794. St. Veits Gaben.917

[748] Das Kloster Corvei war dem heil. Veit geweiht und hatte in der ältesten Zeit arme, aber sehr fromme Mönche. Nur einmal im Jahre hielten sie ein Gastmahl und das geschah am St. Vitustage zu Ehren ihres Schutzpatrons; es war aber sehr mäßig und beschränkt, denn die Einkünfte des Klosters waren gering. Einmal aber geschah es, daß am St. Vitustag, welches der 15. Julius ist, es dem Kloster fast an allem zu einem Festmahl Nöthigen gebrach, an Fischen, an Wildpret und an Wein. Nur Gemüse war vorhanden. Vergebens sannen die Mönche nach, wie sie ohne das Nöthigste ihr Fest begehen sollten, siehe da plätscherte es im Klosterbrunnen und zwei große Karpfen schwammen darin und auf dem Hofe stellten sich zwei prächtige Hirsche ein, die waren feist vor der eigentlichen Feistzeit. Da kam aber auch der Bruder Kellermeister und trug zwei große Krüge, die er gefüllt hatte am Quell, der in der Kirche hinter dem Altar sprang, und verkündete, daß das Wasser des Quells in Wein verwandelt sei. Da nun die Kunde solch hohen Wunders dem Abte angesagt war, so sprach dieser: »Brüder, lasset uns in Demuth und Dankbarkeit diese Gaben Gottes und unsers heiligen Schutzpatrons genießen. Es genüge uns aber an einem Hirsch und an einem Fisch, und Jeder fülle sich nicht mehr als zwei Kannen Weins.« Da ließen die Brüder ohne Widerrede den einen Hirsch ins Freie und den einen Fisch in die Weser und segneten im Herzen den guten Abt, daß er ihnen doch statt nur eines Krüglein Weines deren mindestens zwei erlaubt hatte und hielten ihr Festmahl zu Ehren St. Veits in Eintracht und Liebe. Seitdem erneute sich diese Spende des Heiligen an jedem Jahrestage und immer wurde also verfahren wie am ersten. Endlich aber starb der gute und fromme Abt und es ward ein anderer gewählt, dessen Gott der Bauch und dessen Heiliger Herr Bacchus war. Als nun St. Viti Jahrestag wiederkam, da ließ der Abt beide Hirsche schlachten und beide Fische auch, und Weines die Fülle füllen und bezechte sich St. Veit zu Ehren weidlich. Aber als wieder ein Jahrestag kam, da kam mit ihm weder Hirsch noch Fisch und der Altarquell sprudelte nach wie vor recht klares frisches[748] Wasser, aber keinen Wein mehr, also daß im Kloster Corvei jetzt Bruder Schmalhans Küchenmeister ward.

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S. Bechstein, Deutsches Sagenbuch S. 258.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 748-749.
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