909. Zauberspuk bei Oberkalbach.

[780] (S. Lotich a.a.O. S. 367.)


Oberhalb des Wiesgrundes bei Oberkalbach in den Kachelhecken findet sich der Kachelborn. Dort hat man oft, sogar am hellen Mittage, ein Kind schreien hören. Da herum ist es aber nicht geheuer und Mancher schon irre geführt worden. Einmal bei einem Gange in der Nacht schwebte da einem etwas in der Luft vor, das aussah wie ein Kissenüberzug. Das schwebte ihm so lange vor, bis er sich auf einmal auf einer sumpfigen Stelle im Wiesgrunde befand, wo er nicht weiter konnte und von wo man ihn auf sein Kreischen und Wehklagen holen mußte. Ein Anderer ward auch einmal[780] da irre geführt, und als er sichs recht versah, da hatte er sich entkleidet und stand splitterfasernackend da. Er suchte nach seinen Kleidern, allein wo waren sie hin? er konnte sie nicht wiederfinden. Auch ein Schultheiß wandelt dort herum. Man hat ihn schon auf einem Gaule ohne Kopf reiten sehen. Eine Frau, die dort auf dem Felde arbeitete, sah ihn zwar nicht, ward ihn aber doch inne, denn auf einmal entstand ein heftiges Geräusch um sie her als wie ein Wirbelwind. Es wurde stiller und sie hörte niesen. Ganz erschrocken wußte sie nicht, was sie denken, geschweige denn, was sie sagen sollte. Da nieste es abermals, und als es noch einmal geniest hatte und sie nicht das übliche »Gott helf Dir« gesprochen, da brauste es wieder auf und fort ging's, daß nur so die Kornähren wild auseinander und zusammenwogten. Hätte sie »Gott helf Dir« gesagt, so wäre wohl die arme Seele erlöst worden. Die Schultheißen pflegen überhaupt nach ihrem Tode umzugehen, das ist kein Wunder, denn sie thun und müssen so vieles thun, was nicht recht ist. Einmal stand ein Soldat zu Kassel auf Posten. Plötzlich hörte er sich etwas Unheimliches nähern. »Wer da!« keine Antwort, und wieder keine, als er abermals rief, als er aber zum dritten Male rief, da antwortete es: »Der Teufel!« – »Was hast Du da?« fragte unerschrocken der Soldat. »Den Schulzen!« entgegnete der Teufel. Und richtig! der Teufel konnte den geholt haben, denn es ergab sich, daß der Schultheiß zu Oberkalbach in derselben Stunde gestorben war.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 780-781.
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