Siebentes Kapitel

[73] Wie der Meister für den guten Samen einen Ofen heizt


So kam er fast ungeschlagen aus großer Gefahr. Freilich reute ihn das vertane Geld, die verderbte Kleidung, und er konnte den Verlust fast nicht verwinden. Indessen erkannte er auch den großen Gewinn, den er gemacht hatte, daß er nämlich für immer begreifen gelernt, wer es gut und wer es bös mit ihm meine; daß die vom Teufel seien, welche einen auf den breiten Weg locken, und die von Gott, welche an den schmalen Pfad mahnen, der so mühselig ist in seinem Anfang, aber so herrlich in seinem Ausgang. Um dieses Gewinnes willen verschmerzte er den Verlust und verlor den Mut zum Sparen nicht, wurde aber doch erst dann recht froh, als er den Schaden wieder erarbeitet und da fortfahren konnte, wo er bereits gewesen war. Das war ein groß Glück, denn nichts lähmt den Mut mehr und oft für immer, als wenn man wieder von vornen anfangen soll. Rasch will einer einen Berg hinauf, er kugelt wieder hinab; er setzt noch einmal an, es geht ihm wie[73] das erstemal; da schleichen die Meisten lendenlahm weiter und lassen den Berg stehn. Laßt Pferde umsonst einen Wagen anziehen, durch einen ungeschickten Fuhrmann schlecht geleitet, und der Wagen kömmt nicht nach, so werden sie allemal schlechter anziehen und zuletzt es gar nicht mehr versuchen wollen. Gerade so ist es beim Hausen insbesonders, beim Besserwerden, sich Bekehren im allgemeinen: fruchtlose Versuche, Rückfälle sind die gefährlichsten Feinde wirklicher Besserungen.

Uli erhielt sich indessen oben, wenn schon das eigene Fleisch und Blut und manche Gelegenheit ihn hinunterziehen wollten. Am schwersten waren ihm die Winterabende, in welchen es nichts zu rüsten gab, und die Sonntage im Winter; da dünkte es ihn, es ziehe ihn jemand an allen Haaren nach irgend einem Versammlungsort der Jugend, wo man anfänglich scheinbar Unschuldiges treibt, um Nüsse spielt, dann um Branntwein, dann um Geld und endlich noch ausfliegt, um seine Lust weiters zu büßen. Es ist in gar vielen Häusern eine Eigentümlichkeit, welcher man bestimmt viele schlechte Diensten zu verdanken hat. In gar vielen Häusern haben nämlich die männlichen Diensten keine helle oder warme Stube, in welcher sie sich aufhalten können. Sie schlafen in den obern Kammern; diese sind an den meisten Orten finster, an allen kalt, selten eine enthält Stühle, noch weniger Tische: es sind bloße Schlafstätten, in welchen oft im Winter Biecht an das Dackbett sich ansetzt, und wer einen Pfnüsel hat, soll häufig Eiszäpfen unter die Nase kriegen, ungefähr so, wie sie an Strohdächern zu Hunderten hangen. Hier können sie sich im Winter nicht anders aufhalten als im Bette, und schlafen mag man doch nicht immer; von irgend etwas anders Machen ist nicht die Rede, nicht einmal von einem Knopf Annähen oder einem Fürfuß Plätzen für die Notdurft. In der Stube, wo gegessen wird, duldet man[74] sie meistens nicht. Gewöhnlich ist es die Wohnstube der ganzen Haushaltung. Aber die Knechte sollen nicht darin sein. Bis man zum Essen ruft, sollen sie nicht hineinkommen, und wenn abgegessen ist, so sollen sie wieder hinausgehen, sonst macht die Hausfrau saure Augen, und wenn die nichts nützen, so erhält der Meister den Auftrag, dem Knecht zu sagen, sein Tubak stinke gar, oder aber kurzweg: Wenn er gegessen habe, so hätte er nichts mehr in der Stube zu tun, er könne ins Gaden hinauf, dort sei sein Platz. Etwas besser haben es die Mägde; die können doch in der Stube sein, auch an den Abenden, wo nichts zu rüsten ist, sie müssen spinnen. An Sonntagnachmittagen sieht man sie aber an vielen Orten auch nicht ungern wandern, und schon manche Bäurin hat zu der Magd gesagt: Ob sie denn nie von Hause weg wolle; das zu Hause Plättern trage doch hell nichts ab, und es gebe nichts aus einem Meitschi, wenn es nicht von Hause wegkomme. Wo sie jung gewesen sei, da hätte man sie des Sonntags nicht einmal an einem neuen Hälsig daheimgehalten, da hätte es müssen öppe usgrüteret sy.

Es gibt hie und da auch Dienstenstuben, aber da bemächtigen sich meist die Mägde derselben und entblöden sich nicht, die Knechte unter irgend einem Vorwand wegzujagen: bald wollen sie die Hühneraugen abhauen, bald sich anders anlegen usw., und die Knechte müssen weichen. Einige Abweichungen von dieser Regel gibt es: wo die Meisterleute nicht aufpassen und die Diensten unter sich leben können, wie sie wollen, und die Knechte gerade die Liebhaber der Mägde sind, da wird die Toilette ziemlich ungeniert gemacht. Nun stelle man sich vor, was aus einem Knechte werden muß, der jahrelang keinen Platz hat, etwas zu schreiben oder zu lesen, der während einem ganzen Jahre vielleicht nicht ein Halbdutzend Male dazukömmt, etwas im Kalender nachzuschlagen, der hinausverwiesen ist in den Stall[75] zum Vieh oder hinauf ins finstere Gaden, der noch dazu ausgelacht wird, wenn er statt in den Stall einmal in die Kinderlehre wollte. Man denke vernünftig nach, ob natürlicherweise diese Menschen nicht mehr oder weniger zum Vieh herabsinken müssen, denn Menschen, welche zu keiner geistigen Speise mehr kommen, müssen auf feinere oder gröbere Weise dem Tiere ähnlich werden. Die, welche noch einen besseren Trieb in sich fühlen und nicht ein völlig Tier werden wollen, die verlassen Stall und Gaden und suchen andere Menschen auf – Gesellschaft. Diese Gesellschaft besteht aber eben aus Leuten zumeist, welche kein Heim haben, keine Triftig daheim, deren Seele zu etwas Höherem weder gespeiset noch getränket wird. Hie und da wird ein harmlos Kurzweil getrieben, an vielen Orten aber reizen schon die Gespräche die gröbste Sinnlichkeit, Getränke tun es nicht weniger, und man mag kaum die Nacht mit ihren dunkeln Schatten erwarten, um die mühsam gezügelte Begierde ganz loszulassen. Es würde ganz bestimmt selbst die, welche den Sonntag nicht als einen Tag des Herrn betrachten, schaudern an Leib und Seele, wenn man ihnen vor ihrem Angesicht all das Treiben an den Wintersonntagnachmittagen und -abenden könnte aufgehen lassen. Und ein bedeutender Teil dieser Unsitte rührt davon her, daß die dienende Klasse in ihren unbeschäftigten Stunden keinen heitern Platz an einem Tische, keinen warmen Platz an oder auf einem warmen Ofen hat. Es klagen so viele sonst vernünftige Leute über die Schlechtigkeit der Dienstboten und wie sie kein Gefühl, keinen Verstand und ich weiß nicht, was alles, nicht hätten, und diese weisen ihren Diensten oft einen Wohnort an, den man nicht einmal unter die hoffärtigen Hundeställe rechnen könnte. Und wenn man ihnen die Bemerkung macht, daß wer wie das Vieh wohne, doch wohl nicht viel besser als das Vieh sein könne, so sagen sie, sie könnten sich nicht anders einrichten,[76] die Hauszinse seien gar teuer und das Holz auch nicht wohlfeil. Ich habe nichts dawider; aber dann müssen sie auch mit den Diensten vorlieb nehmen, wie sie in Hundsställen und in Löchern werden.

Dieser Übelstand ist aber nicht nur auf dem Lande zu Hause, sondern je länger je mehr auch in den Städten. Man mag kein Stübchen mehr für Mägde mieten, ja man baut große Häuser, wo man nur wirkliche und eigentliche Hundeställe für Dienstboten anbringt und keine Stube für Menschen. Aber wie alles sich vergiltet, so auch dieses, und es gibt Häuser, welche gerade wegen dieser Unsitte nie rechte Dienstboten haben können, sie nie haben werden, solange sie das nicht ändern. Man glaube mir nur: einen großen Segen würde manchem Hause eine Stube bringen, wo der arme Knecht, der eine ganze Woche am Wetter gewesen, wenigstens am Sonntag Licht und Wärme, einen freien Platz am Tisch, ein vernünftig Buch, ganz besonders die Bibel und allfällig auch ein Schreibzeug finden würde. Man bedenke: die Diensten sind keine Hunde; je vornehmer man sich gegen sie beträgt, um so gemeiner werden sie, und wenn unser Betragen gegen sie nicht mönschelet, so mönschelen sie auch nicht mehr.

Dieser Übelstand drückte auch Uli. Er wollte die Sonntagnachmittage daheim zubringen, aber was sollte er machen? Sie wurden ihm so lang wie des Samihanse Taunern im Buchiberg die Vormittage, wenn er dieselben mit dem Frühstück des Morgens um fünf Uhr angehen läßt, durch keinen Imbiß sie unterbricht und erst nachmittags um zwei Uhr mit dem Mittagessen sie schließt (Wir wollen wetten, das ist der Einzige an der ganzen Bucheggberg-Sonnseite, bei dem es so halb und halb pariserlet).

Einst traf der Meister Uli an, wie er unter dem Dachtrauf stund und das eine Bein schon außer demselben hatte und doch nicht ganz darüberauskam. Nachdem er ihm lange zu[77] gesehen, fragte er ihn endlich: »Was Schießigs hast du? Bist du da angeklebt, daß du nicht fortkömmst?« »Nein, Meister,« sagte Uli, »aber es reißt mich fast voneinander; etwas reißt mich hinaus und ein Anderes hinein, und Keines mag das Andere recht, und so bin ich übel daran und fast wie gebannt; ich wollte, es würde mir jemand entweder hinaus, oder hineinhelfen; es friert mich bereits, daß ich meine Füße gar nicht mehr fühle.« Der Meister lachte und fragte: Was er da Wunderlichs habe, das ihn so hierher und dorther ziehe, er solle ihm es brichten.

»He, Meister, ich habe grausam Langeweile und weiß gar nicht, was machen, und da habe ich gedacht, ich wolle etwas zur Gesellschaft. Aber ich weiß nur an ein Ort hin und weiß, wie es da geht; wie ich davonkomme, das aber weiß ich nicht; da dachte ich, es sei besser, daheim zu bleiben. Aber was soll ich daheim machen? Ins Bett mag ich nicht, im Stall ist es mir auch erleidet, und ums Haus herum geht der Bysluft, daß es einem fast die Knöpfe ab den Kleidern nimmt, so daß es mich wegtreibt und gar nicht daheim dulden will. Meister, was soll ich machen?«

»Du bist ein dummer Bursche,« sagte der Meister. »Kannst du nicht in die Stube? Dort ist der Ofen warm, geht der Bysluft nicht, und wenn du schon einmal ein Kapitel lesen würdest, so würde es dir gar nichts schaden.«

»Jä, ich weiß es neue nit mit der Stube,« sagte Uli, »obs denn allen recht ist, wenn ich da drinnen hocke; ich habe es neue einist welle probiere, und da hat es mich gedünkt, als wäre ich allen Leuten im Wege.«

»He, das wäre mir gspässig,« sagte der Meister; »wenn es mir recht ist, wenn du da drinnen bist, so wirds den Andern wohl auch recht sein müssen.«

»Ich weiß's neue nit,« sagte Uli. Indessen kam er doch vom Bysluft weg und dem Meister nach in die Stube. Doch gebärdete[78] er sich, wie wenn er zVisite wäre, und wußte nicht recht, wo er absitzen solle. Er setzte sich endlich an die untere Ecke des Tisches, und der Meister gab ihm die Bibel, welche in der obern Ecke des Tisches stand, und zeigte ihm noch andere Bücher auf dem Buffert und sagte ihm: Wenn er in der nicht mehr möge, so soll er da nehmen, was ihm gefalle. Angeklebt an Tisch und Bank begann Uli zu lesen, aber den beiden Jungfrauen war er da im Wege. Die eine wollte da, wo er die Bibel hatte, gerade das Kacheli mit Wasser stellen, welches sie zum Strählen brauchte, und als er weiterrutschte, so wollte die zweite gerade da, wo er jetzt war, ein Mänteli fieggen, und als er noch weiterging, war er mit den Beinen im Wege, und sie klagten, daß sie nicht sauft zueche und dänne könnten. Da begann er doch auch aufzubegehren: Daß er so gut das Recht hätte, da zu sein, als sie; der Meister habe ihn ja selbst geheißen hineinkommen, und es dunke ihn, dBible sollte so gut Wyti auf dem Tische haben als so ein ausgegriffener Hemlideckel. Die Mägde sagten aber: Was frügen sie dem Meister nach! Es sei, so lange sie hier seien, nie der Brauch gewesen, daß ihnen die Knechte hier am Tische den Platz verschlügen. Das wär ihnen afangs lustig, wenn der Meister alle Tag einen neuen Brauch einführen wollte und sie die Kühdreckhosen einen ganzen Tag in der Nase haben sollten; es sei genug, wenn sie ihnen alle Essen verstänkten. Das gehe den Meister nichts an, da habe er nichts zu befehlen. Uli sagte, er dächte, der Meister hätte so viel zu befehlen hier als so eine halbbatzige Jumpfer, und er wisse, daß seine Hosen nicht so stänken als andere, welche sie ganze Nächte in der Nase gehabt.

So zankten sie, bis die Meisterfrau aus dem Stübli kam und sagte: Es sei doch afange eine böse Sache. Am Werchtig kämen ihrer Gattig Leut nie dazu, ein Buch zu nehmen. Und wenn man dann am Sonntag eins nehmen wolle und öppe[79] auch tun, wie es dr Brauch sei, so könne man nicht einmal mehr ruhig ein Kapitel lesen. Öppige sei das nicht so gewesen, und die Diensten hätten auch öppe gwüßt, was dr Bruch syg. »Vrzieht, Meisterfrau,« sagte Uli, der den Trumpf wohl begriff. »Der Meister hat mich hinein geheißen, aus mir selber wäre ich nicht gekommen, aber ich kann wieder gehen.« »Bleib nur, Uli,« sagte die Frau, als sie vom Meister hörte, »ich habe dich ja nicht geheißen, zu gehen; aber des Zanks mag ich nicht, und ihr könntet einander ruhig lassen. Wenn ich öppis lesen will, so mag ich das Branzen nebenzuche nit.«

Das Zanken hörte auf; aber es war Uli doch nicht recht wohl da, er war froh, als die Fütterungszeit kam und er hinaus konnte. Dort traf ihn der Meister, der von einem Gange heimkam, und fragte ihn: Wie ihm jetzt der Nachmittag fürgegangen? »Ho so,« sagte Uli, das Lese in der Bibel sei ihm neue no kurzweilig gewesen, er hätte es nicht geglaubt; aber sonst wisse er neue nicht, es hätte ihm doch geschienen, er sollte nicht drinnen sein. Ob ihn jemand hätte hinausgehen heißen, fragte der Meister. Oh, apartig nicht, sagte Uli, aber er hätte es sonst merken können.

Weiter fragte der Meister nicht, aber als er hineinkam, fragte ihn seine Frau: Sie möchte ihn doch fragen, aber er solle nicht höhn werden, was ihm denn eigentlich in Sinn komme, dKnechte heißen in die Stube zu kommen am Sonntagnachmittag? Das sei bei ihnen nie dr Bruch gewesen. Wo man dann eigentlich sein solle, wenn auf jedem Bank so ein Gstabi eim am Weg sei; und wenn e Mönsch zu eim chömm, wo man dann mit ihm ein vertrautes Wort reden wolle, wenn die Stube voll Diensten sei? Im Sommer könne man in die Hinterstube, aber im Winter sei es dort zu kalt und man müsse mit den Leuten in die Vorderstube, wo es auch viel freiner sei von wegen der Sonne, die den ganzen Tag da hineinscheine.[80]

Der Meister hatte ernsthaft der Frau zugehört und sagte dann: »Jetzt, Frau, höre mich auch und werde auch nicht höhn; aber ich will dir sagen, was ich gemacht habe, und während ich da so herumgelaufen bin, habe ich darüber nachgedacht, und die Sache ist mir viel wichtiger vorgekommen, als ich afangs gsinnet.« Nun erzählte er, daß er so ganz zufällig den Uli getroffen und wie und dann habe hineinkommen heißen aus Erbarmen; denn es sei doch wirklich grüselich, wenn so ein Knechtlein nirgends sein solle und wenn er in schlechte Gesellschaft müsse, um nur irgendwo zu sein. Dem habe er so nachgedacht, und die Sache sei ihm je länger je ernsthafter vorgekommen. So könne ja kein Knecht ein Buch nehmen, keiner o öppige einist einen Buchstaben machen; alles, was er in der Schule erlernt habe, vergesse er, und wenn er einmal etwas anfangen wolle oder Kinder bekomme, so könne er kaum das Druckte mehr, vrschwyge de das Gschriebne. So komme ja gar nichts mehr Vernünftiges in seinen Kopf und er vergesse ganz und gar, daß er ein Mensch sei. Und noch eins habe er gedacht. Fast allemal, wenn eins fortgehe, so komme es mit einem großen Kopf heim; sie machen sich die Köpfe gegenseitig so groß wie Ofenhäuser. »Eine jede Frau hat die Freude, auszufrägeln, aufzuweisen, und die boshaftesten können sich dabei so verflümeret gutmeinend stellen, daß es mich schon manchmal gejuckt hat, so einem Giftlöffel eins zum Gring zu geben, daß es dünke, es fahre zring um dWelt. Da habe ich gedacht: wenn man sie ungezwungen und ungeheißen daheim behalten könnte, so wäre man ds Halb bas, und wenn sie bei dem Daheimbleiben vernünftiger würden und öppe o sinne lernte, was ihr eigener Nutze wäre, so wär man nicht nur ds Halb bas, sondern noch einmal so wohl.«

»Eh Johannes,« sagte die Frau, »schnup doch, du kömmst ja ganz vom Atem und machst es akkurat wie üse Predikant,[81] der redet auch, es ist am Halbe zviel. Es ist mir zuwider, einen neuen Brauch anzufangen, und wo sollen wir sein? Sollen wir keinen rühigen Ecken haben, wo wir für uns sein sollen, wo uns nicht immer so ein Gstabi am Weg ist, wenn man auch etwa ein vertraulich Wort miteinander reden möchte, wozu man durch die ganze Woche keine Zeit hat?« Der Johannes meinte, sie hätten immer das Stübli, oder man könnte am Sonntag die Hinterstube heizen, es trage es eim wohl ab, wenn man die Diensten nicht in der Wohnstube haben möchte. »Was würden die Leute sagen, wenn wir so etwas Neues anfangen wollten?« sagte die Frau. »Du Tröpfli,« sagte Johannes, »merkst du noch nicht, daß die Leute immer zu reden haben, du magst alte oder neue Sachen machen? Den Leuten entrinnt man nie, man mag es machen, wie man will; aber man kömmt am ungebissensten davon, wenn man es mit ihnen gerade macht wie mit den Hunden, ihre Ehre vorbehalten: diese beißen die am meisten, welche sich am meisten vor ihnen fürchten.«

»Aber Johannes, denkest du denn nicht an deine Kinder? Die werden immer bei den Diensten sein wollen, und du weißt ja, was sie da für wüste Sachen lernen. Es ist gerade, verzeih mir Gott meine Sünde, als ob der Tüfel sie stüpfe, ihnen das Wüsteste zu sagen.« »Aber Frau,« sagte Johannes, »du verhütest es nicht, daß die Kinder nicht bei ihnen sind, und finden dieselben die Diensten nicht in der Stube, so laufen sie zu ihnen in den Stall, du kannst nicht immer daran denken. Gerade jetzt habe ich zwei bei Uli gefunden. Nun werden sie ihnen in der Stube unter unsern Ohren gewiß weniger wüste Sachen brichten als draußen im Stall. Und wenn sie etwas Vernünftiges vernehmen in der Stube, so ist es mir weit lieber, daß die Kinder bei ihnen seien, als draußen auf der Gasse, woher sie dir ja gewöhnlich heimkommen, als hätte man sie durch Dornhäge gezogen und in Güllen herumgetröhlt.«[82]

Die Frau hatte noch manches einzuwenden, doch gab sie am Ende nach, und Johannes führte den neuen Brauch ein, daß seine Knechte an Sonntagen und nach dem Feierabend Triftig hatten an einem warmen, hellen Orte. Herd warf es freilich allemal auf, wenn an Abenden hie und da zwei Lichter notwendig wurden. Es wollte der Bäurin fast vor den Atem kommen, wenn der Johannes die zweite Lampe anzündete, damit ein Knecht im Kalender lesen könnte. Müssen doch an vielen Orten Knechte ohne Licht ins Bett, und jetzt gab ihnen Johannes eins nur so für die Gwundernase! Es düechte sie, das hätte afe sy Seel ke Gattig.

Indessen sie gewöhnte sich daran, und es ging je länger je besser und zu ihrer eigentlichen Freude.

Die Diensten gewöhnten sich daran, daß immer ein Platz für sie da sei und am Sonntag bald in der Wohnstube, bald in der Hinterstube, wie es sich schickte. Dort konnte einer auf dem Ofen liegen oder am Tische sitzen, wie er wollte, aber meistens geschah das Letztere. Eins las, eins machte Buchstaben, zwei Andere versuchten etwas zu rechnen; die Einen halfen den Andern, und wenn niemand mehr aus und an wußte, so ward man rätig, den Meister zu fragen, und wenn der zum Beispiel ein vorkommend Wort nicht zu erklären wußte, so mußte ein Kind am folgenden Tag den Schulmeister fragen, der aber auch nicht einen Kopf hatte, in dem alles stand, was Andere nicht wußten. An allem diesem nahmen die Kinder teil und hatten eine unbändige Freude, wenn sie die großen Knechte etwas brichten konnten und wenn es hieß: »Dr Johannesli ist afe e Gschickte, dr Schumeister cha ne wäger bald nüt meh lehre.« Aber sie hatten nicht nur Freude. Selbst die Bäurin mußte sagen: Es düech se, sie hätten noch keinen Winter so viel gelernt als in diesem, und man hätte so wenig mit ihnen zu tun und wüßte doch immer, wo sie wären.[83]

Aber auch die Diensten schienen anders zu werden. Es gab viel weniger Verdruß mit ihnen, viel weniger Streit unter ihnen. Sie hatten etwas, das ihre Gedanken beschäftigte, und mußten nicht, um etwas zu denken, ihren bösen Gelüsten, ihrem Neid gegen den Meister, den Aufweisungen ablosen und sie immer wiederkauen. Es rührte sich etwas Besseres in ihnen, und sie begriffen immer mehr, daß es doch eigentlich ein Unterschied sei zwischen einem Mooskalb und einem vernünftigen Menschen. Wie beim gesund werdenden Menschen der Hunger kömmt und, solange kein Hunger da ist, immer noch der Tod seine Krallen zweg hat, so kam bei ihnen auch der Appetit nach Gottes Wort, und sie gingen gerne in eine Predigt, ja sogar hie und da in eine Kinderlehre und wußten dann nicht nur zu sagen, was verlesen und verkündet worden, sondern auch, wo der Herr den Text gehabt, und bald dies, bald das, was ihnen in der Predigt aufgefallen. Daran knüpften sich dann über Tisch Gespräche und zwar recht ernsthafte, und wenn einer etwas spotten wollte, so wurde er zurechtgewiesen. Sie wurden dabei sich immer mehr bewußt daß es doch etwas Hohes und Bedeutendes sei, ein Christ zu sein, und daß ein christlicher Knecht doch viel besser daran sei als ein heidnischer König, der nicht recht wisse, warum er auf der Welt sei, während der christliche Knecht doch wisse, daß er da sei, um ein Kind Gottes zu werden und das Himmelreich erblich zu erwerben.

Die Nachmittage gingen vorbei wie im Fluge, und allemal, wenn es viere schlug, wollte es niemand glauben: Das könne unmöglich sein, sagten sie, man hätte ja erst gegessen. Die Bäurin sagte selbst, sie hätte das nicht geglaubt und hätte selber recht kurze Zyti dabei. Ja es kam sie mehr als einmal an, daß sie im halben Tag ein Kaffee machte über den ganzen Tisch weg und nicht einmal daran dachte, was die Leute sagen[84] werden, daß sie am Sonntag im halben Tag ein Kaffee mache für Knechte und Mägde.

Etwas Unerwartetes hätte die ganze Geschichte beinahe verkehrt und zerstört. Man sieht im Winter da, wo die Sonne warm und viel scheinet, die Fliegen sich hinziehn und da an der Sonne ihr Leben genießen; gerade so ists an Sonntagen, wo ein warmer Ofen für Diensten frei ist, mit den Diensten. Es ist recht traurig zu sehen, wie sie sich fast unwillkürlich herzulassen wie die Fliegen an die Sonne und sich wärmen und im Gefühl der Wärme auftauen und ihres Lebens sich freuen. Freilich ist dann dieses Auftauen oft ein schmutziges, und die Freude gibt sich auf eine wüste Art kund.

Es ging nicht lange, so merkte hie und da einer, daß am Sonntag beim Bodenbauer eine warme Stube sei. Wo nun das Gelüsten treibt, macht ein Knechtlein nicht lange Komplimente. »Seh komm,« sagt er zu seinem Kameraden, »wir wollen da hinein, sie werden uns notti nit fresse, er ist öppe kei Herr nit und mi wird öppe wohl i si Stube dörfe. Er het zwo vrfluecht brav Jumpfere, die werde wohl öppe o dinne sy.« Mit diesem Sinne drang nun der Eine den Andern hinein und wollten nun drinnen Flausen machen, den Narren treiben, Karlishof haben. Es kamen nicht nur Knechte, sondern diesen nach zogen auch Jumpfern, und diesen war es auch nicht um etwas Vernünftiges, sondern nur um die Knechtlein zu tun. Das gab nun ein Zök, ein wüst, unsauber Wesen in Reden und Gebärden, in Liedern und Werken, daß der Bodenbauer Holla machen mußte, so unangenehm es ihm war. Denn es wird wohl einem Landmann nichts unanständiger sein, als wenn er fremde Diensten zurechtweisen, ja überhaupt, wenn er sich geradeaus einen Tadel, eine Zurechtweisung erlauben muß, die man ihm übel nehmen, übel auslegen, nachtragen könnte. Aber es mußte geschehen. Er sagte daher einmal: Er wolle niemand verbieten, in sein Haus zu[85] kommen, allein dasselbe sei kein Haus für Kilbi zu halten; wer nur wüst tun wolle, solle an ein ander Ort hingehen, und des Zöks begehre er nichts. Man könne ja bald nicht einmal stehen in der Stube, und es stinke von Tubak, daß es eim fast erstecke. Es gutete nun. Freilich räsonierten einige kreuzerige Knechtlein, und einige viererige Jungfräulein rümpften die Nase, aber was frug dem der Bodenbauer nach!

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 1, Zürich 1978, S. 73-86.
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