11.

[111] Der Apalachen Wellenberge loh'n

Im Abendrothe, während Glockenton

Zum Feierabend durch die Pflanzung hallt,

Und mählich still es wird im dunklen Wald.


Der Specht, Urwalds Kapellenmeister, pickt

Nicht mehr den Takt; er weiß, daß ihm's nicht glückt

Zu stimmen in des Einklangs Melodei

Des Käuzchens Pfiff, des Papageien Schrei.


Im Schatten einer Sycomore sitzt

Am räum'gen Tisch, aus Acajou geschnitzt,

Der Pflanzer, dem aus Kannen silberblank

Entgegenqualmt des Theebaums duft'ger Trank.


Geschmiegt an ihn der ros'gen Kinder Schaar

Die ihm die schlanke Lieblings-Skwa gebar,

Umblüht verschönend seine rauhe Kraft,

Wie Nikisranken blühn am Cedernschaft.


Welch Segensfeld liegt vor mir aufgethan!

Sein weißes Wohnhaus blinkt im Wiesenplan,

Das Maisfeld rauscht, die Baumwollstaude weht,

Das Zuckerrohr in hellen Blüthen steht.


Wie eine Opferschale, feierlich,

Hält er die volle Tasse jetzt vor sich,

Und der Begeist'rung stiller Glanz umflicht

Fast priesterlich sein strenges Angesicht:
[112]

»Heil China dir! Durch ferne Meere weit

Eilt jetzt mein Dank zurück in ferne Zeit

Und sucht den Mann, der dieses heil'ge Kraut,

Den Nektar unsrer Freiheit, einst gebaut!


Als er noch schritt an des Hoangho Strand,

Und still die Saat entsunken seiner Hand,

Wohl hat kein Ahnen dessen ihn umweht,

Daß eines Welttheils Freiheit er gesä't!


Hoch vom Pagodenthurm der Mandarin

Schaut übers Land und streicht sich froh das Kinn!

Der Theebaum säuselt so geheimnißvoll,

Als ob er mehr als Blüthen tragen soll.


Ob sein Vasall es leise nur errieth,

Als er dieß Kraut auf glühem Roste briet,

Daß Sankt Laurenzens Rost er schürt und facht,

Der einst als Blutzeug' unsres Worts erwacht?


Der Arzt, deß Forschergeist aus diesem Kraut

Dem Siechen wunderkräft'gen Trank gebraut,

Er wußt' es doch nicht, der gelahrte Mann,

Wie daß sein Kraut auch Ketten sprengen kann!


Der Britte, der einst mit dem dunklen Kraut

Voll seines Segelschiffes Bauch gestaut,

Nicht wußt' er's, daß die Rach' er führt' als Gast,

Und daß die Freiheit schwebt' ob seinem Mast!


Hat jemals, Boston, es dein Meer geträumt,

Daß es ein Fruchtfeld einst voll Saaten keimt?

Daß seinem Schooß dereinst entsteigen soll

Der Baum der Freiheit, groß und blüthenvoll?
[113]

O Kinder, haltet fest an Recht und Licht!

Aus Rosen selbst der Dorn der Rache sticht!

Es sä't der Mensch, doch ob den Saaten wacht

Still eine dunkle, räthselvolle Macht.«


So sprach der Mann und strich sich froh das Kinn;

Geheimnißflüsternd rauscht die Saat dahin,

Und hinter ihm blickt aus dem Zuckerrohr

Ein krauses, dunkles Negerhaupt empor.

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 111-114.
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Schutt
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