Des I. Abschnitts VIII. Hauptstück.
Von dogmatischen Gedichten.

[498] 1. §.


Wir haben in dem ersten Hauptstücke des ersten Theils gesehen, daß die Dichter die ältesten Lehrer des menschlichen Geschlechtes gewesen; und daß also die Dichtkunst die Weltweisheit der rohen Völker abgegeben. Diesen Begriff bestätiget nichts so sehr, als die Betrachtung einer großen Menge von eigentlichen Lehrgedichten, die uns aus dem Alterthume übrig geblieben; und die uns H. Stephanus, unter dem Titel, POESIS PHILOSOPHICA, ans Licht gestellet. Nun leidet es zwar mein Raum hier nicht, von allen denselben zu reden: allein von den vornehmsten muß ich doch einige Nachricht geben, um die Regeln der dogmatischen Poesie daraus zu ziehen. Dieses wird zugleich deutlich zeigen, daß die Poeten nicht nur das Belustigen, sondern auch ganz eigentlich das Unterrichten ihrer Leser zum Zwecke gehabt:


AUT PRODESSE VOLUNT, AUT DELECTARE POETÆ;

AUT SIMUL & JUCUNDA, & IDONEA DICERE VITÆ:


Aus den fabelhaften Gedichten allein wollen dieses einige Feinde der Dichtkunst, z.E. Le Clerc, noch nicht sattsam einsehen: wie denn dieser in seinen Parrhasianen die Poeten mit geschickten Kegelspielern vergleicht, und nicht begreifen kann, wozu sie einer Republik nütze wären. Siehe in der kritisch. Beytr. VI. B.a.d. 572. u.f.S. meine Uebersetzung,[499] von dieser Abhandlung, nebst den Anmerkungen dazu. Allein aus den eigentlichen Lehrgedichten muß die Sache so deutlich ins Auge fallen, daß die Absicht der Dichter auch das eigentliche Lehren gewesen sey, und seyn könne: wie ich in der lateinischen Abhandlung, die ich vor der leipziger Ausgabe von des Card. Polignac, Antilucrez, deutlich erwiesen habe. Man sehe auch in der Geschichte der parisischen Akademie der schönen Wissenschaften VI. B. XII. Art. a.d. 132. u.f. S. was Racine daselbst sehr gelehrt von dieser Sache geschrieben hat.

2. §. Die allerältesten Gedichte dieser Art würden unstreitig die sybillinischen Orakel seyn: wenn es nur ausgemacht wäre, daß dieselben nicht in neuern Zeiten untergeschoben worden. Allein ihr Inhalt zeiget zur Gnüge, daß die noch vorhandenen Bücher derselben von denen ganz unterschieden sind, deren Livi us und andere Alten gedenken. Diese zielten nämlich zu Beförderung der Abgötterey, und des Heydenthums ab: dahingegen jene allenthalben das klare Christenthum im Munde führen; und auf den Götzendienst los ziehen. Zudem findet man, daß die wahren sybillinischen Bücher, die zu Rom bis auf des ältern Theodosius Zeiten, von den Zehnmännern zu Rathe gezogen werden mußten, unter dem Honorius vom Stilicon verbrannt worden: worüber denn die Heyden sehr bittere Klagen geführet. Rutilius Numatianus schreibt davon im XI Buche:


NEC TANTUM GETICIS GRASSATUS PRODITOR ARMIS,

ANTE SYBILLINÆ FATA CREMAVIT OPIS.

ODIMUS ALTHÆAM CONSUMTI FŒDERE TORRIS;

NISÆUM CRIMEN FLERE PUTANTUR AVES.

AT STILICHO ÆTERNI FATALIA. PIGNORA LIBRI,

ET PLENAS VOLUIT PRÆCIPITARE COLUS.


Und wie ungereimt ist es nicht, zu glauben, daß die blinden Heyden, ein größeres Licht vom künftigen Messias gehabt haben sollten, als die Juden; denen die Propheten nur räthselhaft[500] davon geweissaget. Die Sybille nennet ausdrücklich den Namen der Mutter Christi, Maria, und ihres Sohnes Jesus; die ein Esaias nicht wußte. Kein Prophet hatte vorher gesaget, daß Jesus im Jordan getaufet werden würde: aber die Sybille weis es; ja sie setzet auch hinzu, die ganze Dreyeinigkeit werde sich dabey offenbaren. Wo bleibt nun noch die so berufene Dunkelheit der sybillinischen Schreibart; die sich in den vorhandenen Gedichten gar nicht findet? Ja dieser ihr Ausdruck ist nicht einmal recht griechisch, sondern wimmelt von Fehlern. Endlich zeiget der Inhalt, daß die Verfasser derselben allererst um die Zeit der Antoninen gelebet: ob gleich die vermeynte Sybille vorgiebt, sie sey mit ihrem Manne beym Noah im Kasten gewesen. S. den Vossius DE POETIS GRÆCIS CAP. I.a.d. 3. u.f.S.

3. §. Die heilige Schrift liefert uns also an dem Buche Hiobs, an den Sprüchen, und dem Prediger Salomons unstreitig die allerältesten Lehrgedichte, die nur vorhanden sind. Daß nämlich Hiobs Buch das älteste Stück der Schrift sey, bekennen alle Ausleger; und daß es poetisch geschrieben sey, gestehen sie gleichfalls; wenn man den Eingang davon ausnimmt. Doch so verschieden die Schreibart desselben klingt, so gewiß ist auch dieser poetisch; so gar, daß Josephus deswegen dieß Buch für ein episches Gedicht ausgegeben hat. Es würde sich auch so ziemlich zu dieser Classe rechnen lassen: wenn nicht die Zahl der Gespräche und moralischen Unterredungen, die Erzählungen bey weitem überträfe; als die nur im ersten und letzten Kapitel hauptsächlich vorkommen. Der Hauptinhalt ist also unstreitig dogmatisch; indem Hiob mit seinen Freunden von den Wegen der Vorsehung, von der Gerechtigkeit Gottes, von der Tugend und dem Laster, und von beyder Belohnungen und Strafen handelt. Seine Lehrart aber wird dadurch desto lebhafter, daß sie ganz dramatisch, oder gesprächsweise abgefasset ist. Kurz, es ist ein Meisterstück in seiner Art. Salomons Vortrag hingegen ist in seinen Schriften ganz[501] davon unterschieden. Er redet lauter Sprüche, und drücket seine Sittenlehren sehr kurz aus: nicht anders, als ob er die Regel Horazens vor Augen gehabt hätte:


QUIDQUID PRÆCIPIES ESTO BREVIS! UT CITO DICTA,

PERCIPIANT ANIMI DOCILES, TENEANTQUE FIDELES.


Dieses ist nun durchgehends im Oriente, bis nach China hin, die älteste Lehrart gewesen. In seinem Prediger suchet Salomon zwar hauptsächlich die Wahrheit zu behaupten, daß alles eitel sey: doch kommen noch viel andere vortreffliche Lehren vor, die er sehr rührend einzuschärfen weis. Wenn das Buch der Weisheit, und das Buch Sirachs poetisch abgefasset wären: so würde man sie ebenfalls in diese Classe rechnen können. Allein sie würden auch in neuern Zeiten, lange nach dem Hesiodus gehören.

4. §. Der älteste heydnische Lehrdichter bleibt also wohl Hesiodus, aus Cuma gebürtig, der um Homers und des Eumelus, eines andern Dichters Zeiten gelebet, in Ascra einem Flecken am Fuße des Berges Helikon erzogen, ja selbst ein Priester Apollons gewesen seyn soll. Ein großer Beweis seines Alters ist es, daß er selbst anmerket, das Gestirn Arkturus sey zu seiner Zeit in Böotien, den 8 März, ἀκρόνυχος aufgegangen: woraus Jos. Scaliger, in seinen Anmerkungen über den Eusebius beobachtet: man könne in Bestimmung seiner Zeit über siebenzig Jahre nicht fehlen. Er muß nämlich um die Zeit der ersten Olympiaden, oder um des Romulus Zeiten gelebet haben. Sein vornehmstes Werk, das hieher gehöret, sind seine Εργα και Ἡμεραι, wiewohl auch seine Theogonie, und sein Schild des Herkules zu dieser Classe gerechnet werden können. In dem ersten muntert er zuförderst den Perses zum fleißigen Ackerbaue auf; nachdem er ihn aus der Fabel vom Prometheus, dem Epimetheus, und der Pandora belehret: woher es komme, daß es dem Menschen itzo so sauer werde, seine Lebensmittel aus der Erde zu ziehen? Ferner lehret er diesen[502] Freund, alle Tage im Jahre, daran gewisse Feldarbeiten, oder andere Beschäfftigungen eines Landmannes vorgenommen werden müssen: als welche Kenntniß in den alten Zeiten, ein großes Stück der allernützlichsten Weisheit der Menschen ausmachete. In der Theogonie lehret er seine Leser gleichsam den Ursprung aller Dinge, d.i. der Götter und der Welt nach seinem und anderer Weisen damaligen Begriffe. Es ist wahr, daß hier viel Fabeln mit vorkommen, die sich sehr schwer erklären lassen. Allein wer will es von seinen Zeiten fodern, daß sie eine bessere Einsicht gehabt haben sollen? Die Welt riß sich damals erst aus ihrer Rauhigkeit und Dummheit; darinn sie so viel Jahrhunderte begraben gelegen hatte. Es war also schon viel, daß es nur einige gab, die an solche erhabene Dinge zu denken anfingen, und auch andere auf solche Gedanken bringen konnten.

5. §. Ferner finden wir, daß Xenophanes, Parmenides, und Empedokles, der Sicilianer, von der Naturlehre in Versen geschrieben. Theognis hat schöne Sittenlehren in kurze Sprüche poetisch eingekleidet; Timon, der Phliasier, ein pyrrhonischer Weltweiser, und Kleanthes, des zittischen Zenons Nachfolger in der Schule, haben gleichfalls philosophische Gedichte geschrieben; und von diesem letzten habe ich oben im XII. Hauptstücke des I. Th. a.d. 404. und 405. S. eine Probe gegeben. Aratus, ein Sternkundiger, hat seine ganze Wissenschaft des Himmels in einem poetischen Werke vorgetragen; welches den samischen Aristarch, zweene Aristyllen, zweene Krates, zweene Eueneten, den Numenius, den magnesischen Pyrrhus, einen gewissen Thales, und den Zeno zu Auslegern, den Cicero aber zum Uebersetzer bekommen; wie wir noch in seinen Schriften finden. Unter dem Ptolomäus Auletes, oder dem Flötenspieler, lebte ein Alexander, der eine Kosmographie in Versen hinterlassen: und um Cicerons Zeiten lebte Philodemus, ein Epikurer und Dichter. Unter dem Nerva und Trajan, schrieb der Epheser Rufus sechs Bücher in[503] heroischen Versen von Kräutern, wie Galenus erwähnet; und unter dem Antoninus blühete Marcellus Sidites, der die ganze Arzneykunst in 42. poetischen Büchern beschrieben. Amphilochius, Bischof in Ikonien, schrieb ein jambisches Gedicht, darinn er einem Freunde rieth, was für Bücher der heiligen Schrift er lesen sollte. Und wird man endlich nicht auch den Tzetzes hieher rechnen müssen, der uns in seinen Chiliaden eine Menge alter Begebenheiten gelehret hat, die wir sonst nicht wissen würden? wiewohl er auch viel abgeschmacktes Zeug mit eingestreuet hat.

6. §. Kommen wir auf die Lateiner, so steht hier Lucretius billig oben an, der in Hexametern die ganze epikurische Naturlehre beschrieben, und sie so viel möglich, mit poetischen Zierrathen ausgeputzet hat. Allein hin und wieder ist seine Schreibart zu prosaisch und matt, auch mit vielen unnützen Umschweifen erfüllet, die sich für Verse nicht schicken. Ungleich edler hat Virgil den Feldbau beschrieben, darinn er gewiß auch den Hesiodus übertrifft, und alle Künste der edelsten poetischen Schreibart bey einer Materie angebracht, die derselben am wenigsten fähig zu seyn schien. S. die oben angeführte Abhandlung des Racine, von den dogmatischen Gedichten, in der Historie der paris. Akad. der schön. Wissens. VI. B. Ovidius hat nicht nur von der Kunst zu lieben, und den Gegenmitteln wider die Liebe, dogmatische Gedichte geschrieben, sondern selbst seine Verwandlungen und Zeitbücher, oder FASTORUM LIBRI, gehören hieher; darinn er nämlich seine Leser von den ältesten Dingen, dem Ursprunge der Welt, u.d.m. belehren will. Horaz schrieb seine Dichtkunst, auch als ein dogmatischer Poet. Des Cato moralische Disticha sind jedermann bekannt. Boethius streuete in seine philosophischen Trostbücher sehr viel dogmatische Gedichte von den wichtigsten Lehren der Weltweisheit in allerley Versarten ein: Prudentius aber brauchte gar die Dichtkunst, die Lehren des Christenthums darinn vorzutragen. Seine[504] Apotheosis, widerlegt die Secte derer, die da lehrten, Gott der Vater hätte im Sohne gelitten. Seine Hamartigenia ist wider die Marcioniten gerichtet, und erkläret den Ursprung des Bösen. Seine Psychomachie lehret den Streit wider die Sünde, in einer beständigen allegorischen Fabel, die fast einer epischen Erzählung eines Krieges ähnlich sieht. Endlich auch das Gedicht wider den Symmachus, gehört hieher. Was würde ich nicht aus den mittlern Zeiten für eine Menge dogmatischer Dichter anführen müssen, wenn ich mir Leysers Historie derselben zu Nutze machen wollte? Ich will aber nur aus dem XII. Jahrhunderte den Marbodeum DE LAPIDIBUS PRETIOSIS anführen, den Herr Brückmann 1704. wieder in 4. drucken lassen; davon wir auch alte deutsche Uebersetzungen haben. Unter neuern Dichtern fallen mir itzo Daniel Hermanns, eines Preußen, Werke in die Hände, den ich schon, wegen seines epischen Gedichtes, auf die Stiftung der straßburgischen Universität 1567. und vieler andern Lobgedichte wegen, unter die heroischen Dichter hätte rechnen können. Aber er hat auch auf den Fall Adams und die Erlösung des menschlichen Geschlechtes, imgleichen ein anders von dem Begräbnisse Christi, und noch ein anders DE VITA LITTERATA, FIVE SCHOLASTICA, ein langes Lehrgedicht zu Straßburg öffentlich hergesaget. Die ganze Sammlung ist 1604. zu Riga in 4. gedruckt. Des Palingenius ZODIACUS VITÆ ist ebenfalls ein philosophisch moralisches Gedicht, das sehr angenehm zu lesen ist. Endlich hat Schotanus ein metaphysisches aus des Cartesius Meditationen, unser Herr D. Hebenstreit eine metrische Physiologie; MILCOLUMBUS FLEMYNG zu Amst. 1741. in 8. die NEUROPATHIAM, POEMA MEDICUM; und BENED. STAY endlich zu Rom 1747. eine ganze Philosophie in Versen in VI. B. ans Licht gestellet. Des Cardinals Polignac Antilucrez, welchen ich selbst vor wenigen Jahren, hier neu wieder herausgegeben habe, ist eins von den wichtigsten Stücken in dieser Art.[505]

7. §. Auf die Ausländer zu kommen: so sind unter den Engländern folgende die berühmtesten. Denham hat den CATO MAJOR unter dem Titel OLD AGE, in ein solch Gedicht gebracht. Philipps hat vom Cyder ein ausführliches Lehrgedicht geschrieben, worinn er lehret, wie man ihn recht machen soll. Cowley hat tat. vier Bücher von Pflanzen geschrieben, die man in englischen Versen übersetzet hat. Pope hat nicht nur sein ESSAY ON MEN, oder die ETHIC EPISTLES, sondern auch das ESSAY ON CRITICISM, und den TEMPLE OF FAME geschrieben; wo man nicht dieß letztere unter die heroischen Gedichte rechnen will: alsdann aber werde ich seinen Windsorer-Wald dafür hieher ziehen, der voll lehrreicher Gedanken ist. Thomsons vier Jahreszeiten, die Brockes sehr schlecht übersetzet hat, gehören auch unter diese Classe. Ein gewisser Ungenannter hat eine umgekehrte ARTEM POETICAM, unter dem Titel, HARLEQUIN HORACE, auf eine ironische Art geschrieben: und Young hat in seinen NIGHT-THOUGHTS, vom Leben, Tode, und der Unsterblichkeit, auf eine sehr philosophische Art gehandelt. Unter den Franzosen hat Bartas in seiner Woche, die Schöpfung der Welt, nach der mosaischen Geschichte derselben, poetisch abgehandelt. Pibrac hat in vierzeillichten Versen allerley Sittenlehren abgefasset. Boileau, hat die Dichtkunst, in ein ordentliches Lehrgedicht gebracht; an dessen Ordnung und Einrichtung gleichwohl ein holländisches Frauenzimmer, Jungf. Hooghard in ihren LETTRES ANTIPOETIQUES sehr viel auszusetzen gefunden. Der Abt Genest hat in seinen PRINCIPES DE PHILOSOPHIE, den Beweis vom Daseyn Gottes und von der Seelen Unsterblichkeit ausführlich beschrieben; welches wir gleichfalls von Brocksens matter Feder deutsch haben. Der jüngere Racine hat von der Religion ein schönes Lehrgedicht verfertiget, welches wir auch schon deutsch haben. Der Abt Berni hat sich in dieß Feld auch glücklich gewaget, als er ein Stück eines Gedichtes wider die Freygeister ans Licht gestellet. Von wälschen Sachen dieser Art kommen[506] mir des Dantes Hölle und des Petrarcha Triumphe, imgleichen des Tasso MONT OLIVETO in die Hände; davon ich eine einzelne Ausgabe von 1605. in 4. besitze: wiewohl man dieses auch leicht zu der heroischen Art zählen könnte. Nach diesem hat vor etlichen 20. bis 30. Jahren ein Sicilianer die ganze Naturlehre in einem poetisch abgefaßten Folianten ans Licht gestellet. Und Riccoboni, der Vater, hat von der guten Aussprache eines Schauspielers auf der Bühne, ein ausführliches Gedicht im Wälschen gemacht: welches bey seiner Historie der wälschen Schaubühne mit verkaufet wird.

8. §. Es ist Zeit, auf die Deutschen zu kommen: und was könnte ich hier nicht für ein Verzeichniß machen, wenn ich aus allen Zeiten die Lehrgedichte unserer Poeten erzählen wollte? Ottfrieds Evangelien würden hier oben an stehen: ja ich würde ganze übersetzte Bibeln in Menge aus den ältern Zeiten u.a.s. Dinge anführen müssen. Doch weil diese noch nicht gedruckt sind, so verschiebe ich sie in meine Historie der deutschen Sprache. Der Freydank und Hugens von Trymberg Renner hergegen, sind gedruckt, obwohl selten zu haben, und gehören unstreitig zu den moralischen Lehrgedichten. Das Memorial der Tugend des von Schwarzenberg, der getreue Eckard, Morsheims Hof leben, und das Gedicht von Frau Untreu, das im Reineke Fuchs so fleißig angeführet wird; Sebastian Brands Narrenschiff; Burcards Waldis Pabstthum, Ringwalds lautere Wahrheit, imgleichen sein Gedicht von Himmel und Hölle, auch Räbmanns Gespräch von Bergen und Bergleuten; und endlich Jamsthalers spagirisches Buch von der Kunst Gold zu machen, gehören zu den alten Werken in dieser Art. Von Uebersetzungen haben wir nicht nur Dedekinds Grobianus, und Catons Disticha, nebst Pibracs vierzeilichten Versen, und des Bartas Woche; sondern auch den ganzen Palingenius von Sprengen verdeutschet. Allein von neuern ist Opitz an die Spitze aller guten Lehrdichter zu setzen. Sein großes Trostgedicht in Widerwärtigkeit des Krieges ist[507] moralisch; sein Vesuv physikalisch; sein Vielgut, und von Ruhe des Gemüthes, imgleichen sein Zlatna, oder Lob des Feldlebens, gehören völlig hieher. Ein Engländer, mit Namen Teate, hat ein poetisches Werk unter dem Titel TER TRIA geschrieben, welches wir von Wagnern auch deutsch haben. Philander hat aus Sam. Slaters Gedichten, ein Gespräch des Glaubens und der Seele verdeutschet. Eckard, Herr M. Lange, und ich selbst, haben Horazens Dichtkunst übersetzet; und von Brück hat in den Schriften der deutschen Gesellschaft allhier eine eigene gemacht. Brockes und Herr Hofr. Triller haben sehr viel physikalische Gedichte geschrieben, und übersetzet; derer zu geschweigen, die ich schon oben genennet habe. Herr D. Lindner und Herr D. Tralles endlich haben verschiedene schlesische Merkwürdigkeiten von Flüssen und Bergen überaus glücklich in Versen beschrieben, die allerdings zu den Lehrgedichten zu zählen sind.

9. §. Daß es also angehe, dergleichen philosophische, theils natürliche, theils sittliche Materien in Versen abzuhandeln, lehret der Augenschein selbst: und daß es nicht uneben sey, zeigen die angeführten Exempel der größesten Männer. Das fraget sich nur, ob man diese und dergleichen Schriften Gedichte nennen könne? Nach der oben fest gestellten Beschreibung der Poesie überhaupt, kann man ihnen diesen Namen so eigentlich nicht einräumen. Alle diese großen und weitläuftigen Werke sind zwar in Versen geschrieben; in der That aber keine Gedichte: weil sie nichts gedichtetes, das ist, keine Fabeln sind. Aristoteles hat daher in dem ersten Capitel seiner Poetik, dem Empedokles, den Titel eines Poeten abgesprochen, und ihm nur den Namen eines Naturkündigers zugestanden: ob er wohl wußte, daß die Unverständigen ihn, seiner alexandrinischen Verse halber, mit dem Homer in eine Classe zu setzen pflegten. Was er von dem Empedokles geurtheilet hat, das müssen wir von allen übrigen oberwähnten Büchern und Schriften sagen. Es sind philosophische[508] Abhandlungen gewisser Materien, Vernunftschlüsse, Untersuchungen, Muthmaßungen der Weltweisen, Ermahnungen zur Tugend, Trostreden im Unglücke; aber keine Gedichte, keine Nachahmungen der Natur. Also würden denn wohl alle diese Stücke gar nicht in die Poesie laufen, wenn sie in ungebundener Schreibart abgefasset wären: da hingegen die Heldengedichte, Romane, Trauerspiele, Komödien, Schäferspiele, und überhaupt alle Fabeln, dennoch Gedichte bleiben, und in die Poesie gehören; wenn sie gleich nur in ungebundener Rede abgefaßt werden. Indessen, da wir gleichwohl Oden, Elegien und Briefe, bloß wegen der poetischen Schreibart, darinn sie abgefaßt werden, zur Poeterey rechnen; obgleich selten eine Fabel darinn vorkömmt: so können wir auch diesen größern Arten poetisch abgefaßter Schriften hier die Stelle nicht versagen. Die Einkleidung, der Ausputz, die Zierrathe, der geistreiche und angenehme Vortrag der allerernsthaftesten Lehren, machet, daß sie Poesien werden: da sie sonst ihn [richtig: in] ihrem gehörigen philosophischen Habite ein sehr mageres und oft verdrüßliches Ansehen haben würden.

10. §. Es fragt sich ferner hier, ob es rathsam sey, dergleichen dogmatische Sachen, insonderheit aber Künste und Wissenschaften, poetisch abzuhandeln? Vor einigen Jahren kamen in Holland die LETTRES ANTIPOETIQUES von der Jungfer Hooghard heraus, darinn des Boileau ART POETIQUE mit großer Heftigkeit, und nicht geringer Gründlichkeit angegriffen wurde. Dieses gelehrte Frauenzimmer, welches noch wirklich in Amsterdam leben soll, will es durchaus nicht zugeben, daß man vollständige Künste, dergleichen die Dichtkunst ist, in einer poetischen Schreibart vortragen solle: weil sie der Meynung ist, die Regeln des Sylbenmaaßes und der Reime, insonderheit aber das Feuer der Poeten, wäre einer systematischen Ordnung und rechten Verbindung der Lehren schnurstracks zuwider. Sie untersucht auch in der That den guten Boileau nach den Regeln ihrer lieben Logik, wie sie[509] selbst schreibt, mit so vieler Einsicht und Scharfsinnigkeit; daß man ihr größtentheils Recht geben muß. Und endlich vergleicht sie den ersten Gesang seiner Dichtkunst mit einem zerdrümmerten Tempel Apollons, wo hier ein schöner Pfeiler, da ein prächtiger Altar, dort ein treffliches Gemälde, hier wieder ein köstliches Marmorbild u.s.f. ohne Ordnung und Verbindung, über und durch einander geworfen, läge. Ja, sie macht selbst eine ganz neue Einrichtung dieses zerschlagenen Gebäudes. Sie ordnet seine Materien ganz anders; und zeiget, daß hier und da manche Lücke auszufüllen, anderwärts aber viel Ueberflüßiges wegzuwerfen wäre. Und was dieselbe, von diesem Meisterstücke des berühmten Despreaux mit so gutem Grunde behauptet, daß ließe sich freylich von allen übrigen dogmatischen Poesien ebenfalls darthun, wenn man sie so genau auf die Probe stellen wollte.

11. §. Ich gebe es also zu, daß man eine Wissenschaft mit völliger Gründlichkeit, weder synthetisch, noch analytisch in Poesien abhandeln könne. Wer ein Freund einer so strengen Lehrart ist, wo man nichts unerklärt und unerwiesen annimmt; der muß solche poetische Abhandlungen nicht lesen. Die Poeten bescheiden sichs auch gar leicht, daß sie keine geometrische Methode in Ausführung ihrer Materien beobachten. Das würde sehr trockne Verse und einen schläfrigen Vortrag geben. Die tiefsinnigsten philosophischen Geister mögen sich also nur an ihre ordentliche prosaische Schreibart halten. Wenn sich die Poeten in ihre Wissenschaften mengen, so thun sie es bloß, den mittelmäßigen Köpfen zu gefallen, die nur einiger maßen etwas davon wissen wollen; und sich um den höchsten Grad der Gründlichkeit nicht bekümmern. Diese machen allezeit den größten Theil des menschlichen Geschlechts aus: und da ist es genug, wenn man ihnen nur nichts Falsches sagt; die Wahrheit in solcher Ordnung vorträgt, daß man sie ziemlich verstehen und ihren Zusammenhang wenigstens klar einsehen könne; dabey aber alles mit Zierrathen einer poetischen Schreibart so lebhaft und sinnreich[510] ausbildet, daß man es mit Lust und Vergnügen lesen könne. Da nun auch die bittersten Wahrheiten, sonderlich in moralischen Sachen, auf solche Art gleichsam verzuckert und übergüldet werden: so sieht man wohl, daß es nicht undienlich sey, dergleichen Schriften zu verfertigen; und also Erkenntniß und Tugend der Welt gleichsam spielend beyzubringen.

12. §. Es versteht sich aber von sich selbst, daß ein solch dogmatisches Gedicht entweder den ganzen Inbegriff einer Kunst oder Wissenschaft, oder nur einzelne dahin gehörige Materien abhandeln könne. Jenes haben die meisten obberührten Alten; dieses aber hat unser Opitz gethan. Vida hat die ganze Poesie in III. Büchern; imgleichen den Seidenwurm und das Schachspiel; Ulrich von Hutten aber nur die lateinische Verskunst allein beschrieben. In beyden Fällen setzet man zum Grunde, daß der Poet die Sache wohl verstehe, und sich nicht unterfange, etwas auszuführen, dem er nicht gewachsen ist. Denn hier gilt auch insonderheit, was Horaz von allen Poeten fodert.


SUMITE MATERIAM, VESTRIS QUI SCRIBITIS AEQUAM

VIRIBUS, ET VERSATE DIU, QUID FERRE RECUSENT,

QUID VALEANT HUMERI.


Denn sich in Dingen, die man nicht versteht, zum Lehrer aufzuwerfen, das würde in der Poesie eben so schädlich seyn, als anderwärts. Die Wahrheit und Tugend muß, wie allezeit, also auch hier, der einzige Augenmerk eines Poeten seyn: und es wäre zu wünschen, daß Ovidius philosophisch genug gesinnet gewesen wäre, so würde er seine Kunst zu lieben nicht geschrieben haben. Diese seine Schrift gehört sonst auch hieher, und er hat sich darinn bemüht, eine ohnedem gar zu liebliche Sache durch seine angenehme Schreibart noch beliebter zu machen; das ist, ein schädliches Gift zu überzuckern. Er scheint, solches nach der Zeit selbst bereuet zu[511] haben, da er auf eben die Art REMEDIA AMORIS geschrieben, die gewiß mit so vielem Nutzen, als Vergnügen gelesen werden können.

13. §. Viel vernünftiger hat unser Opitz in seinen dogmatischen Poesien gehandelt. Er zeiget überall eine philosophische Stärke der Vernunft, einen großen Eifer für alles Gute, ein gesetztes männliches Herz, das die Eitelkeit der menschlichen Dinge verachtet, und den hohen Adel der Weisheit und Tugend allein hochschätzet. Sonderlich wären sein Vielgut, Zlatna und die vier Bücher der Trostgedichte werth, daß sie der Jugend beyzeiten in die Hände gegeben, erkläret, und von derselben von Wort zu Wort auswendig gelernet würden. Dieses würde derselben mehr edle Grundsätze der Tugend und Sittenlehre geben, als die lateinischen Sprüchelchen, die sie mehrentheils ohne Verstand herbethen lernt,


Und länger nicht bewahrt,

Als bis der kluge Sohn nach Papageyenart,

Sie zu der Aeltern Trost, dem Lehrer nachgesprochen.


Die alten Griechen hieltens mit ihrem Homer so; und ich weis nicht, warum wir gegen den Vater unsrer Poeten noch so undankbar sind: da doch seine oberwähnten Gedichte mehr güldene Lehren in sich fassen, als die ganze Ilias und Odyssee.

14. §. Ob man in dieser Gattung von Gedichten die Musen, oder sonst eine Gottheit, um ihren Beystand anrufen könne, das ist im V. Capitel des I. Theils bereits gewiesen worden. Vom Lucretius ist bekannt, daß er die Venus angerufen, weil sie der Erzeugung der Dinge vorsteht. Virgil, in seinen Büchern vom Feldbaue, ruft ein ganzes Dutzend Götter an, die beym Feldbaue was zu thun haben. Opitz ruft in seinem Vesuvius die Natur an, weil er von natürlichen Wundern schreiben will:


Natur, von deren Kraft Luft, Welt und Himmel sind,

Des höchsten Meisterrecht, und erstgebohrnes Kind,[512]

Du Schwester aller Zeit, du Mutter aller Dinge,

O Göttinn! gönne mir, daß mein Gemüthe dringe

In deiner Werke Reich, und etwas sagen mag,

Davon kein deutscher Mund noch bis auf diesen Tag

Poetisch hat geredt.


Hätte er es nun dabey bewenden lassen, so wäre es gut gewesen: aber er fährt fort, und ruft auch den Apollo nebst allen Musen herbey, die doch bey dieser Materie vom Vesuvius nichts zu sagen haben:


Ich will mit Wahrheit schreiben,

Warum Vesuvius kann Steine von sich treiben,

Woher sein Brennen rührt, und was es etwa sey,

Davon die Glut sich nährt. Apollo, komm herbey!

Mit deiner Musenschaar; laß ihre Hand mich leiten

Auf dieser neuen Bahn: so will ich sicher schreiten,

Wohin mein Geist mich trägt.


Indessen wenn man ihn entschuldigen will, so darf man nur sagen: daß gleichwohl die Form des ganzen Werkes poetisch sey, und also des Beystandes der Musen nicht entbehren könne. In seinem Vielgut macht er seine Anrufung gerade zu Gott selbst:


So komm, o höchstes Gut! du Ursprung guter Sachen,

Des Bösen ärgster Feind, erwecke mir Versland;

Verleihe kecken Muth, und schärfe meine Hand,

Zu dringen durch den Neid des Volkes auf der Erden,

Das sonst mit seiner Schaar mein Meister möchte werden,

Und Wahrheit kaum verträgt.


Eben das hat er in den Büchern der Trostgedichte gethan, wo er sich den heiligen Geist, als den höchsten Trost der Welt zum Helfer und Beystande erbittet. Wie nun hieran[513] nichts auszusetzen ist: also ist es auch nicht allzeit nöthig, dergleichen Anrufung zu machen. Horaz und Boileau haben in ihrer Dichtkunst keine gemacht. Opitz in seinem Buche von der Ruhe des Gemüths, thut es auch nicht; ob es gleich eben so groß ist, als eins von den vorhergehenden.

15. §. Was für Verse man zu solchen dogmatischen Gedichten brauchen solle, das können die Exempel der Alten und Neuern lehren. Jene haben die Hexameter für geschickt dazu gehalten, und Opitz hat die langen jambischen dazu bequem gefunden. Und in der That schicken sich zu einem langen Lehrbuche keine kurze Verse. Corneille hat dieses wohl gewußt, daher hat er den Thomas von Kempis durchgehends in einerley zwölf- und dreyzehnsylbigte Verse, nicht aber in andere Arten derselben gebracht. Auch Philander von der Linde hat das lange geistliche Gedicht Sam. Slaters, welches ein Gespräch der Seele mit dem Glauben vorstellt, in keine andere Art von Versen übersetzt. Und es wäre zu wünschen, daß man solches in der deutschen Uebersetzung des Thomas von Kempis auch gethan hätte: da hingegen die eine, die wir davon haben, bald aus Elegien, bald aus heroischen, bald aus trochäischen Versen besteht; die andere aber, die nicht längst heraus gekommen, gar wie ein Gesangbuch aussieht. Wenn jemand Zeit und Lust hätte, ein solches dogmatisches Werk in unsre Sprache zu übersetzen, der dürfte nur den Palingenius dazu wählen, welcher in dieser Classe gewiß eins von den schönsten und erbaulichsten Büchern ist, die ich je gelesen habe.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 6,2, Berlin und New York 1968–1987, S. 498-514.
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