Erster Auftritt

[9] Jungfer Lottchen sitzt auf einem Stuhle und macht Knötchen. Bald darauf kömmt Herr Reinhart.


HERR REINHART. Nun, wie stehts, Jungfer Lottchen? Ich habe heute zu Mittage unmöglich zu Hause speisen können. Ich fand auf der Börse einen guten Freund aus Siebenbürgen, den ich mit in den blauen Engel nahm: denn ich bin meiner Frauen nicht gern mit unerwarteten Gästen beschwerlich. Ist Ihnen auch bey Tische die Zeit sehr lang geworden?

JUNGFER LOTTCHEN lacht. Ach nein! mir zum mindesten nicht! So lange wir ein so abgeschmacktes Thier am Tische haben, als der junge Vielwitz ist; so wird mir die Zeit wohl nicht leicht lang werden.

HERR REINHART. Ey, was sagt Sie, Jungfer Lottchen! der junge Vielwitz sollte abgeschmackt seyn? Sein Vater ist ein so reicher Mann! ich wollte ihm wohl mein ganzes Vermögen creditiren.

JUNGFER LOTTCHEN lacht sehr. Der Reichthum hilft so wenig für Thorheit, als das Alter. Sein Vater sey so reich als er wolle: sein Herr Sohn ist ein Geck.

HERR REINHART sich verwundernd. Ich weis doch nicht! mir kömmt es vor, daß der junge Mensch recht sehr klug thut.

JUNGFER LOTTCHEN. Eben darinn besteht seine Thorheit. Glauben Sie mirs nur, Herr Reinhart, nichts steht einem jungen Menschen närrischer, als wenn er klüger thun will, als alle andere. Er ist ein rechter großer Verehrer von seiner Wenigkeit; sie lacht, er ist aber, meines Wissens, auch der einzige.

HERR REINHART. Es ist wohl wahr, er redet immer von sich selbst, und von seiner Gelehrsamkeit; und vergißt bey Tische fast das Essen darüber, daß er uns immer seine Verse herbethet, die er auf Schulen gemacht hat. Allein es ist die liebe Jugend; solche Fehler geben sich mit den Jahren.

JUNGFER LOTTCHEN. Nein, mein Herr Reinhart; dieser Fehler nimmt gewiß mit den Jahren nur noch mehr zu. Die Fehler, an denen die Jugend schuld ist, und die mit den Jahren vergehen, die bestehen gemeiniglich nur in einem gar zu großen Feuer der[9] Leidenschaften. Bey ihm aber ist es ein Mangel der Vernunft, ein innerer Hochmuth des Herzens, eine närrische Selbstliebe: und die nimmt mit den Jahren immer mehr zu.

HERR REINHART. Glaube Sie das nicht, Jungfer Lottchen.

JUNGFER LOTTCHEN. Das glaube ich gewiß. Wer in seinem 20sten Jahre noch nicht so viel Urtheilskraft hat, daß er seine Selbstliebe verbergen kann: der bleibt sein Lebenlang ein Thor.

HERR REINHART schüttelt den Kopf. Es ist mir sehr leid, Jungfer Lottchen, daß Sie wider den jungen Menschen so sehr aufgebracht ist.

JUNGFER LOTTCHEN. Daran hat er selbst Schuld. Hätte er mir einen bessern Begriff von sich beygebracht: so würde ich ihn auch haben.

HERR REINHART. Der Mensch denket und saget doch aber alles Gutes von sich.

JUNGFER LOTTCHEN lachend. Eben darum glaube ich es nicht, weil er es selbst sagt.

HERR REINHART. Nun, nun, er ist nur erst vierzehn Tage hier: wenn Sie ihn länger kennen wird; so wird er Ihr schon noch gefallen.

JUNGFER LOTTCHEN lächelnd. Ich versichere Sie, daß er mir je länger je abgeschmackter vorkommen wird. Gewisse Leute haben nun einmal das Schicksal, je länger man sie sieht, desto verdrießlicher werden sie einem: und Herr Vielwitz ist gewiß von der Art.

HERR REINHART. Das sollte mir sehr leid seyn! Die Wahrheit zu sagen, Jungfer Lottchen, des Vielwitzes Vater, ist mein sehr guter Freund: es ist nunmehr länger als 20 Jahre, daß wir mit einander im Handel zu thun haben.

JUNGFER LOTTCHEN. Das kann wohl seyn. Muß denn deswegen sein Sohn klug seyn?

HERR REINHART. Höre Sie mich doch nur erst aus. Mit Ihr meyne ich es auch herzlich gut, mein liebes Lottchen.

JUNGFER LOTTCHEN. Das bin ich versichert, und werde es Lebenslang mit allem Danke erkennen.

HERR REINHART. Ihr Vater war ein braver ehrlicher, reicher Mann; und wußte, daß ich wohl mein Leben für ihn gelassen hätte: darum hat er mich auch zum Vormunde über Sie gesetzt, und zwar mit einer Bedingung, die sehr selten ist: daß nämlich, wofern[10] Sie in Ihren unmündigen Jahren wider meinen Willen heirathet, ich Ihr von Ihrem Vermögen keinen Häller auszahlen darf. Weis Sie das, Jungfer Lottchen?

JUNGFER LOTTCHEN. O ja! und ich werde mein Vermögen gewiß ganz behalten.

HERR REINHART. Das soll mir sehr lieb seyn. Auf die Art aber muß der junge Vielwitz Ihr nicht so albern vorkommen.

JUNGFER LOTTCHEN. Wie so? Was geht den jungen Witzling meines Vaters letzte Verordnung an?

HERR REINHART schüttelt den Kopf. Sie ist sonst so klug, und kann oder will mich nun nicht verstehen!

JUNGFER LOTTCHEN. Nein, ich verstehe Sie nicht.

HERR REINHART. Ich habe aber im Sinne, aus Ihnen beyden ein Paar zu machen.

JUNGFER LOTTCHEN erschrickt. Aus uns? aus mir und aus dem Vielwitz?

HERR REINHART. Ja, ja. Er ist brav reich, und Sie ist auch brav reich. Sie liest und hört und redt gern was Kluges: und er sagt auch, daß er sehr klug ist. So dünkt mich, Ihr schicktet Euch gut zusammen.

JUNGFER LOTTCHEN. Nichts minder, als das. Von allem Unglücke in der Welt, stelle ich mir das als das größte vor, einen solchen Mann zu haben, als der junge Vielwitz ist.

HERR REINHART. Was? einen so reichen Menschen?

JUNGFER HOTTCHEN. Ich habe Geld genug, auch einen Armen glücklich zu machen.

HERR REINHART. Den klügsten Menschen von der Welt?

JUNGFER LOTTCHEN. Der Himmel bewahre mich vor dem klügsten Menschen von der Welt; zumal, wenn er ein eingebildeter Thor ist.

HERR REINHART. Bedenke Sie nur die Macht, die mir Ihres Vaters Testament gegeben hat!

JUNGFER LOTTCHEN. Diese Vollmacht sieht einem vernünftigen Vater ähnlich. Er hat nur einer unbedachtsamen Thorheit der Jugend vorbeugen wollen. Er hat mich aber nicht zu einer Sklavinn eines fremden Eigensinnes auf Lebenslang gemacht. Wenn ich mündig, und hoffentlich vernünftig genug seyn werde: so kann ich mich nach eigenem Gefallen verheirathen. Mich dünkt dieß ist der Sinn des väterlichen Willens.[11]

HERR REINHART besinnt sich ein wenig. Es ist endlich wohl wahr! Aber wird Sie wohl noch fünf Jahre Geduld haben?

JUNGFER LOTTCHEN. Ehe ich den Vielwitz nähme; so hätte ich gewiß noch funfzig Jahre Geduld.

HERR REINHART. Kränke Sie mich doch nicht so! Ich bin Ihr so gut, als wenn Sie mein eigenes Kind wäre! darum sollte Sie mir auch wohl wieder was zu Gefallen thun.

JUNGFER LOTTCHEN. Von Herzen gern, alles was Sie wollen. Nur daß ich den Vielwitz nicht für klug halten darf.

HERR REINHART. Der Mensch hat doch aber was gelernet!

JUNGFER LOTTCHEN. Das spreche ich ihm nicht ganz ab. Für einen jungen Menschen weis er schon etwas. Aber darum muß er so stolz und klug nicht thun, als wenn er allen großen Gelehrten in Deutschland die Wage halten könnte.

HERR REINHART. Das wird sich schon noch geben!

JUNGFER LOTTCHEN. Ich glaube gewiß, wenn er minder von sich hielte, so würde man ihn für einen geschickten jungen Menschen halten können: nun er aber sein Bißchen Vollkommenheiten durch ein Vergrößerungsglas ansieht, so wird er zu einem Gecken.

HERR REINHART. Nun, verspreche Sie mir zum mindesten, Jungfer Lottchen, daß Sie ihm einen freyen Zutritt des Nachmittags zum Caffee, wenn Sie doch ohnedem andere gute Freunde bey sich auf dieser Stube hat, verstatten will. Thue Sie mirs zu Liebe!

JUNGFER LOTTCHEN zuckt die Achseln. Was will ich machen?

HERR REINHART. Ich will meinem Sohne sagen, daß er ihm seinen Hochmuth ein wenig verweisen soll. Sie sind ja gute Freunde.

JUNGFER LOTTCHEN. Ihr Herr Sohn ist sein guter Freund, aus Ehrfurcht gegen Sie; weil Sie es ihm befohlen haben: sonst ist er viel zu vernünftig, als daß er ihn eine Stunde um sich leiden könnte.

HERR REINHART. Nun, nun! es wird sich schon noch geben. Mein Sohn liebt ja auch die schönen Wissenschaften: so kann er ihm desto dreister zureden. Wird Sie heute Besuch haben, zum Caffee?

JUNGFER LOTTCHEN. So viel ich weis, wird sonst niemand kommen, als der junge Vielwitz und Ihr Herr Sohn. Sie fiengen heute bey Tische einen Streit an, den sie hier auf meiner Stube enden wollen.[12]

HERR REINHART. Wie? was? einen Streit?

JUNGFER LOTTCHEN. Ja, sie redeten von der Gottschedischen Schaubühne. Da machte nun der Vielwitz alle Stücke darinnen herunter.

HERR REINHART schüttelt den Kopf. Nun! das wüßte ich doch nicht. Ich lese manchmal des Abends darinnen. Alle Stücke gefallen mir zwar auch nicht; aber einige sind doch recht hübsch, und ich denke immer: was mir nicht gefällt, das kann doch wohl einem andern gefallen.

JUNGFER LOTTCHEN. Das macht, Sie denken wie ein vernünftiger Mann; aber nicht wie ein junger Witzling.

HERR REINHART. Nein! so überhaupt muß man kein Buch verachten: so lange noch keines für einen Menschen allein geschrieben ist. Er geht zum Tische und sieht einen versiegelten Brief liegen.

JUNGFER LOTTCHEN. Das ist aber die Art dieser jungen Herren. Sie glauben, alle Schriftsteller sollen nur streben, die Ehre ihres Beyfalls allein zu erhalten. Ungeachtet dieser Lohn ein wenig klein wäre!

HERR REINHART. Was hat Sie denn da für einen Brief, Jungfer Lottchen?

JUNGFER LOTTCHEN. Ach! es sind Verse von dem jungen Vielwitz. Er hat sie mir heute früh herunter geschickt.

HERR REINHART erfreut. Ey! das ist mir lieb! Es wird wohl gar eine Liebeserklärung seyn. Warum hat Sie sie denn noch nicht aufgemacht?

JUNGFER LOTTCHEN. Weil ich heute keine Lust zu Kopfschmerzen habe.

HERR REINHART. Zu Kopfschmerzen? Wie so?

JUNGFER LOTTCHEN. Ich kenne seine Verse schon. Das Rechnen wird mir nicht so sauer, als die Gedichte zu verstehen, die er macht. Sie sind des Kopfbrechens schon bey Ihren Handelsbüchern gewohnet, Herr Reinhart, machen Sie den Brief nur auf, und lesen Sie ihn.

HERR REINHART. Ey! wenn ich in meinem Handelsbuche lese: so bringt mir das Geld ein, und hiervon hätte ich nichts. Nein, nein! es ist billig, daß Sie Ihre Liebesbriefe selber erbreche. Er giebt ihr den Brief. Da! lese Sie es nur selbst. Ich habe ohnedem nothwendig ein Paar Briefe zu schreiben. Er geht ab.[13]


Quelle:
Luise Adelgunde Victorie Gottsched: Der Witzling. Berlin 1962, S. 9-14.
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