vreneli litt bitter; es war in der Aufklärung und Bildung weiter gekommen nicht bloß als mancher Schulmeister, sondern sogar als Professoren, es begriff, daß wenn man Mißgeschick habe, mit bösen Launen und Zanken mit Leuten, die dessen sich nicht vermögen, man demselben nicht abhelfe, im Gegenteil neues schaffe. Wie bei unfreundlicher, naßkalter Witterung aller Wachstum stockt, so mehr oder weniger auch die Arbeit bei bösen Launen und launenhaftem Gezänke. Vreneli hatte voll, wie man zu sagen pflegt. Das ist ein eigentümlicher Zustand: das Herz ist voll, die Seele ist voll, der Kopf ist voll, es will zu den Augen aus, man fühlt es im Halse, man fährt mit der Hand bald an die Stirne, bald auf die Brust, als ob man was halten wolle, was zerspringen möchte.

Es war an einem wüsten Apriltage, sie hatten ackern wollen, aber Sturm, Schnee und Regen hatten sie heimgejagt, denn draußen war es nicht zum Aushalten. Sie hatten alten Grasboden auffahren, die Furchen gründlich hacken wollen, denn bei schwerem Schweizer Lande muß man gründlich bis auf den Boden die Furche hacken, wenn ein zahm Gewächs gesund wachsen soll, sie ist zäh und schwerfällig, eben wahrhaft die Schweizer Natur. Sie wird auch krank, tut, als ob sie am Sterben wäre, zu nichts mehr tauglich als zu Schling- und Schmarotzerpflanzen; aber dann kömmt sie ein Winden und Drehen an, wilde Wehen rühren alles durcheinander wie die[239] Köchin eine Krautsuppe, dann kriegt sie ein schrecklich Erbrechen, gibt von sich zum Grauen und Erstaunen ganze Knäuel Ungeziefer von allen Sorten, die wir nicht nennen mögen, kleines, großes, und ist das mal aus dem Leibe und da, wo es hingehört, da stillen sich die Wehen, das Grimmen, Winden, Krümmen hört auf und frisch und gesund ist wieder die alte Natur, den hohen Alpen gleich, wenn die wilden Stürme verrauscht sind, der holde Frühling, der immer junge Frühling vom Himmel wieder auf die hohen Alpen steigt.

Je nach der Länge der Furche steigt die Zahl der Hacker, steigt wohl auch auf großen Gütern bis auf ein volles Dutzend an, vielleicht noch darüber. Jagt nun der liebe Gott die hackende Truppe mit scharfem Geschütz vom Acker dem Bauer heim über den Hals, so muß der sehen, was er mit den Leuten anfängt. So ein harthölziger Bauer, mit Schweinsleder überzogen, macht es kurz, er schickt die Taglöhner nach Hause, unbekümmert darum, haben sie dort was zu beißen und zu brechen, berechnet ihnen den Lohn nach den Stunden, welche sie gearbeitet, und da nicht er, sondern Gott das Wetter gemacht, so überläßt er auch diesem die allfällige Entschädigung. Warum nicht machen, was man kann, und dümmer sein als nötig? Sorge der Vater im Himmel für die Tiere des Feldes und die Vögel des Himmels, so werde er um so viel mehr für einen Taglöhner mit Weib und einem halben Dutzend Kinder sorgen, wenn der Bauer ihm statt zwölf Kreuzer Taglohn bloß die Hälfte oder ein Drittel gibt, und werde seinen Segen der Mahlzeit geben, welche eigentlich für die Kinder bereitet war, an welcher jetzt aber auch der Vater, der bei dem Bauer sich hungrig gearbeitet hat, teilnehmen will.

Nun, Andere machen es auch nicht so; wenn unser Herrgott die Leute heimschneit oder heimhagelt, überlassen sie ihm dieselben nicht, daß er sie jetzt auch speise und tränke,[240] dieweil er sie angehagelt oder angeschneit, sondern tun dies selbst und geben ihnen was zu tun, bis der Tag ganz um ist. Es gibt Zeiten, wo das geht, man sogar froh ist über einen wilden Nachmittag, um Arbeiten zu verrichten, die man des schönen Wetters wegen immer verschoben hatte. Es gibt andere Zeiten, wo man wirklich nicht recht weiß, was mit machen, und fürs Zähnetrocknen im Winde gibt man doch nicht gerne den Taglohn.

In solcher Zeit eben war Uli mit seinem Volke nach Hause gejagt worden; er sandte die Taglöhner nicht fort, wußte für sie aber auch nichts zu tun, welches viel abtrug, rechnete, wie manchen Batzen er ausgeben müsse um nichts und wieder nichts, und ging gegen das Haus, um Vreneli mit Brummen und Klönen zu unterhalten. Dort stund Vreneli im Gespräch mit einem Mannli, der einen Hut auf dem Kopfe hatte. »Es ist gut, daß du kommst,« sagte Vreneli, »da ist einer, er will mich zur Gotte, seine Frau ging mit mir in die Unterweisung, wir saßen neben einander und waren bsunderbar wohl für einander. Ich sagte ihm zu, doch behielt ich dich vor. Was sagst dazu?« »Ho,« sagte Uli, »wenn du zugesagt hast, so wird wenig mehr zu sagen sein,« und ging weiter.

Vreneli zuckte zusammen, aber mit angeborner adeliger Art begabt, faßte es sich alsbald, hieß das Mannli hinein, kommen, wartete ihm nach üblicher Sitte mit Speise und Trank auf. Eine schöne Sitte, die aber manchem ausgehungerten Kindbettmannli gefährlich wird, besonders wenn er dazu noch das Reden liebt. Man denke, was das kann, wenn so ein arm Mannli, der selten einmal im Tag sich satt ißt, nun in einem Tage dreimal genötigt wird, zu essen und zu trinken, bis er genug hat. Das bringt Manchem die Beine in Verlegenheit, wenn er vom dritten Gevatter wegstolpert. Aber noch in viel größere kömmt schließlich der Kopf, wenn er endlich zum Pfarrer stolpert und dort die Namen der Gevattersleute[241] angeben soll. Da wird manchmal das Denken bedenklich, und je länger einer denkt, desto weniger kann er an einen Namen kommen, und doch hatte er ihn noch gewußt, als er zur Türe hereingekommen, sagt er. Es ist bedenklich, wie Fleisch und Geist in die seltsamsten Kollisionen kommen bei den ernsthaftesten Gelegenheiten. Wo Gott ein Zeichen seiner Huld gibt, legt der Teufel einen Stein des Anstoßes.

Das Mannli war bereits am dritten Orte und glücklich innen und außen. Er hatte nirgends eine Abfertigung erhalten, sondern guten Bescheid und tapfer zu essen und zu trinken. Solchen glücklichen Menschen wächst ein eigenes Redwerk im Munde, und dieses liefert Lob, Ruhm und Preis für sich und seine Frau und all das Seine in einer Stunde mehr als manche St. Galler Baumwollenspinnerei Garn in einer Woche. Die St. Galler sollten, wären sie gescheut, mit dem Maul zu spinnen anfangen; in diesem Gliede sind sie stark, ganz verflucht, ja brauchen nicht einmal Most, geschweige Wein, um ganze Ballen Eigenlob, -ruhm, -preis tschuren zu lassen in die Welt hinaus, siehe Tagsatzungsprotokolle. Vom schmählichsten Renommage wollen wir nicht einmal reden. Das Männlein war nun freilich kein St. Galler, aber es konnte doch nicht fertig werden mit Rühmen, wer er sei und was sein Fraueli sei und wie er Kinder habe und was sie täten und wie sie sich erzeigen wollten in der Welt, daß man weit und breit von ihnen reden müsse, man möge wollen oder nicht.

Vreneli ward wind und bange, aber es konnte nicht von ihm kommen, und gehen heißen mochte es ihn auch nicht. So viel Mitgefühl hatte es, daß es niemand einen Kübel kalt Wasser über den Kopf goß, wenn er in süßen Träumen befangen lag. Solch Glück ist gar zu selten in der Welt, und wer ein gut Herz hat, jagt sicherlich niemanden, der in solcher Wonne liegt, süßer als in einem warmen Bette, daraus auf.[242]

Vreneli wußte, daß ihm ein Gewitter wartete, und je länger eine schwarze Wolke stocket, das heißt mit Elektrizität sich aufbläht, desto härter kracht es, wenn es mal losbricht. Der Mann aß nicht mehr, dann trank er auch nicht mehr, endlich gab er selbst das Sitzen auf und stund, so gut er konnte, aber das Reden wollte kein Ende finden; es war akkurat, als ob er auch so ein auf ein Pfäfflein gepfropfter St. Galler Diplomat sei, und doch war er nur ein ganz gemein Knechtlein, schwatzte nicht einmal um den Taglohn, nicht einmal, um dann daheim sagen zu können: »Dunder, denen hab ichs gesagt, habt ihrs gelesen?«, sondern wirklich von Herzen, und schwatzte und stund, und ging und stund und schwatzte, daß es Vreneli den Schweiß austrieb und es ihm, als es endlich dessen Rücken sah, leichtete, als hätte es wenigstens eine halbe Kindbetti glücklich überstanden.

Nun mußte es ans Zweite hin, mußte die geschwollene Wolke sich entladen lassen. Das Ding ging aber nicht halb so leicht als eine andere elektrische Flasche, welche man nur mit einem Finger zu berühren braucht, um sie in allen Gliedern zu fühlen. Uli schmollte eine Weile, indessen endlich brachs doch los und wüst. Es habe sich alles gegen ihn verschworen, um ihn zu Boden zu machen, polterte er, sogar den Herrn des Regens und des Sonnenscheins rechnete er darunter. Der heutige Tag koste ihn wenigstens drei Gulden, nicht gerechnet, was die verspätete Arbeit schade. Wenn er genug hätte bis obenaus, so stehe noch so ein Hagel vor dem Hause und bitte zu Gevatter. Das sei sonst nicht erhört gewesen, daß man fremde Leute, welche ihr Brot mit Mühe verdienen müßten, zu Gevatter genommen, sondern reiche Leute, welche es hätten und vermöchten. Das käme aber nur daher weil Vreneli die vornehme Frau spiele; da meinten die Leute, was dahinterstecke, und wüßten nicht, daß sie bald fertig seien. Das sei wieder so ein Spaß von zehn Gulden, nicht gerechnet,[243] was später ausgerichtet werden müsse. Er hätte geglaubt, Vreneli hätte so viel Verstand, den Lümmel mit ein paar Batzen und einer langen Nase weiterzuschicken. Aber nein, da müsse das Gebettel angenommen sein; die vornehme Frau habe es gemacht, werde gedacht haben, welche schöne Gotte es vorstellen werde. Nun könne es aber sehen, wie es es mache, er gebe keinen Kreuzer dazu, es wisse dann ein andermal, ob es zusagen solle oder nicht. Er hätte nie geglaubt, daß es es ihm so machen würde, aber wenn es nicht gute, so wolle er stoßen, wo es ziehe; je eher der Karren über Bord fahre, desto lieber sei es ihm.

Vreneli kam diese Rede über den Magen, die Augen blitzten, doch vergaß es die Manieren nicht. »Weißt du, wie die Base dem Vetter sagt, wenn er so wüst tut wie du jetzt?« frug Vreneli. »Er sei der wüsteste Unflat unter der Sonne, und gute Lust hätte ich, dir auch so zu sagen. Ganz unbegründet fährst du über mich aus, und wenn was geht, das dir nicht recht ist, dreschest du es auf meinem Rücken aus. Daß du kein Geld hast, dafür kann ich nichts, ich habe weder Wirt noch Müller was verkauft, und wenn du mit ihnen zur Rechnung kämest, so würdest du sehen, wo dein Vermögen steckt. Heute habe ich weder hageln noch schneien lassen, und daß ich zu Gevatter gebeten wurde, ist nicht meine Schuld, und wenn du wieder bei dir selbst bist, so wirst du einsehen, wie wüst es gewesen wäre, wenn ich es ausgeschlagen hätte. Du weißt, wie es einem ist, wenn man zu Gevatter bitten muß, aber erfahren hast noch nicht, wie es einem tut, wenn man grob abgefertigt wird, und was meinst, wie hätte es dem armen Fraueli getan, wenn der Mann ihr den abschlägigen Bescheid heimgebracht? Da hätte es geheißen, ich sei vornehm geworden und schäme mich seiner, und es hätte geweint, weil seine letzte Freundin ihm untreu geworden; denn je weniger Leute man hat auf der Welt, desto weher tut es einem, wenn[244] diese abfallen, und wenn man endlich niemanden mehr hat, dann sollte einem das Herz brechen, mir wenigstens würde es. Merke dir das! Das gute Weibchen freut sich sicher, mich zu sehen, denn manch Jahr ist verflossen, seit wir als die besten Freundinnen uns getrennt, und wird auch nicht viele gute Freunde haben auf der Welt. Denk, Uli, wenn wir so wüst sein wollten, was mußten wir von andern Leuten erwarten, und wenn wir diesen Augenblick nicht im Überflusse sitzen, hören deswegen unsere Pflichten auf? Sollen wir deswegen nicht mehr Christen sein? Denk auch, wenn wir später wieder zu Geld kommen sollten, so könnten wir das doch nicht mehr gut machen, was wir den Leuten weh getan, und was man uns deshalb nachgeredet hätte, wäre an unserm Namen kleben geblieben unabänderlich. Kosten soll es dich nichts. Ich habe auch noch Geld, welches mein ist, womit ich machen kann, was mir beliebt, dir geben oder andern Leuten, je nachdem ich es nötig finde, und habe ich keines mehr, so will ich schon zu Gelde kommen, das sage ich dir frank und frei. Betrügen will ich dich nicht, obgleich es mir ein sehr Leichtes wäre, des Jahrs viele viele Gulden in meine Tasche zu machen, ohne daß du das Geringste merken solltest. Aber weißt, das Geld, welches wir haben, sei es viel oder wenig, ist mein so gut als dein, ich verdiene daran so viel als du; ich regiere die Haushaltung, du das Feld, stehe mit dir auf, gehe mit dir zu Bette, bin nicht deine Magd, sondern deine Frau. Zu billigen Dingen nehme ich Geld, frage oder frage nicht, nach meinem Belieben. Hältst du mir dieses vor, so rechne ich mit dir und will dir zeigen, wer daran schuld ist, daß wir kein Geld haben, du oder ich.«

Uli war noch Keiner von denen, auf welche eine feste Sprache keinen Eindruck macht. Er besaß noch das Gerechtigkeitsgefühl, welches die Streitsucht dämpft, sobald das Recht des Andern klar ist. »Tue nur nicht so,« sagte er, »wie[245] eine Katze am Strick. Es hat dir noch niemand gesagt, du sollest kein Geld haben oder du vergeudest, du tuest nichts. Daß du mit den Leuten bekannt bist, das wußte ich nicht, und wenn es einem zuweilen wunderlich in den Kopf schießt, das soll dich nicht wundern. Da sollte ich eigentlich Kühe kaufen, mit Pferden wäre auch was zu machen. Schweine müssen auch gekauft sein, du redest ja alle Tage davon, und kein Geld! Ich liege da wie ein Hungriger, dem die Hände gebunden, das Maul verstopft ist, mitten unter Brot und Würsten.«

Dieses Einlenken von Uli führte zu einer ehelichen anständigen Ratssitzung, in welcher man in reiflicher Erwägung, daß man kein Geld habe und solches bedürfe, beschloß: es solle das Nötige von Ulis Ersparnissen aus der Kasse erhoben werden. Vreneli schlug als zweiten Artikel vor, daß die übrigen ausstehenden Gelder mit allen Mitteln eingetrieben, die Schuldner zur Rechnung angehalten würden. Auf die Versicherung von Uli, das verstehe sich von selbst und bedürfe keines weitern Beschlusses, ließ Vreneli den Artikel fallen, und es wurde zur Tagesordnung geschritten.

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 2, Zürich 1978, S. 225-246.
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