Der andere Auftritt.

[360] Atalanta. Die Vorigen.


ATALANTA.

So, so, du saubres Paar,

Ertapp ich dich einmal! Nun ist es offenbar,

Was ich schon längst gemerkt!

NISUS.

Ich glaub, du bist geschossen!

Was hörst und siehst du denn?

ATALANTA.

Verliebte Narrenpossen!

Was soll das albre Zeug? Was nützt die Plauderey!

Und du, mein Bruder selbst, du selber bist dabey?

Bist du der weise Mann in unserm Schäferorden?

Ist denn dein starkes Herz so plötzlich schwach geworden?

Du pralest ganz umsonst von deiner Künste Zier;

Die That stimmt gar nicht ein!

MENALKAS.

Was soll das Spotten hier?

Erwäge, was du sprichst: die reinen Liebesflammen,[360]

Kann, weil sie himmlisch sind, kein Sterblicher verdammen.

Der fromme Schäferstand, der stets auf Tugend hält,

Hat dieß noch nie gethan. Von Anbeginn der Welt

Ist dieses der Gebrauch gewesen und geblieben:

Ein tugendhaftes Herz darf man vernünftig lieben.

Was tadelst du mich denn?

ATALANTA.

Ich thu es mit Bedacht;

Dieweil man sich dadurch dem Pöbel ähnlich macht.

Nur das gemeinste Volk pflegt dergestalt zu brennen:

Wie soll man denn an dir den weisen Mann erkennen?

Du machst es eben so, wie Leute schlechter Art.

NISUS.

Glück zu, du weiser Mann! wo hast du denn den Bart?

Und du, mein kluges Kind, wie artig kannst du schwatzen!

Wo nimmst du alles her? Gewiß die wilden Katzen,

Die Vögel, kurz, das Wild, das deine Spuren flieht,

Hat dirs nicht vorgesagt!

MENALKAS.

Du bist umsonst bemüht,

Die Triebe meiner Brust durch den Verweis zu dämpfen.

Was ohne Tadel ist, das darf ich nicht bekämpfen.

Die Weisheit strafet nur den Ausbruch böser Lust;

Davon ist mir gottlob! bisher noch nichts bewußt.

Allein die reine Gunst zu diesem schönen Kinde

Hält weder die Vernunft, noch Tugend selbst für Sünde.

Wer was gemeines liebt, der liebet pöbelhaft:

Die edle Liebe bleibt der Weisen Eigenschaft.

Die sehn auf Geist und Witz und ein gesetztes Herze,

Das nicht im Glücke trotzt; hingegen auch im Schmerze

Nicht matt und zaghaft wird. Sie sehn auf Redlichkeit;[361]

Nicht auf die Schönheit bloß, die mit der Frühlingszeit

Der zarten Jugend welkt. Und dieses ists gewesen,

Warum ich mir bisher die Doris auserlesen.

Das tugendvolle Kind! Wie gerne rühmt ich sie?

Allein sie steht dabey – –

DORIS.

Gieb dir nur keine Müh!

ATALANTA.

Das ist der Vorwand nur von deinem eitlen Triebe.

Die Schönheit reizet dich gleich andern zu der Liebe:

Hernach beschönigst dus nach deiner alten Art,

Und sprichst, es habe sich die Tugend bloß gepaart.

Ach, wäre Doris nur nicht lieblich von Geberden;

Was gilts! sie würde nie von dir geliebet werden.

NISUS.

Ist denn die Schönheit nichts? Du forderst gar zu viel!

Geh, wähle dir einmal den alten Besenstiel

Für einen grünen Zweig; die abgefreßne Heyde

Für eine fette Flur, wo uns zur Augenweide

Viel bunte Blumen stehn. Und was? ein schöner Hund

Gefällt dir selber wohl. Man scheelt die Stäbe bunt;

Warum? das macht sie schön. Und dann soll, bey dem allen,

Ein schönes Angesicht uns Schäfern nicht gefallen!

Du selbst gefällst mir wohl.

ATALANTA.

Gib dir die Mühe nicht!

MENALKAS.

Du bist ganz ungerecht. Ein lieblich Angesicht

Ist wahrlich ein Geschenk von ungemeinem Werthe![362]

Wer ist wohl unter uns, der ein Gesicht begehrte,

Davor man laufen muß? Die Gaben der Natur

Sind auch schon liebenswerth. Doch wo der Schönheit Spur

Uns zu Gemüthern führt, die auch entzücken können;

Da muß die Liebesglut auch zweymal stärker brennen.

ATALANTA.

So liebt denn immerhin! und laßt mich wieder gehn.

Ich liebe Wild und Jagd, die sind gewißlich schön!

NISUS.

Ja, ja! man sieht es wohl! das zeigen deine Wunden.

Was fehlt dir denn am Arm? Du hast ihn ja verbunden.

Das hat gewiß ein Bär, ein Wolf, ein wildes Schwein,

Aus Höflichkeit gethan! Wie artig muß es seyn,

Wenn man ein wildes Thier so liebenswürdig schätzet!

MENALKAS.

Und selbst zu Schaden kömmt, sich selbst zu tode hetzet.

ATALANTA.

Das geht euch gar nichts an!


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Herausgegeben von Joachim Birke, Band 2: Sämtliche Dramen, Berlin 1968/1970, S. 360-363.
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