28. Der schlafende König und die Wichtelmänner im Wolsberge bei Siegburg.

[30] (Nach Müller a.a.O. S. 16 etc.)


In dem Wolsberge bei Siegburg tief unten in einer ungeheuren Felsenhöhle sitzt auf mächtigem Steinblocke ein gewaltiger König und Held (vielleicht der Gott Odin); derselbe lehnt mit seinem Haupte auf einem vor ihm stehenden Steintische und hält mit beiden Händen den Griff seines gewaltigen Schwertes umfaßt. Nebenan in andern Höhlen stehen an vollen Krippen ungeduldig scharrende Rosse, in langen Reihen schlummern Krieger und Knappen auf ihren Waffen. Der Eingang zu dieser unterirdischen Burg steht in der Walpurgisnacht von 12-1 Uhr offen und so soll sich[30] einmal ein Jäger dorthin verirrt und alle diese seltsamen Dinge gesehen haben. Ihm gegenüber erhob sich der König und frug halb im Traume: »ob die Elster noch um den Berg fliege.« Als er gehört, daß dieser schwarz und weiße Vogel noch fliege, soll der Held wieder eingeschlafen sein. Wenn dieser Vogel nicht mehr fliegt, wenn die schwarze Zeit die Oberhand gewonnen, alsdann soll der König aus der Kluft hervortreten, in sein Heereshorn stoßen und eine ruhmreiche neue Zeit begründen.

Einst auch kehrten mehrere Schmiede aus Siegburg in später Nacht vom Müllerhofe nach Hause zurück. Als sie in die Nähe des Wolsberges kamen, begegneten ihnen zwei unansehnliche Zwerge mit grauem Barte und luden sie ein, ihnen zu folgen, um mehrere Arbeiten zu verrichten: reicher Lohn sollte ihnen zu Theil werden. Anfangs zögerten die Schmiede, als ihnen aber die beiden Wichtelmänner mehrere Goldstücke in die Hand gedrückt, folgten sie, freilich nicht ohne Furcht, der ungewöhnlichen Einladung. Durch das Gestrüpp gelangten sie zu einer Höhle; dort eingetreten, sahen sie voll Erstaunen weite Hallen, in denen Ritter und Pferde auf dem Boden hingestreckt sich tiefem Schlafe hingaben. An den hohen Wänden leuchteten ihnen glänzende Waffen entgegen. »Nun frisch ans Werk!« riefen ihnen die Wichtelmänner zu, »bald geht der große Kampf los und Waffen und Pferde müssen zum Kriege tauglich sein.« Auf dem nahen Heerde loderte ein mächtiges Schmiedefeuer und alsbald gab es ein Hämmern und Klopfen, wie es unsere Meister nie gesehen noch gehört hatten. Wohl einige hundert Zwerge standen ihnen zur Seite, untersuchten die Hufe der Pferde, überreichten ihnen die Werkzeuge und noch nie war ihnen die Arbeit so rasch von Statten gegangen. Dieselbe war bald beendet. Die beiden Zwerge öffneten eine Nebenthüre und luden die Schmiede ein, von den dort befindlichen Schätzen ihre Taschen zu füllen. Dann führten sie dieselben wieder auf den Weg nach Siegburg zurück und – die Kirchenuhr der nahen Stadt schlug Eins. Wohl gern hätten die Schmiede noch oft ein solches Geschäft gemacht, allein der Eingang zu den unterirdischen Gemächern war nicht wieder zu finden und es wollten auch keine Wichtelmänner mehr kommen, sie zu einem ferneren Besuche einzuladen. Im Volke aber lebt die Sage fort, daß Held Odin bald mit seiner Kriegerschaar heraufkommen und das ganze Land seiner Herrschaft unterwerfen werde.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 30-31.
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